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Monte Oliveto Maggiore

Bald durfte Giovan Antonio seinen phantasiereichen le­ben­di­gen Geist in grossen Wandgemälden als liebenswürdiger Schöp­fer betätigen. 1503 wurde er von Don Andrea Coscia, dem Kellermeister des Klosters Sant’Anna di Cara­pre­na1 berufen, für 20 Golddukaten das Refektorium al fresco auszumalen. Das Hauptbild, gegenüber dem Eingang, ist noch heute das schön­ste, doch auch durch Feuchtigkeit und andre Unbill verdorben. Nach seiner Aufhebung diente dieses Kloster als Kelterei! Welch kunstverständiges Volk diese Kloster­stür­mer waren! Dieses Bild schildert nun die wunderbare Speisung. Hinten in weiter Landschaft schlängelt sich ein Fluss; bei ei­nem antiken Triumphbogen entkleiden sich junge Männer, um ins Bad zu steigen; im Mittelgrunde wandert ein Greis, sein Mäntelchen bläht sich im frischen Winde. Vorne links macht der Heiland Halt; vor der dicht gedrängten Schar der Apostel steht seine Persönlichkeit. Hier setzt der Vorwurf gegen die «Gedrängt­heit» seiner Komposition ein, aber man beachte doch die see­li­sche Komposition darin. Anmutig schaut Christus zu dem Knäb­lein hinab, das so voll strotzender Lebenskraft, halbnackt im windgeblähten Röckchen, mit den wenigen Bro­ten dasteht, von einem Hündchen gefolgt, das auch noch paar Brosamen möchte. «Was soll ich damit?», fragt das Bübchen lächelnd. Freundlich hebt der Heiland den Finger, als lächelte er selbst über diese Brötchen, die so viele speisen werden. «Und du sollst Wunder sehn!» Vertrauensvoll blickt Johannes zu seinem göttlichen Freunde hin. Petrus schaut so ungläubig verdrossen drein. Wie verschieden sind die Köpfe dieser Masse der Jünger, die so wenig ihrem Meister gewachsen sind und so realistisch als einfache Leute erfasst sind. Wäre ich nicht im Raum be­schränkt, so wollte ich noch näher auf diese Cha­rak­te­re ein­ge­hen. Man beachte auch die elegante Stellung des fast launig heiteren Heilandes, der eben Halt macht – wie der Mantel die Linien des Beines hebt, wie die Falten ihm folgen.

Die übrigen Bilder sind sehr entstellt und auch in der Aus­führung weniger anzuerkennen: das gesättigte Volk, eine Pietà, Tolomei der Gründer der Olivetaner-Einsiedelei von Mönchen umgeben, die Heilige Anna, die Madonna und Kind, end­lich der Erlöser.

Nun folgt erst die glänzende Schöpfung von Monte Oliveto Maggiore (1505–06). Der Ordensgeneral Fra Domenico berief den jungen Künstler dazu, an den Wänden des Kreuzganges, wo Luca Signorelli schon 9 Bilder gemalt hatte, die Geschichte des Heiligen Benedikt zu verherrlichen. Und wie gelang ihm das?

In einer eignen Schrift «Olympia und Golgatha»2 babe ich dargetan, wie diese scheinbar entgegengesetzten Welten sich zu einer harmonischen Welt entwickeln können, und inwiefern sie gemeinsame Wurzeln haben. In diesem Maler der Wie­der­ge­burt erkannte ich nachträglich eine ähnliche unmittelbare Empfindung dieser Wahrheit. Seine Werke sind von so tiefem religiösen Gefühl inspiriert und dabei von einer unbefangenen Schönheit und Natürlichkeit, wie man sie antik zu nennen pflegt. Die Renaissance war eben nicht bloss eine Wiedergeburt der Kunst, sondern auch der Religion. Man bat bisher das Ge­gen­teil behauptet, doch hoffe ich meinen Ausspruch in einem ausführlichen Werke zu erhärten. Selbst ein Hugo van der Goes (um 1450) offenbart in einem Bilde3 diese Verbindung antiker Ursprünglichkeit und christlicher Weise! Erst die Ge­gen­re­for­ma­tion unterbrach diese Entwicklung; es war noch zu früh. Die Masse (die hohe wie die niedere) war noch nicht reif für die lautere Empfindung der Künstler, daher wurde alles ins falsch Übermenschliche, Gewissenlose verzerrt, ins sogenannt Re­nais­san­ce­hafte, was aber eine Ausartung war. Dann kam wieder die unkeusche Scham auf, die einzelne Teile des Leibes mit den Lappen eines «beschmutzenden» Gewissens zudeckte; das rei­ne Erotische wurde ins plump Sexuelle verwandelt. Heute fin­den sich wieder Ansätze einer neuen Wiedergeburt des ur­sprüng­lichen Empfindens.4 Der Fortschritt auf diesem er­neu­ten Wege der Wiedergeburt ist der einzige Gedanke, der uns im Kampfe um die Güter dieser Erde Mut und Ausdauer ver­lei­hen mag.

Als Giovan Antonio seine Laufbahn begann, war jene Wie­der­geburt im Begriff ihren Höhepunkt zu erreichen. Klein­li­che Seelen, wie Vasari, waren auch damals die Hemmnisse des Fort­schrittes, den die Grossen in ihren Werken offenbarten und den zu offenbaren ihnen auch die kirchlichen Anstalten ermöglichten. In Monte Oliveto durfte Giovan Antonio 32 Bil­der malen, davon 25 im Kreuzgange, für 4 von diesen erhielt er je 10 Golddukaten, für die anderen je 7. Dieses alte Kloster, um 1320 gegründet, hat eine wunderbar romantische Lage auf ei­nem Hügel, von einem Hain stolzer dunkler Zypressen um­ge­ben, mit dem Blick auf nahe goldige Felsen, zum Teil von Oli­ven­waldung bestanden, und fernerhin auf die hier unendlich zart­blauen Berge, die wie ein Hauch am Horizonte ver­schwin­den. Und diese Landschaft begegnet uns oft auf den Fresken des Malers.

Die erste grosse Freske schildert den Abschied Benedikts von den Eltern. Es ist ein zarter, bunter Frühling, vorwiegend in rosa und hellgrünen Tonen gehalten – wie eine Rosenknospe im Grün. In der Tat: wie der anmutig schöne, blondgelockte Jüngling, fast möchte man Knabe sagen, auf seinem Ross in die Welt hinaus sprengen will, indes er sich noch einmal um­wen­det, um Abschied zu nehmen – das ist lenzende Stimmung. Über den zartblauen Rock flattert ein Mantel von bronzener Lebensglut. Es ist der Knabe, der zum Jüngling erglüht. Vorne, zurückbleibend, steht eine Frau in Schwarz – die Mutter. Das ist seelische Farbenkomposition, die Komposition eines Ma­lers, nicht eines Architekten. Man lerne doch endlich wür­di­gen, dass eine Komposition von fünferlei Standpunkten er­wo­gen werden kann: architektonisch, zeichnerisch, luministisch, ma­le­risch und seelisch.

Das zweite Bild, Benedikt auf der Hohen Schule, ist nicht so bedeutend, es ist sehr bunt, fast wie die Schule des Lebens, auch hier wirkt rosarot als Farbe vor.

Das dritte, die Macht des Gebetes, ist von entzückender Schönheit der Gestalten. Allenfalls könnte man einwenden, das Bild zerfiele in zwei Hälften; das war aber in jener Zeit ziem­lich üblich.5 Links liegt der junge Benedikt auf den Knieen und heilt durch sein Gebet ein zerbrochenes Geschirr. Rechts steht vor grünem Rasen, mit dem Blick durch einen Säulenbau des Mittelgrundes auf die fernen blauen Berge und den Fluss – Giovan Antonio selbst, als eleganter Kavalier, neben ihm ein anmutiger Jüngling und ein liebreizender Knabe, von andern Männern gefolgt. Dies ist das einzige verbürgte Porträt des Malers, und freilich gibt es seinen Charakter ganz wieder. Den brokatnen Mantel mit weissem Futter, den bläulichen Sam­met­rock, das purpurrote Trikot, die Kappe, das stolze Schwert mit dem goldigen Griff – all das hatte er, laut dem Klosterarchiv, von einem mailändischen Edelmann erstanden, der Mönch geworden war. Er kleidete sich gerne mit Eleganz. Den Vorwurf der Eitelkeit hört man da leicht; aber eine gewisse Eitelkeit ist Bescheidenheit. Der Arrogante glaubt auch ohne alles Zutun den Leuten angenehm zu sein.

Aus klugen grüngrauen schelmischen Augen blickt uns der Künstler an, während ein überlegen schalkhaftes Lächeln um seine vollen Lippen zuckt. Die Nase ist energisch, auch die Ge­sichtsform; reiches dunkelbraunes Haar flutet um sein Gesicht auf die Schultern herab. Der Schöpfer der Werke leibt und lebt, ein Mensch, der Schönheit, zarte und sinnlich schöpferische Erfindung mit selbstbewusster Energie verbindet – ein ernst­haf­ter Schalk, der seiner inneren Welt sich bewusst ist und die Menschen nicht fürchtet, aber doch eine empfindsame Seele hat. Bezeichnend für sein Wesen sind auch die Tiere, die er mit abgebildet hat, besonders sein sprechender Rabe. Auf diese «Schrulle» des «närrischen Kauzes», wie ihn die Mönche nann­ten, wird noch zurückzukommen sein. Sicherlich ist sein so­ge­nann­tes Porträt in den Uffizien nicht er; abgesehen davon, dass Augen, Haare und Ausdruck andre sind, erinnert nicht einmal die Malerei an ihn:6 das Fleisch ist zu ledern, die Landschaft nicht von seiner Art. Und sich selbst hätte er entschieden bes­ser gemalt.

Sehr bezeichnend sind die beiden liebreizenden Figuren rechts vom Künstler auf jener Klosterfreske. Ein italienischer Gelehrter, Basilio Magni,7 hatte die naive Unwissenheit, deren Absicht etwas durchsichtig ist, die beiden für Frau und Tochter des Sodoma auszugeben. Nun ist das Bild 1505 gemalt, aber erst 1510 hat er geheiratet; und die Tochter ist erst 1526 im ent­sprechenden Alter gewesen! Dieser hübsche Jüngling mit den rosigen Wangen und dem kupferblonden Haar, dessen nackte gebräunte Knie und Waden aus dem veilchenfarbenen Rocke hervorschauen, kehrt hier auf verschiedenen Bildern wieder. Er ist ganz individuell und individuell ist auch der Kna­be: goldblond in dunkelrosenrotem Mantel. Dass diese Ge­stal­ten heute, willkürlich oder unwillkürlich, als weiblich an­ge­sprochen werden,8 beruht eben darin, dass man ihren Lieb­reiz empfindet und diesen sich gedrungen fühlt «weiblich» zu nennen. Das Ewig-anmutige – das Eden-Ideal des Glaubens an Engel und Huris, auf Erden eine seltene Blüte –

 

wo der Geschlechter Widerstreit in einer Form gebunden

 

ist das Begehrens- und Erstrebenswerte – das Harmonische. Das ist ein weites Feld, dessen Bebauung ein eignes Werk verlangt. Freilich ist zum Verständnis Giovan Antonios fast unbedingt notwendig, was ich, als erster, «araphroditisch»9 genannt habe – die harmonische Durchdringung des Kraft­vol­len mit dem Anmutigen. Diese Empfindung entwickelt sich bei Sodoma noch mehr und gelangt später zu seinem höchsten Ausdruck.

Er ist nicht ausschliesslich das, was man beute eine homo­sex­uel­le Natur nennt oder richtiger konträr-heterosexuell nen­nen sollte. Er ist nicht ein scheinbarer Mann, der nur weiblich empfindet und nur vom Starken angezogen wird. Nein, er ver­einigt beide Welten in seiner Natur. Und darum drängt es ihn solche Harmonie zu gestalten. Es ist ihm später glänzend ge­lun­gen das schöne Weib zu verherrlichen; aber dieses weib­li­che Element – wo es nicht seelisch erschüttert wie in der Heiligen Katharina dargestellt ist – ist kein extrem passives, kein sen­ti­men­tales Gretchen und auch keine lüsterne Schöne, son­dern mehr ursprünglich gleich der hellenischen Aphrodite,10 der germanischen Freva oder Kriemhilde eine in sich beruhende Schönheit, die von einer gewissen ruhigen Kraft erfüllt ist, wie seine Eva. Und dasselbe gilt von seinen Jünglingsgestalten, da wo er sein ganzes Empfinden hineingelegt hat. Sodoma ist, was man homoi-erotisch11 und bi-erotisch nennen könnte, also ähn­li­ches-liebend und zwiefältig liebend. Seine Sehnsucht er­streb­te nicht den Gegensatz, sondern mehr das ihm Verwandte; und sein Empfinden ist kraftvoll und zart zugleich. Unter bi­se­xu­ell versteht man ja bis beute die Hinneigung zu Weib und Jüngling, (oder zum weiblich aussehenden Mann) was doch dem Wesen nach eigentlich dasselbe ist, nämlich zum An­mu­ti­gen (Frauenminne und Lieblingminne); und da ist es ein Wi­der­sinn, bei ausschliesslich werbender Anlage von einer dop­pel­ten, bisexuellen, zu sprechen. Männer, die nur begehrend empfinden, sei es zum Weibe oder zur männlichen Jugend, sind also insofern keineswegs bisexuell zu nennen, sondern bloss heterosexuell, weil sie das andere Element verlangen; allenfalls sind sie bi-heterosexuell zu nennen. Deswegen nenne ich konträr-heterosexuell solche, die scheinbar ihr eigenes Geschlecht «ersehnen», in Wirklichkeit aber doch das andre, werbende, zugreifende Element – wie die Urninge, die nur das Kraftvolle und Aktive als Ergänzung suchen. Bisexuell wären also nur solche Menschen, in denen sowohl das werbende, ak­tive, liebende Verlangen mächtig wirkt, wie auch das hin­ge­ben­de, sorgende und liebende Sehnen, das wir besonders im Weibe finden. Das Wort homosexuell (gleiches liebend) beruht über­haupt zum grossen Teil auf polizeilichem Irrtum und ober­fläch­li­cher Klassifizierung. Daher so viel Missverständnisse und Streit über dieses Wort. In jedem Liebesaugenblick leben und weben, recht begriffen, stets beide Elemente, das Suchen und Geben. Überhaupt ist das Wort sexuell viel zu plump he­bammenhaft für die reiche Welt des erotischen Empfindens – der tiefen und reichen Welt der Liebe. Das «Sexuelle» (vom lateinischen Worte Sexus = Geschlecht) bedeutet allzu aus­schliess­lich das Äusserliche, die physiologischen Organe und Funktionen; dagegen das «Erotische» (vom griechischen Worte εϱως = Eros = die Liebe) umfasst demgemäss mehr: auch das ganze Innerliche, Gemütvolle und Geistige samt dem Leib­li­chen. Um denselben Wert und Sinn zu haben, müsste der lateinische Ausdruck von «amor» abgeleitet sein. Das Wort «erotisch» ist um so viel reicher und höher als «sexuell», um wieviel die griechischen Tragödien über den latinischen Zir­kus­spielen, die olympischen Feste über den Gla­dia­to­ren­hetzen stehen.

Das Wort «sexuell» (homo-, homoio-, hetero- und bi- oder bi-heterosexuell) mag ja wohl da am Platze sein, wo nur me­di­zi­nisch-physiologisch oder juridisch-kasuistisch von sexuellen Vorgängen, im engsten Sinne, die Rede ist; sonst muss es durch­aus abgelehnt werden, als eine einseitige, unbillige und insofern herabsetzende Bezeichnung. Um das Physiologische und Sexuelle hat sich keiner ausser den Beteiligten zu küm­mern, dagegen ist das Erotische eine soziale und – wohl­ver­stan­den – fördernde Macht, von der es wohl berechtigt ist, öf­fentlich zu reden. So ist es plump, die Ehe immer nur da­durch entschuldigend zu kennzeichnen, dass in ihr Kinder er­zeugt werden, als ob sie nicht an sich als menschliches Ver­hält­nis auch kinderlos, gleichwie freundschaftliches Zusammen­le­ben, einen hoher menschlichen Gemeinschaftswert hätte, der über den sozialen Herden- und Zeugungstrieb der Tiere hinausgeht.

Als der verdienstvolle Vorkämpfer und Arzt, Dr. Magnus Hirschfeld (nach dem Vorgänger Professor von Krafft-Ebing) dieser Forschung seine Tätigkeit zuwandte, da war die An­wen­dung des Wortes «homo-sexuell» am Platze und aus dem Wesen des Kampfes gegen dogmatisch-asketische Anschauung und polizeiliche Eingriffe berechtigt, um so mehr als es sich zuerst wesentlich nur um medizinische oder forensische Be­ur­tei­lung von solchen handelte, die an «sich selbst» oder ihrer Umwelt litten. Dagegen ist heute für das Publikum, und gar bei Beurteilung von kulturhistorischen Grössen, dieses Wort über­flüssig, ja irreleitend.

Giovan Antonio war eben bi-erotisch; darunter möchte ich die Vereinigung der Grundempfindungen beider Geschlechter, der Begehrenden und der Hingebenden, in einer Person ver­standen wissen. Auch Signorelli hat, wie erwähnt, in diesem Klos­terhof gemalt; aber obschon er ähnliche Neigungen hatte, weicht er von Giovan Antonio insofern ab, als er eine un­ge­bän­dig­te Kraft war, dieser aber stetig mehr ausgeglichen. Giovan Antonio ist apollinisch, Signorelli mehr are-isch,12 Correggio wäre mehr dionysisch zu nennen.

Von ergreifender Anmut ist das vierte Bild, die Weihe, das leider teilweise verdorben ist. In freier stiller Natur kniet der zarte Jüngling Benedikt vor dem greisen Mönch Romanus. Welch fein empfundener Gegensatz zwischen dem würdevollen, weissbärtigen Manne, der die weisse Kutte segnend und wei­hend über den ergriffenen Knaben breitet, der sich wie eine erblühende Knospe in den Mantelschatten des Greises kauert. Eine christliche Darstellung ersten Ranges! Und dabei möchte ein Wissender an die Gestalt des greisen Dichters Pindar den­ken, der in hohem Alter einen geliebten Jüngling in die Weis­heit seines Herzens einweihte; wie er ja, der Geschichte nach, das Haupt auf den Knien dieses Knaben in eine andre Welt hinüberschlummerte.

Bild 5 und 6 schildern den Anfang der kirchlichen Lauf­bahn. Bild 7 zeigt ihn mit den Hirten der Umgegend, die ihm Früchte bringen und die er unterweist. Dieses Gemälde ist weich und idyllisch in der Auffassung und zugleich sehr rea­lis­tisch in der Darstellung der Bauern. Schon ist wieder der Jüng­ling rechts, derselbe Typus wie auf Bild 3, ein Charakter, der vertraut und dem man vertrauen kann. Es ist ein Wesen, wie es sich in lebendem Typus13 noch in der Gegend wie­der­fin­det und dem die Worte zu gelten scheinen:

 

Mein Lieb, du hast die Natur der Tauben …

 

Diese Gestalt, mit verschränkten Beinen und auf den Stab gestützt, gemahnt an eine griechische Vasenfigur, auch in dem Terrakottaton des Fleisches.

Ich übergehe die Bilder mönchischen Lebens, die alle, mit seelischer Berechtigung, weniger reich an Farbtönen sind, doch wiederum reich an anmutigen fast kindlichen Köpfen, so: der Heilige Maurus, der den Placidus rettet, indem er auf Bene­dikts Geheiss auf dem Wasser wandelt; so der hübsche junge Hirte, der kniend von dem gealterten Heiligen eine Korbflasche Wein empfängt, aus der später, als er sie für sich versteckt hat­te, zur Strafe eine Schlange kriecht. An der Ecke des Kreuz­gan­ges stossen wir dann auf zwei vorzügliche Gemälde.

Der falsche Priester Fiorenzo hat eine Schar leichtlebiger junger Weiber ins Kloster geschickt, um Ärgernis und Ver­such­ung zu erregen. Es ist eine Farbenkomposition: auf der linken Seite steht die weiss gekleidete Schar der Mönche, eine ge­dräng­te Herde; rechts die verlockende bunte Welt der jungen Weiber. Wie bläuliches durchsichtiges Wasser rinnt der einen lebenslustigen Schönen das Gewand herab; eine andre schillert in gelb und grüner Seide. Verführerisch ist diese bunte Schar und doch wie sittsam in ihrer Verlockung, nichts Gemeines liegt in diesen Gestalten. Es ist mehr ein ideeller Gegensatz zweier Welten, es ist eine Antithese klösterlichen Bundes und weltlicher Lust, doch nicht ganz unbefangen in der Wirkung, weil der Künstler für keine der beiden Massen Partei ergreifen konnte. Für seine Psyche ist das Bild sehr lehrreich. Auf an­de­ren Bildern predigt Giovan Antonio die Lebensfreude mit harm­loser Ursprünglichkeit und auch schmerzlicher Ergrif­fen­heit.

Nebenan ist das sinnig-bunte Bild, wo Benedikt die beiden römischen Knaben Maurus und Placidus in seine Schar auf­nimmt. Mit väterlicher Liebe empfängt sie der greise Heilige, kindlich hingegeben knieen beide an ihn geschmiegt. Die olym­pi­sche Welt vermählt sich mit der christlichen. Die hüb­schen Pagen zu beiden Seiten sind wie ihre lebendigen farbigen Wap­pen­halter. Links der reizende Knabe mit dem Falken auf der Hand in rot, schwarz und Silbergold gekleidet. Rechts der andre, die fliessende Linie des Rückens zugewandt, auf sich selbst ruhend, das Profil mit den weizenblonden langen Sei­den­haaren ruhig, selbstbewusst. Noch mehr nach rechts im Bilde Rosse, die gezügelt werden, und Männer, die miteinander beschäftigt sind. Schon hier sei es bemerkt: das ist eine Ei­gen­art von Sodomas Komposition, dass er uns nicht ar­chi­tek­to­ni­sche Berechnung, sondern wirkliches Leben vorführt. Fast immer sind die Gestalten miteinander geistig verknüpft, wäh­rend sie bei vielen andern Meistern, ja selbst bei Raffael, uns so oft als sehr schöne Statisten anschauen.

Die Kraft des jungen Künstlers kommt aufs Lebendigste in dem Bilde zum Ausdruck, das die von Benedikt vorausgesagte Zerstörung von Monte Cassino durch die Goten schildert. Das Ross im Vordergrunde und besonders die Gestalt des her­ri­schen Ritters in der stahlharten Rüstung – diese Szene, wo er eben im Begriff ist aufs Ross zu steigen, während ihm ein kraft­voller Landsknecht knieend eine Botschaft überreicht, sie ist von brennender Realität, wie sie in dieser Art in der Kunst allzu selten ist. Auch der schmucke Landsknecht daneben im Profil ist packend. Das hat Giovan Antonio gemalt, der Freund der Pferde und des mutwilligen Wettlaufes, der Sieger der Ros­se im Palio-Rennen.

Drastische Kraft verrat auch das letzte Bild, wo der angst­volle Bauer in der Gewalt der Kriegsknechte ist, deren einer auf ihn zuschlägt. Gleich wird der Heilige ihn befreien, durch eine blosse Gebärde. Auch hier ist die Anmut vertreten, ein hüb­scher Page, der an einem weissen Rosse lehnt. In einem andern Bilde, wo Benedikt zwei Nonnen vom Bannspruch löst, kommt schon die spätere Farbensymphonie von Gold, Weiss, Schwarz und Rot zum Ausdruck. Der eine der schönen Frauenköpfe erinnert besonders an Leonardo’sche Zeichnung.

Das ist das grosse Jugendwerk von Monte Oliveto, das ihm ewigen Ruhm sichern wird – solange eben diese irdischen Wer­ke dauern, die leider schon zum Teil sehr zerstört sind und in der Photographie erst recht nicht den Eindruck des Originals wiedergeben. Es wäre gewiss ein wahres Verdienst, wollte ein Mäzen ein paar dieser Werke für ein deutsches Museum ko­pie­ren lassen.14

Von hier kehrte Giovan Antonio nach Siena zurück und 150715 malte er bereits in San Gimignano in der Capella del Carcere, und zwar auf Aufforderung des Podestà Machiavelli. Das Bild stellt den Heilgen Ivo dar, von Bittstellern umlagert und Recht sprechend; zwei nackte Putten halten vorn das Wap­pen der Machiavelli. Rechts im Bilde ist die hübsche Gestalt eines Jünglings, die an Luini erinnert, der auch Norditaliener war und vielleicht sein Mitschüler bei Leonardo. Auch hier zeigt er sich als leichter und gefälliger Erfinder, doch hier leider auch flüchtig in der Ausführung und das Werk verträgt keinen Vergleich mit Monte Oliveto Maggiore.

Rom und das hohe Lied der Liebe

Der Maler der Schönheit
Giovan Antonio – il Sodoma

Die Speisung der Fünftausend
Refektorium des Klosters Sant'Anna in Camprena

Das ehemalige Kloster Sant’Anna in Camprena ist heute ein Landwirtschafsbetrieb mit Gasthaus des Agritourismus. 

Sodoma, Selbstporträt (links)
Sodoma, Selbstporträt (Detail)