Lebensgesetze der Kultur – Zweiter Teil – Die Werte der Kultur: Die Reifezeit
Die ungesonderte Urgemeinde des Weiber – Mutterstockes – hatte sich in Kämpfen mit Natur und Menschen zu dem Herrenstaat des unabhängigen Mannes umgebildet. Jetzt gab es an Stelle der Gemeinehe eine wirkliche persönliche Ehe, an Stelle des Gemeinbesitzes den Eigenbesitz, an Stelle des Allgemeinlebens eine Familie. Die Familie ist unter dem Einfluss des Mannes und seiner staatlichen Aufgaben aus dem alten, mutterrechtlichen Zustande erst herausgebildet worden. Die Familie ist nicht der Mutterschoss des Gemeinlebens überhaupt gewesen – das war die Mutterschaft – sondern ist die reife Frucht, das Ergebnis einer Entwicklung des Gemeingefühls und Gemeinlebens, sie ist die männliche Form der menschlichen Zusammengehörigkeit. Die Familie ist eben als Ziel auch nie ganz erreicht worden, als Ideal nie zur Verwirklichung gelangt: denn diese innere erstrebte Einheitlichkeit von Mann, Weib und Kindern missrät immer an den ungefügen Kräften der einzelnen Mitglieder, wie auch an dem Drucke der umgebenden öffentlichen Zustände.
Das Gemeinleben, zu dem die Natur des Weibes drängt, entspringt gewiss den quellenden Kräften des Muttergefühles, aber alle ihre Schöpfungen tragen den Stempel der Not an sich; das Gemeinleben gestaltete sich, als die Weiber den Ausschlag gaben, nur zu einer Abwehr, rein negativ, innerlich unfruchtbar. Erst der Mann hat, wie er das Weib befruchtet, dass sie Kinder gebärt, auch dem Weiberwerk des ältesten Gemeinlebens allererst eine Zukunft gesichert: denn in die grossen Umrisse von Haus und Vorratskammer – der Urweiberschöpfung – hat er den lebendigen Inhalt seines persönlichen Willens hineingeschaffen, den richtungslosen Kräften hat er Mass und Ziel gesetzt, hat das Zusammenleben zu einer lebendigen Stätte des Menschentums bestimmt und da ist das Weib dann seinen Weisungen und Gedanken gefolgt. Der Rohstoff des Familienlebens, wie später die saubere Ausführung, ist Verdienst des Weibes, aber was wäre geworden, wenn nicht der Mann den Plan, den Entwurf, das grosse Werk aus sich heraus hingestellt hätte! Denn nicht die Not, sondern der Reichtum seiner leiblichen, sinnlichen und geistigen Kräfte lässt den Mann in dem Gemeinleben das wertvolle Werkzeug seiner Lebensaufgabe sehen, lässt ihn aus dem Wirrwarr des Nebeneinanderhinlebens wirksame Gebilde erschaffen, Freundschaft, Ehe, Staat. Das Weib nützt die gegebenen Kräfte in hergebrachter Weise aus, der Mann erkennt im Gegebenen nur den Keim des Nochzuerschaffenden und macht, ja zwingt die Naturmächte zu Dienern seines Menschenwerkes.
So ist denn alles höhere Gemeinleben – das Gemeinleben, das den Menschen emportragen, nicht hemmen soll, das ihm Mass und Grösse zu verleihen hat, nicht ihn verkümmern will – Manneswerk, ob es nun der grosse, heute grundlegende Organismus der Familie ist oder jene heute leider wie Märchen 60) anmutenden Staatseinrichtungen der kretischen, spartanischen, thebanischen, albanesischen Lieblingminne, die natürliche Kräfte zu sittlichen Mächten zu erheben wussten, indem sie den geschlechtlich und charakterlich reifenden Jüngling durch den innigsten Umgang mit dem mannhaften Liebhaber erzogen. Und dass diese Mannesschöpfungen heute abzubröckeln beginnen, wie die Familie, oder fast ganz ausserhalb des Bewusstseins liegen, wie die Lieblingminne, beweist den Niedergang des Mannes, den verhältnismässigen Aufstieg des Weibes.
Es sind Gegenkräfte, Mann und Weib, und so sicher heute die Frau, von tausendjährigen Manneswaffen unterstützt, auf Herrschaft ausgeht, so hat einstens, als die hohe Kultur begann, als der Mann die Gelegenheit fand seine Überlegenheit zu verwirklichen, hatte das Weib zurückzutreten. Nicht dass sie verdrängt, oder weniger geachtet, weniger notwendig geworden wäre, bloss der Mann übersprang sie und dieser Sprung schuf erst die hohe Kultur.
Der Mann war Herr geworden, aber nur als Lehensträger der Rasse, die seinen Vorfahren das Blut gegeben hatte und durch fortdauernde einheitliche Vermischung in ihrem Blutbestande erhalten worden war. Der Mann herrschte über Land und Leute, und die erste Stelle in seinem Besitz nahm das Weib ein. Das Weib war Eigentum, gewissermassen Sache geworden, dem Belieben des Gatten unterstellt. Sie war rechtlich Sklavin, darum nicht schlimmer dran als ihre Kinder und das Hausgesinde, über die der Mann auch unumschränkter Gebieter war, ohne im grossen und ganzen seine Macht zu missbrauchen. In festem Kreise verlief das einzelne Leben; von Geschlecht zu Geschlecht wuchs der Reichtum des Besitzers: das Land wurde urbar gemacht, die Herden vermehrten sich, Kriegszüge schafften neue Sklaven und Beute. Das Gewerbe, einst von den Weibern der Urgemeinde und noch in den Frauengemächern betrieben, nahm in Sklavenhänden einen grossen Aufschwung und wurde die Quelle neuer Reichtümer.
So lebte jeder in seiner Familie, verwuchs mit ihren Gliedern, so milderte sich durch gegenseitige Rücksichtnahme von Geschlecht zu Geschlecht jede Gewohnheit und Sitte, und immer höheres Recht gewann das Gemütsleben. Das Weib wuchs wieder empor; äussere Ketten wurden ihr wohl auf geladen, weil der Mann aus kleinen und grossen Gründen das ausschliessliche Übergewicht beanspruchte, aber zugleich war die Stellung ihres Gatten auch die ihre, sein Ansehen und seine Macht hat sie gerade dort ganz geteilt, wo das Herrenrecht rein zur Geltung gekommen war, wie bei den Dorern, Römern oder Germanen.
Mit der Gattin, der Frau – denn erst unter dem Herrenrecht wird das Weib wirklich auch dazu – wachsen auch die Kinder dem Vater ans Herz. Früher ihm gleichgültige oder angenehme Menschen, je nachdem, und jedenfalls oft eine Sorge, werden die Kinder für den Mann nun zu einem Schritt in die Zukunft, sie werden seine eigne Fortsetzung und Erhöhung: denn ihnen fällt dereinst die Erhaltung von Besitz und Blut zu, sie sind die Unterpfänder der dauernden und steigenden Herrschaft. Ausser liebender Gewohnheit und staatlicher Wertschätzung bringt der Vater nun seinen Kindern aber auch eine wägende Prüfung entgegen. Gerade weil es nicht mehr sein persönliches Gefallen, sondern die Sicherung der Rasse gilt, muss er auf Echtblütigkeit sehen und muss das aussereheliche, halbblütige Kind, so lieb es ihm sein mag, von der Erbschaft, von dem Anteil an den gemeinen Rechten ausschliessen. Und daher wird die Treue des Weibes, die Unberührtheit der Jungfrau 62), ein erstes Erfordernis des herrenrechtlichen Familienlebens.
Galt es der mutterrechtlichen Horde nur stark und einheitlich zu sein, ein geschlossener Ameisenstaat, in dem der einzelne Mensch mit seinen geringen persönlichen Bedürfnissen unterging, so schuf der herrenrechtliche Staat alle die höheren, den grossen Gemeinzwecken dienenden, aber doch nur durch das vollentfaltete Einzelwesen zu verwirklichenden Werte der Ehre, der Unabhängigkeit, des Fortschrittes. Ehre – das ist ungeschmälerter Wert für das Gemeinleben, ursprünglich und wesentlich also für die Rasse, später für die Menschheit; Unabhängigkeit – das ist die feste äusserlich-wirtschaftliche und innerlich-ethische, tapfere, selbstverantwortungsbereite Selbständigkeit und Unmittelbarkeit des Innenlebens; Fortschritt – das ist die unermüdliche Arbeit an und mit der Natur, die tatenfrohe Aneignung jedes neuen Schatzes an Kraft und Grösse, welche die Natur herzugeben bereit ist, das ist die selbstgewisse Bereitschaft: immer von neuem und unbekümmert um Nachfolge und Zustimmung zu. beginnen, immer weiter die Natur zu erklimmen, immer höher die Leuchte des Menschentums hinaufzutragen.
Das sind aber Werte des Manneslebens, Schöpfungen des Mannes, der Herr werden durfte; und darum bleibt es wahr: alle höhere Kultur ist aristokratisch und männlich, oder sie ist nicht. Denn wenn auch erst die Menschheit den Menschen umfasst, so ist der Inhalt der Menschheit doch nur das Menschentum, und das quillt nur im einzelnen, und ursprünglicher, als in der gebundneren Natur des empfangenden Weibes, in dem Manneswillen. Dem Weibe ist das Gemeinleben, Staat, Sitte die Ursache ihres ganzen Daseins, der Mann sucht seine Wirkung in der steten Neuschöpfung von Sitte, Staat und Volk. Darf das Weib die älteste Vergangenheit der Kultur als ihr Werk bezeichnen, so beruht nur auf dem Manne die fernste Zukunft der Kultur, das heisst die Kultur selbst.