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Der Kämpfer und die Masse

Wie sehr der Pinsel dieses Meisters in liebenswürdige Anmut getaucht war, beweist sein Sehaffen fast allenthalben. Die Galerie Borghese in Rom besitzt ein Bild seiner Hand, dessen Farben zwar gelitten haben, das aber in seinen Formen und Linien und vor allem in seinem Geiste holdselig heiter ist – die Rosenmadonna, wie ich sie nennen möchte. Das Bild ist von so ursprünglichem Reiz und scheut keineswegs den Vergleich mit der Madonna della Sedia von Raffael. Und dann ist es ein ein­heitliches, unbelauschtes Familienbild, das garnicht den Be­schau­er apostrophiert und darum eben um so herzlicher wirkt. So innig und selig in rosiger Stimmung blickt die Mutter auf den heiteren, lebendigen Knaben, der nach der Rose greift, die ihm der Vater entgegenhält. Und wie schon sind die Hände der Madonna, so zart und tastend!

Andre Werke mögen nur erwähnt sein: so eine Pietà in derselben Galerie, und die Leda, deren Autorschaft sehr frag­lich ist; ein Hl. Christophorus im Palazzo Spada in Rom und die sogenannten Geschichte der Rhea Silvia in Palazzo Chigi daselbst.

In diese Zeit etwa gehört aber auch ein Werk, in­fol­ge­des­sen er von Leo X. zum römischen Ritter ernannt wurde. Es war eine Darstellung der schönen entehrten Lucrezia, die sich den Tod gibt. Drei Bilder dieses Inhaltes gehen heute unter Sodo­mas Namen: eins in der Galerie zu Turin, ein zweites im Be­sitz des Konsuls Weber in Hamburg und ein drittes in Hannover, ehemals im Besitz des Gesandten von Kestner. Fein empfunden im Turiner Bild ist es, dass sie erst im Begriffe ist, sich zu er­stechen, dagegen ist der Mund der schreckerfüllten Eltern zu sehr geöffnet. Welches eigentlich das Bild des Papstes ist, lässt sich nicht ermitteln. Aus einem Briefe von 1516 an den Mark­gra­fen Francesco Gonzaga von Mantua erfahren wir, dass solch ein Bild, das für ihn bestimmt war, vom Bruder des Papstes Leo X. beansprucht worden war. Seitdem ist er der «Ritter So­do­ma», und der Titel stand ihm gut

1515 ging er nach Piombino an den Hof des Fürsten Jacopo V. Appiani, der ihm verschiedene kleine Tiere von seiner Insel Elba schenkte, die der Künstler mit sich nahm. Giovan Antonio war nicht bloss ein Freund der Pferde, sondern hatte eine Art kleiner Menagerie bei sich. Es mag ihm, vielleicht nicht ohne seine Absicht, zu statten gekommen sein, dass er als extra­va­gan­te, absonderliche Künstlernatur galt. Da erschien denn sei­ne abgesonderte Natur und auch sei­ne Liebe gleichsam be­män­telt vor den Philistern seiner Zeit – etwa wie man es heute einem Künstler nachsieht, wenn er nicht soldatisch-tartarisch geschoren geht und nicht alle Alfanzereien der Tagesmode mitmacht oder wenn er sich gar eigne Moden erlaubt, denn er ist nun mal ein «närrischer Kauz», ein «mattaccio», ein Hans Narr höherer Gattung.

Eben jener Fürst Jacopo V. gab ihm, dem «Jean Antonio de Averzé»,1 eine Empfehlung an Lorenzo de’ Medici, den Gebieter von Florenz, wo der Maler und Ritter seine Rosse bei dem Wettrennen laufen lassen wollte. Vasari schimpft wieder über diese «eitle Ruhmsucht» des Künstlers; Vasari be­schäf­tig­te sich statt dessen wohl lieber – mit eitler Anschwärzung, wenigstens wo er hasste; sonst soll ihm sein biographisches Verdienst nicht geschmälert werden. Jener olympische, echt hellenische und auch germanisch-aristokratische Ehrgeiz Gio­van Antonios war jedenfalls vornehmer Natur.

«Il Palio» – das Siegesbanner – nennen sich noch heute in Siena diese Wettrennen, die alljährlich (nur noch in Siena) am 2. Juli und 14. August in den schmucken bunten Kostümen jener Zeit und unter leidenschaftlicher Anteilnahme der Be­völ­ke­rung gefeiert werden. Noch vor drei Jahren wurden sie vom König bestätigt. Jener Florentiner Palio von 1515 ist für die Modernen ein wunder Punkt in der Geschichte dieses Künstlers geworden. Ein Berber-Ross Giovan Antonios siegte und als die Reitburschen ihn fragten, welchen Namen des Siegers sie aus­rufen sollten, entgegnete er: «Sodoma!» Die Frage seiner Reit­burschen beweist eben, dass sie nicht sicher waren, ob sie den Sieger unter seinem Familiennamen Bazzi oder Rufnamen Giovan Antonio oder dem in Siena geübten Spitznamen So­do­ma ausrufen sollten, denn das ist doch wohl sonnenklar, dass der Junge, der sein siegreiches Ross geritten hatte, wusste, wie sein Herr hiess. Vielleicht befürchtete der Bursche schon, dass es einen Tumult geben könnte. Überdies ist doch sehr er­klär­lich, dass man in Florenz, der ewig feindseligen Nebenbuhlerin von Siena, sich nicht freute, wenn ein «Sienese», als der So­do­ma doch zählte, in Florenz über Florentiner siegte! So brach denn auch der Unwille los. Wie Vasari gerne erzählt, hätten sich die «anständigen» (per bene) alten Leute entrüstet, solch einen Namen ausrufen zu hören, und wäre er fast mit Steinen erschlagen worden. Die alten «da bene», sagt Vasari. Wer genau weiss, wie dieses Wort in Italien geübt wird, kann nicht umhin zu lächeln – warum, werde ich im Schlusskapitel an­deuten. Tatsache ist, dass Giovan Antonio schon 1513 bei dem Palio in Siena mit jenem Namen «Sodome» eingetragen ist,2 und zwar mit zwei Rossen; die Reitburschen hiessen Baptista und Betto. Und 1527 finden wir ihn abermals in Siena mit jenem Beinamen eingetragen und zugleich seinen «Ragazzius» (Burschen) Tempestino aus Modena.3

Angesichts der Tatsache, dass Giovan Antonio auch nach dem verhängnisvollen Palio den Namen Sodoma nicht aufgab, ist es ja einfach lächerlich, behaupten zu wollen, es wäre nur ein missverstandener Atelier- oder Sportname, oder wer weiss was sonst gewesen. Ich möchte den Menschen sehn und den von seinen falschen Ehrenrettern, der nach solchen Er­fah­run­gen einen missverstandenen Spitznamen beibehält, wenn es nicht aus einem gewissen erbitterten Trotze geschieht, aus wunder, Dummheit verachtender Seele, und in letztem Grunde aus tiefem stolzem Gefühle natürlicher Berechtigung.

Übrigens haben die Sienesen es ihm nicht so arg verübelt, da sie ihn gleich darauf wieder in Ehren aufnahmen und be­schäf­tigten. Der natürlich gesunde Sinn war eben im Mit­tel­al­ter oft noch stärker als heute, nach der langen sozialen Ver­zieh­ung. Bald darauf, jedenfalls nicht später als 1517, muss der Künstler jenes wunderbar tiefe Werk für die Kirche San Fran­cesco gemalt haben, von dem heute nur noch ein Bruchstück in der Galerie zu Siena übrig ist – der verspottete Heiland, an einer Säule gefesselt (Christo alla Colonna). Und all das sind keine wirklichen Widersprüche im Künstler; es ist kein Bruch der Naturen in ihm, die auseinander klaffen, wie Neun­mal­weise glauben und behaupten. Alles hat seinen tiefsten Grund im Menschen selbst, und gerade das ist eine gänzlich un­wis­sen­schaft­liche, oberflächliche, mittelalterlich-abergläubische Vor­stellung, man könne einen Menschen, geschweige denn einen schaffenden Genius, in zwei unvermittelte Hälften halbieren, deren eine von einer unsauberen und irren, die andere von einer hehren und reinen Muse inspiriert wird, die beide mit­ei­nan­der nichts zu tun hatten. Ein Engländer neuen Datums be­richtet von einem gepriesenen französischen Kritiker die ober­flächliche Behauptung: «Was geht mich der Mensch an, seine Werke sind trefflich!» Ein fauler Baum gibt keine guten Früch­te – dieser Ausspruch Christi bleibt bestehen. Und so hat auch Giovan Antonio den verspotteten Heiland, dessen tiefe Natur in Erkenntnis ihrer edelsten Bestrebungen von aller Welt missverstanden und von den Dornen des Lebens verwundet wurde und nur zu oft tränenden Auges wie zum Gespött der törichten Masse dasteht –, eben diesen tieftraurigen, adels­schö­nen Heiland aus seiner eignen Seele geschöpft. Und wie zart diese seine Seele war, werden uns noch andre Werke lehren.

Neue Schöpfungen in Siena