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1926: Baron von der Heydt – Der Einzug des Kapitals

Der «Baron», wie Eduard Freiherr von der Heydt in Ascona genannt wurde, ist fast zufällig in den Besitz des Monte Verità gekommen. Letzter Spross einer alten Elberfelder Bankiersfamilie, hatte er sich in London, später in Amsterdam, als Privatbankier betätigt, seiner rasch wachsenden Kunstsammlung ebenso zugetan wie den Geschäften. Den Monte Verità hatte er bei einem zufälligen Besuch in Locarno kennengelernt. Was ihn dazu bewog, 1927 aus einer Laune auf eine Verkaufsofferte mit dem halben Gegen­an­gebot zu reagieren, ist ungewiss. Jedenfalls wurde sein Angebot angenommen, für 160 000 Franken sah er sich im Besitz des Berges und eines heruntergewirtschafteten Hotelbetriebs mit illustrer und zugleich dubioser Vergangenheit. War es die Legende, die längst den «Berg der Wahrheit» umrankt hatte, die den Baron veranlasste, durch zusätzliche Landkäufe das Areal abzurunden, die verlotterten Gebäulichkeiten instand zu setzen, mit Architekt Emil Fahrenkamp einen modernen Hotelbau zu errichten und die verwilderte Landschaft in einen gepflegten Park zu verwandeln? Steckte dahinter das Diversifikationsbestreben eines Financiers, oder war es der Versuch eines Entwurzelten, sich eine neue Heimat zu schaffen? Als stolzer Besitzer, der mehr Gastgeber als Hotelier war, suchte der Baron den Ruf des Berges als Sammelpunkt neuer Lebensformen mit dem eines kultivierten Ortes der Erholung und Begegnung zu verbinden. Dazu verhalfen nicht nur Lage und fast private Gastlichkeit, sondern vor allem die Kunstschätze aller Epochen und Kulturen, mit denen der Baron sich und seine Gäste umgab. Obwohl diese Skulpturen und Bilder nur einen kleinen Teil der über viele Museen verteilten Sammlung von der Heydts darstellten, waren sie ein Anziehungspunkt für die wirtschaftliche und intellektuelle Prominenz, die sich auf dem Monte Verità mit der Boheme mischte. Was der Baron mit Kennerschaft, Finderglück und dem Glauben an die Weltsprache der Kunst zusammengetragen hatte, wollte er der Öffentlichkeit schenken. Die Sammlung moderner Kunst gelangte ins Von-der-Heydt-Museum seiner Vaterstadt Wuppertal-Elberfeld, die aussereuropäischen Kunstschätze in das dafür begründete Museum Rietberg der Stadt Zürich. Das dritte Denkmal die Schenkung des Monte Verità an den Kanton Tessin zur Schaffung eines weltoffenen Kulturzentrums – hat bisher nicht die Form gewonnen, die sich der Baron erhofft hatte.

Willy Rotzler

1927: Bauhaus-Künstler – Ascona als Gegenwelt zum Bauhaus

In den späten zwanziger Jahren hielten sich zahlreiche Bauhaus-Künstler im Tessin auf: Walter Gropius, Laszlo Moholy-Nagy, Georg Muche, Max Bill, Herbert Bayer, Marcel Breuer, Xanti Schawinsky, Richard Oelze, Oskar Schlemmer. In den Briefen Schlemmers (an Otto Meyer-Amden) wird deutlich, dass der Tessin-Aufenthalt für ihn Gegenwelt bedeutete, und zwar als Ausbruch aus dem «rechten Winkel» in etwas «Unmodernes», «Atavistisches», wie er schreibt, um dies mit «Anti-Bauhaus» zusammenzufassen. Obwohl der Grad der Ernsthaftigkeit nicht sehr hoch gewesen sein kann, zeugen diese Aussagen doch von einem Konflikt: das Bauhaus als das Moderne, Grossstädtische, Technolo­gi­sche, das Tessin als das Vorzeitliche, Naturhaft-Elementare. In diesem Konflikt wird die ganze Problematik des Bauhauses sichtbar: das Moderne als die Totalisierung des Technologischen, das aber entgegengesetzte Kräfte unterdrückt, bis sie sich ein Ventil suchen, eine Entladungsmöglichkeit, die sich gegen das richtet, was unterdrückt.

Theo Kneubühler

1928: Carl Weidemeyer – Ein Theater für den Tanz

Bereits die Vegetarier sahen im natürlichen Ausdruckstanz die ihrer Ideologie ent­spre­chende Kunstform, während ein Gemälde als zu grosse Trennung von Leben und Kunst für sie unannehmbar war. Der Ruf des Monte Verità als Hochburg des freien Tanzes zog in der Folge immer mehr Tänzer und Tänzerinnen an, die im Tanze versuchten, kultische Handlungen vorzunehmen, so auch die «gotische» Tänzerin Charlotte Bara. Auf einem Plakat für einen Tanzabend ist fast programmatisch der Beschwörungsakt sichtbar gemacht: die Verbindung der christlichen Mystik mit den Mysterien des Orients durch die Gegenüberstellung der Tänzerin im gotischen Spitzbogen mit der Pyramide.

Ihr Vater Paul Bachrach liess 1928 einen alten Bekannten aus Worpswede kommen, damit er seiner Tochter in Ascona ein Tanztheater baue. Carl Weidemeyer errichtet das Teatro San Materno auf dem Grundriss einer romanischen Kirche mit der Apsis als Eingang. Er blieb, wie viele andere, in Ascona und baute einige der schönsten Flach­dach­häuser am See und an der Collina, die zusammen mit Fahrenkamps Hotelneubau Monte Verità zum Tessiner Flachdachstreit und damit 1928 zum ersten Baureglement in Ascona führten, ihm aber von aussen viele anerkennende Zuschriften wie zum Beispiel von Gropius eintrugen.

 

Du 10/1978, weiter

Du, Oktober 1978, Seite 57
Du, Oktober 1978, Seite 58
Du, Oktober 1978, Seite 59
Du, Oktober 1978, Seite 63