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Lebensgesetze der Kultur – Zweiter Teil – Die Werte der Kultur: Die Frühzeit

XII. Die Zeiten des Mutterrechtes

Mann und Weib in der Kultur

Die organische Anziehung – das Gemeingefühl verstärkt durch die Kräfte des bewussten Innenlebens und weiter einan­der gegenseitig fördernd, stellte die Kultur auf feste Grundlage. Aus der Gemeinschaft der Mutter mit dem Kinde, der Mütter und Weiber miteinander, des Bruders mit seinen Geschwistern und schliesslich der Männer mit den Weibern ist der Staat, das Gemeinleben hervorgegangen.

Der Anstoss ging von den unselbständigeren, anschluss­be­dürf­ti­geren, geselligeren Weibern aus, von den Müttern, und die Grundlage der Weibergemeinde bleibt das Mutterrecht auch lange noch, nachdem der Mann sich dieser Ur­ge­mein­schaft angegliedert hatte: wie sich ja Reste davon bei den Germanen bis mindestens zur Zeit des Tacitus erhalten hatten, wo der Bruder der Mutter vor dem Vater geehrt wurde, weil jener sicher gleichen Blutes war, dieser aber nie ganz gewiss zu ermitteln war, zumal solange die Ehe nicht die festen Formen des späteren Herrenrechts erlangt hatte. Und nach Mutterrecht kommt es immer nur auf die Mutterschaft, also das Kind, an, nicht auf die Vaterschaft eines bestimmten Mannes und Gatten.

Das Mutterrecht war kein geschriebenes, kaum ein gesprochenes Recht; es war auch nicht eine heilig gefürchtete Sitte, ja nicht einmal ein ängstlich beobachteter Brauch; es war eine Naturtatsache, der natürliche Ausdruck natürlicher Zustände, als ein solcher empfunden und hingenommen, erst durch weitere Entwicklung zu unterschiedlichem Bewusstsein gelangt, dann festgesetzt, verteidigt und langsam unterlegen, nie ganz überwunden, im Stillen neue Kraft sammelnd, die Henne der niederen Kultur und der Zaunkönig der hohen. Was weiter – steht in den Sternen.

Es haben eben an dem Menschenwerk Mann und Weib rechtschaffen mitgearbeitet, ihren natürlichen Kräften gemäss, die nicht zufällig verschieden und etwa willkürlich aus­gleich­bar sind, sondern Uranlagen, aus den Jahrmillionen der vor­menschlichen Entwicklung stammend, und mit der Ent­steh­ung des Menschen von neuem bestätigt und vertieft; und vermut­lich wird auch keine Entwicklung der Folgezeit sie ver­wi­schen können. Vielmehr geht die Natur auf reiche und vielseitige Bildungen aus; und seit den Zeiten, da es nur ein, also kein Geschlecht gab, hat mit der Entstehung des leiblich un­frucht­ba­ren, nur dynamisch fruchtbaren männlichen Geschlechtes gerade eine Entwicklung eingesetzt, die dieses neue, männliche Geschlecht zwar sehr allmählich, aber stetig über das alte Urgeschlecht, das nun weiblich heisst, emporgetragen hat.

Das männliche Geschlecht hat mit der Einbusse älterer Eigenschaften neue, unendlich wertvolle erkauft, die im ersten Keime noch recht unbedeutend schienen; aber die äussere, allseitige Überlegenheit des weiblichen Geschlechtes sank von Art zu Art, als diese Ansätze der höheren, männlichen Tätigkeit nach und nach wuchsen. Während die Weibchen bei den niederen Arten noch das Männchen an Schönheit und Stärke übertreffen können, treten sie in den höheren Arten fast durchweg hinter ihnen zurück. Und dieser Fingerzeig der Natur hat sich auch in der menschlichen Geschichte bewahrheitet, die von Männern gemacht worden ist und gemacht werden wird.
Das ist jedoch, weit davon entfernt eine Herabsetzung des Weibes zu sein, in Wirklichkeit nur eine Erkenntnis und Anerkennung ihres Wesens, das durch Vermännlichung nichts gewinnt, solange es nicht das Urtum des Weibes abstreifen kann: die Mutterschaft.

Die Frauenbewegung

Die Mutterschaft liess das Weib am Kinde hängen und hätte ihr auch äusserlich die Möglichkeit der Unabhängigkeit abgeschnitten, wenn diese Gelüste ihr ernsthaft gekommen wären; aber ihrer Natur entspricht das Gemeingefühl viel zu sehr, und überdies gewann sie im allerältesten Gemeinleben bald die Macht, die ihr gebührte, durch die Leistungen, die sie vollbrachte.

Eben die Fürsorge für ihr Kind hatte ihrem Laufe einen festen Mittelpunkt gesetzt, im Hinblick auf das Kind hatte sie das Wild auf mühelos-listige Weise erlangen gelernt, war sie darauf verfallen, Vorräte der Pflanzenkost einzubringen, hatte sie sorgsam das Feuer hüten müssen. Um das Herdfeuer, um die Vorratskammer, um die Geräte ihrer Handfertigkeit, um die Stätte, wo das Kind gehen und sprechen lernte, spielte und heranreifte, geht darum auch die wahre Bahn des Weibes. Nicht erst die Herrschsucht des Mannes hat ihr das «Haus» zugewiesen, sie selbst, ihre leibliche wie geistige Natur hat sich dies Wirkungsfeld geschaffen und erfüllt; an ihm und mit ihm ist sie gewachsen, und was sie für die Kultur, für die Sicherung des Erreichten, für die stetige Steigerung der Natur im Men­schen bedeutet hat, bedeutet und bedeuten wird, fliesst aus diesem Urboden ihrer Betätigung. Was sie ausserdem leistet, reiht sie nur in das grosse Heer der Nichts – als – Arbeiter ein, nicht mehr noch minder tauglich als ein Durchschnittsmann, mit dem die Kultur eben auch nicht zählt. Im Grunde steht das weibliche Geschlecht weit günstiger da: denn gerade mit ihrem Durchschnitt rechnet die Kultur, während der Mann nur als Ausnahme, nur wenn er über dem Durchschnitt steht, Wert für sie hat. Der Mann kann als Ausnahme steigen, das Weib sinkt an Kulturwert, wenn sie zu den Ausnahmen gehört, und da die Ausnahmen, wie das Wort es schon sagt, an Zahl zurückstehen, bedeutet das weibliche Geschlecht an barer Kulturkraft mehr als das männliche Geschlecht, der einzelne Mann kann aller­dings an solcher Kulturkraft dem einzelnen Weibe weit über­le­gen sein. Ihre Rolle ist eben notwendig eine verschiedne und daher ihr dynamisch-kulturelles Gewicht nicht gleich: das Weib stellt die Stetigkeit und Vergangenheit dar, der Mann die Zukunft und den Fortschritt.

Wirtschaftliche Notlage und grundlose Engherzigkeit des Mannes mögen den Hochdampf der heutigen Frauenbewegung erzeugt haben: soweit sie Naturmacht ist, wird sie sich durch­set­zen. Es gibt aber auch zerstörende und hemmende Natur­mäch­te, und vieles geschieht, was nicht Kulturwert ist, wenn auch Kulturerzeugnis. Aus Mannes- und Weibeshand ist das Werk der Menschheit hervorgegangen; wie weit darum die Frauenbewegung Segen bringen wird, hängt davon ab, ob, wie und in welcher Stärke eine Männerbewegung einsetzt, nicht feindlich und verneinend, sondern tätig, schaffend, über­tref­fend. Vielleicht könnte allein eine solche grosszügige Gegen­be­we­gung des männlichen Zusammenschlusses die hohe Kraft des heutigen Weibtumes vor der Vergeudung bewahren, wenn es durch weitherzigen und weitblickenden Widerstand gezwungen würde, von zahlreichen Aussenseiterinnen und Plänklerinnen abgesehen, wieder zurück zum Hause zu lenken, dieser Kultur­stät­te eine Wiedergeburt, eine Neubelebung, eine Vertiefung zu bringen, deren sie wohl bedarf.

Allerdings sind die Aussichten dafür wenig günstige, und manches Anzeichen spricht dafür, das wir im Gegenteil einer weiteren Zersplitterung und Entwertung des Heimes ent­ge­gen­ge­hen, dass mit dem abbröckelnden Herrenrechte und wieder erwachenden Mutterrechte doch nicht eine neue Kräftigung der mutterrechtlichen Schöpfung des Heimes eintreten wird, son­dern die Rückbildung will, weitergreifend, auch diese Keim­zel­le des Gemeinlebens zerfasern und auflösen.

Das Weib hat das Heim geschaffen, an ihr liegt es, ihr eignes Werk lebenskräftig zu erhalten oder zu vernichten.

 

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