Was ist Klarismus?

von Elisarion [1]

 

In Leidenstagen dieses Winters las ich oft in einem guten alten Buche von 1795, und ich möchte hier mit einigen Worten eines so trefflichen und reichherzigen Mannes, wie es Graf Zinzendorf war, beginnen: «Ich bin nicht sowohl ein Gottfürchtender als ein Gottseliger, das ist ein vergnügter, reicher, vornehmer und sehr glücklicher Mensch. Ich liebe Gott, nicht weil Er mir Gutes tut, sondern weil Er so gut ist; ich habe meinen Sinn nicht aus der Besorgnis geändert, dass ich mochte von der Obrigkeit gestraft, von den Mitbürgern verachtet oder doch von Gott in die Hölle verdammt werden, sondern weil ich so glücklich bin zu glauben, dass Gott sei und dass Gott in unsrem Gemüte arbeite.» Und an anderer Stelle: «Die Liebe Gottes kann an einem Herzen in einem Augenblicke mehr wirken, als alle Sittenlehre nimmermehr.»

Das ist es: ein lebendiger Glaube an göttliche Liebe!, an die Liebe als das Prinzip, welches das chaotische Zerrbild des Zerstörens und des Hasses überwindet.

Ich habe den Klarismus ins Leben gerufen. Was soll ein neuer -ismus zu den vielen Ismen, die schon die Köpfe verwirren oder als Fremdwörter umherschwirren, ohne ins Herz zu dringen? Klar sollte diese Überzeugung sein, nicht «okkult» und voll Geheimnistuerei, und eigentlich bekannte ich ihn zuerst als ‹Verklärungsglauben›; daher das Wort.

Es sei der Glaube oder die Liebe, die dieses Leben klären hilft und dem Einzelnen, dass er zuletzt mit göttlicher Hilfe und Gnade von dieser Erde erlöst werde. Nicht Lebensflucht und Erdenfeindschaft predigt der Klarismus – im Gegenteil, die Liebe zur Erde als erster Heimat des Erdenkindes, dem es aber gilt eine neue Heimat zu erwerben. Es ist kein romantischer Utopismus, der diese Erde umzuzaubern glaubt, wie viele ‹reale› Parteidoktrinäre, die sicher noch auf meine Botschaft wie auf Fantasterei hinab sehn werden. Die Entwicklungs­not­wen­digkeit des Menschen zu verkennen – das ist romantischer Utopismus, ebenso wie zu glauben, dass die Zustände der Gegenwart oder gar der Vergangenheit sich ewig konservieren liessen. Utopismus ist es aber auch zu behaupten: soziale Umwälzung wird alles zum Guten führen. Das soziale Missbehagen wurzelt nicht bloss in ungestilltem Hunger, sondern in gehemmter allgemeiner Entwicklung und in gehemmter persönlicher Entfaltung. Also. Entfaltungsfreiheit erstrebt der Klarismus, doch in Grenzen, die den Eigenwesen (Individuen) die Rechte andrer Eigenwesen auf Entfaltung ziehen.

Das Wort ‹Eigenwesen› schuf ich zu dem klaren Zweck, dass es, entgegengesetzt dem Monismus und Panteismus, laut denen das Einzelwesen als eine Seifenblase zerplatzt – deutsch und sicher betone, dass in allen Wesen, die das Chaos ausmachen, ein eigner Keim seit Ewigkeit lebt und wirkt. Die Entwicklung dieser Keime ist die Geschichte. Und diese Entwicklung – bis zur Wiedergeburt in der Kindschaft der göttlichen Welt, geht zahllos verschiedene Wege, oft wunderliche Wege. Wer sie gewaltsam hemmen will, ist nicht ein Mehrer sondern ein Minderer des Reiches Gottes. Auch da sagt schon Zinzendorf ein treffliches Wort von einer Sache, die ihm persönlich zuwider war: «Je wunderlicher und widerlicher sie mir war, je mehr hielt ich mit meinem Urteil an mich … weil das noch kein Kriterium des Irrtums und der Verwerflichkeit ist, dass einem eine Sache in der Natur zuwider ist.»

Worin unterscheidet sich nun der Klarismus von andern Überzeugungen? Es ist nicht möglich, dass ich hier alles darlege ohne meine Schrift: «Was soll uns der Klarismus?» abzuschreiben. Sie ist freilich nur ein nüchtern darlegendes Wort, gleichsam ein Schlüssel zu dem ersten Hauptbuche «Ein Neuer Flug und eine Heilige Burg» und zur kleinen Schrift: «Der Unbekannte Gott» [2]. Wen diese neue Wendung anregt, der wird dort alles Wesentliche erläutert finden.

Mit ganz flüchtigen Worten: was berechtigt den Klarismus oder Verklärungsglauben von neuen Erkenntnissen zu reden, was gibt ihm ein anderes Wesen?

Vor allem gilt ihm Gott nicht als Schöpfer des Chaos, denn dieses besteht seit Ewigkeit. Das Böse und das Elend der Erde fliesst nicht aus Gott. Gott ist der Ur-Schöngestalter, der Ur-Erlöser und Allsieger. Scheidend und beseelend griff und greift Gott ins Chaos hinein, Er sucht Licht von Dunkel zu scheiden, Liebe von Hass. Er wirkte seit je in den Wesen des Chaos, wie ein Künstler im gegebenen, oft recht spröden Stoffe, Er beseelte ihn mehr und mehr und erlöste die Wesen, in dem Er sie in die göttliche Liebe emporhob. Aber das Erbunrecht (gleichsam die Erbsünde) ist: dass wir im Chaos uns nur durch Zerstörung andrer Lebewesen erhalten und aufbauen können. Zerstörung liegt im Wesen des Chaos. Gott aber weckt die Liebe, die aller Zerstörung und allem Hasse entgegen ist. In jedem Einzelwesen besiegt Er aufs neue das Chaos und ist darum Allsieger, der Niemanden endgültig an eine Hölle verliert. Es gibt für den Klarismus keinen Endsieg des Todes und der Hölle. So ist auch die göttliche Rache als gottwidrig abgelehnt.

Der Erdenbote des Urgottes der Liebe ist der Herold-Heiland Christ, der nicht eine ungetilgte Schuld an einen zornigen Gott bezahlt, sondern die Offenbarung höchster Liebe der Verklärten Welt uns bringt, Er, der aus dem verklärten Reiche wieder in die Welt des Todes getreten ist, der mit dieser Geburt das grösste Opfer auf sich nahm und durch Kämpfe, Todesmut und durch die Osterbotschaft uns den Weg der Erlösung aus dem Chaos erleuchtete.

Klaristisch ist Gottesfeier, ist Kult nicht ein Dienst, den wir der Gottheit erweisen, sondern eine seelische Wohltat an uns selbst. Das Kreuz ist nicht ein erstrebens­wertes Ziel dieses Lebens, aber es ist uns symbolischer Ausdruck des Leidens dieser Erde, das im Tode gipfelt, sich aber durch Schauen und Glauben in eine leuchtende Blüte ewigen Lebens verwandelt, wie es das Symbol der Klaristen ist.

Mir ward die freudige Überraschung zuteil, dass sogar ein katholischer Priester, der lange und viel studierte, nachdem er Rom innerlich entfremdet worden, sich für den Klarismus mit freudigem Herzen entschied. Darin dürfte auch in Zukunft eine Kraft des Klarismus liegen, dass er die künstlerische Wärme des Katholizismus mit der überlegenden und freimütigen Klarheit des Protestantismus verbindet [3], und so die Werte beider, zum Unheile Deutschlands getrennter Glaubenshälften vereinigt.

Der Monismus der Neuzeit müsste als unbedingte Naturverehrung in seiner logischen Konsequenz zur Erstarrung und Dekadenz führen – wenn er logisch Wäre [4]. Dagegen der Klarismus erkennt die Mängel der Chaoserde und spornt den Menschen an, als Mitarbeiter Gottes mit ihr zu ringen und sie zu erhöhen. Nur darin liegt gesundende Erdenzukunft. Der Klarist weiss, dass das Eigenstreben dem allgemeinen Fortschritt voraus wirkt, das ermutigt ihn, rückschrittlichen Missverständnissen zum Trotz, zu wirken und zu ringen. Und dabei stärkt ihn das Bewusstsein des höchsten Aufstieges, der Unsterblichkeit.

Noch eines kennzeichnet den Klaristen: das ist die Wertung alles Freudigen und Schönen als Vorahnung und teilweise Vorwirkung der Verklärten Welt; dieses zeigt sich bald mehr im Geistigen, bald mehr in gestaltlicher Schöne. Für den Klaristen ist die Endlichkeit nur die äussere Erscheinungsform, er ist unsterblich, für ihn gibt es keine Toten – nur Lebendige, und daher keinen Totenkult.

Vieles was der Klarismus erstrebt, fordert und bringt, ist gewiss schon von andersgesinnten edlen Männern gesagt und gefördert worden, doch nach unserm Dafürhalten wären logischer Weise alle derartige Reformgedanken nur aus der klaristischen Grunderkenntnis der ‹Eigenwesenheit› abzuleiten und aus der klaristischen Auffassung Gottes. Es führte hier zu weit, weshalb ich jeden Aufrichtigen bitten muss, sich nicht bloss nach Lesung dieses kurzen Aufsatzes ein abschliessendes Urteil über den Klarismus zu bilden.

Überwindung der Zerstörung, der Unduldsamkeit und des Hasses ist das Ziel des Klarismus. Der Weg dahin ist nicht kraftloser Quietismus, nicht Erdenflucht und schwächliches Ertragen aller Rohheit, sondern ritterliche Abwehr der vergewal­tigenden Triebe, und sollte einem die Gefahr drohen, verspottet und gehasst zu werden. Ein unerreichtes Beispiel bleibt uns der Ritterheiland Christus, der die Feilscher aus dem Heiligtum trieb. Wir wollen nur, dass unsere Überzeugung erkannt und geprüft werde, und freuen uns derer, die gerne mit uns gehen.

Die «Hymnen der Heiligen Burg», die eben erschienen sind, dürften ein Beleg sein, dass auch bei aller Überlegung ein hymnisches Feuer in dieser Botschaft lodert. Zu voller Wirkung werden sie hoffentlich in der Heiligen Burg gelangen. Auch mehrere Gemälde und farbige Glasfenster, die bereits von mir vollendet sind, spiegeln den Geist dieses Glaubens wieder. Das eine gibt den Heiland in verklärter Auffassung, nach dem Worte «und sie erkannten ihn nicht». Christus erscheint mit hell-lichtem Kreuz, das rosig-goldig in das dumpfrote Herbstdunkel hineinleuchtet, und so dem an eine Eiche gefesselten Menschen Zuversicht der Erlösung und Befreiung spendet. «Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht» sind die Worte zu diesem Gemälde. Es ist eben mit einem zweiten Bilde in Florenz im Kunsthause Brogi zur Ausstellung gelangt, dessen deutscher Leiter Ferdinand Fischer überzeugt das Seinige zur Förderung dieser Erkenntnis getan, von der er selbst gerne bekennt, dass sie ihm neuen Lebensmut gegeben.