Lieblingminne und Freundesliebe in der Weltliteratur
Anno 1900, in den Anfängen der organisierten Schwulenbewegung erscheint im kleinen Berliner Verlag vonAdolf Brand die erste schwule Anthologie der Welt. Ähnlich wie sein wohl einzig vergleichbarer Vorläufer Heinrich Hössli im zweiten Band seines «Eros oder die Männerliebe der Griechen» (1838), stellt Elisàr von Kupffer seine Sammlung literarischer Texte in den Dienst emanzipatorischer Ziele. Mit Texten von Platon, Theokrit, Vergil, Martial, Marlowe, Byron, Platen, Sonetten von Shakespeare und Michelangelo Buonarroti und den (Teil-) Erstdruck von Verlaine's «Mille e tre» enthält seine Sammlung erstaunlich viel von dem, was bis heute zum Kernbestand des «schwulen Kanons» gehört.
Der damals junge Deutsch-Balte Elisàr von Kupffer, der diesen Schatz zusammengetragen und zum Teil selbst übersetzt hat, ist heute als Autor weitgehend vergessen. In den ersten Jahrzehnten des letzen Jahrhunderts jedoch gehörte er in den Medien der sich formierenden Schwulenbewegung zu den häufigsten genannten Autoren. Insbesondre im eher sexualwissenschaftlichen «Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen» von Magnus Hirschfeld und in der kulturell orientierten Zeitschrift «Der Eigene» von Adolf Brand.
Einige Kostproben aus dem Buch
Das Vorwort von Elisàr von Kupffe, Jünglinge in der griechischen Sprache
Klage um Jonathan
Ihr Berge zu Gilboa, es müsste weder tauen noch regnen auf euch, noch Äcker sein, da Hebopfer von kommen; denn daselbst ist den Helden ihr Schild abgeschlagen, der Schild Sauls, als wäre er nicht gesalbt mit Öl.
Der Bogen Jonathans hat nie gefehlt, und das Schwert Sauls ist nie leer wiederkommen von dem Blut der Erschlagenen und vom Fett der Helden.
Saul und Jonathan, holdselig und lieblich in ihrem Leben, sind auch im Tod nicht geschieden: schneller waren sie denn die Adler und stärker denn die Löwen.
Wie sind die Helden so gefallen im Streit! Jonathan ist auf deinen Höhen erschlagen.
Es ist mir leid um dich, mein Bruder Jonathan: ich habe grosse Freude und Wonne an dir gehabt; deine Liebe ist mir sonderlicher gewesen, denn Frauenliebe ist.
Wie sind die Helden gefallen und die Streitbaren umgekommen!
2. Buch Samuel, 1.19 bis 1.23 und 1.25 bis 1.27, übersetzt aus dem Griechischen und der Vulgata (Lateinisch) von Martin Luther, publiziert von Elisàr von Kupffer 1900.
Dieselbe Bibelstelle in der «Zürcher Bibel» von 2007 und in der deutschen ökumenischen Einheitsübersetzung 1980.
An Juventius
Auf dien lieben süssen Augen –
Ach dürft ich, o Juventius –
Möcht ich zu hunderttausend Malen
Fortwährend drücken Kuss auf Kuss
Doch glaube ich, mein heisses Sehnen,
Es würde nimmer satt darauf,
Ging dichter auch als goldne Ähren
Die Saat von unsren Küssen auf.
Gaius Valerius Catullus, Übersetzung Hermann Griebenow
An Juventius
War denn im ganzen Volke, o mein Juventius, wirklich
Nirgend ein hübscher Mann deines Verlangen so wert,
Niemand als jener Gastfreund vom elenden Orte Pisaurum,
Der mich noch bleicher deucht als ein vergoldetes Bild?
Diesen begehrt nun dein Herz, und ich – ich gelte dir minder!
Weist du es nicht, wie an mir du damit Frevel verübst?
Gaius Valerius Catullus, Übersetzung Elisàr von Kupffer
An Tommaso de’ Cavalieri
Wenn in den Augen wir die Seele sehn,
Sind meine meiner Gluten klarstes Zeichen;
Um deine Gunst, mein Liebling, zu erreichen,
Genüge dies! Du wirst mich nun verstehen.
Siehst du in keuscher Glut mich fast vergehen,
Wird vielleicht dein Sinn für mich erweichen,
Mir glaublich kaum, vertrauend ohne gleichen,
Wie Huld die überströmt, die sie erflehen.
O selger Tag, der einst Gewissheit bringt!
Erbarmt euch, Zeit und Stunde, Tag und Sonne:
Steht plötzlich still eurem ewgen Gange;
Dass mirs auch ohne mein Verdienst gelingt,
Zu schliessen indie Arme voller Wonne
Den holden Freund, nach dem ich längst verlange!
Michelangelo Buonarroti, Übersetzung Walter Robert-tornow.
Die Freundschaft
Wars nicht dies allmächtige Getriebe
Das zum ewgen Jubelbund der Liebe
Unsre Herzen aneinanderzwang?
Raphael, an deinem Arm – o Wonne!
Wag auch ich zur grossen Geistersonne
Freudigmutig den Vollendungsgang.
Glücklich! glücklich! Dich hab ich gefunden
Hab aus Millionen Dich umwunden,
Und aus Millionen mein bist du –
Lass das Chaos diese Welt umrütteln,
Durcheinander die Atome schütteln;
Ewig fliehn sich unsere Herzen zu;
Muss ich nicht aus deinen Flammenaugen
Meiner Wollust Widerstrahlen saugen?
Nur in dir bestaun ich mich
Schöner malt sich mir die schöne Erde
Heller spiegelt in des Freund Gebärde,
Reizender der Himmel sich.
Friedrich von Schiller, aus dem Briefen Julius’ an Raphael [Teilabdruck]
Das Gedicht ist integriert in einen fiktiven Briefwechsel zweier Jünglinge. Die von Schiller erfundenen Jünglinge sind im Wesen gegensätzliche Personen. Sie heissen Julius und Raphael. «Die Freundschaft» ist dabei eine Äusserung des Julius, die sich an Raphael richtet. Mit diesen Briefen, die sich mit Wahrheit, Sittlichkeit und der Revolution des Denkens beschäftigen, wollte Schiller einen Roman verfassen. Dazu kam es aber nicht.
Der Abdruck des Gedichtes in Adolf Brands Zeitschrift Der Eigene löste 1903 einen Eklat aus, da es in diesem Rahmen als homoerotische Hymne interpretiert wurde.
Mille e tre
Meine Liebsten entstammen nicht reichem Leben;
Ihre Arbeit in Stadt oder Land ist herb,
Ihre fünfzehn und zwanzig Jahr kindlich sich geben,
Urwüchsig, voll Kraft, in Gebaren derb.
Nach ihnen in Kittel und West ich verlange;
Ohne künstlichen Duft, in Gesundheit nur
Sie erglühn, wohl schwer, doch behende im Gange, –
Bei leichter Jugend der Würde Spur.
Die offenen Augen vor Schalkheit blitzen,
Doch ehrlich, mit heiteren Flüchen im Bund
Die Wort voll kindlichen Listen und Witzen
Verschwendet mit herzhaften Küssen ihr Mund.
… [zensuriert]
Ihr Alle! vereinzelt oder zusammen,
Vergangene Bilder, klar, ohne Trug,
Die Gegenwart Lust, meiner Zukunft Flammen,
Ihr zahllos Geliebten, nie seid ihr genug!
Paul Verlaine, Übersetzung Elisàr von Kupffer
Anmerkung von Elisàr von Kupffer: Das Gedicht das hier nur in einem Bruchstück erscheint, ist weder im Original noch in der Übersetzung [bisher] zum Abdruck gelangt: das Manuskript wurde von einem deutschen Freunde Verlaines in Paris übermittelt.
Die neun Oden an die Liebhaber nach dem dritten Versblock fehlen in der Anthologie. Ob dies aufgrund der offiziellen Zensur oder als Entscheid von Elisàr von Kupffer so gedruckt wurde, entzieht sich historischer Belege. Original (Französisch)
Sturmliebe
Nicht im Maienhauch der Rosen,
Nicht in lauer Lüfte kosen,
Nicht im Tempel der Natur,
Nein, am öden Schenkentische,
Sitzend in der Fensernische,
Tauschten wir den Liebesschwur.
Und kein Laubdach einer Linde,
Holddurchhaucht von Lenzeswinde,
Bot uns seligen Genuss,
Sturmumtost, doch liebessehnend,
An der feuchte Mauer lehnend,
Gaben wir uns Kuss um Kuss.
Und drum sollst du, auserkorene
Liebe, nacht- und strumgeborne,
Nicht wie Lenz und Duft verwehn,
Auch im Leide sollst du leben,
Sollst vom keinem Frost beben
Und im Sturm nicht untergehn!
Josef Kitir
Waldfrei
Ebereschenbeeren leuchten,
Lachen wie Korallen rot,
Und ich nippe deine Lippen,
Küss trotz Strafe und Verbot.
Erlenhecken uns umdachen,
Plätschernd springt der Bach vorbei,
Murmel neckisch was von Liebe –
Und ich küss dich: eins, zwei, drei!
Du mein grosser, wilder Junge,
Bist mein Sonnenglanz und Ruhm,
Holder Stern in meinen Nächten,
Wegziel dem Zigeunertum!
Adolf Brand
Die in der Anthalogie abgedruckten Gedichte und Kurzgeschichten von Elisàr von Kupffer und Eduard von Mayer
Verzeichnis der Autoren
al-Mutamid von Sevilla, König (Abbadiden)
Brand, Adolf
Bulthaupt, Heinrich
Byron, George Noel Gordon Lord
Catull, Gaius Valerius
David, König (biblisch)
Della Casa, Giovanni
Flaubert, Gustave
Friedrich der Grosse von Preussen
Goethe, Johann Wolfgang von
Grillparzer, Franz
Hafis (Mohammed Hafez-e Sirazi)
Hausrath, Adolf (George Taylor)
Herder, Johann Gottfried von
Hölderlin, Friederich
Horaz (Quintus Horatius Flaccus)
Kitir, Joseph
Kupffer, Elisàr von
Lermontow, Michail Jurjewitsch
Levetzow, Freiherr Karl Michael von
Linke, Oskar
Loti, Pierre (Julien Viaud)
Ludwig II von Bayern
Marlowe, Christopher
Martial (Marcus Valerius Martialis)
Mayer, Eduard von
Michelangelo Buonarroti
Montaigne, Michael Eyquem de
Ovid (Publius Ovidius Naso)
Pindar (Pindaros)
Platen-Hallermünde, August Graf von
Rückert, Friedrich
Schiller, Friedrich von
Shakespeare, William
Stadion-Thannhausen, Emerich Graf von
Swinburne, Charles Algernone
Tatios, Achilleus
Tausendundeine Nacht (Märchen)
Tibull (Albius Tibullus)
Vega, Garcilaso de la
Vergil (Publius Virgilius Maro)
Verlaine, Paul
Wilbrandt, Adolf von
Winckelmann, Johann Joachim
Zorrilla y Moral, José
Im Anhang
al-Mutamid von Sevilla, König (Abbadiden)
Caesar, Gaius Julius
David und Jonathan (biblisch)
Della Casa, Giovanni
Friedrich der Grosse von Preussen
Goethe, Johann Wolfgang von
Hamann, Johann Georg
Heinrich III. von Frankreich, König
Jesus Christus (biblisch)
Saikaku, Ihara
Verlaine, Paul
Wagner, Richard
Winckelmann, Johann Joachim
Die Namen der Autoren entsprechen der heutigen Schreibweise
Anmerkung: Im Anhang sind zusätzliche kurze Texte von Autoren aufgeführt. Dazu gibt es Texte von historischen Begebenheiten, wo die Männerliebe erwähnt wird, und Originaltexte von Autoren die übersetzt worden sind.