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Herkunft und Lehrzeit

Es gibt Sterne, die uns so fern sind, dass ihr Licht Jahr­hun­der­te, ja Jahrtausende braucht, bis es von wahrgenommen wird. Das Dasein vieler Sterne erkennen wir nicht und doch leben und wirken und leuchten sie. Auch gibt es Monate, wo düstere Wolken Himmel und Sonne verschleiern; und bricht das Licht hervor, so sticht und blendet es oft gar peinlich das un­ge­wohn­te Auge.

Solche Sterne gibt es auch in der Kulturgeschichte der Men­schheit; langsam erkennen die Menschen ihr Licht, wenn Sternendeuter kommen. Wohl werden diese oft zuerst wie wahn­witzige Astrologen verspottet oder wie Ärzte vom un­wis­sen­den Volk misshandelt, das da glaubt, diese streuten das Gift einer Epidemie in die Brunnen. So wurde in Russland ein Arzt als Dämon der Cholera erschlagen. Und düstere Wolken sind oft in des Menschen Kultur über die Erde gezogen, grosse fins­tere Winterwolken.

Die Kunst bedeutet uns mehr als Kunstgeschichte. Wie sehr sie ein Heiland der Men­schheit ist, habe ich ausführlicher in einer kleinen Schrift «Heiland Kunst»1 erörtert –, die hohe und die niedre Kunst, beide religiösen, ob auch nicht dog­ma­ti­schen Ursprunges. Nicht als ob die Formen der Kunst die ho­hen religiösen Werte einfach ersetzen sollen, nein, wohl aber ei­nan­der durchdringen, weil sie wesensverwandt sind.

Ein solcher ferner Stern am Himmel der erfreuenden Kunst war die künstlerische Persönlichkeit, von der diese Schrift handelt. Zwei Gründe sind es vor allem, die ihn in deut­schen Landen noch nicht zu der Wirkung und Bewunderung kommen liessen, wie einen Raffael, dem er selbst nach dem Urteil widerwilliger Anerkennung an Bedeutung nahesteht – ich sage: gleichsteht. Zwei Gründe, und zwar: dass seine Werke ausserhalb Italiens so gut wie gar nicht anzutreffen sind, schon deshalb, weil er vorwiegend al fresco gemalt hat, und weil sie selbst in Italien fast gar nicht an der grossen Heerstrasse lie­gen (mit Ausnahme eines schönen Werkes in Florenz) oder gar, wie in Rom, in der Farnesina des Herzogs von Ripaldi, vor aller Welt hermetisch verschlossen sind. Aber der zweite Grund war bisher ebenso schwerwiegend. Man schämte sich, diesen Künst­ler zu nennen, weil er unter einem hässlichen Spott­na­men berühmt wurde, dessen letzte Ursache bisher aller Welt ein verhasstes Geheimnis blieb. «Il Sodoma» nannte man ihn, und er selbst, in stolzer Bewusstheit seines ursprünglichen Empfindens und voll souveräner Verachtung gegen eine be­schränk­te Welt- und Naturerkenntnis, führte diesen Namen selbst, wie zum Trotze.

Was hat man nicht alles gedeutelt und gedreht, um eine sogenannte Ehrenrettung dieses Genius zu versuchen, dessen tiefen Wert man nicht so ohne weiteres verkennen konnte! Die lächerlichsten Hypothesen wurden aufgestellt, sogar in Italien, das alles weiss und duldet – sofern nur der Schein gewahrt bleibt. Traurig lächerlich berührt es, denkende Männer um ei­ne Tatsache herumlügen zu hören. Ehrliche deutsche For­schung hat ein verdunkeltes Gebiet der Natur und men­schli­chen Seele erschlossen, und seitdem ist auch die «soziale Not­wen­digkeit» jenes beschränkten Getues hinfällig geworden. Italien, das vieler moderner Forschung schon aus dem Grunde ferner steht, weil es die deutsche Sprache und alles deutsche Denken als barbarisch ablehnt, ist heute fast mittelalterlicher in seinem Urteil als vor dreihundert Jahren, wenn auch das Volk viel liebenswürdige Seiten und gesunden ursprünglichen Sinn hat.

Hat unser Meister den Namen Sodoma mit Recht ge­tra­gen? Nein, dem gehässigen Sinn dieses Wortes nach nicht. Diese Bezeichnung käme nur einem Menschen zu, der mit bru­ta­ler Rücksichtslosigkeit vergewaltigend vorgeht. Und hier muss ich zur Erklärung auf ein Kapitel des Alten Testamentes eingehen, das zur Erzählung von der Stadt Sodom einen wich­ti­gen Aufschluss gibt, und das bisher, meines Wissens, noch gar nicht erkannt und erwogen worden ist. Es ist das 19. Ka­pi­tel des Buches der Richter, das wohl auf ältesten historischen (nicht mehr mythischen) Berichten der israelitischen Ge­schich­te beruht. Zum Parallelismus seien einige Verse aus der alten Erzählung angeführt.

Also: ein junger levitischer Mann kehrt auf der Heimreise mit seinem Kebsweibe (Konkubine) und einem Bedienten im benjaminischen Städtchen Gibea ein, und zwar im Privathause eines alten Mannes, der sie beherbergt. Dann heisst es dort weiter:

Geschichte von Gibea,
Richter 19

22 Und da ihr Herz nun guter Dinge war, siehe, da kamen die Leute der Stadt, schlechte Gesellen, und umgaben das Haus und pochten an die Tür und sprachen zu dem alten Manne, dem Hauswirt: Brin­ge den Mann heraus, der in dein Haus gekommen ist, dass wir ihn erkennen. 23 Aber der Mann, der Hauswirt ging zu ihnen heraus und sprach zu ihnen: Nicht, meine Brüder, tut nicht so übel; die­weil dieser Mann in mein Haus gekommen ist, tut nicht eine solche Torheit.2 24 Sie­he, ich habe eine Tochter, welche noch eine Jungfrau ist, und dieser ein Kebsweib; die will ich euch heraus brin­gen, die mögt ihr ver­ge­wal­ti­gen und mit ihnen tun, was euch gefällt; aber an diesem Manne begeht solche Schänd­lich­keit nicht 25 Aber die Leute gaben ihm kein Gehör; deshalb nahm der Mann sein Kebsweib und führte sie in die Strasse hinaus, und sie erkannten sie und miss­brauch­ten sie die ganze Nacht bis an den Morgen.4

Erzählung von Sodom,
Genesis 19

4 Aber ehe sie sich legten, ka­men die Leute der Stadt So­dom, und umgaben das Haus. Jung und Alt, aus allen En­den; 5 Und forderten Lot und sprachen zu ihm: Wo sind die Männer, die zu dir gekommen sind diese Nacht? Führe sie heraus zu uns, dass wir sie erkennen. 6 Lot ging hinaus zu ihnen vor die Tür und schloss die Tür hinter sich zu. 7 Und sprach: Ach, ihr lieben Brüder,3 tut nicht so übel. 8 Siehe, ich habe zwei Töchter, die haben noch keinen Mann erkannt; die will ich euch he­raus­bringen und tut mit ih­nen, was euch gefällt; allein dann tut diesen Männern nichts, weil sie in den Schat­ten meines Hauses ge­kom­men sind.

Hier spinnt die Sage an.

Die Folge war, dass das Weib in Gibea starb. Der Mann zer­stück­elte sein Weib in 12 Teile und sandte sie an die 12 Stäm­me, um zur Rache aufzurufen. Der Stamm Benjamin folgte nicht. Darauf kam es zu einem gewaltigen Vernichtungsstreit, dem viele Tausende zum Opfer fielen.

Diese offenbar historische Erzählung ist, ohne den mythi­schen Engelbericht und die sagenhaften weiteren Be­ge­ben­heiten von Sodom und Gomorrha, im wesentlichen desselben Inhaltes und darum äusserst belehrend. Es handelt sich hier in Gibea nur um israelitische Parteien auf beiden Seiten. Hier, wie in der Erzählung von Sodom, sehen wir, wie der Hausher mit derselben unritterlichen und feigen Rohheit die Weiber der Vergewaltigung auszuliefern bereit ist, um vor allem die Ver­let­zung des heiligen Gastrechts, als den grössten Frevel, zu ver­hüten. Nur darauf bezieht sich auch Christi Ausspruch, wenn er sagt, es werde den Städten, die seine Jünger nicht aufnehmen, schlimmer ergehen, als Sodom und Gomorrha. (Matthäus 10:14–15). Also: wären jene jungen Männer nicht zu Gästen dieser Leute geworden, so hatten beide Hausherrn kein Wort verloren. Später entwickelte sich eine besondere Feindseligkeit gegen homoiosexuelle5 Vorgänge, und damit auch eine ganz besondere Betonung dieses Elementes in der Beurteilung der Erzählung. Aber jedenfalls hat diese (homoierotische) Liebe an und für sich als Natur- und Lebenserscheinung, wie jeder weiss, der das Leben und die Mitmenschen mit offenen Augen zu beobachten verstanden hat – mit der obigen brutalen Ge­schichte von Gibea-Sodom nichts zu tun. Und natürlich eben­so­wenig unser Meister Giovan Antonio. Insofern ist auch der Beiname «Sodoma» bei ihm durchaus am unrechten Platze. Irgendwelche sexuelle Vergewaltigung oder Verletzung des Heimrechtes (wie letztere etwa in modernen Rechtsstaaten be­gangen wird) die mit jenem Namen gebrandmarkt werden, hat die feine Seele dieses Künstlers nicht vermocht. Und darum handelt es sich ja auch nicht bei den Anschuldigungen, sondern um die schlichte Tatsache eingeborener Empfindung.

Da in deutscher Sprache fast gar nicht auf Leben und Wir­ken dieses Künstlers naher eingegangen wurde, fühle ich mich gezwungen, auch Bausteine dieser Lebensgeschichte heran­zu­tra­gen, die ich sonst gern einem grösseren Publikum erspart hätte. Nicht bloss sein Charakterbild schwankte lange, auch einfache Daten seines Lebens, wie sein eigentlicher Name, wa­ren bis vor etwa 50 Jahren in Dunkel gehüllt. Er hatte das Un­glück, zu seiner Zeit einen Biographen zu finden, der alles tat, um sein Leben durch gehässige Lügen zu entstellen und ihm alle Teilnahme abwendig zu machen. Dies war Giorgio Va­sa­ri, der «Vater» der nachchristlichen Kunstgeschichte.

Durch die Forschungen, besonders des Barnabiter-Mön­ches Luigi Bruzza, und die Entdeckung verschiedner Urkunden im historischen Archiv von Vercelli in Piemont ist jetzt fest­ge­stellt, wo Sodoma herstammt und wann er geboren ist. Pater Ugurgieri, ein Sienese, hat ihn für Siena in Anspruch ge­nom­men – trotz des Beinamens! Gaetano Milanesi bewies, dass sein Fa­mi­lien­name Bazzi und nicht Razzi war und dass er nicht aus dem sienesischen Vergelli sondern dem piemontesischen Vercelli (im Dialekt Versé oder Verzé) stammte. In einer Ur­kun­de, datiert 1510, wo die Mitgift seiner Frau Beatrice mit 450 Fio­ri­ni (etwa 1800 Franken6) festgesetzt wird, ist er als Jo­han­nes Antonius de Bazis, pictore de Verzé angegeben; in einer andern von 1534 ist er als Cavaliere Giov. Anton di Giacomo de Bazzi erwähnt. Die Möglichkeit, dass er aus dem adligen Hause der Tizzoni von Vercelli stammte, wie nach einer Eintragung im «Libro della Compagnia die San Bernardo» schien, ist dahin berichtigt worden, dass er als Knabe einen Gönner aus jener Familie hatte, der offenbar an dem hübschen, intelligenten Jungen Gefallen fand.

Sein Vater Jacob Bazzi, ein Schuhmacher aus Biandrate, wurde 1475 in Vercelli ansässig; seine Mutter Angelina war aus Bergamo gebürtig, einem Gebiet, das üppige Typen hat und auch den bekannten Maler Palma Vecchio hervorbrachte. Dieser Jakob Bazzi hatte noch einen zweiten Sohn Nicola, der sein Gewerbe erlernte, und eine Tochter Amedea. Auch das Geburtsjahr unseres Meisters war lange strittig. Nun ist in des Vaters Testament Giovan Antonio zuerst genannt, also wohl der Ältere: ferner beweist eine Urkunde von 1502, dass er damals noch, nach des Vaters Tode, unter Vormundschaft der Mutter stand; nach dem Dokument von 1503 ist bloss noch der Bruder Nicola minderjährig. Die Minderjährigkeit dauerte aber in Vercelli, auch laut dem Testamente, bis zum 25. Jahre. Folg­lich ist unser Künstler 1477 geboren.

Da der junge Maler später mit so trefflichen Fähigkeiten hervortritt, wäre es gewiss unterrichtend, seine Lehrmeister zu kennen, aber wir erfahren nur wenig; erst der reife Jüngling erschliesst sich unserer Kenntnis. Eine Urkunde vom 28. No­vem­ber 1490 berichtet von einem Vertrage, den der Vater mit dem 34-jährigen Maler Martino Spanzotti schloss, und zwar in Anwesenheit und auf einer Besitzung jenes edlen Herrn Fran­ces­co de Tizzoni, der eben vermutlich an dem Knaben Anteil nahm – wenigstens bedenkt das Testament des Vaters beide Söhne gleich, ohne einer grösseren Ausgabe für den stu­die­ren­den Sohn zu erwähnen. Spanzotti hatte sich in Vercelli nie­der­ge­las­sen und muss dort angesehen gewesen sein. Heute werden ihm unter anderen einige Bilder zugeschrieben, die früher als Arbeiten des Gaudenzio Ferrari galten,7 was jedenfalls für sein Können zeugt. Er hatte dem Knaben binnen sieben Jahren alles beizubringen, was er selbst verstand, auch Malerei auf Glas. Hier hatte Sodoma sein feuriges Kolorit her, das er, wie Vasari sagt, aus der Lombardei mitgebracht – denn die Schule der Oldoni in Vercelli leitet sich von der lombardischen her. Mit zwanzig Jahren war die Lehrzeit vollendet, da starb der Vater und der Jüngling ging wohl nach Mailand, um sein Glück zu versuchen und andere Meister zu studieren. 1501 war er ur­kund­lich nicht mehr mehr in Vercelli und ist offenbar nicht mehr in seine Vaterstadt zurückgekehrt. Mutter und Bruder mögen gestorben sein, auch hatte ihn dieser nicht verstanden; er verschwendete sein Geld, sass 1503 in Schuldhaft und die Mutter wollte, nach einer Urkunde, das Erbteil des abwesenden Sohnes ihm zuwenden. Alles wenig erfreuliche Zustände.

Von Sodoma’s Arbeiten aus dieser Zeit wissen wir nichts. Ob sich der ehrgeizige schö­ne Jüngling jemals mit dem schö­nen majestätischen Zauberer Leonardo da Vinci in Mailand getroffen hat und von ihm in die Geheimnisse der Kunst, des Lebens und der Liebe tiefer eingeweiht wurde? Das bleibt lei­der nur eine fesselnde Vermutung. Erst 1501 tritt sein Schaf­fen aus dem Dunkel. Ende 1500 scheinen ihn die Söhne Ambrogio Spannocchis, des Schatzmeisters Papst Pius II., von Mailand nach Siena mitgeführt zu haben, wo dem Jugendlichen ein reiches Feld des Schaffens erblühte. Aber auch für Siena be­ginnt eine neue Zeit durch ihn, eine Neubelebung der Kunst.

Siena und der junge Meister

Matthäus 10:14 Wenn man euch nicht aufnimmt und eure Worte nicht hören will, dann geht fort aus jenem Haus oder jener Stadt und schüttelt den Staub von euren Füssen. 15 Amen, ich sage euch: Dem Land Sodom und Gomorra wird es am Tag des Gerichts besser ergehen als jener Stadt.

Der Maler der Schönheit
Giovan Antonio – il Sodoma

Abbazia di Monte Oliveto Maggiore, Asciano senesi
Sant’Anna in Camprena, Pienza
Villa Farnesina, Rom

Die meisten Werke des Künstlers Giovan Antonio Bazzi sind Fresken. Die grössten Werkgruppen befinden sich im Kloster Monte Oliveto Maggiore, im ehemaligen Kloster Sant’Anna in Camprena und in der Villa Farnesina, die seit den 50er Jahren als Museum genutzt wird.

Le vite de più eccellenti pittori, scultori e architettori von Giorgio Vasari

Giorgio Vasari war ein italienischer Architekt, Hof­maler der Medici und Biograph italienischer Künstler. Er gilt als Vater der Kunstgeschichte. Seine Porträts von den bedeutesten Künstlern der Renaissance sind noch heute die Grundlage für das Kunstverständnis breiter Kreise. Er prägte unter anderem den Begriff der Gotik und des Manierismus.

Seine Beschreibung der Mona Lisa von Leonardo da Vinci machte dieses Gemälde zum berühmtesten Gemälde der Welt.

Der exzentrische Giovan Antonio Bazzi hingegen, einer der «più eccellente» (äusserst ausgezeichneter) Maler, über ihn hat er sehr abschätzig berichtet. Erstens war da der Übername «Il Sodoma». Vasari berichtet, er sei immer mit Buben und jungen bartlosen Männern um­ge­ben ge­wesen. Giovan Antonio Bazzi hielt unzählige Tiere, unter anderem auch ein sprechender Rabe, welcher Wort­fetzen von Giovan Antonio absolut identisch nachsagte. Vasari berichtet: «Ebenso waren die anderen Tiere so häuslich, dass sie im Haus immer umeinander waren und die seltsamsten Spiele und die verrücktesten Verse der Welt machten, so dass das Haus dieses Mannes wie Noahs Arche aussah.» Zweitens störte sich Vasari an der freien Pinselführung des Meisters. Drittens störte er sich daran, dass der Meister «ungebildet» war (non istudiò mai). Im Italienischen bedeutet ungebildet aber eher «ohne Ma­nie­ren» als «ohne Wissen und Ausbildung».

Was man aber nach über 500 Jahren aus der Lebens­ge­schich­te des «Sodoma» aus unterschiedlichen Quellen herauslesen kann, ist Folgendes:

Er ging in die Lehre beim Maler Martino Spanzotti, welcher die Kirche der Benediktiner-Abtei von Ivrea mit der Lebensgeschichte Jesu ausmalte. Er kam im Alter von 22 Jahren nach Siena. Damals eine reiche und mächtige Grossstadt. Er wurde als Maler von Porträts der wohl­ha­ben­den Sieneser schnell bekannt. Mit 26 Jahren bekam er den Auftrag für die Ausmalung des Refektoriums des Klosters Sant’Anna di Campre­na, wohl weil die Benediktiner den Freskenzyklus seines Lehrmeisters Martino Spanzotti in Ivrea kannten und schätzten. Zur gleichen Zeit beauftragte das mächtige und reiche Kloster Monte Oliveto Maggiore den damals bekannten Maler Luca Signorelli mit der Ausschmückung ihres Kreuzganges mit der Lebensgeschichte des Heiligen Benedikt. Lucca Signorelli hatte aber auch viele andere Aufträge, stellte hohe Rechnungen und die Fresken wurden grösstenteils von Mitarbeitern ausgeführt. (Nach neuesten Forschungen tragen nur zwei Fresken seine eindeutige Handschrift.) Nach zwei Jahren quittierte er die Arbeit, nur 10 der 38 Fresken waren teilweise gemalt. Die Benediktiner mussten einen Nachfolger suchen. Sie fanden diesen im damals 28-jährigen Giovan Antonio Bazzi, der ja gute Arbeit im benachbarten Sant’Anna di Cam­pre­na geleistet hatte. Doch dieses Mal liessen sich die Benediktiner nicht über den Tisch ziehen, dem jungen Nachfolger gegenüber zeigte man sich sehr zurückhaltend im Finanziellen. Ein grosser Teil seiner Entschädigung waren wohl Naturalien: Kost und Logis im Kloster für ihn, seine Gehilfen und seine Tiere. Auch ein Hermelin-Mantel eines Ordensbruders war Teil der Entlöhnung.

Man muss sich nun vorstellen, wie das Leben des Künst­lers und seiner Gehilfen im Kloster aussah. Da sind einer­seits die adeligen Ordensbrüder der Benediktiner, mit einem strengen Tagesablauf der sich auf das Beten und das Studium der Heiligen Schrift konzentriert. Unterstützt werden sie von folg­sa­men Laienbrüdern, welche die Hausarbeit verrichten. Und hier der junge Künstler, der al fresco malt –, das ist Knochenarbeit für ein Team: Verputz auftragen, Umrisse der Figuren anbringen, Grundieren solange der Verputz noch feucht ist, ständig den Verputz nachfeuchten und schliesslich malt der Meister. Nach 10–12 Stunden intensiver, konzentrierter Arbeit, was machen dann junge Leute, wohl alle männlich, die in einem ab­ge­legenen Kloster leben? Sie sitzen zusammen, essen, trinken, machen Spass und Schabernak, lärmen bis in die tiefe Nacht hinein. Die Mönche nannten ihn «Mat­tac­cio» (Oberirrer) und kommentierten die nächtlichen Gelage wohl als Zustände wie in «Sodom und Gomorrha».

War der Meister bisher als «Domatore» (Dompteur), oder kurz «Doma» bekannt, wird so schnell «Sodoma» daraus. Oder es war eine Abwandlung des Ausdrucks «su’ nduma!» aus dem piemontesischen Dialekt, was bedeutet lass uns gehen, an die Arbeit, beeilen wir uns. Wenn der Rabe diese Auf­for­derung ständig nachkrähte, die Mönche ihn be­schimpf­ten mit dem Hinweis auf Sodom, da ist «Sodoma» schnell als Spitzname eingeführt. «Il Sodoma» – derjenige welcher es macht – manchmal hat er sogar damit unter­schrie­ben. Das zeugt von einem Menschen, der wusste was er kann und wer er ist.

Dass Buben und junge Männer vom Meister fasziniert waren, der Raben sprechen lehren konnte und eine ganze Menagerie unterhielt, steht ausser Zweifel. Und er freute sich wohl auch darüber, denn die Buben verrichteten die Stall- und Tierpflege sicherlich unentgeltlich. Dass der Meister pädophile Neigungen hatte, ist eher un­wahr­schein­lich, Pädophile sind in der Regel unsichere und eher introvertierte Menschen. War er schwul im heutigen Sinne? Auch das ist nicht erwiesen, er war verheiratet und hatte zwei Kinder. Doch der Übername «Il Sodoma» legte für die Nachwelt diese Assoziation nahe.

Giovan Antonio Bazzi ist einer der ganz grossen Maler der Hochrenaissance. Er steht aber im Schatten seiner Zeit­ge­nossen Leonardo, Michelangelo und Raffael. Seine Werke sind weniger perfekt, sie zeigen mehr die emotionale, psychologische Seite der Figuren und weisen den Weg zur späteren Entwicklung der Malerei.

Elisàr von Kupffer interpretiert das in seinem Sinne, sieht in Sodoma einen feinfühligen, sensorisch sensiblen Menschen. (Das muss man wohl sein als Dompteur.) Seine Mono­graphie über Sodoma ist äusserst lehrreich, inte­res­sant und unterhaltsam, sie ist aber auch ein aufschluss­rei­ches Spiegelbild seines Selbst. Seine Bewunderung für den Künstler Sodoma wird zu einem Plädoyer für den Men­schen­typus, den er Araphrodit nennt, ein Mensch mit «männlicher, starker Willenskraft» und einem «weiblich, feinfühligen Empfinden».

Das Leben Christi, Freskenzyklus in der Chiesa di San Bernardino, Ivrea, gemalt von Martino Spanzotti

Das Leben Christi in der Chiesa di San Bernardino in Ivrea ist das wichtigste Werk von Martino Spanzotti. Er malte den Zyklus zirka zwischen 1485–1490. Der Zyklus wurde meisterhaft kommentiert vom Schriftsteller und Kunst­kritiker Giovanni Testori. Martino Spanzotti war der Lehrmeister von Giovanni Antonio Bazzi (Sodoma) und Defendente Ferrari.

Der Freskenzyklus in der Chiesa di San Bernardino, der Kirche eines Benediktiner-Klosters, wurde vor der Lehrzeit von Giovan Antonio bei Spanzotti gemalt. Seine Lehrzeit bei diesem Meister, dürfte mit ein Grund ge­we­sen sein, dass er die Aufträge zur Ausmalung des Refek­to­ri­ums der Benediktiner-Abtei Sant’Anna di Caprena und des Kreuzgangs von Monte Oliveto Maggiore erhielt. Manche Szenen, wie sie in Ivrea dargestellt wurden, waren Inspiration und Vorblid für die Werke von Sodoma.

Die Besprechung des Freskenzyklus in Ivrea von Giovanni Testori (PDF, italienisch, reich bebildert).