von Eduard von Mayer
Auf der Zufahrtstraße
1
Ich mochte meines Weges gehen,
Den Sinn erfüllt von Tagesdingen…
Da zwingt es plötzlich mich zu stehen;
Welch eigner Bau der Schlucht entragt!
Das ist nicht Trotz, das ist ein Ringen,
Was hier emporzustreben wagt –
Hier hat ein neues Licht getagt,
Hier ward ein Sehnen zum Vollbringen.
Vor dem Eingangstore
2
Da steh ich nun vor engem Tore…
Soll ich die breite Bahn verlassen?…
Mein Auge steigt zu der Empore
Durch hoher Bäume schützend Grün,
Da steigen steil des Turmes Massen,
Gelöst zu Fenstern, heiter-kühn,
Befreit vom dumpfem Erdenmühn…
Darf ich hinein, vom Staub der Gassen?
Im Säulenhof
3
«Kehr ein!» Mir tönts wie stummes Rufen…
«Kehr ein!» Es sei dir Schicksalstunde!
Steig an! In dreizehn grauen Stufen
Betritt der Säulen Hof und Raum:
Genossen sind es, frei im Bunde
Und Freund mit Blume, Busch und Baum.
Vergiss die Welt! Erwach zum Traum!
Hier ward ein Traum zu klarer Kunde.
An der Burgtüre
4
Und wieder hemmt mich eine Pforte,
Vergittert ist der Stätte Frieden.
Darf ich? Dank welchem Zauberworte?
«Ich suche Licht!» «Dann sei gegrüßt!»
Hast du gelitten schon hienieden,
Für Freuden, ach! und Irrtum weh gebüßt?–
Wenn du in tiefer Sehnsucht glühst,
Ist diese Stätte dir beschieden.
In der Vorhalle der Porträte
5
Wer sind, die innen mich empfangen?
Ich steh vor einem Lebenskreise,
Durch den ein großer Geist gegangen.
Aus Zügen spricht hier edles Blut,
Das ihn gebar zur Lebensreise…
Ein Schicksal ihm im Antlitz ruht:
Des Ahnens Blick, des Schaffens Mut.
So schaut der Kämpfer, Dulder, Weise…
6
So trat ins Werk ein hehres Streben,
Und Andre traten ihm zur Seite,
Um auch den Hort in Dank zu heben –
Nothelfer, die der Geist sich kor,
Durch seiner Freundschaft Adel weihte.
So brach aus Leid ein Licht hervor,
So stieg die Heilige Burg empor…
Ich schaue ehrend sein Geleite.
Längs der Treppe
7
Ich schaue des Erlebens Spuren
Im bunten Bilderbuch der Erde:
So hebt sich aus der Jugend Fluren
Ein Flug hinauf mit offnem Sinn…
Erinnerung führt vom Heimatherde
Durch fremder Länder Wunder hin,
Des Suchens Unrast wird Gewinn,
Der Augenblicke Strom ein «Werde!»
In der oberen Halle
8
Doch alles Werden sucht die Blüte,
Ein Hochamt, das in Inbrunst kröne,
Worum der Drang sich kreisend mühte,
Des Feiertages Glockenklang!
Hinan! hinein! dem Aug ertöne
Der Fensterrose Farbensang:
Die Blütenspeichen, schau! umschlang,
Der Schmetterlinge Friedensschöne…
«Fiorenza» – Florenz
«Amor Dei Vicoria»
9
Und schau, versenkt in bunte Feier
Des Dichters Bilder und Gesichte!
Dein Herz wird hell, der Sinn dir freier
Am Blick der «Blütenstadt» geklärt,
Am Gottessieg der Huld – dem Lichte
So dienend, wird der Geist entschwert –
So wird der Kampf des Opfers wert…
So – stell dich, stirbst du, zum Gerichte!
Das Gericht der Seele
10
Erhellte – frägt hier Gottes Spiegel …
Dein Herz trotz Not der Andern Nächte?
Weißt du um Schuld? des Lebens Siegel…
Dann wird der Trank der Klarwelt dein!
Vergottest du der Erde Mächte?
Missbrauchst die Seele? buhlst um Schein? –
Erleb dann neu der Wirrwelt Pein,
Des Lebens Leid und Todesrechte!
Das Grauen der Wirrwelt
11
Der Tod! – ihm steht das Herz im Wege,
Dem grimmen Herrscher der Verwesung…
Da schau! wie seines Hasses Schläge
Zerlodern jedes Lebens Bau,
Er wirft einander uns zur Äsung –
Das ist der Wirrwelt Schreckensschau,
Das glutzerfressne Höllengrau!
Erschrickst du? Dann beginnt Genesung.
Der Lichterchor
«Entwaffnung»
«Der neue Bund»
Das Todestor
12
So wend den Blick in die Kapelle!
Sie scheint in goldigem Abendschimmer…
Hier ist der Weihburg hebre Zelle,
Der Andacht ahnungsvoller Chor,
Hier sind der Erde Zwiste nimmer,
Hier steht der Bund, der Eintracht schwor…
Wir alle stehn am Todestor…
Zum Abschied nur – und nicht für immer!
13
Wir alle tragen tief Im Herzen
Den Traum von einem Heiligen Lande,
Das Toren an den Tag verscherzen –
Den Traum, der Wirklichkeit erschafft,
Er sprengt zuletzt die dunklen Bande,
Er löst uns aus des Niedern Haft.
Denn Hass verzehrt, was Gier errafft,
Versklavt dich an der Wirrwelt Schande.
«Am Ziele»
14
Wohl dem – wohl ihm! und bitter Wehe! –
Der seines Glaubens Blütenlohe
Mit Herzblut nährt, dass sie bestehe
Der öden Umwelt Frost und Acht ...
Bis er – erreicht das Ziel, das hohe –
Verlassen darf die strenge Wacht,
Die Bahn des Lebens, herb vollbracht,
Ihn führt empor ins Licht, ins frohe.
«Aufstieg»
«Das lichte Kreuz»
«Die Vision der Erlösung von der Materie»
15
Wenn noch in Fesseln du nicht zagstest,
In Dornen, blutend, standgehalten
Und, sank der Tag, zu glauben wagtest –
Wenn du gelebt dein Opfer hast:
Da nahn dir göttliche Gestalten,
Es schwindet dir des Zwanges Last,
Du schwebet, als Gottes Freund und Gast,
Ein Geisterchor im Dom, dem alten…
16
Die Zeit ist um, in düstern Mauern
Der Seele Sehnen einzusargen.
Ob Angst uns, Nacht und Wahn umtrauern –
Uns weist der Geist ein lichtes Land,
Das Schatten uns so lang verbargen
Bis ohne irdisches Gewand
Wir, ohne Fittich, Hand in Hand,
Verlassen diese Welt des Argen.
Die Todestüre
17
Dem Lichte zu! Doch was wir erben,
Der Erdenleib, bleibt Staub vom Staube…
Erkämpfe dir das Recht zu sterben!
Das Kreuzesschwert im dunklen Feld
Sei Banner dir, ein tapfrer Glaube!
Erleb der Losung Wort als Held:
«Mein Reich ist nicht von dieser Welt!»
Was tot ist, fall dem Tod zum Raube.
18
Einst steh ich vor der engen Pforte…
Wes harr ich, wenn ich sie durchschreite?
Führt sie zu grimmem Marterorte?
Führt sie ins Nichts? führt sie… wohin?
Welch war mein Ziel im Lebensstreite?
Welch war in Freuden mein Gewinn,
War meines Sehnsucht höchster Sinn?
Welch hohes Glück, um das ich freite?
19
Das sinnlos… lieblos süchtige Treiben,
Das wirft dein Los: ob du erlegen
Der Welt, in ihrer Gunst zu bleiben –
Ob du bestanden ihre Pein –
Ob du Ihr hieltst dein Schwert entgegen –
Ob Wärme gab dein Herzensschein…
Nun wag den Gang! Klopf an, tritt ein!
Es geht zum Ziel auf dunklen Wegen.
20
Nicht, wie der Tag im Schatten mündet,
Der all den Sternenraum durchnachtet,
Auf flüchtige Stunden nur entzündet,
Stets kreisend nur in blindem Drang –
Nein! Seele, die nach Gott getrachtet,
Du wächst hinaus aus Erdenzwang
Dem Reiche zu in letztem Gang,
Wo Nacht und Zwang und Tod entmachtete.
Die Gruft-Brücke
21
Wohlan! die dunkle Gruft steht offen,
Die bittre Brücke zweier Welten,
Der Weg zu unsrem höchsten Hoffen…
Betritt sie schweigend, ohne Angst!
Der Wirrwelt Schrecken nicht mehr gelten,
Wenn über dich empor du drangst,
Wenn du vom Born des Geistes trankst,
Des Strahlen dir die Bahn erhallten.
22
Verstummen muss nun all das Reden,
Der Worte Rauch, der uns besessen,
Des Spruchs und Widerspruches Fehden,
Der Zwiste Lärm, des Wahns Gebraus
Die Wirrwelt draussen sei vergessen!
Du trittst allein ins stille Haus…
Doch was dein Herz ersehnte: schau's!
Dein höchster Traum war nicht vermessen.
«Die Klarwelt»
23
Zur Weihestätte warst du Wandrer,
Erleb du nun die Weihestunde!
Im Reigen gleichgewordner Andrer
Erleb das göttliche Gedicht,
Erschau in tausendfältiger Runde
Des Friedens jubelndes Gesicht!
Empfang in dir das Ewige Licht,
Der Klarwelt hehre Gotteskunde!
24
Sie kam in diese Welt der Schmerzen
Von eines Helden Geist getragen –
Ein Wunder ward in grossem Herzen,
Das eine lichte Welt gebar.
Die Morgenstunde hat geschlagen
Im Weihebilde, rein und wahr,
Das Unsichtbare wurde klar…
In Aller Seelen mög es tagen!
Herbst 1939