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Der Altmeister Giovan Antonio

Zehn Jahre nach dem Hl. Sebastian von Camollia, 1535, malte Giovan Antonio die «Auferstehung», gleichsam in Vollendung jenes Gedankens. Freilich muss ich gestehen, dass es noch keinem einzigen Künstler gelungen ist, den Auferstandenen anders zu gestalten, als den Erdenwandler Christus. Sogar der Überlieferung nach heisst es ja: «und sie erkannten ihn nicht». Das Antlitz des Auferstandenen müsste nicht zu sehr dem Typus des irdischen Heilands wiedergeben – das Verklärte von Eden vermisse ich hierbei allenthalben in der Kunst. Auch Giovan Antonio ist in diesen Fehler verfallen. Sonst ist es ja ein schönes und charakteristisches Werk, in der ihm eignen al fresco-Symphonie von silbrigen und goldigen Tönen.

Eben ist der Heiland aus seinem Grabe erstiegen, noch ruht der rechte Fuss leise auf irdischem Boden. Rosig schim­mern die Lichter des Leibes im ersten Morgenschein, bläu­liche Halbschatten spielen in die gold-braunen Schatten über. Seine Wangen sind gerötet, von einem rötlich-blonden Bart1 um­rahmt. Diese Farben sind wie die kräftigen Töne des Goldes, das im Strahlenglanz erzittert, der vom Siegreich-Vollendeten ausgeht. Silberweiss flattert das Gewand. Die Charakteristik der Kriegsknechte ist meisterhaft, selbst abgesehen von der vorzüglichen Verkürzung der Gestalten. Rechts der cholerische junge Krieger in tiefem Schlafe, das rötliche Fleisch von stahl­harter, silberglänzender Rüstung umpanzert, die nur die en­er­gischen nackten Beine freihält! Auf der Wölbung seiner Rüs­tung zeigt sich, wie in einem Spiegel die erschreckte Hand seines Kameraden. Dieser in der Mitte, ist eben erwacht und sieht den Auferstandenen kaum, er ist geblendet, entsetzt. Sein kraftvoller, rötlich brauner Leib drückt die Überraschung seiner Seele lebhaft aus, obwohl man nur die wirren kurzen Haare seines Hinterhauptes sieht. Und gerade das war fein bedacht. Der höchste Schrecken spiegelt sich so in den Ge­bär­den des Leibes, hier vor allem des linken Armes, und der Gesichtsausdruck bleibt der stärkeren Phantasie des Zu­schau­ers vorbehalten. Grüngoldig gleisst das Gewand in den lila-kühlen Schatten. Und links ein hübscher kraftvoller Jüngling von zarten hellen Fleischtönen, Ringe in den Ohren, mit man­del­förmigen Augen, die blossen Beine verschränkt. Helllila ist der Leibrock, bronzen das Wams und der Mantel rot. Er ist sichtbar in süssen Träumen – ein anmutiges Lächeln umspielt seinen Mund.2 Die Finger der linken Hand über dem reifenden jungen Haupt hängen so leicht herab! Welch ein Gegensatz zu dem erschreckten wilden Nachbarn. Gleichmut, Feindschaft und träumende Liebe begegnet hier der Erscheinung Christi, wahrend das Morgenrot hinter blassen Bergen erwacht.3

Eine andre Darstellung der «Auferstehung» ist im Mu­se­um zu Neapel. Dort sind die Kriegsknechte alle mehr als chaotische wilde Elemente aufgefasst, Christus steht hoch in der Luft. Besonders schön aber ist der liebreizende Engel­kna­be, der auf dem Grabesrande sitzt.

1537 malte Giovan Antonio wieder al fresco im Stadtpalast eine Madonna mit den Hl. Galganus und Ansanus, ein farbig freundliches, aber weniger bedeutendes Bild. Doch selbst hier verrät sich bei dem Maler der Schönheit die hervorragende Fähigkeit zu charakterisieren. Der kriegerische Heilige, auf dessen rotem Mantel der erste Blick fällt, hat mutwilliges Haar. San Ansano, im Gewande milder Töne wie braungelb und schwaches Lila, hat dagegen sanft gescheiteltes Haar. Damals wurde ihm auch die Ausmalung der Capella della Piazza über­tragen, die er aber erst auf Ermahnung hin ein Jahr später vollendete. Diese Kapelle ist draussen am Palast der Republik, am grossen Platze, wo alljährlich die historischen Rennen stattfinden. Von der Madonna und den Engeln sind noch deut­liche Spuren der Schönheit vorhanden. Gottvater zu Häupten ist am besten erhalten. Rechts ist ein Hl. Sebastian, doch von der Witterung ziemlich zerstört.4

Die Unruhe der nervösen Künstlernatur regte sich in dem alternden Mann aufs neue, vielleicht auch die Notwendigkeit des Erwerbes und die Lust alte Bekanntschaften zu erneuern und seinen Ruhm zu erweitern. Er war bei dem Fürsten von Piombino, kehrte dann wieder zurück, war wieder dort, kehrte wieder. Dann malte er in Siena ein Werk, das sich durch seine vornehme und stille Schönheit auszeichnet, die Madonna des Hl. Leonhard. Ehemals in der Calixtus-Kapelle des Domes, ist dies Ölbild heute im Stadtpalast auf dem Altar einer byzan­ti­nisch anmutenden Kapelle, deren Wand alte Bilder auf Gold­grund zieren, alles Zeugen der vergangenen Grösse.

Es ist Abend, in dunkelnder Landschaft, deren Laub grün­lich golden bis in silbrige ferne Töne verflimmert. Die zarte Gottesmutter in samtrotem Kleide und kühl- blauem Mantel hüllt den munteren göttlichen Knaben nur noch leise mit ihren Händen. Sie selbst lauscht ihrem Gatten Joseph, der im Schat­ten, ihr zur Rechten, aus einem dunkelroten Buche vorliest. Der Jesusknabe, dessen Leib wie das Haupt der Mutter am hellsten im Bilde leuchtet, tritt schon mit einem Füsschen in die Hand des anmutig sinnenden Heiligen Leonhard in schwar­zem Kleide, das Händchen greift nach seinem Attribute, aber der Blick schweift zu uns herüber, als hätte er den Beschauer wahr geworden. So vermittelt das lebendige Kind uns mit der stillen Gruppe im Dämmer dieser Natur, deren Himmel so blass grünlich flimmert, am Horizont in matten rosig-gelben Tönen. Wie zart liegt der Schleier auf der Stirn der Madonna, bläuliche Halblichter spielen auf dem feinem Antlitz, während die des Kindes mehr ins goldig Rosige gehen. Und diese dämm­rige Kapelle ist gewiss ein besseres Heim für dieses dun­keln­de sinnige Bild, als das helle Licht einer lauten Galerie. Das feine Antlitz dieser Mutter ist unbeschreiblich in seinem intimen Reize;5 es beweist uns, wie sehr Giovan Antonio in der Schil­de­rung so zarter weiblicher Seelenempfindung heimisch war. Hier sei noch die «Madonna sotto le volte dell’ospedale» er­wähnt, so genannt, weil sie sich in einem Untergeschoss des Hospitals befindet. Der Kopf ist sehr anmutig, doch hat das Bild durch Übermalung gelitten.

In den 40er Jahren des Jahrhunderts finden wir den alten Meister noch wiederholt auf der Wanderschaft. In Volterra malte er für Galeotto de’ Medici den Sturz des Phaeton vom Sonnenwagen. In Florenz ist heute noch eine Zeichnung er­hal­ten, die bisher fälschlich dem Peruzzi zugeschrieben wurde; doch auf demselben Blatte befindet sich noch ein Entwurf, dessen Figuren sich so deutlich im Gemälde Christus im Hades wiederfinden, dass es gewiss nicht denkbar ist, die Phaeton-Zeichnung einem andern als Giovan Antonio zuzusprechen. Eine Kreuzigung in Volterra, die ihm oft zugeschrieben wurde, ist gewiss nicht seine Arbeit, sondern die eines Schülers. Es geht überhaupt soviel unter Sodoma’s Namen, was er nimmer selbst geschaffen hat. Man wollte aber gern ein Werk seiner Hand besitzen und da wurde vieles, was allenfalls in seiner Manier sein könnte, auf seinen Namen getauft, aber wahrlich nicht zu Gunsten des Meisters. Denn da kommen die Leute, staunen die schlechten Schülerbilder an und behaupten, So­do­ma hätte doch auch recht gewissenlos geschmiert. So hat auch die Galerie in Siena verschiedne kleinere Bilder, die gar zu unmöglich für diesen Meister des Pinsels sind, in Form, Farbe und Ausdruck.

Aus jenen späten Jahren datieren aber drei Werke in Pisa, von denen zwei besonders schön sind. Die «Madonna della Spina» oder des HI. Sebastian, wie ich sie nennen möchte, be­fin­det sich heute im städtischen Museum zu Pisa. Wir sind in freier Landschaft in einem Hain von Zypressen und Laub­bäu­men. Die Madonna thront ein wenig erhöht. Rechts von ihr hält Petrus ein Buch mit dem Kruzifix, auf das er uns hinweist; der Täufer noch mehr rechts, ist leider im Antlitz sehr zerstört. Links (im Bilde), dicht hinter dem Christkinde steht der an­mu­tig lächelnde Heilige Sebastian, dem der Jesusknabe den Pfeil des Leidens aus der Hand zieht. Der schöne alte Mann, dessen Kopf hinter dem Sebastian-Jüngling hervorlugt, galt für ein Porträt des gealterten Künstlers. Und diesmal dürfte die Tra­di­tion am Ende Recht haben, wenigstens stehen die edle Stirn, die Nase und der Blick keineswegs im Widerspruch zu dem durch Beweise verbürgten Porträt in Monte Oliveto. Der Kopf ist bärtig, was ja im Alter sehr möglich gewesen ist. Im Bilde vorn knien zwei weibliche Heilige – ihre Aufmerksamkeit wie die des Beschauers wird auf das helle Buch Petri mit dem Kruzifix gesammelt. Das Jesuskind selbst und der Hl. Se­bas­tian nehmen diese ernste Mahnung wie mit heitrem Be­wusst­sein auf, dass die Liebe die Siegerin bleibt.

Im Dom zu Pisa sind die andern beiden Bilder. Eine Pietà – der tote Christus im Schosse der Madonna. Besonders fes­selnd und bedeutend ist jedoch die Opferung Isaak’s, in der Giovan Antonio wohl eins seiner letzten Werke schuf und zu­gleich ein erneutes Bekenntnis seiner Empfindung.

Der alte Abraham ist im Begriff seinen Sohn Isaak auf an­gebliches Geheiss des Höchsten zu opfern. Ein reifer Jüng­ling kniet in bebender Erwartung, dass das Schwert des Ver­häng­nis­ses auf ihn herabsause. Es muss der Hebamme schwer ge­worden sein, in der Stunde der Geburt das Mannestums dieses Menschenkindes zu konstatieren! Wie er die Arme mit den zarten Händen über der Brust kreuzt, gleich einem un­schul­di­gen, scheu blickenden Mädchen, und trotz der schön ent­wick­el­ten Kraft seines vollen Leibes zitternd den Gewaltstreich er­war­tet, ohne sich aufzubäumen –, das ist so echt duldend ur­nisch.6 Es ist der seit 16. Jahrhunderten in Europa geknechtete weibliche Mann mit der weiblichen Seele, den der starke, aber einseitige Mann mit dem Richtschwert des Paragraphen an­geb­lich im Namen des Höchsten abschlachten will. Da greift die höhere geläuterte Macht, die wahre Stimme des Himmels, stür­misch mahnend herein. Das ist der Gottesbote, der schöne araphroditische7 Engel, in dem ewig-männliche Initiative und Energie in ewig-weiblicher Schönheit des Leibes verklärt ist, ein innerer Ausgleich der Urkräfte, ohne die Mutterbrüste des Hermaphroditen – allermeist ein religiöser Glaube, ein Zu­kunfts­traum, von dem wir doch Spuren der Möglichkeit auf Erden finden.8 Man beachte doch die Muskeln des Abraham, seines erhobenen Armes, wie gut der Künstler diese ana­to­mi­sche Kenntnis des Körpers inne hatte, wie er sie aber im Engel, in dessen göttlichen Armen zu wogenden Linien bändigte. Wie verschieden sind diese drei auf einem Bilde in lebhaftester Bewegung vereinigt! – Der scheue und bangende Urning, der derb zuschlagende Mann und der araphroditische Bote voll heiliger Überredungsmacht in den Blicken und Gebärden der schönen Hände, deren eine mit leisem Finger die grausame Rechthaberei des Richtschwertes hemmt. Wieder ein Hinweis auf die höhere Macht göttlicher Harmonie. Der Altar des Göt­zen­opfers, auf dem der Jüngling sterben soll, ist geborsten, neues Leben spriesst aus dem Risse.

1543 war Giovan Antonio noch in Lucca, wohin er berufen worden war, im Kloster San Ponziano zu malen. Aus dem Jahre 1545 datiert der Brief des Pietro Aretino, von dem ich schon sprach und der uns beweist, dass der alte Meister wieder auf dem Wege nach Piombino war. Dann malte er noch die Kreuz­tra­gung für San Giacomo und die Geburt der Maria für die Carmine-Kirche in Siena. Und hier sei noch das Bild für eine Totenbahre erwähnt, das sich in der Kirche S. Michele e S. Donato zu Siena befindet: der tote Christus von zwei Engeln unterstützt. Es dürfte wohl eine der schönsten Darstellungen dieses düstren Vorwurfes sein. Die schöne, wie in tiefen Schlaf versunkene Gestalt des Heilandes, wird in rührender Besorgnis von den Engeln gestützt, leise legt sich die Hand des Einen auf die durchbohrte Seite, während der schlaffe Arm Christi an dem vorgestellten hübschen Bein des blond gelockten Engels herabhängt. Mit leichten Fingern stützt der andre, braun­haa­rige Engel das schwere Haupt. Dieses Bild ist des Meisters würdig.

Der Schluss von Giovan Antonios Leben ist in Dunkel ge­hüllt. 1549, den 14. Februar, schreibt Alessandro Buon­in­seg­ni an seinen Bruder Bernardino, den Gesandten in Neapel: «Heu­te Nacht ist der Ritter Sodoma gestorben.» Im 72. Le­bens­jahre ist der leidenschaftliche, schönheitsbeseelte Streiter aus der Welt gegangen, die ihn geehrt und geschätzt hatte, aber doch nie recht verstanden.

Das war der Künstler Sodoma, dessen Kompositionen aus psychologischem Feinsinn erwuchsen, sich von dem sinnen-kräftigen Herzblut nährten und auch wieder in seelischer Er­grif­fen­heit bebten. Das war der Künstler, dessen Werke zart und sinnig sind und doch wieder von blühender Leiblichkeit, bald nervös überhastet und doch wieder reichlich erwogen – ein phantasievoller Zeichner und feiner Farbenkünstler. Hüten wir uns vor dem landläufigen Trugschluss: der Künstler musste nervös sein, weil er «so» empfand. Nein, aber er musste es werden, wie jeder feinfühlige Mensch, der als ehrlicher Käm­pfer einen bittren Kampf mit der Masse seiner Zeit führt, und erst recht, wenn das tiefste Erdenheiligtum –, der Eros – dabei beteiligt ist. (Nicht zu verwechseln mit blosser Sexualität, wie das fälschlich geschieht.) Nicht die Naturanlage braucht der Grund für das gestörte Gleichgewicht der Gesundheit und der Nerven zu sein, sondern die Zeit- und Kulturumstände, die die Entfaltung einer Natur in Sonne und Licht hemmen. Nur das ist hier logisch.

Und da ist der Mensch, den wir nicht vom Künstler tren­nen dürfen, ohne in den plumpsten Fehler scholastischer Unpsychologie zu verfallen. Überall sind Gründe, es gilt nur sie zu finden.

Der Ritter Sodoma und seine Retter