Harald Szeemann erläutert das Rundbild von Elisàr von Kupffer
Anmerkungen zu Aussagen Szeemanns in den Videos
Ehemaliges Haupthaus
Es stand dort, wo sich der Anbau des heutigen Hotels mit dem Restaurant befindet und diente ebenfalls als Restaurant/Speisesaal. Die Verzierungen am Dach entsprechen denjenigen am heutigen Pavillon mit dem Rundbild
Der deutsche Maler, Zeichner und Grafiker Fidus (Hugo Höppener) prägte mit seinen Werken nachhaltig die Bildvorstellungen der Theosophie und der Lebensreform seit den 1890er Jahren. Er besuchte die Reformkolonien in Amden am Walensee und den Monte Verità von Ascona. Seine gekonnten Visualisierungen von Tempel-Projekten und der Lebensreform-Vorstellungen sind bis heute Vorbild für viele, die sich als Künstler versuchen. Sein megalomanisches Projekt eines Tempels der Erde und weitere Tempel-Projekte.
Gino (Luigi) Taricco
Modell mit einer frappanten Ähnlichkeit des Körper und der Gesichtszüge zum Künstler. Elisarion malte die Jünglinge des Rundbildes nach diesem Modell.
Maler der Frührenaissane, der hauptsächlich Fresken für verschiedenste Kirchen und Kapellen in der Toscana, in Umbrien und in Rom schuf. Benozzo Gozzoli malte zwischen 1459–1461 die Kapelle des Palazzo Medici Riccardi in Florenz mit Fresken «Zug der Heiligen Drei Könige» aus. Diese Fresken waren eine Inspirationsquelle für das Rundbild Klarwelt der Seligen.
Im Geiste der Frührenaissance schuf der Florentiner Sandro Botticelli Altarbilder, Porträts der Medici, Allegorien und Darstellungen aus der griechischen Mythologie. Sein bekanntestes Bild ist die Geburt der Venus/Aphrodite, welche aus dem Schaum des Meeres (Ejakulat des Göttervaters Jupiter/Zeus) vor Zypern geboren wurde. Einige Elemente seiner Malerei wurden von den Präraffaeliten im 19. Jahrhundert wieder aufgegriffen. Auch die Jugendstilmalerei machte Anleihen bei ihm, eine Gegenüberstellung zum Werk von Elisàr von Kupffer.
Maler des Symbolismus und Gründungsmitglied der Künstlergruppe Les Nabis. Denis wird als wichtigster Theoretiker dieser Gruppe eingeschätzt. Auf seinen Italien-Reisen zwischen 1890 und 1895 studierte er die Werke der Renaissance. Ab 1919 bemühte sich vor allem um eine Wiederbelebung der religiösen Kunst und gründete mit Georges Desvallières Les Ateliers d'Art Sacré, einige seiner Werke.
Zum Rundbild gab es ein kleines Heftchen «Gespräche aus der Klarwelt». Darin sind die 33 Szenen des Rundbildes in Versen beschrieben –, Verse von grosser Schönheit, aber auch kindlich-kitschige und intellektuell gequälte.
Berührend und voller Poesie: «Wie ruhen wir tief in Blüten versunken, im Klarwelt-Frieden – der Wonne trunken. Hier stört kein Neid mit bösen Gedanken, weil alle reinen Herzens sind. So lass uns der göttlichen Liebe danken, wo Auge in Auge die Seele minnt.» Szene 10
Andere Passagen weisen hin auf die paradiesischen Zustände: «Ob ich wandre auf hohen Bergen, nimmer von Blitzen umloht, bin von Gefahren unbedroht, von Schneesturm, Absturz, Tod!» Szene 1 «Ich hebe dich froh in die klare Luft, befreit von der irdischen Schwere, erlöst aus menschlicher Kluft.» Szene 4
Oder ganz klar und deutlich: «Dünkt mich doch, dass jener Fesche, gerne näsche.» Szene 2 «Wir waren Drei in Liebe einst verbunden.» Szene 12 «Du bist mein schaukelndes prächtiges Ross, mein Wildfang-Genoss, du bist mein Ross und ich reite dem Meer entlang und ins Weite.» Szene 24
Das Sanctuarium Artis Elisarion wurde 1925 erbaut. Elisàr von Kupffer stellte darin seine Werke aus, darunter auch Teile des Rundbildes. Es gab in der Anfangszeit einen erfreulichen Besucherstrom, der infolge der Wirtschaftskrise der 30er Jahre versiegte. Einer dieser Besucher war der deutsche Literat Kurt Tucholsky, der in seinem Roman Schloss Gripsholm den Besuch des «Polysadrions» einfliessen liess: «Da haben sich zwei Balten ein Haus gebaut. Und der eine, Polysander von Kuckers zu Tiesenhausen, ein baltischer Baron, vermeint, malen zu können. Das kann er aber nicht … » Das Elisarion hat so Eingang in die Weltliteratur gefunden. Tucholsky und das Elisarion.
Die schweizerische literarisch-satirische Zeitung «Der grüne Heinrich», welche vom September bis Dezember 1945 herausgegeben wurde, brachte im Dezemberheft einen Bericht über den Besuch im Sanctuarium Artis Elisarion, wo die Inszenierung im Haus lächerlich gemacht und der Besuch des «Polysadrions» von Tucholsky wiedergegeben wurde. Satirischer Bericht im Der grüne Heinrich und ein Leserbrief und die Antwort darauf im Beobachter.
Oberlicht / Baldachin
Im Elisarion gelangte man nach 1939 durch eine dunkle «Gruftbrücke» zum Rundbild, das durch natürliches Oberlicht beleuchtet wurde. Es ist geplant, nach der Restaurierung dies wieder in ähnlicher Weise zu inszenieren. Durch einen dunklen Eingangsbereich gelangt man zum Rundbild «Klarwelt der Seligen», das mit einem Baldachin überdacht wird, so dass das künstliche Oberlicht gleichmässig nur auf die Leinwand fällt.
Kraftort / magnetische Anomalie
Ein Platz, an dem viele Leute Energie spüren und behaupten, diese in sich aufnehmen zu können. Das Mikroklima, die Vegetation der Umgebung und die Baustruktur eines Gebäudes sind die wichtigsten Voraussetzungen für einen Kraftort. Pendler sind zusätzlich der Ansicht, ein Teil der positiven Energie sei im Untergrund verborgen. Oft können wissenschaftliche Untersuchungen einemagnetische Anomalie messen (stärkeres Magnetfeld als in der Umgebung). Es ist durchaus vorstellbar, dass es dadurch zu einer Bündelung der natürlichen Ionenstrahlung aus dem Sonnenwind und weiterer atomarer Teilchen kommt. Die Gründer des Monte Verità liessen «tellurische» Messungen vornehmen und schlossen daraus, der Ort hat eine positive Wirkung auf den animalischen Magnetismus.
Der Sonnenkult auf dem Monte Verità
Vor 1900 war es üblich, dass die wohlhabenden Schichten ihren Reichtum durch aufwendige Kleidung zeigten, in denen man sich kaum bewegen konnte.
Ziel der Lebensreformer war es, die im Zivilisationsprozess verdrängte Körperlichkeit und Natürlichkeit durch tänzerisch-künstlerische Bewegung wieder aufleben zu lassen. Der Monte Verità bot für seine Sommerschule des Tanzes unter der Leitung von Rudolf Laban einen ausgesprochen geeigneten Rahmen: Die jeweils 20 bis 25 Teilnehmerinnen fanden in der Gegend idyllische Plätze unter freiem Himmel, die geradezu zum Tanz aufforderten.
Seinen Höhepunkt und Abschluss fand Labans Wirken 1917 mit der Inszenierung Sang an die Sonne im Rahmen des «anationalen» Kongresses des Orientalischen Templerorden: Vom Sonnenuntergang des 18. bis zum Sonnenaufgang des 19. August fand diese legendäre Freilichtaufführung statt. In den drei Teilen Die sinkende Sonne, Die Dämonen der Nacht und Die siegende Sonne verband sich chorischer Tanz einmalig mit der gegebenen Topografie und den natürlichen Lichtverhältnissen.
Stefan George
Der deutsche Dichter und Mitherausgeber der Blätter für die Kunst lebte von 1931 bis zu seinem Tod 1933 vorwiegend in Minusio.
Ab etwa 1892 versammelten sich gleichgesinnte Autoren um Stefan George, die sich mit ihm geistig verbunden fühlten, der exklusive George-Kreis entstand. George plädierte in seiner Jugend für eine Abkehr gegen den in Deutschland zu jener Zeit sehr populären Realismus und Naturalismus in der Literatur und für eine Hinwendung zum Symbolismus. Die drei Brüder Stauffenberg, darunter der spätere Hitler-Attentäter Claus von Stauffenberg gehörten seit 1923 zum George-Kreis. Seine späteren Werke gleichen in Vielem den literarischen Werken von Elisàr von Kupffer und Eduard von Mayer, zudem fühlte sich George ebenfalls erotisch zu Jünglingen hingezogen.
George soll auf Anraten von seinem Arzt aus gesundheitlichen Gründen in südliche Gefilde gezogen sein. Ob dabei die Nähe zum Monte Verità oder eine Freundschaft mit Elisàr von Kupffer und Eduard von Mayer ein Rolle spielten, entzieht sich historischen Belegen – und wird von den «Georgianern» vehement verneint. Auch Eduard von Mayer erklärte in einem Bericht im «L'Eco di Locarno» (1955), dass keine persönliche Kontakte bestanden. Einige Freunde von George hätten aber das Elisarion besucht.
Gloeden gilt als einer der Pioniere künstlerischer männlicher Aktfotografie. Ein schweres Lungenleiden führte dazu, dass er des Klimas wegen 1876 nach Taormina in Sizilien übersiedelte. Berühmt wurde er durch seine Akte sizilianischer Jünglinge mit antikisierenden Requisiten und Kostümen, die eine arkadische Antike suggerieren. Abzüge seiner Arbeiten konnte man in Taormina kaufen und wurden in homoerotischen Kreisen herumgereicht. Es gibt verblüffende Ähnlichkeiten zum Werk von Elisarion.
Karl Wilhelm Diefenbach
Diefenbach gilt als Urvater der Alternativbewegungen und einer der bedeutendsten Vorkämpfer der Lebensreform, der Freikörperkultur und der Friedensbewegung. Seine Landkommune Himmelhoch (1897–1899) in Ober Sankt Veit bei Wien war Vorbild für die von seinem Schüler Gustav Gräser gegründete Reformsiedlung Monte Verità bei Ascona. Als Maler ist er ein eigenständiger Vertreter des Symbolismus.
Nach dem Bankrott der Künstlerkommune Himmelhoch zog Diefenbach auf die Insel Capri, wo er Erfolg und Ansehen gewann, während er in Deutschland vergessen wurde. Er starb dort 1913 im Alter von 62 Jahren.
D. H. Lawrence
Ein Grossteil des Schaffens von Lawrence hat einen autobiografischen Bezug und thematisiert die Beziehung zwischen den Geschlechtern. Lawrence weist dabei dem Erotischen und dem Sexuellen eine wichtige Stellung zu. Dies erklärt, warum er zu Lebzeiten als Autor stark umstritten war und manche seiner Werke als unsittlich verboten wurden oder nur in einer zensurierten Fassung erscheinen durften. Sein bekanntestes Buch ist Lady Chatterley’s Lover.
Gemäss Szeemann besuchte er mit Frieda von Richthofen den Monte Verità, dann gings nach Capri und darauf nach Taos in New Mexcio.
Der Besuch von Network auf dem Monte Verità
Mitglieder des Vereins Network nahmen an einer Kulturreise auf den Monte Verità teil. In einer exklusiven Führung zeigte ihnen Harald Szeemann die Ausstellung in der Casa Anatta, machte mit ihnen einen Spaziergang durch das historische Gelände und besichtigte mit ihnen das Rundbild «Klarwelt der Seligen» von Elisàr von Kupfer. Das ganze wurde mit einer Video-Kamera gefilmt und zu einem rund 1-stündigen Video zusammengeschnitten. Die Aufnahmen entstanden am 10. Oktober 1998.
Zur leichteren Handhabung ist das Video nun in 3 Sequenzen unterteilt –, es steht aber auch in der ursprünglichen integralen Fassung zur Verfügung.
Das Elisarion als Gesamtkunstwerk
Das Rundbild Klarwelt der Seligen ist das malerische Hauptwerk von Elisàr von Kupffer. Es war gedacht als Ort der Erleuchtung – die Erfahrung des Paradieses – zu der man nach der Durchschreitung der diesseitigen Wirrwelt gelangte. Zu Grunde lag eine monistische Weltanschauung – der Klarismus – der von Elisàr von Kupffer und seinem Lebensgefährten Eduard von Mayer in mehreren philosophischen Schriften dargelegt wurde. Elisàr von Kupffer nannte sich ab 1911 nur noch Elisarion und sah sich als Religionsstifter. Das Sancturaium Artis Elisarion in Minusio (kurz Elisarion) war Tempel, Gemäldegalerie und Wohnhaus in einem. Zur Inszenierung gehörte auch eine lyrische Beschreibung der 33 Szenen des Rundbildes sowie der Wallfahrt (Spaziergang) vom Bahnhof Locarno zum Elisarion und durch das Haus zum Rundbild.
P.S. In der ersten Periode des Elisarion wurden die Besucher gewarnt, das Elisarion sei NICHT (einfach) als Gemäldegalerie zu betrachten, sondern als Ort der «inneren Erleuchtung» und mussten diesbezüglich eine Bestätigung unterscheiben …
Auszüge aus dem Gästebuch