Siena und der junge Meister
Siena war seinerzeit ein angesehener Staat, dessen städtische Selbstherrlichkeit erst 1555 der kaiserlich-spanischen Macht erlag und dann bald an seine Nachbarin Florenz fiel. Die Kunst war dort schon früh zu eigner Blüte gelangt, die freilich noch steif und befangen blieb, aber doch keineswegs hinter der gleichzeitigen Kunst von Florenz zurückstand. Ja, die Werke von Duccio di Buoninsegna (um 1300), besonders das grosse Gemälde in der Opera del Duomo in Siena, verraten mehr dramatisches und individuelles Leben, als die seines florentiner Zeitgenossen Giotto. Treffliche Meister waren Lippo Memmi und Simone Martini. Bald aber erstarrte die sienesische Kunst. Siena hat schon klimatisch eine eigne Natur,1 etwas in sich Geschlossnes, Abgesondertes; es thront 400 m hoch auf einem Felsrücken. Und diese Natur verrät sich natürlich auch in seiner Geschichte der Menschen und der Kultur. Noch heute ist Siena ein fesselndes, in sich beruhendes Denkmal, ja es hat noch sein malerisches mittelalterliches Fest «il Palio» mit dem Zauber seiner Trachten und dem lebhaften Wettstreit seiner Stadtviertel bewahrt – auch die Anmut seiner Rasse, die den Meister Sodoma gewiss nicht wenig gefesselt hat.2 Aber wie gesagt: die Kunst war erstarrt, und die Aufgabe unseres jungen Malers sollte es sein, sie in diesem liebenswürdigen Volk zu neuerer, reiferer Blüte zu erwecken.
Heute ist Siena ein stilles Städtchen von 30 000 Einwohnern, das ausser seinen Kunstschätzen, alten Palästen und dem lieblichen Blick auf die blauenden Bergketten und gelbbraunen näheren Hügel sich noch den lebenden Reiz «einer schönen Jugend bewahrt hat; aber mit dem Siena jener Tage und seinen fast 100 000 Einwohnern, was damals eine Grossstadt bedeutete, kann es ja nimmer verglichen werden. Es sass noch ein reicher Adel in den Palästen, zeitweilig samt der Stadt unter der Botmässigkeit des übrigens trefflichen Machthabers Pandolfo Petrucci; und wir wissen, das der junge Giovan3 Antonio, den die Edlen Spannochi berufen hatten, mit den Patriziern in angenehme Beziehungen trat.
Leider ist von den Porträts, die er in jener Zeit gemacht hat, so gut wie nichts erhalten. Ein Inventar aus seinem Todesjahr 1549 berichtet uns von 6 Porträts, darunter das des Tyrannen Pandolfo selbst und zweier Edeldamen, einer Saracini und einer Toscani. Erst dem Scharfsinn des verdienstvollen Forschers Senatore Giovanni Morelli, der unter dem Namen Lermolieff in deutscher Sprache geschrieben hat, ist es gelungen ein Damenporträt in dem Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt, das bisher Sebastiano del Piombo zugeschrieben war, dem Sodoma zuzuweisen. Eine vornehme Dame, ganz individueller Natur, in voller Lebensblüte von etwa 30 Jahren sitzt vor einem Ausblick in eine Landschaft. Ihre Augen sind dunkel, anmutiger sinnlicher Ernst umschwebt ihren Mund, so echt im Geiste dieses Künstlers; auch die langen und doch weichen Finger. Prächtige Ketten und Ohrgehänge zieren sie. Die Landschaft ist ganz Sodoma: die hellen Berge in der Ferne und die zierliche phantastisch reale Stadt, wie auf zahllosen seiner Bilder.
Dass Sodoma eine grosse Fähigkeit besass, das Persönliche im Menschen zu gestalten, zeigen seine grossen Bilder, die soviel individuelle Köpfe aufweisen. Gerade dieser Künstler beweist, wie trefflich sich Schönheit und Charakteristik vereinigen lassen, was die nicht glauben wollen, denen die Fähigkeit dazu mangelt, oder die Harmonie solchen Empfindens. Auch die Jugend hat individuelles Gepräge, freilich bedarf es dazu einer feineren Kunst; doch ist es auch persönliche Anlage.4 Noch einige Zeichnungen sind ein spärlicher Rest von Sodomas Porträts:5 so der bärtige Kopf eines Kriegers in den Uffizien. Und vor allem der schöne farbige Kopf des klugen schelmisch lächelnden Jünglings mit dem Lorbeerkranz (ebenda). Es ist, als ob die Geheimnisse Leonardo’s und die überlegne Schalkhaftigkeit Sodomas sich in diesen Zügen vermählt hatten; daher gehört er sehr wahrscheinlich dieser Jugendperiode an.
Dass Sodoma seine Laufbahn in Siena um 1501 begann, beweist diese Zahl auf einem Rahmen, den Meister Barili zu den Bildern geschnitzt hat, die Sodoma für Enea Savini della Costarella malte. Landi hat sie noch gesehen und beschreibt besonders das eine mit Begeisterung – eine heilige Familie, deren Madonna «überaus erhaben in Geist und Zügen», ein «über die Massen feines und zartes» Christkindchen im Schosse hatte, während sie ihren rechten Arm um den «anmutigen» Johannesknaben legte. Und dabei der Hl. Joseph. Auch das zweite verlorene Bild war eine «heilige Familie», um eine Hl. Katharina mit einer Lilie vermehrt. Dionisott sagt, diese Bilder seien im vorigen Jahrhundert von der Witwe des letzten Savini für 120 Scudi ins Ausland verkauft worden. Der Adel verarmte und die Kunst wanderte aus! In jene Zeit mag auch das säuberlich ausgearbeitete Rundbild in der Galerie zu Siena gehören, ehemals in der Einsiedelei von Lecceto: «Die Krippe» oder «die Verehrung des Kindchens», das am Boden liegt, während die zarte Maria vor ihm kniet, hinter ihr Joseph, und auf des Kindes andrer Seite ein Engel mit dem kleinen Johannes, der jubelnd ein Kreuzchen hochhebt. Zwischen ihnen blicken Ochs und Esel so altklug von der Krippe her. Im Hintergrunde, wo zartblaue Hügel die Gegend begrenzen, begrüsst Joseph die Hl. drei Könige. Eine ähnliche Darstellung, doch ohne Krippe und die Szene im Hintergrunde und wie mir deucht, weniger in der Eigenart des Künstlers ist heute Besitz der Galleria Borgogna in Vercelli.6 Ein hübsches Bild, das sich in Berlin befindet, möchte ich hier einreihen. «La carità», die Mildherzigkeit, nennt es sich, ich würde es die Weiblichkeit nennen; dass Sodoma das so zu gestalten verstand, beweist, dass auch diese Empfindung in seiner Seele heimisch war. Ein anmutiges Weib in der reifen Blüte der Jahre, dessen zartkräftiger Oberleib sich aus dem Mantel befreit hat, steht in offner Landschaft, ein Kindchen auf dem Arm, während zwei am Boden sich an ihren Mantel klammern. Das sinnige verhaltene Lächeln spricht schon für Sodoma,7 auch die Behandlung der Haare und des Leibes. Der Künstler tastet hier den Weg eigenen Empfindens.
Und da stehen wir vor einem Werke, das gewiss in seine reifende Zeit gehört und viel Bewunderer gefunden hat, so die Italiener Landi, Della Valle, Milanesi, Frizzoni, ja schon sogar Vasari, der ihm doch kein gutes Härchen lassen mochte, und die Franzosen Blanc, Eugen Müntz, sowie die Deutschen Burckhardt und zahllose andre. Und doch war dies Urteil nicht ganz richtig und gerecht. Man bewunderte die «Composition» dieser Kreuzabnahme und ging dabei von dem alten einseitigen architektonischen Standpunkte aus, der in diesem Bilde zu seinem Recht kommt, ohne für die seelische und malerische Komposition8 Sinn zu haben, die seine andern Bilder auszeichnet. Wie die meisten trotz Vasari erkannten, gehört es in seine frühe Zeit. Doch finde ich nicht so sehr lombardische, als umbrische Einflüsse, vielleicht durch Vermittlung von Zeichnungen des Perugino, von denen Pinturichio einige nach Siena mitgebracht hatte. Wer das Sodoma’sche Bild mit der «Kreuzabnahme» von Perugino und Filippino Lippi in Florenz9 vergleicht, muss diese Verwandtschaft erkennen. Beide Mal ein dreieckiger Aufbau mit angelehnten Leitern und Männern zu beiden Seiten, die den Heiland herunternehmen; auf beiden hat der Mann rechts das lange barbarische Beinkleid; an beiden Kreuzen flattern die umbrischen Bänder. Und der echt peruginisch verkürzte Kopf des Johannes kehrt sonst bei Sodoma nie wieder. Seine eigne Natur verrät sich hier am meisten in der Frauengruppe links, wo die Mutter wie ohnmächtig zusammengebrochen ist, während die Frau mit dem mitleidig schönen Haupt sich sorgend über sie beugt. Hier wirkte die zarte weibliche Seele des Künstlers, wie die kraftvoll energische in den beiden Kriegern rechts, in der abgekehrten Gestalt, die so sinnlich fest wie in den Boden gewurzelt dasteht. Das Bild ist sehr reich an Farben und wirkt doch wenig feurig, auch ist es trotz alledem keine Farbensymphonie.
Darunter verstehe ich einen erwogenen Zusammenklang; hier ist aber eher eine Farbenharmonie, das heisst der Übergang der nebeneinander liegenden Farben wirkt harmonisch, ohne als Gesamtwirkung empfunden und gedacht zu sein. Zum Beispiel in der Frauengruppe wird der blaue Mantel der Madonna mit dem leuchtend grünen der über sie gebeugten Frau durch deren gelblich-weisses Kleid vermittelt, und der grüne stösst wieder an den dumpf-roten der Stehenden hinter ihr. Und wie bunt, doch abgetönt sind die Kostüme der Kriegsknechte! Wenn aber Frizzoni10 sagt, diese «Tiefe des Ausdrucks» fände sich schwerlich in solchem Masse in einer anderen seiner Arbeiten wieder, so kränkt er ihn mit diesem Lobe. Was hier in der Frauengruppe geleistet ist, übertraf Sodoma noch ursprünglicher und schöner in zwei späteren Werken. Aber es ist ein Grund, warum dies Werk so besondre Gnade vor den Augen der Kunstkenner findet: es atmet den Geist umbrischer Weise und Raffaelischer Konstruktion; und es ist einmal ein Dogma der Kunstkenner: Rafael ist gross und man kann höchstens sein Prophet sein. Gewiss, er ist gross, aber – es gibt noch andre Götter neben ihm.
Der Maler der Schönheit
Giovan Antonio – il Sodoma
Inhaltsverzeichnis
IVRom und das Hohelied der Liebe
VIIDer Prophet der Schönheit und des Glaubens
IXDer Altmeister Giovan Antonio
XDer Ritter Sodoma und seine Retter
Verzeichnis der Bilder des Sodoma
Giovan Antonio – il Sodoma PDF
Pedro de Campaña, eigentlich Pieter der Kempeneer wird heute dieses Gemälde zugeschrieben. Früher schrieb man es Sebastiano del Piombo, einem Zeitgenossen von Giovan Antonio Bazzi zu. Als man erkannte, das Bild kann nicht von Piombo sein, hat Giovanni Morelli vermutet, es sei von Givoan Antonio Bazzi. Doch ausser der Landschaft weisst nichts auf diesen hin. Diese falschen Zuschreibungen zeigen, wie schwierig es war, vor der allgemeinen Verbreitung der Farbfotografie das Werk eines Künstlers, das über die Welt verteilt ist, richtig zu beurteilen.
Der Vergleich dieser beiden Bilder (in der Vergrösserung mit einem Klick auf das Bild) zeigen das ausserordentliche Können von Giovan Antonio Bazzi. Die Mimik und Gesten seiner Figuren wirken absolut lebensecht. Die Figuren von Filippino Lippi und Pietro Perugino hingegen erinnern eher an ungelenkige, steife Schaufensterpuppen.