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Ein Tempel der Kunst im Tessin

Von Dr. Eduard von Mayer

In Minusio bei Locarno ob dem Hügelufer des vorgeschicht­lichen Fjordes, den wir den blauen Lago Maggiore nennen – inmitten einer an Hellas gemahnenden Landschaft, die den südlichen Farbenzauber der Lufttöne und der Pflanzenwelt mit den grossen heroischen Linien des Gebirges zu einem harmo­ni­schen Bilde eint: in diesem «Friedensland» Locarno, wo Ge­gen­sätze den Einklang suchen, erhebt sich, als Sehenswürdig­keit ersten Ranges an Schönheit und Geist, seit 1929 die Weihe­stätte eines Lebenswerkes, das ebenfalls, wie ein Frie­dens­mal über den Kämpfen bes Lebens, die herbe Grösse einsamen, ursprünglichsten Menschentums mit dem gewin­nen­den Zauber edler heitrer Schönheit vermählt. Es ist das Sanctuarium Artis Elisarion, ein monumentales Bekenntnis zur Überwindung der Gegensätze. Dieses Sanctuarium betreten zu dürfen, ist ein bleibendes Erlebnis für jeden, dessen Seele strebt. Keine Abbildung kann den Zauber genügend wieder­ge­ben, namentlich ist die magische Lichtfülle der Gemälde, zumal des Hauptwerkes, in ganz eigenartig transparenter Technik geschaffen, von keiner Wiedergabe, auch der farbigen nicht, irgend zu erreichen. Das Werk selbst zu sehn, ist ein Wall­fahrts­ziel, für den allermodernsten Menschen, sowohl wie für den in den alten Werten wurzelnden.

Diese Weihestätte der Kunst ist – wie von ihr in ver­schied­nen Sprachen der Besucher wiederholt gesagt wurde – ein Kleinod der Baukunst, in dem sich wiederum bauliche Gegen­pole harmonisch einen, sich nordische Empfindung und die des Mittelmeeres durchdringen: und die Stätte birgt ein Kleinod der Bildkunst, das monumentale und sakramentale Wand­ge­mälde: «Die Klarwelt der Seligen» von Elisarion, nebst andren bildnerischen Meisterschöpfungen dieses baltischen, nun tessinischen Künstlers Elisaro von Kupffer, der für sein Le­bens­werk und seine Sendung seit Jahren den nationalen Fami­lien­namen abgelegt hat und sich mit seinem blossen Vornamen «Elisarion» nennt, der auch anderen Völkern, die in Locarno sein Werk aufsuchen, sich leichter einprägt; ähnlich war es bei vielen bedeutenden Persönlichkeiten der Geistes­ge­schichte: ein Franz (von Assisi), Dante, Eckehart, ein Michel­angelo, Tizian, Rafael, ein Plato und Mohamed.

«Die Klarwelt der Seligen» … Es ist die Vision einer ver­klär­ten Friedenswelt, die wir im Leben lieben und hegen sollen, in ihren schönen Spuren und freudigen Ahnungen: sie sind Kraft- und Mutspender, Wegweiser zum Einklang männ­licher Spannkraft mit weiblicher Anmut.

 

Ich hebe mein Haupt zu den Sternen

und fürchte mich nicht,

und heiter grüss ich das Licht

in langsam dämmernden Fernen.

Elisarion, Auferstehung

Für die Einen ist die «Klare Welt» noch erst ein Wunsch oder Traum, wie sie ihn schöner nie geschaut; für die Anderen – und vorab für den Künstler selbst – ist sie der sichtbar gewordene Glaube an eine höhere harmonische Wirklichkeit, die ewig ist. Ich war aus bitterer Erfahrung des Lebens und aus der Er­kennt­nis der Natur früh zum Bruche mit dem alten Glauben gelangt, zur Leugnung einer all-einzigen «gültigen» Vor­se­hung. Doch meine Naturforschung zeigte mir die Un­mög­lich­kei­ten und logischen Fehler der mechanischen Dogmen und, je tiefer ich in das schöpferische Wesen der Persönlichkeit ein­drang, lebend und kämpfend, desto mehr erkannte ich eine ganz neue lebendige Möglichkeit, der Weltordnung, jenseits der blossen «Welt als Zahl». Dann brachte mir die grosse Einsicht von Elisarion, die in den drei Wertworten «Eigen­we­sen», «Wirr­welt» und «Klarwelt» das Drama des Universums umfasst, die endliche Klarheit, deren Bekenntnis ich in der «Zukunft der Natur» mit wissenschaftlicher Strenge nieder­legte.

Hier ist ein Neues. Ohne jede Anlehnung an eine Mytho­lo­gie oder Legende oder gar ein Dogma ist diese märchenhafte, «unerklärliche schöne» (wie ein junges Mädchen sich äus­ser­te), diese lichte Welt der Harmonie ein eigner neuer Mythos und Glaube. In der kurzen Zeit, dass dieses Werk den Su­chen­den zugänglich ist, ist es bereits von starker seelischer, ja religiöser Wirkung auf die zahllosen Besucher gewesen, auf Männer, auf Frauen und junge Menschen, von den sich eine ganze Reihe beglückt und begeistert über das Werk aus­spra­chen, dessen «Reinheit sie ergriff», das «in die Dunkelheit ihres Inneren Helligkeit brachte», das ihnen «den Glauben an die Menschheit wiedergab». Diesen unmittelbaren Einfluss auf Menschen allerverschiedenster Weltbekenntnisse hat schon mehr als Einer als gute «magische» Wirkung empfunden und bezeichnet. Der Beschauer, der sich still in die Sprache dieser Gestalten und dieser Farbendichtung einlebte, gelangt zu innerem Frieden, der dann auch für Jene offen steht, die er vorher vielleicht feindselig befehdete. Wenn der christen­feind­liche Brahmane, ergriffen von der «veredelnden Wirkung dieses grossartigen und schönen Kunst­werkes», schreibt, «das an dieser Stätte wie einen Heiligen Schrein jeden Zoll der Wände bedeckt», – der katholische Priester diesen Reigen unverhüllter Gestalten «eine Predigt des Evangeliums, wirk­samer als die von der Kanzel» nennt und der protestantische Geistliche daran endlich eine Schau ewigen Lebens gewinnt und sie den  Leidtragenden am Grabe tröstend nahebringt – der skeptische Freidenker aber davor gesteht: dies sei «die Offenbarung einer neuen, heitren Welt», der auch er, wie alle, inbrünstig zustrebe – wenn der Nervenarzt im Anblick dieser lichten Freudenwelt seine Kranken zu heilen hofft und edle Frauen hier die helle Friedensantwort auf ihr Sehnen finden: dann ist es wohl klar, dass dieses reine Kunst­werk, bei dessen Schöpfung jede ausserkünstlerische «Tendenz» fehlte, zugleich ein geistiges und seelisches Menschheitswerk bedeutet, dem die Zukunft gehört, falls die Menschheit noch eine Zukunft hat. Hier tritt wieder einmal, und machtvoller als je, die Kunst an ihre souveräne Stelle als Führerin der Menschheit, sie, die heute fast zum Bajazzo erniedrigt werden soll, dessen bol­sche­wis­tische Fratzen von seelischer Verzweiflung zeugen. Hier aber ist Befreiung. Und so empfand der buddhistische Mönch aus Ceylon das Werk als seliges Nirwana der Erlösung von den Wirrweltkämpfen und -krämpfen.

Die «Klarwelt der Seligen» … Diese ewige Gegenwart jenseits aller Zeitlichkeit, diese unerschöpfliche Mannig­fal­tig­keit jenseits allen Wechsels, aller Gegensätze, auch der ge­schlecht­lichen, diese ineinanderschwingende Fülle von Gross­ar­tigkeit der Landschaft in Bergen und Gewässern, von Lieb­lichkeit der Blütenbäume, Blumenwiesen und Falter, von lauterstem Adel der zahllosen unverhüllten Gestalten in Tanz und Spiel und Behagen – diese Gesamtschau einer Welt des Lichtes, der Liebe, der Anmut, ist ein Zauberspiegelbild dieser tiefsten und höchsten Sehnsüchte des Menschenherzens, das hier, wie wenn ein Schleier vor dem eigenen Wesen, vor dem Zentrum der Dinge, zerriss, zuerst erschüttert, dann ergriffen, dann befreit und erhoben wird, um, wenn es wieder ins wirre Leben zurückkehren heisst, nun still und erleuchtet, innerlich genesen, davon zu gehen «als ein Besserer», wie es ein hoch­stehender Seelsorger aussprach, «jedesmal wieder wo ich dieses wahre Heiligtum verlasse». Wie es den Adel der Kunst bestätigt, beweist dieses Werk von Elisarion auch die Hei­lig­keit der Freude, der Schönheit.

 

Die Schönheit weckt mit stummen Schmerzen

mir heilige Flammen in der Brust,

die leuchten gleich viel tausend Kerzen,

derweil in meinem Herzen

ertönt das hohe Lied der Lust.

Elisarion, Auferstehung

Selten hat sich ein Künstlertum so restlos offenbart, wie in Elisarion und seinem Werke: ein Lebenskünstler, der mit beschei­densten Mitteln und karger Gesundheit, ja in jahre­lan­gem Leiden, mit bewusstem Opfer an Erfolg und Genuss, sein von Niemandem als seiner inneren Stimme beauftragtes Werk in schweren Zeiten schuf und in der Treue zu seiner Sendung sein ureigenstes harmonisches Wesen verwirklichte – ein Dichterkünstler, dessen hinreissende Gedichte des Leidens, der Leidenschaft und der Überwindung seinen Höhen­weg sagen­ar­tig begleiten, zwingend in ihrer rhythmischen und bild­ne­ri­schen Sprachgewalt, und dessen Dramen allesamt den heroi­schen Bekennerkampf der selbstschöpferischen Persönlichkeit wider die Charakterlosigkeit der Masse entrollen, des Ewig­ges­trigen – eine Denkerkünstler, dessen ungrüblerisch helle Intuition mit schärfster Logik die schöpferisch gestaltende Gottesordnung der Harmonie und Schönheit über dem natur­ge­bunden Rohstoff des Chaos bekennt, die Klarwelt Gottes, dem unsre Wirrwelt zerfahren widersteht – ein Gestal­tungs­küns­tler, dessen Linieninstinkt die ewigen Melodien der Formen erfasste, um sie mit Meisterschaft wie Hieroglyphen des Göttlichen wiederzugeben:

 

Das Spiel der Muskeln sing dem Auge Lieder!

Elisarion, An Edens Pforten

und dessen Farbensinn sich eine schwierige durchleuchtete Technik erschuf, die jeder Farbe und ihren zartesten wie stärksten Akkorden ein spielendes Eigenleben verleiht – ein Baukünstler, der nach dem Urteil von Facharchitekten, in beispielloser Weise seinem lyrischen, malerischen Glau­bens­erlebnis folgend, in der schwierigen und neuartigen, doch einfachen Raum­ge­stal­tung der Baumasse, den zwingenden Ausdruck zu gewinnen wusste in Kraft, Adel, Inbrunst und Zartheit – die standfeste Erdenwirklichkeit und die empor­stre­ben­de Sehnsucht einer Heiligen Burg.

Es ist in Wahrheit das Gesamtwerk einer ungebrochnen Gesamtpersönlichkeit, die eine innere Sendung verwirklicht, eine innere Schauung offenbart: daher die gewaltige Ein­heit­lich­keit des Ganzen, das weisse Geisteslicht seines vielfarbigen Schaffens, dessen Symbol der Regenbogen, die Friedens­har­monie der Sichtbarkeit, sein könnte, wie es andererseits die Perle ist, die aus Leid geborene Schönheit. Sein monumentales Gemäldewerk, dessen Hauptschöpfung eine Rundwand von 8,50 Meter Durchmesser zu bedecken bestimmt ist (26 Meter Länge bei über 4 Meter Höhe), ist nicht eine «Illustration» seiner – philosophisch beurteilt – erstrangigen logischen Gedanken, sondern die Gedankenwelt seiner «Klaren Kunde» (Ein Neuer Flug und eine Heilige Burg, 1911, Wirrwelt und Klarwelt: im «Türmer» Juli 1927) ist die logische Quintessenz dessen, was diesen initiierten Genius von frühster Kindheit an zu bildnerischen Gestaltung drängte, aber durch äussere Lebensumstände aufgehalten wurde bis es um so machtvoller doch zutage trat. Das Mysterium der Gestalt ist darum auch der Kern seiner Gedanken, die in Gott den ewigen Weltenkünstler bekennen. Und seine Gedichte wiederum (Leben und Lieben, 1895; Auferstehung, 1900; An Edens Pforten, 1907; Hymnen der Heiligen Burg, 1913); sind nich bloss beschwingte Rhyth­men und gedankenschwere Verse, sondern erschaute, plas­tisch-lyrische Erlebnisbilder, in denen der Maler sich zu Worte mel­det, der den Strom flüchtiger Schauungen festhalten möchte:

 

Der Abend deckt mit veilchenroten Schwingen

Den blauen Hügel jenseits brauner Dächer …

Die Sonne taucht in einen Purpurbecher –

Und dunkelnd, gierig sie die Berge schlingen.

 

Der Abend breitet nun den bunten Fächer

Tief in den Himmel aus, in tausend Farben,

Ein stolzer Märchenpfau … Wie Feuergarben

Erglühn die Wölkchen hoch – noch eine Sage

 

Des hellen Tages. Lebewohl! – Sie starben …

Schon naht die Nacht mit stummen Flügelschlage

Und weckt des Herzens ungestillte Frage.

Die Sterne öffnen blinzelnd ihre Lider.

 

Und – zart umschlingt mich schmeichelndes Gefieder …

Dein Arm! Der Liebe morgenfrische Glieder!

Elisarion, Florentine 41

Die dichterische Vermenschlichung der Natur, der malerische Rausch verweben sich zu einem Märchenteppich der Empfin­dung. Oder:

 

Sonne des Frühlings, Sonne der Liebe,

Nebelzerreissend, in blauenden Gründen

Seh ich dich lachende Farben entzünden!

Sonne des Frühlings, Sonne der Liebe,

Leuchtet den Knospen die Reife zu künden,

Wolle dich glühend der Seele verbünden!

Sonne der Liebe! …

Elisarion, An Edens Pforten

Das ist alles mit dem Herzen geschaut, und aus dem bittren oder frohen Klange der Lieder tönt unmittelbar der grosse Sinn des Lebens hervor, wie Elisarion in als Denker nochmals be­kennt: die Bitternis der Wirrwelt, wo Tod, Hass und Lüge herrschen – die Seligkeit der Klarwelt, wo ewige Jugend, Liebe und Lauterkeit als höhere Wirklichkeit wahrhaft sind, ewig gegenwärtig im Kosmos, wenn auch den Unreifen noch ver­borgen, und doch schon für jeden hier im Leben schon in aller Schönheit und Freude als Spuren und Lockungen des Gött­lichen zu erleben …

Die neuere Seelenforschung hat «psychoanalytisch» die tiefen unterirdischen Wunschquellen so vieler Träume, Dich­tun­gen und Mythen aufgedeckt; sie hat, so lange sie noch, sich mühsam von der mechanischen Mentalität lösend, die höhere Wirklichkeit nicht erkannte, durch solche Deutungsprozesse der Mythen diese als wesenlos hinstellen wollen. Aus der «Verdrängung des Individuellen» erkannte man noch nicht, dass die wahrhaften Wesenheiten, die Eigenwesen, nicht Puppen der namenlosen Urkraft sind, sondern dass, um­ge­kehrt, sie es sind, die der Urkraft einen hohen Zielsinn ver­lei­hen. In den Mythen und Träumen greifen vielmehr Wegweiser aus ber höheren Wirklichkeit, aus der Klarwelt, in die Psyche ein – sonst wären auch nicht einmal «Illusionen» möglich, die allemal nur wirrweltliche Verzerrungen klarweltlicher Wahr­hei­ten und Wirklichkeiten sind. «O, wenn das wahr wäre, diese verklärte Welt, die Sie geschaffen haben», sagte zu Elisarion ein Pfarrer aus dem Bernischen. «Wäre das nicht wahr und wirklich», erwiderte der seherische Künstler, «so hätte ich es gar nicht schaffen können!»

Nun hat glücklicherweise kühner Frauensinn, psycho­ana­ly­tisch geschult, aber nicht gefesselt, eine Intellekt-, ja ein Kosmosanalyse gewagt: Margarete Mueller-Senftenberg spürte in dem Werke «Körper, Seele und Geist im All» schon über die Vor­geschichte des Menschlichen hinaus in die innere Vor­ge­schichte der Erde, und jetzt kündet sie in der «Erfüllung des Neuen Zeitalters» die Einsichten, die sie schöpferisch ent­deckte. Mit der fortschreitenden Reifung des Erdballs trete notwendig eine Verschiebung der (auf Urprozess zurück­wei­sen­den) Polarität von Elektrizität und Magnetismus, von Mannheit und Weibheit ein, und zwar im Sinne der zu­neh­menden Harmonisierung und Desexualisierung der Ge­schlechts­gegensätze. Damit wir es wahrscheinlich – und wissenschaftlich fassbar – dass dereinst auf unserer ver­än­der­ten Erde ein ver­än­der­tes, ein ausgeglichneres, schöneres, edleres Menschengeschlecht leben werde: «Sommer­men­schen», wie sogar Nietzsche sie erhoffe.

Wir sind aber über Nietzsche hinaus, der auf seinem Auf­stieg zusammenbrach. Die Welt ist keine ewige Wiederkehr, keine kinematographische Spule, sondern ein wahrhaftes Drama jeder Seele. Unabhängig von solcher Entwicklung der Eigenwesen der Wirrwelt besteht die Klarwelt, wie die gewal­tige Schöpfung von Elisarion sie offenbart, als eine andere Wirklichkeit; gerade so bezeichnete sie angesichts des Werkes von Elisarion, ein holländischer Denker. «Wie das Paternoster ein Gebet für Alle sein kann, so kann das Sanctuarium Artis Elisarion eine Andachtsstätte für Alle werden», äusserte sich ein vom Leben geprüfter Mann. Und wie wunderbar tief sagte der italienische Konsularbeamte: «Meine Seele, durch Jahre und Enttäuschungen vorzeitig kalt geworden, kehrt von Zeit zu Zeit wieder, um sich am mystischen Feuer der Kunst von Elisarion zu erwärmen.» Die ganze geis­tige Zukunfts­be­deu­tung, gerade heute, wo sich gewaltige Entwicklungen an­kün­den, leuchtet in den Worten der Dr. theologiae und Pfarrers von Muralto auf, der angesichts der doch so beispiellos kühnen Vision der Klarwelt sagte und schrieb: «Fahren Sie so fort, Elisarion, ut Instrumentum Dei!» (als Werkzeug Gottes).

Das Gebäude des Sanctuarium Artis Elisarion, wie es jetzt ob der Schlucht da steht, mit dem Säulenhof vor dem herben Rustikageschoss und dem Blütensäulenportal, über denen das Obergeschoss, in Säulenbogen der Loggia und der Fenster auf­gelichtet, leicht und edel emporwächst und sich in den straffen Akzent des Mittelturmes hinaufpflanzt – diese gralshafte Hei­lige Burg ruft dem Wanderer zu (wie sich ein Priester aus­drück­te): «Bleib stehn! tritt ein! hier ist etwas Erhabenes zu schaun!» Gerade so wirkte es auf jene englische Dame, die im Fremdenblatt von Locarno ihren Eindruck wiedergab, die Erinnerung an den Augenblick, da die Architektur des Baues sie hineinzog, wo sie dann vom «einzigartigen Lebenswerk der Schönheit, Freude und des Friedens» die ihr bestimmte geis­tige Botschaft empfing. Seit dem August 1927 ist das Sanctuarium soweit vollendet; wie gesagt, ganz und gar nach den Plänen von Elisarion selbst; nur der Rundbau wartet noch auf die materiellen Mittel seiner Erstellung, nördlich an den jetzigen Bau anschliessend, der doch schon die vorgesehene künstlerische und seelische Wirkung hervorruft. Die Höhen­li­nie des (aus dem inneren Baugedanken erwachsenen) Äusseren ist innen durch eine lange Achse aufgenommen; wie jene den Blick und Sinn emporführt, so bewirkt diese, in der gestreckten Halle des Erdgeschosses, ein feierliches Hineinführen des Eintretenden, und das Langschiff im Obergeschoss, zu dem eine lichte Treppe hinaufführt, wiederholt es nochmals, nur leitet es, steigernd, den Schauenden zum Oberlichtchor, wo der Eindruck des seelischen Aufatmens, des Emporschwingens ins Licht und zugleich des Stillewerdens am erreichten Ziele rein durch rythmisch-bauliche Raumverhältnisse erzielt wurde: und das ist die baukünstlerische Leistung! Schon die Räume wirken, mit ihrer geometrischen Sprache, stimmungsgebend und die schlicht vornehme sakrale Ornamentierung der Decken und Türen verstärkt es unmittelbar. Etwas Freies, Grosses, Helles, Edles durchweht die Flucht der Räume.

Und nun erst das Gemäldewerk, zumal das Hauptwerk des Sanctuariums, die «Klarwelt der Seligen» – dieses Hohelied eines Kämpfers, kein süsslicher Trank ist, sondern edler Sonnen­wein, in Jahren abgeklärt …

Wann begann es, dieses Lebenswerk? Mit sechs Jahren hat­te der Knabe einen Traum: er sah sich, auf einer Blüte sitzend, über eine leuchtende Wasserfläche gleiten. So früh offenbarte sich der bewussten Phantasie in einem Bilde, was in des Wesens Tiefe, von Oben her befruchtet, ein Lebens­schick­sal ankündete. Diese Traumgestalt einer heiter-schönen Gegen­wart wurde der Keim des Werkes, der verborgene Wegweiser, dem Elisarion folgte, wenn er, noch ehe er sich ganz der bil­den­den Kunst widmete, den malerischen Impressionen nach­ging und sich auf Reisen im Norden und Süden ein Farb­ta­ge­buch in Landschaftsskizzen schuf, die, rein geschaut, doch zugleich lyrische Stimmungen und Erlebnisse verkörpern, und zeichnerisch unermüdlich sein Auge an den Linien edler Körper schulte und erfreute. Und plötzlich kristallisierte sich all das in die Gesamtvision der «Klarwelt der Seligen». Jene erste Traumgestalt, sie zieht jetzt, mit einem Gespann von Schmetterlingen, lächelnd auf einer rosigen Riesennymphaea über den leuchtendblauen Gletschersee der Vorfrühlingsgruppe dahin, die den Kreis der seligen Gestalten eröffnet. Indes nun, als über Jahre hin, vor und während des Krieges, die Einzel­stu­dien der 84 Gestalten, ihre Durcharbeitung vom kleinen Ent­wurf bis zum vollenden Karton, vorangingen, schuf Elisarion dazwischen eine ganze Fülle von Tafelbildern, in denen er seinen technischen Stil erhausbildete, die hauchartige Technik des auf Durch­leuch­tung berechneten Farbenauftrages, der keine Korrekturen gestattet und bei der Arbeit die höchste geis­tige Konzentration fordert, zugleich aber an das Herz, durch das Hineintreiben der Farbe in den rauen Grund, grosse physische Ansprüche stellt; es ist eine Technik, die schon manchen Maler verlockt hatte, auf die aber, wie ein Maler aus London vor dem Werke von Elisarion sagte, die meisten ver­zichten, weil sie allzu schwierig ist.

Und wie leicht wirkt nun das vollendete Kunstwerk – alle Gerüste der Mühen und Vorarbeiten sind verschwunden, licht und heiter umfängt den stillen Beschauer diese Welt, leuchtend selbst an trüb grauem Tage, als wäre die Sonne hier ein­ge­fan­gen, indes draussen der Regen fällt. Für wie Viele ward nicht das Betreten dieser Stätte bereits zu beglückenden Über­rasch­ung, «man muss es gesehen haben, um zu glauben, was davon berichtet wurde», schrieb ein Architekt. – Zeit und Welt wer­den hier vergessen und die Fragen verstummen in der Seele, eingewiegt in den Rhythmus der schwingenden Linien, die die Gruppen verbinden, erhoben durch die Akzente des Empor­stre­bens, die in hohen Bäumen den geistigen Zustand der auf­rech­ten Gestalten betonen, heiter belebt durch die überreiche Fülle von Einzelschönheiten im weiten Blumenteppich, den Falter durchwirken. Aus jedem kleinsten Gebilde strahlt der­selbe «Amor sacro» und mit Recht nannte es der (liberale) Bürger­meis­ter von Muralto das Werk eines Karthäusermönches – jedoch eines Herzens, das in selbstloser Hingabe an seine gött­liche Sendung alle Schönheit und Freude als Spuren Gottes auf Erden bekennt und verkündet, inmitten unserer Fronwelt der Gewalt und Zerstörung, der Gier und Heuchelei.

«Locarno» – politisch notwendigerweise eine Ent­täu­sch­ung – findet im «Sanctuarium Artis Elisarion» eine ideale Vision seelischer Erfüllung: hier ist eine Welt des ge­gen­sei­ti­gen «Ja». Zehn Jahre vor dem Kongress, als die Welt in Blut und Tränen schwamm, schuf Elisarion ein Gemälde, das «Locarno» geradezu vorgriff, ein Gemälde, dessen Schau ihm schon vor dem Kriege in einer einsamen Kirche der Normandie kam. Es ist der «Neue Bund» – der Friedensschwur der ver­fein­deten Rassen. Vor dem bunten Farbenfenster und dem braunen Altar im violetten Dämmer des alten Domes schwören die Urfehde, der Blonde und der Dunkelhaarige, und einen Blütenkelch reicht ihnen als Weihetrank und Sakrament der Verkünder höherer Menschlichkeit dar, deren Magna Charta die Gestalt links hält, am Wahrzeichen des Sanctuariums erkenntlich, der Blüte, die aus dem Kreuz entstand – der Freude, in die sich das Leid verwandelte. Ein Bild des Friedens ist es und doch auch des Kampfes für das Recht auf lautres Wesen; ohne Recht und Treue zum Recht gibt es keinen Frie­den. Wie sagt Elisarion doch?

 

Der Frieden, der das Recht missachtet,

Wie Stumpfsinn unser Herz umnachtet.

Elisarion, Aino und Tio

Und der «Genius des Lebens» … Wenn der Rundraum erstellt sein wird, wird aus dem Chor in das Allerheiligste und seine Lebensvision des Lichtes ein schmaler gruftartiger Gang füh­ren, dunkel, wie das Weh der Erde, von einem einzigen Glas­fens­ter des Martyriums erleuchtet, das schon jetzt mit seinen glühenden Farben die Seele packt. Und dann wird hinter einem Vorhang dieses Bild des «Genius des Lebens» sichtbar werden! Es bildet den eigentlichen letzten Eingang. Vor der blau­vio­let­ten Nacht des Universums, die von Lebensfunken sternartig durchirrt ist, steht der Genius, triumphierend über Tod und Lüge, auf dem Schädel und den Schlangen – den Symbolen der Wirrwelt – und hält eine leuchtende Blüte hoch in den Händen. Hoc signo vinces.

Kreuz und Blüte, Wirrwelt und Klarwelt sind der seelische Doppelklang des gesamten Werkes, auch in den Tafelbildern, die auf das sakramentale Rundgemälde vorbereiten: Da ist das «Lichte Kreuz», wo dem, wie ein Sebastian gefesselten Men­schen, dem Eigenwesen der Wirrwelt, das dem Baume seinem Aufwärtsstreben und auch in seiner irdischen Ver­wur­zelung verwandt ist, vor brauner Herbstschlucht die Gottheit er­scheint, schwerelos und schattenlos, mit dem zur Aureole ver­klärtem Kreuz, in dessen Glut die Sträucher aufleuchten. Dieser Moment der seelischen Befreiung entspricht in tiefem Geiste der seelischen Entwicklungslinie, die Margarate Mueller-Senftenberg entdeckte, dem Hinüberwachsen der Menschheit aus der pflanzlichen Gebundenheit, die im mäch­tigen Baume so eindrucksvoll sich zeigt, zur Lichtwelt: von zwei ganz verschieden Ausganspunkten her treffen sich hier sichtbarlich die schöpferischen Schauungen verwandter un­ab­hängiger Geister.

Und da ist der «Befreite Lebensbaum» mit den Blüten und Früchten, nach denen die Heranstrebenden langen und die nun erlangen, da der göttliche Heros den Drachen der Erd­ge­wal­ten besiegt hat, mit der kühnen Erkenntnis, woher und wohin des Lebens Weg geht. Und wieder sehn wir den see­li­schen Doppelklang im Bilde des «Aufstieges» (oder «Zwei Welten»), wo der Mensch, wie ein menschgewordenes Kreuz, auf dem blutigen Gipfel über der Abendebene aus düstrem Gewölke ragt und nur seine Seele wie astral in eine lichte Jen­seits­welt hinüberschaut und -fliegt. In den Gemälden, die wie aus «Tausendundeiner Nacht» Anmut und Scherz künden – «Drei Seelen», «Amor Dei Victoria», «Tempeltanz», «Der Vogelbändiger», «Prinz Frühling», «Sonnenstrahl», «In Memoriam», und viele andre – auch in ihnen webt eine jen­sei­tige Stimmung, wie ein profanes Auge es nicht gleich wahr­nimmt, atmet derselbe Geist des seelisch-leiblichen Ein­klan­ges, als heller Glockenton eines seelischen Feiertages, der über den Kämpfen des unverklärten Lebens von einem Ziel und Frieden zeugt, die höher sind als die kalte Vernunft, besser aber vor klarem Geiste bestehen als alle Formeln un­per­sön­li­cher So­phis­tik und Mechanistik.

Und welche hohe klare Vernunft, welche Gewissen­haf­tig­keit und Willensstärke trug die Phantasie des Genius auf seinem Wege zur Ver­wirk­lichung seiner Sendung! So über­ra­schend und intuitiv das Werk von Elisarion geschaut worden war, so zäh und ernst ging er an die Ausführung und beharrte beim Werk, als noch gar keine Aussicht auf die jetzige Ver­wirk­lich­ung bestand, ja, als in den Stürmen der Revolution und Inflation alle vorhandenen Mittel vernichtet wurden. Er hielt durch, weil der Glaube an den Gott der Klarwelt ihm die Kraft gab, aber wohl zeigt das Werk, wie es jetzt an dieser Stätte steht, die Wunden und Narben. Es hätte das grosse Rund­gemälde den Uneingeweihten, den seelisch Un­vor­be­rei­te­ten, den bloss Neugierigen, geschweige denn den zweifelnd Zwei­deu­tigen, überhaupt nicht zugänglich sein sollen; erst durch den Vorraum einer Waldkapelle, dann durch den zweiten Raum des allmählichen Einlebens in die Werke, die noch von der Wirrwelt sprechen und die Klarheit nur erahnen lassen, durch innere Reifung zur lauteren Sehnsucht nach der Klarwelt gelangt, sollte der Beschauer zum Mysterium des Hauptwerkes zugelassen werden, das ihm dann eine Erfüllung seiner see­li­schen Ahnungen würde.

Nun aber zwangen die Zerstörungen der Nachkriegszeit Elisarion dazu, sein Werk schon vor dem Abschluss und aus­ser­halb des Mysterienraumes denjenigen zu zeigen, die Sehn­sucht nach heiliger Schönheit treibt, sollten auch mal Unreife davor treten: ein Opfer für den Künstler, der seine innerste Seele preisgibt. Mir ist es vergönnt gewesen, zu sehen, wie die Beschauer auf diese Opfer antworteten, und ich kann bezeugen, in überraschend schöner und edler Weise. Was Elisarion in sich getragen und aus sich geboren, so weit es auch unserer Zeit vorausschwebt und -strebt, lebt hoch als Sehn­sucht, als dämmernde Hoffnung schon in Vielen. Und das ein deutscher Mann das Werk als im besten Sinn germanisch beurteilt, ein Italiener es aber ebenso lebhaft als im besten Sinn romanisch preist, beweist doch, das es jenseits der Völkergrenzen steht und dereinst menschliches Gemeingut sein wird, wo immer endlich der Rundraum entstehen wird, um dann das Mysterium der Klarwelt nach ursprünglichem Plane zu bergen – ob das nun dauernd Locarno sein wird, oder ein anderer geeigneter Ort!

Es wäre wahrlich nun an der Zeit, dass für diese grosse Werk, das in 15 Sprachen als einzigartig gepriesen wurde, die Mittel zur Errichtung des Rundraumes beschafft würden. Was bedeuten die etwa 30 000 Reichsmark dafür? Eine relativ bescheidne Summe für ein erhabenes Meisterwerk … wo für kurzlebige Launen des Sportes in Autos und Boxmatch jährlich Unsummen ausgeworfen werden. Mäzene, die dieses Werk zu Ende bauen helfen, werden sicher dauernderen Ruhm ge­win­nen, als wenn sie Millionen für die unfruchtbaren Eiswüsten der Pole verschwenden oder noch eine uralte Mumie ausgraben lassen.

Wenn ich bisweilen vor dem Werke stehe, ist es mir, Geister umgeben mich, die Geister all der Grossen, die früher an der Veredlung der Menschheit schufen, und mir ist, als hörte ich sie sagen, jeden mit meinen Versen:

 

… dies neue Wagen

ist meines Strebens echter Sinn.

 

Die neue lichtbeseelte Blüte,

die strahlend steigt zu Gott empor,

ist gerade das, worum ich glühte,

ein Blütenkreis von Himmelsflor.

 

Ihr Leuchten ist auch meine Weihe,

ihr Duft tut kund, was ich gehaucht:

Ich war ein Glied in jener Reihe,

die lichtwärts aus dem Dunkel taucht.

 

Und damit ist dem Streben der Menschheit ein absolutes Ziel gesetzt, ihren bittren Mühen ein Sinn gewiesen. Das ist der tiefste Sinn des Werkes von Elisarion: Empor!

So empfand auch der Berner Pfarrer, als er schrieb: «Trotz der Welt der Leiden überzeugt mich mein heutiger Besuch von dem Wahlspruch: Sursum corda!» Und eine deutsche Lehrerin schrieb freudig in das Besucherbuch: «Suchende und irrende deutsche Jugend hier könntest du genesen!»

Elisarion, Blumen und Falter

Die Schönheit, Schweizer Ausgabe 1929, Bericht über das Elisarion, Bericht über das Locarnese.

Die Schönheit, Nummer 11, 1929.

Illustrierte Zeitschrift über die Freikörperkultur. Mit grossem, mehrseitigem Bericht von Eduard von Mayer über das Elisarion, Gedichten von Elisarion und Eduard von Mayer, einer Plauderei mit einer «schönen und klugen Frau» über Wenn ich nicht ich wäre von Elisarion.

Weiter auch Kurzmeldungen über touristische Sehens­würdigkeiten und Sanatorien im Locarnese und in Cademario, sowie über Ascona und den Monte Verità.

Die Zeitschrift Schönheit

Klarwelt der Seligen
Vor dem Lichtfelsen
Klarwelt der Seligen
Am Bergsee
Klarwelt der Seligen
Gletscherspiegel, Birnbaum, Nymphea, Schneefeld
Klarwelt der Seligen
Feier im Bergtal
Klarwelt der Seligen
Der Schönheit Thron, Zum Wettlauf, vor grünlichem Fels, Drei vor dem Säulendenkmal
Das Elisarion, 1929
Der Neue Bund
Genius des Lebens
Das lichte Kreuz
Der befreite Lebensbaum
Der Aufstieg oder Zwei Welten