Memorie di Giuseppe Mondada
Von besonderem Interesse ist die Memoirensammlung von Giuseppe Mondada über die Gemeinde Minusio. Der Autor war persönlich bekannt mit Elisàr von Kupffer und dessen Lebenspartner Eduard von Mayer – die beiden übertrugen ihm die Aufgabe als ihr Willensvollstrecker.
Giuseppe Mondada (1907–1898) war zunächst Lehrer an Grundschulen, später Schulinspektor im Mendrisiotto und Autor zahlreicher Monographien über Gemeinden im Raum Locarno.
In einem Kapitel der Memoiren, das Minusio als Wohnort gewidmet ist, heisst es: «Der Charme der Landschaft, das gute Klima und die Ruhe der Umgebung hatten den finanziell wohlhabenden Ausländern oder diejenigen, die sich in einer Einsiedelei und an einem ruhigen Ort wiederfinden wollten, sehr angezogen. Sie konnten hier ihre Aktivitäten kultureller, politischer und ideologischer Art ungestört ausüben ...»
Nachdem er über die Persönlichkeiten berichtet, die ab 1830 Minusio als ihren Wohnsitz wählten, einschliesslich Bakunin, der in der Villa Baronata lebte, lesen wir auf den Seiten 402–409:
Elisarion
So heisst heute das «Kulturzentrum» der Gemeinde Minusio in der Via Rinaldo Simen, nur einen Steinwurf vom Bach Remardone entfernt. Hier lebten und arbeiteten Elisàr von Kupffer und Eduard von Mayer. Die beiden waren Fremdlinge in der Gesellschaft des Locarnese, sie waren in der Tat marginalisiert und selbst in den lokalen soziokulturellen Kreisen oft missverstanden. Nach Minusio kamen sie 1922 von Muralto, die Schweizer Staatsbürgerschaft konnten sie dort erwerben, worauf sie stolz waren.
Elisàr von Kupffer wurde am 20. Februar 1872 in Sophienthal (Estland) geboren. Die Angehörigen seiner Familie waren adelig und kultiviert: Sein Vater war Arzt, andere Mitglieder seiner Familie Physiker, Armeegeneräle usw. Die Mutter stammte aus Stockholm. Nach dem Besuch der deutschen Schulen in estnischen Reval (heute Tallinn) und des deutschen Gymnasiums in St. Petersburg nahm er an Universitätskursen in Geschichte, Jura und orientalischen Sprachen in St. Petersburg teil. Schon früh begann er Gedichte, Theaterstücke und politische Aufsätze zu schreiben. Später studierte er in München, Leipzig und Berlin. In dieser Zeit veröffentlichte er seine literarischen Werke. Später widmete er sich seinen kulturellen Interessen in der Kunstgeschichte, in der Malerei und vor allem in religionsphilosophischen Ideologien, mit denen sich auch Eduard von Mayer in seinen Schriften auseinandersetzte. Dieser wurde am 5. Juni 1873 in Knolowo unweit von St. Petersburg geboren, ebenfalls aus aristokratischer und kultivierter Familie stammend. Die beiden, die in identischen Schulen aufgenommen wurden, lernten sich bald kennen und wurden unzertrennliche Freunde, die sie bis zu ihrem Tod blieben: Diese Verbindung war der Dreh- und Angelpunkt ihrer Existenz.
Um 1894 begannen sie, der Tradition des baltischen Adels folgend, ihre Reisen nach Deutschland und in die Schweiz; Anschliessend folgten mehr oder weniger lange Aufenthalte in Mittelmeerländern, darunter in den Städten Athen, Syrakus, Taormina, Capri, Neapel, Pompeji und anderswo, besonderes erwähnenswert Florenz von 1902 bis 1915, immer mit dem Ziel, ihr Wissen im direkten Kontakt mit den bedeutendsten geschichtlichen Zeugnissen der griechischen und lateinischen Zivilisationen zu vertiefen. In Deutschland erhielt Eduard von Mayer seine Laudatio für seine Arbeit über «Schopenhauers Ästhetik» (Halle, 1897).
Da sie nicht in ihre Heimat zurückkehren wollten oder konnten, auch weil ihre Werke mehr Aufsehen erregten als dass sie umfassende Bekanntheit erlangten, kehrten sie 1915 in die Schweiz zurück; sie liessen sich in einer kleinen Wohnung im Haus vor dem Park der Villa Liverpool in der Via San Gottardo in Muralto nieder. Von Mayer setzte seine Studien und Forschungen fort, während von Kupffer sich zunehmend aktiv der Malerei zuwandte, der er sich seit 1897 widmete. Er bevorzugte als Sujets den männlichen menschlichen Akt (Ephebe), Landschaften, die Welt der Blumen und insbesondere Schmetterlinge, die in ihrer Metamorphose seiner Meinung nach ein Symbol für das menschliche Leben seien, das nach dem Chaos der «dunklen Wirrwelt» dazu bestimmt ist, wieder «in der Welt des Lichts» zu leben. Schmetterlinge sind Symbole, die er beim Malen der grossen kreisförmigen Leinwand (Rundgemälde 25,3 m x 3,45 m mit 84 Figuren) der «Klarenwelt der Seligen» wieder aufgreifen wird, wo die nackten menschlichen Figuren in einem befreienden Himmel ungeschlechtlich wiederkehren.
Die beiden Philosophen erkannten die Pluralität der Welten an: Zunächst die irdische Realität, in der der Mensch seine erste vergängliche Existenz verbringt, die ausschliesslich durch die unveränderlichen Naturgesetze geregelt wird. Strafe, Chaos, Kriege und Konflikte zwischen den Geschlechtern – alles verkörpert im «Drachen der Finsternis» – sind seine negativen Aspekte. Nur die Schönheit in der Leichtigkeit der Landschaften, in der Vielfalt der Farben, in der Schönheit der Blumen und des menschlichen Körpers selbst kann denjenigen, die ihr Aufmerksamkeit schenken, Erleichterung und Gründe zur Gelassenheit schaffen.
Jenseits der irdischen Welt existiert eine zweite, das «Heiligtum des ewigen Frühlings», des Friedens und der Ruhe.
Der Tempel «Sanctuarium Artis Elisarion», erbaut und entworfen von ihnen, wurde am 1. August 1927 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. (Und es muss gesagt werden, dass die Gemeindeversammlung 1925 die Schenkung akzeptiert hatte.)1 Erhalten geblieben sind jedoch nur noch die Mauern – die Gebäudehülle. Diese umfasste das viereckige Wohnhaus, das für die Befriedigung der Bedürfnisse des irdischen Lebens unverzichtbar war. Darüber hinaus wurde der hintere Teil, Rotonda genannt (Gebäude mit zwölfeckigem Sockel), allerdings erst 1939 dank Bundes- und Kantonszuschüssen hinzugefügt, in dessen Obergeschoss das grosse Gemälde (1929 fertiggestellt) «Die Klarwelt der Seligen» angebracht wurde mit den Gruppen menschlicher Figuren im leuchtenden, befreienden arkadischen Himmelsraum. Zwischen dem Haus und dem Tempel gab es einen schmalen dunklen Korridor mit den Symbolen des Todes, verstanden als obligatorischer Schritt für jede Kreatur als Momente der Sühne und Reinigung, um dann vom Chaos zum ewigen Licht gelangen zu können.
Die beiden Schöpfer kümmerten sich auch darum, ihre religionsphilosophischen Vorstellungen durch eine Fülle verschiedener Veröffentlichungen bekannt zu machen, von denen eine Kopie in der Elisarion-Bibliothek aufbewahrt wird. Ich nenne einige Beispiele:
Eduard von Mayer: Die Lebensgesetze der Kultur (1904). Das Werk ist Elisarion gewidmet. Abgesehen von der biografischen Bedeutung ist das Buch zweifellos von grossem Interesse; Aus einem Leben, Gedichte (vermutlich um 1935).
Elisàr von Kupffer: An Eden's Pforten, aus Eden's Reich (1932), Gedichte; Elisarion, Aus einem wahren Leben (1943), die Autobiographie von Elisàr von Kupffer, auch sehr interessant als psychologisches Zeitbild.
Ihre eklektischen Ideen werden von manchen als aufklärerisch, romantisch, universalistisch, ästhetisierend oder chauvinistisch-machistisch angesehen. 2
Elisàr von Kupffer starb am 20. Oktober 1942 in Minusio; Eduard von Mayer am 26. Dezember 1960. Gemäss den Bestimmungen des Testaments (11.1.47 und Kodizillen 11.3.59) wurden die Gemeinde (nur das Grundstück) und der Kanton (Gebäude) als Erben bestimmt. Allerdings lehnte der Staat die Schenkung ab, auch weil die Klausel darin bestand, das Gebäude und alle Bildwerke in dem Zustand zu erhalten, in dem sie gefunden wurden. Er zog es vor, die hohe Erbschaftssteuer zu erhalten. Die Testamentsvollstrecker, Prof. A. Ugo Tarabori, Dr. Walter Rüsch und der Schreibende sahen sich mit ernsthaften Schwierigkeiten konfrontiert, da ihnen die nötigen Mittel für den Unterhalt und die zu diesem Zeitpunkt bereits dringenden Instandhaltungsarbeiten fehlten. Der Gemeinderat von Minusio hat dann 1968 nach Verhandlungen mit den Testamentsvollstreckern das Gebäude und den Garten als Schenkung angenommen (Dokument: 20. Februar 1970), jedoch mit der Last, zumindest die «Rotunde» und den notwendigen Zugang in ihrer Gesamtheit zu erhalten. Diese Klausel wurde jedoch nicht eingehalten. Lediglich in den Räumen im Erdgeschoss wurden anstelle einer grösseren Sammlung einige Zeugnisse des Philosophen und des Malers ausgestellt.
Ein Teil des Materials wurde 1971 als Leihgabe für eine Ausstellung ausgelehnt (und nicht übertragen, wie einige es veröffentlicht haben,) an die Organisation «Deutsch-Baltisches Kulturwerk, Lüneburg» (Deutschland). Wir hoffen, dass die Rückgabe zeitnah beantragt wird. Anderes Material wird vorübergehend im Gemeindehaus und in komunalen Lagerhäusern aufbewahrt und wartet auf eine bessere Ordnung. Das grosse Gemälde «Die Klarwelt der Seligen» wurde im Zuge des Umbaus des Gebäudes (1976–1981) vor seiner Beseitigung von Harald Szeemann gerettet und anschliessend durch seine Leute restauriert. Und nun seit 1987 ist es dekorativ ausgestellt im Anatta-Haus auf dem Monte Verità (Ascona) zusammen mit dem Modell des Tempels. Das Rundbild bleibt jedoch immer Eigentum der Gemeinde Minusio.
Die Eröffnung des «Kulturzentrums Minusio» fand am 18. April 1981 statt. Heute finden hier zahlreiche kulturelle Veranstaltungen unterschiedlicher Art und von gutem Niveau statt.
Stefan George
Am Ende seiner Elisarion gewidmeten Memoiren konzentriert sich Mondada auf die «Mulino dell’Orso» (Bärenmühle) und ihre berühmten Gäste, ohne auf andere allgemeine Beobachtungen zu verzichten:
Am Rande des Baches Rabissale stand einst die im lokalen Dialekt so genannte Mühle. Man gelangte dorthin, indem man dem Weg – komplett mit einer langen Pergola – folgte, der flussaufwärts von der Via Solaria abzweigte. Durch das in den 1920er Jahren an der Via Bacilieri erbaute Loghicciolo (Häuschen, Laube), das fast an die Südfassade des Gebäudes grenzt, verlor die Mulino dell’Orso einen Teil seines Waldcharmes. (Etwas weiter oben im Tal heisst es Val di Orócch, das Tal der Eulen). Ende des letzten Jahrhunderts verstummten die Mühlsteine, wurden entfernt und dort zwischen den Büschen zurückgelassen. Das von Einwanderern mit Sehnsucht nach Einsamkeit und Sonne gekaufte Gebäude wurde mit vielen Fenstern und einigen kleinen Balkonen zu einer komfortablen Residenz umgebaut. Verschiedene Gäste kamen hierher, darunter Musiker und Maler. Zumindest sollten wir uns an von Zweigberg erinnern, der in den Jahren 1927–28 Hermann Scherchen, einen weiteren bedeutenden deutschen Musikwissenschaftler, zu Gast hatte. Prominentester Gast war jedoch der deutsche Dichter Stefan George. Von 1931 bis 1933 verbrachte er dort einige Monate. Am 28. November 1933 erkrankte er und wurde sofort in die nahegelegene Klinik Sant'Agnese (Muralto) transportiert, wo er am 4. Dezember im Beisein des Arztes Walter Kempner von der Universität Berlin, seiner Freunde und Verwandten, Clotilde Schlayer und Victor Franck, starb. Die Bildhauer Max Uehlinger und Wilhelm Schwerzmann, beauftragten den lokalen Bildhauer Remo Rossi, die Physiognomie des Verstorbenen mit Gipstechnik festzuhalten. Der Sarg wurde zwei Tage später auf dem Friedhof in Minusio beigesetzt, in der von ihm bereits bestimmten Ecke, die der Sonne am meisten ausgesetzt war und in der Nähe der Schul- und Kindergartenhöfe lag, in denen die Kinder in den Pausen spielten. Das Grab wurde kürzlich auf den neuen Friedhof verlegt: Auf dem grossen dunklen Granitstein, eingerahmt mit sorgfältig gestutzten Lorbeerbäumen, ist allein der Name des Dichters eingraviert. Das Grab wird oft von seinen Landsleuten besucht.
Der Dichter hatte keinen Kontakt zu unserem Volk, ausser zu den wenigen erwähnten Personen und wenn bürokratische Angelegenheiten zu erledigen waren. Man begegnete ihn manchmal auf auf der Strasse; Nachdenklich und einsam genoss er die Wärme der Sonne, so sehr, dass er die kurzen schattigen Abschnitte vermied und Schatten umrandete. In Mulino dell'Orso empfing er gewöhnlich junge Menschen, die – so sagte er – Hilfe bei der Anfertigung ihrer Abschlussarbeiten brauchten.
Es scheint mir, dass an dieser Stelle eine sehr flüchtige biografische und bibliografische Erwähnung als gerechtfertigt angesehen werden könnte.
Stefan George wurde am 12. Juli 1868 in Büdesheim im Rheinland geboren. Fünf Jahre später zog die Familie nach Bingen, einer Zitadelle mit langer Geschichte und regem Verkehr, die dort liegt, wo der Rhein, der den grossen Bogen, der in Mainz beginnt, endet, seinen nördlichen Weg zwischen Hügeln wieder aufnimmt, die für feurige Weine und heroische Legenden berühmt sind. Stefan George begann schon sehr früh, Gedichte zu schreiben. Ein sehr bedeutsames Detail: Mit vierzehn Jahren schrieb er mit grosser Sorgfalt die schönsten Sonette von Francesco Petrarca in ein Notizbuch! Das Studium einiger europäischer Sprachen und die Kenntnis der grössten literarischen Werke fesselten ihn jedoch bald.
Im Laufe seines Lebens bereiste er verschiedene Orte im Mittelmeerraum sowie in Mittel- und Nordeuropa, blieb dort, erforschte, studierte und drückte in poetischer Form aus, was ihn aufwühlte. Einige seiner Werke erlangten grossen Ruhm. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Übersetzungen seiner Werke in verschiedene Sprachen. Die heutige Literaturkritik ist zumindest im Hinblick auf sein philosophisches Denken nicht frei von negativen Urteilen.
Diese Präsenz und verschiedene andere während längerer Hotelaufenthalte trugen dazu bei, dass Minusio zu verschiedenen Zeiten wie ein Anhängsel des kosmopolitischen Dorfes Ascona wirkte. Der bekannte Lyrik- und Prosaautor Hermann Hesse, Nobelpreisträger von 1946, verliess Bern 1919 und blieb für kurze Zeit in Minusio, bevor er sich in Montagnola niederliess: Darüber wurde in den lokalen Zeitungen berichtet. Aber – es ist traurig festzustellen – es gab nur wenige Ansätze in unserem Umfeld für eine kulturelle Auseinandersetzung.
1)Gemäss verschieden Zeitungsberichten fand 1925 eine Gemeindeversammlung in Minusio statt, an der die Errichtung eines Museum bewilligt wurde, wie auch die Schenkung nach dem Tod der beiden Besitzer angenommen wurde. retour
2)Harald Szeemann, Capanna e tempio: verso l’autocoscienza, Monte Verità, Seiten 95–96.
Siehe auch M.G. Parnisari, L’elisio dell'Elisarion, in «Etudes de lettres», Universite de Lausanne, 1984, Seiten 87-98.
Ebenfalls bemerkenswert: Ekkehard Hieronimus, Elisàr von Kupffer, Kunsthalle Basel/Muttenz 1979, Seite 20 (Elisarion-Bibliothek).
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