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Aus einem wahrhaften Leben

Eine Fügung: Eduard von Mayer

Schon vor meiner Abreise nach Petersburg wusste ich, dass ich dort freundliche Aufnahme bei einer Familie erfahren wurde, deren Tochter bei uns in Jootma ihre Tanten besucht hatte, die bei meinem Vater zur Kur weilten. Es war die Familie der ver­witweten Wirklichen Staatsrätin Exzellenz Charlotte von Mayer. Ihr Gatte war der hochgeachtete Arzt und Gründer des Evangelischen Hospitals in St. Petersburg, Dr. Karl von Mayer. Schon dessen Vater, der Leibarzt Geheimrat Dr. Karl von Mayer, war dort ein angesehener Mann gewesen. Die Familie stammte ursprünglich aus Braunschweig, von wo Johann An­ton, der Grossvater des Hospitalgründers zur Zeit der Fremd­herrschaft Jeromes nach Charkow berufen wurde und dort wegen grosser Verdienste während der Pest geadelt und in den Adel der Ukraine aufgenommen wurde.

Ich wusste, dass unter den vier Töchtern und drei Söhnen sich auch ein Sohn ungefähr meines Alters befand: Eduard von Mayer, der gerade schon sein Abiturium gemacht hatte. Der Gedanke an diesen Sohn war mir nicht einmal angenehm, da ich immer eher eine Besorgnis vor jungen Leuten hatte, die ungefähr meine Altersgenossen sein konnten, weil sie mir in ihren Interessen oft zurückgeblieben erschienen und ich mich dann verpflichtet fühlte, auf deren mehr oder minder ober­fläch­liches Leben einzugehen, wenn auch damals der Sport gar nicht so in Mode war. Aber auch er hatte Bedenken gehabt und war von der Mutter gemahnt worden, den angemeldeten jungen Besuch entgegenkommend zu behandeln, statt sich in den Wald zurückzuziehen. Im Sommer wohnten sie in ihrer Sommervilla oder «Datsche» Charlino in Schowo an der Eisenbahn von Petersburg nach Finnland. Dr. Karl von Mayer hatte ein Stück Land vom Grafen Lewaschow erworben und an der Villen­stras­se ein Landhaus erbaut, das einen weiten schattigen Garten hatte, besonders mit Birkenbäumen. Daran grenzten Wälder und Felder und von Tannenwald umhegte Seen. Bei meinem ersten Besuch in jenen trüben Tagen, da ich von Petersburg hinausfuhr, traf ich zuerst niemanden zuhause. Ich ging die Strasse zum Wäldchen und lehnte an einer Brücke aus Bir­ken­stämmchen, melancholisch in Gedanken versunken, denn eine dunkle Zukunft lag vor mir.

Da plötzlich ward ich angeredet. «Hab ich die Ehre, mit Herrn von Kupffer zu sprechen?»

Es war ein schlanker junger Mensch, mit schmalem Kopf, von meiner Grösse, blond wie ich, aber mit blauen Augen. Das war Eduard von Mayer. Damals hätte keiner von uns beiden gedacht, dass wir einmal ein ganzes langes Leben miteinander teilen würden, in Leid, Kampf und auch Freuden. Ich war noch ganz in Gedanken und Sorgen. Er hatte zwar diese Schulsorgen gar nicht mehr, überhaupt nie in demselben Masse gehabt; in Petersburg aufgewachsen, sprach er Russisch fliessend, und überdies plagten ihn ökonomische Bedenken nicht, so wie mich, da die Mutter vermögend war. Aber er litt aus andern Gründen, er war einsam inmitten eines bewegten Kreises, bedrückt durch den unverständigen Pietismus der Familie, besonders durch die religiös eingeengte Denkungsart seiner Mutter, die wohl eine freundliche, gastfreie Dame war, aber mit der Zeit immer mehr das Wesen einer Äbtissin annahm. Die beiden älteren Sohne hatten sich ihre Lebenstriebe nicht beschneiden lassen, lebten sich im geheimen aus; dafür war der jüngste Sohn, der ein reiches inneres Leben hatte, ohne Verständnis der scheinbaren Überwachung durch junge Theo­lo­gen übergeben worden. Der aufstrebende Geist dieses hoch­be­gabten Jünglings wurde in eine fast kindisch gebundene Lage niedergedrückt. Er hatte noch nie ein Theater besuchen dürfen, als ich ihn kennen lernte, denn Theater war – Sünde. Für das dichterische Schaffen, das in ihm hervortrat, fand er kein Interesse bei den Seinen. So war er ein leicht verletzbarer, empfindsam einsamer Mensch, trotz seiner achtzehn Jahre, als ich ihn kennen lernte, während ich trotz allem Schweren, das ich durchmachte, aus einem zwar frommen aber freizügigen Hause kam und gewohnt war, die Gedanken, die mich be­weg­ten, auszusprechen und auch für mein geistiges Schaffen An­teil­nahme zu finden. Dazu kam, dass Eduard von Mayer sich bereits als dreizehnjähriger Knabe, während des Sommer­auf­enthalts in Strandhof bei Reval, in ein blondzöpfìges Mädchen verliebt hatte, die Freiin Elisabeth von Stackelberg, die Tochter des Pastors Baron Stackelberg, und dass er diese Liebe, ohne sie wiederzusehen, als einen einsamen Schatz verbergen muss­te, so dass dieses Gefühl mehr und mehr, wie bei Dantes Liebe zu Beatrice, zu einem Idealbilde wurde.

Wir trugen also, als wir zusammenkamen, beide, wenn auch verschiedenartig, die Liebe zu einem Mädchen in unserem Herzen. Es war ein seelisches und geistiges Verstehen und Mitempfìnden, was uns bald einander näher brachte. Auch ich war in Petersburg einsam. Etwas gegenseitiges Mitleid mischte sich hinein und Geringschätzung der verständnislosen Umwelt. Eduards Kameraden teilten nicht seine Interessen; der in sei­ner Art zwanglose junge Mensch, der ich war, mit einer Bei­ga­be von ruhigem Selbstbewusstsein, wirkte auf ihn wie be­frei­end. Bald nach unserer ersten Begegnung, den 30. August sollte der Geburtstag seiner Schwester Sonny mit einer ita­lie­ni­schen Nacht gefeiert werden; dazu wurde ich sofort eingeladen. Ich fand eine Unmenge Menschen in dem gastlichen Land­hau­se, von denen auch viele zur Nacht blieben; bald schimmerte der Garten von zahllosen Laternen. Im Speisesaal mit dem kleinen Springbrunnen ging es lebhaft her. Ich war bereits in der Annen-Schule aufgenommen, konnte etwas aufatmen. Frau Charlotte von Mayer liess es nicht an liebenswürdiger Auf­nah­me fehlen; damals war ich ja für sie nur ein beliebiger junger Mensch, dessen Ideen sie nicht kannte, die sie später doch so leidenschaftlich ablehnen sollte. Die Kameraden von Eduard blieben mir alle fremd, nur mit Paul von Kügelgen, den ich noch öfters sah, bin ich sogar auf «du und du» gekommen, aber näher kamen wir uns doch nie. Er war ein Sohn des Schrift­lei­ters der bekannten alten deutschen St. Petersburger Zeitung, die 1915 nach fast 200-jährigem Bestehen eingehen musste, und ein Urgrossneffe des Verfassers der «Erinnerungen eines alten Mannes». Auch seinen Vater, den alten Herrn Paul von Kügel­gen, lernte ich kennen; aber er war der Vertreter eines etwas engherzigen Alt-Protestantismus und hat mich bei Er­schei­nen meines ersten Gedichtbuches «Leben und Lieben» feindlich totgeschwiegen, obwohl dort kein Überfluss an deut­schen Dichtern herrschte. Dazu kam, dass er es sehr ungern sah, dass Eduards Freundschaft sich von seinem Sohn Paul immer mehr auf mich übertrug.

Aber Eduard und ich, wir sind uns nicht in die Arme ge­flo­gen, wie viele es nachher glaubten; geistig schätzte er mich bald hoch, aber für mein Äusseres, das sonst doch auf viele eine gewinnende Wirkung ausübte, blieb gerade er eher kühl. Das hab ich damals, ohne dass er darum wusste, durch Zufall erfahren. Ich habe ihm aber nichts gesagt, erst viele Jahre später, als wir uns schon eng verbunden fühlten, habe ich das verraten. Ich muss das hier erwähnen, weil einige Leser aus manchen lobenden Berichten von mir den Eindruck einer ge­wis­sen Eitelkeit auf die äussere Erscheinung gewonnen haben mögen. Ich habe ein Leben wahrhaft schildern wollen. Schön­heit und Schönsein war mir eingeborenes Bedürfnis, und ich freute mich, andern damit Erfreuliches bieten zu können, in dem steckt auch etwas von Bescheidenheit. Es gibt Leute, die meinen, sie müssten, so wie sie einmal sind, den andern ge­nehm sein; es gibt auch eine Anmassung des Unschönen. Ich meine, wäre es meinerseits bloss eine oberflächliche Eitelkeit gewesen, so würde ich damals diese neue Bekanntschaft ein­fach beiseite gelassen haben, um so mehr, als ich mich gar nicht gern Altersgenossen anschloss. Ich glaube, eine höhere Fügung hat mir diese Überlegenheit gleichsam belohnt, indem gerade dieser Mensch nachher mein treuester Freund, Verehrer und Vorkämpfer wurde. Aber das ging nicht schnell, wie man glauben mag, diese hochwertvolle Lebensgenossenschaft ist mir nicht als reife Frucht in den Schoss gefallen, o nein, es hat manches zu überstehen gegeben, wovon noch einmal die Rede sein wird. Wir waren und sind im Grunde sehr verschiedene Naturen und Temperamente, kamen aus einer verschiedenen Umwelt. Eduard von Mayer war übrigens damals ganz in sein Gefühl verkapselt und sträubte sich gegen Einflüsse, die ihn daraus lösen konnten. Ich wiederhole noch einmal, es war das geistig-seelische Band, wenn nicht vielmehr eine höhere Not­wen­dig­keit, die uns nicht auseinander streben liess, denn unser Lebenswerk bedürfte einander. Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die unsere Schulweisheit nicht erklärt, wie Shakes­pea­re sagt. Und das gibt diesem Leben einen verborgenen Sinn. Woher käme sonst die Sehnsucht des Menschen, die Sehnsucht nach Dingen und Freuden, nach Dauer, wie dieses Leben sie nicht bietet?! Und woher vor allein auch die Kritik an einer Welt der zwanghaften Wirklichkeit, wenn wir nichts als ihre Kreaturen wären, nichts als Funktionen dieser Natur? … Die Funktion einer Maschine kann nicht Kritik üben. Kritik ist nur möglich, wo auch ein «Anders-Sein» ist. In einem all-einen Monistischen wäre Kritik und Sehnsucht ein Unding.

Liebe, Leid und Torheit

Im November erfasste mich eine derartige Melancholie, dass ich von Petersburg floh: nach Jootma, wo ich dann wieder auf­lebte, dabei aber fleissig in den Universitätsbüchern studierte. Mein Liebesroman spann sich fort; das ist zur Klärung des Gefühlslebens wichtig und darum auch von allgemeiner Be­deu­tung. Eduard schrieb mir am 8. Dezember: «Ich habe Dich recht vermisst diese Tage. Wie oft wollte ich zu Dir hinüber­lau­fen …» Dann folgen gegen Schluss des herzlichen Briefes iro­ni­sche Vorwürfe: «Du schwimmst wohl, wie ein Fischlein im Wasser, auf den Gesellschaften herum und lässt Dir den Hof machen von jungen hübschen Damen und alten hässlichen Baronessen … Übrigens, gib Agi einen tüchtigen Kuss, riskier’s, ich übernehme die Verantwortung und Schuld … Ich erwarte ungeduldig und mit Spannung Deinen Brief.» Darauf erwiderte ich unter anderem den 11. Dezember 93: « … Agnes kam mit der englischen Dame, Mrs. Leeth, die in Lechts zu Besuch ist, zum Mittag her und blieb bis acht Uhr abends. Ich habe mich sehr gut unterhalten. Sie spielte recht hübsch auswendig von Chopin und Grieg. Sie bat mich auch, einige Gedichte vor­zu­le­sen, was ich gern tat.» Unter diesen auch:

 

Nur einmal kann ich lieben,

Drum schone, Kind, mein Herz!

O spiele nicht zu lange

Mit meinem heissen Schmerz!

 

Ich bin kein loser Falter,

Der jede Blüte küsst.

Nur einmal kann ich lieben,

Und wenn ich sterben müsst.

 

Und sollen wir uns scheiden,

Mein Lieb, nur einen Kuss,

Damit ich einmal küsse,

Bevor ich sterben muss.

 

Gott sei Dank! ich bin nie an unglücklicher Liebe gestorben und habe auch später meine Küsse nicht gezählt. Aber damals glaubte ich wirklich daran, wie jemand, der echt das erste Mal leidenschaftlich liebt. Es schmeichelte ihr naturgemäss. Ich fügte dann noch im Briefe hinzu: «Der Majoratserbe, der of­fen­bar weiss, dass ich Agi liebe, war ziemlich manierlich und schien nicht konkurrieren zu wollen … Als ich den Schluss Dei­nes Briefes las, musste ich unwillkürlich lachen, da sie gerade vor mir sass. Ich hätte nicht übel Lust gehabt, Deinen Rat in Betreff des Kusses auszuführen … Das ging in Gesellschaft denn doch nicht. Ja, ungestillte Liebe! … übrigens (schrieb ich) hast du nicht so oft diese Qual durchgemacht. Und doch ver­langt man nach ihr und kann ohne sie nicht leben.» Einmal übten wir, eines Sommers, ein kleines Stück zusammen, das ich selber – zu meinen Gunsten – geschrieben hatte. Zur end­gül­ti­gen Aufführung kam es nicht, wohl aus Besorgnis vor dem Ge­re­de der Menschen. Bei der Gelegenheit schnitt ich Agnes eine Haarlocke ab, als Reliquie der Liebe. Getrennt von Liebe und Freundschaft vermisste Eduard von Mayer, bei allen Treiben der Weltstadt, ein Herz, das ihn verstand. Am 11. Dezember 93 schrieb er mir: «Ich hätte nicht geglaubt, dass ich Dich so sehr vermissen würde, wie das der Fall ist. Wie gern sässe ich eben bei Dir … Es ist wohl entsetzlich öde, dies Leben, und ich hätte nicht das mindeste dagegen, binnen jetzt und 24 Stunden steif und kalt dazuliegen. Zuweilen sage ich mir: Nur Lethe trinken, vergessen, vergessen – coûte que coûte – sei’s im Strudel der Genüsse oder in ungebundenem Abenteuerleben! Aber lohnt es sich denn, dieses Leben durchzukosten? Aber wenn ich bei Dir bin, fühle ich mich wohler. Du bist ein Mensch, den ich sehr, sehr liebe, und der mich liebt; und trotz aller scharfen und viel­leicht unvermittelbaren Gegensätze haben wir gleiche Inte­res­sen und vielfach auch gleiche Lebensanschauungen, und bei Dir find ich die Luft, die ich atmen muss, um physisch gesund zu sein, die mich fördert, die mich heraushebt aus der grau­en­vol­len Nüchternheit und Zwecklosigkeit des alltäglichen Le­bens. Und so wisse denn: ich liebe Dich.» Ein tiefer Lebens­über­druss, durch lange Unterdrückung genährt, hielt ihn ge­fan­gen. Die Gefahr der Explosion war gross. Wenig mehr als ein Jahr später sollte ich die eine Erschütterung erleben, und keine drei Jahre später die zweite, die für mich nachher ver­häng­nis­voll wurde.

Weihnachten 1893 war für mich wieder ein trauriges Fest, das erste ohne meine Mutter. Am ersten Feiertag war ich in Lechts, konnte auch dort einmal den brennenden Baum er­le­ben. Ich erschien in meiner schönen Galauniform, die mein gütiger Vater mir bescherte, obwohl sie nicht verlangt wurde. Sie war auch tiefdunkelblau, mit hellblauem Kragen und Auf­schlägen, alles mit Goldstickerei und mit weisser Seide gefüt­tert, enganliegende Tuchhose, dazu den feinen Degen, wie im Ancien Régime. Es war doch eine andere Welt, die ihre Vorzüge hatte. Gleich nach Weihnachten besuchte uns Eduard, der dann wieder nach Reval strebte, um sein Idealbild Elisabeth von Stackelberg wiederzuseben. Es sollte damals das letzte Mal sein. Anfang Februar gab Agnes’ Onkel, Baron Georg von Hoynigen-Huene, ein Kostümfest in T. Mein Vater, der meine Beziehung zu Agnes gern sah, da sie ihm selbst lieb war, er­mög­li­chte es mir, für wenige Tage die Fahrt von Petersburg nach Estland zu machen. Ausser meiner erwähnten Gala­uni­form hatte ich ein schönes spanisches Kostüm im Stil des Don Carlos oder Don Juan in den alten estländischen Farben, Grün, Violett, Weiss, mit einem kleinen Strauss in denselben Farben, Veilchen und Maiglöckchen mit Blättern; dazu einen Hut mit zwei prächtigen weissen Straussfedern von der Tochter des Exkonsuls. Es gab dann noch eine Nachfeier in Schloss Lechts, und die Tage vergingen im Fluge. Agi und ich, wir hatten uns doch bald erkannt, trotz der Halbmasken. Ein anderes junges Mädchen lernte ich dabei kennen, die mich dann in Jootma besuchte, die Pflegetochter der Generalin von Kämpfert, eine Halbschwester des erwähnten kleinen kaukasiscben Prinzen Andronikoff.

Liebesprobleme

Ich konnte aufrichtig bekennen: «Ich habe nur zu sehr gelitten unter meiner Enthaltsamkeit gegenüber dem weiblichen Ge­schlecht.» Nicht umsonst habe ich dem sterbenden Gregor VII. die Worte in den Mund gelegt:

 

Es soll nichts Heiliges auf Erden sein,

Und jeden Tempel strebt man zu vernichten.

 

Wir waren damals beide Mitarbeiter am «Deutschen Dichter‭­heim» in Wien geworden. Aber auch die katholischen «Dichter‭­stim‭­men der Gegenwart» in Oberlahnstein und deren He‭­raus‭­ge‭­ber, Leo Tepe van Heemstede, begrüssten mich in lebhafter Anerkennung. Dort erschien mein grosses Gedicht «Gregors Tod», das nachher auch Dr. Siebenlist in Wien eine «Al-Fres‭­ko-Dichtung grossen Stils» genannt hat. An den absoluten Atheismus glaubte ich nicht, auch nicht an den meines Freun‭­des, so sehr er ihn damals betonte. Auf seine Vorwürfe er‭­wi‭­der‭­te ich: «Gewiss, ich liebe alles Schöne, Hübsche, auch jedes hübsche Mädchen, aber wenn ich sie, wie Du schreibst, meinem ‹Harem› einverleiben würde, so wenigstens nicht dem pla‭­to‭­ni‭­schen, wie Du es nennst. Du weist ja, zu dem gehört ja ein an­de­res Geschlecht.» Ich wahrte mir stets den freien grossen Blick, der alles Beschränkte von sich wies. «Es interessiert mich sehr, dass es Dir in Deutschland gefällt. Es tut mir nur leid, dass Du in der Schweiz bleiben willst … Gleichviel, wo ich dort (in Deutschland) leben könnte, nur nicht ohne Agi … »

Leider muss ich in dieser Lebensgeschichte auf Wieder‭­ga‭­be der vielen Geistesfragen, die in den Briefen berührt wurden, verzichten, da es zu weit führt und mir vor allem an einer Klar‭­stellung meines Gefühlslebens liegt, das so viel ganz falsch beurteilt worden ist. Ich bekämpfte mit etwas Ironie den Stolz des Altruismus meines Freundes und nannte den scheinbaren Objektivismus sein «Spielzeug». Ich lehnte in meinem Briefe beide Extreme als im Leben unhaltbar ab: Sowohl den, der nur an sich denkt, wie den, der nie an sich denkt. Auf Beweise liesse ich mich nicht ein, da «jeder Grundterminus (Begriff), auch der der Atheisten und der Wissenschaft, durch den Glau‭­ben, durch die Auffassung bestimmt wird». Ich kam auch mit Beweisen, ad hominem, die sich an die persönliche Wesensart und das menschliche Interesse des Angeredeten wenden. Man muss sich nie in eine graue Theorie verrennen. Im Leben gleicht kein Verhältnis ganz dem andern, wie in der Natur kein Blatt dem andern, und jedes Faktum verlangt, dass man auf dasselbe Rücksicht nehme, widrigenfalls werden wir «Don Quichotes».

Nun war ich wieder in Jootma und beschrieb mein Zim‭­mer, das ich möglichst noch hübscher eingerichtet hatte: Stell dir vor, Christus, Schiller, Goethe und eine hübsche Venus, und eine grosse Photographie meines neuen Lieblingsbildes, «Nach dem Vorbilde der Götter» von Ssemiradsky. Ein junger Römer küsst im Park eine junge Römerin, und zur Seite auf einem Piedestal küssen sich Amor und Psyche in Marmor. Ich möchte Agi geme herauflocken … Einmal ist sie schon hier oben ge‭­we‭­sen. Die Abendsonne fällt eben golden durchs Fenster … Wie könnte das Leben doch schon sein! Wozu sind Schönheit, Jugend, Lebenslust, wenn sie umkommen müssen? Ich hab ein unbeschreibliches Verlangen, das Leben und seine Schönheit zu kosten, zu lieben und geliebt zu werden, und doch – es zwingen einen bald die eiserne, unbarmherzige Notwendigkeit, bald die eigenen Prinzipien in ein hässliches Joch.

Eduard weilte indes in Bad Elster zur Kur, wohin auch die Familie gereist war; er redete mir wiederholt zu, ich müsste auch ins Ausland. Zunächst musste ich aber wegen der Wehr‭­pflicht ins reine kommen, weil ich das Studium in Russland aufgab, währenddessen der Dienst aufgeschoben war. Mich bedrückte die Wahl: entweder in Russland als Dichter zu‭­grun‭­de zu gehen oder in Deutschland in Not zu geraten, wenn es mir nicht glücken sollte. «Ach, Edy, es ist ein böses Dilemma!» Und dabei die Gefahr, Agnes zu verlieren, von der ich stets wieder leidenschaftlich angezogen wurde, wenn ich sie per‭­sön‭­lich sah und erlebte. Nach dem Tode meiner Mutter war eine gewisse Ernüchterung eingetreten, weil ich ein warmes Mit‭­em‭­pfìn‭­den vermisste. Alles Seelische wog bei mir stark. Es gab tieftraurige Augenblicke, wo Verse entstanden, wie:

 

Wohin, ihr heissen Wonnetage,

O süsse Jugendlust?

Die Liebe stirbt in meiner Brust,

Mein Frühling wird zu grauer Sage.

 

oder:

 

Die Saite sprang,

Gespenstiscb hallt ein Ton noch wider,

Ein Geistersang

Verklungner, heisser Liebeslieder.

 

Einige Gedichte erschienen damals bald im «Deutschen Dich‭­ter‭­heim» in Wien, so das Gedieht «Eine Bitte», darin die Verse tiefen Schmerzes:

 

Ja, bitte Gott, Er lässt dich sterben!

Er opfert dich als Weiherauch

Auf seinem himmlischen Altare

Im ersten reinen Liebeshauch.

 

Denn:

 

Dann kennst du nie den Fluch der Erde,

Wie jedes Herz, das wahr geliebt

Und dem die Welt in der Arena

Ein langsam Gift zum Sterben gibt.

 

An einem Pfingsttage im Juni gab es einen Bazar draussen bei der Landkirche zu Ampel. Während Agi da war, habe ich sie ziemlich treu begleitet. Aber es gab Furcht vor dem Gerede der Leute, und ich beklagte mich im Briefe über: «eine solche Ver­nünftigkeit und Berechnung, die namentlich in dem Alter un­na­tür­lich ist. Mit ihrer Schwester Erika ist es noch einmal so leicht.» Ich sage jetzt: vielleicht auch, weil diese fühlte, dass ich sie nicht liebte. Dann schrieb ich im Anschluss daran von einer Nichte des Barons Uexkull zu T., die ich dort wiedersah: «Sie ist schlank, hübsch und hat dunkle schelmische Augen … Das ist nur so nebenbei erzählt, Du brauchst mir nicht mehr so eine saubere Epistel, wie damals aus Odessa, zu schreiben.» In demselben Brief vom 20. Juni 1894 bin ich auf eine moralische Betrachtung meines Freundes eingegangen, und ich glaube, sie hier im Zusammenhange als lehrreich erwähnen zu müssen, da sie auch die spätere Entwicklung erklärt; selbst auf die Gefahr hin, dass es noch Leute gibt, die über Naturdinge des Lebens erschrecken zu müssen meinen. Wir leben aber in einer Zeit, wo die Umwälzung alter Vorurteile an alle Türen pocht und wo Gedanken, die damals ihrer Zeit weit vorauseilten, ins Leben treten und noch mehr treten werden. Trotz meines Idealismus war ich niemals ein Wolkenkuckucksheimer, ging vielmehr vom Leben aus. Obwohl in einer sehr konservativen Welt auf‭­ge‭­wach‭­sen, zeugen die damaligen Urteile des Jünglings doch von einer grossen Betrachtungsreife, die, ohne beeinflusst zu sein, schon eigene Wege aufweist gegenüber der vorherrschenden sozialen Ethik seiner Zeit und Umwelt, ja auch gegenüber mei‭­nem sonst sehr intellektuellen und radikalen Freunde, der sehr asketisch war, auch gegen harmlose Genüsse: so hatte er sich ganz spontan zum Totalabstinenten erklärt. In meinem Briefe heisst es nun: … So gestehe ich dir ein, dass der Beischlaf (aus‭­ser‭­ehelicher) solange nur sittlicher, als Liebe zu reifen Knaben ist, als er eben dem Streben nach Erhaltung Genüge tut – nota bene, wenn wir jenes Streben als etwas Sittliches an‭­er‭­ken‭­nen. Sobald aber die natürliche Entwicklung irgendwie verhindert wird (es folgten nun Beispiele für Verhütung) … und das kommt häufiger vor, als man vielleicht annimmt, so ist dabei nichts Unmoralisches … Um so erstaunlicher ist dieses objek‭­ti‭­ve Urteil, da ich persönlich nicht so oder so in Frage kam, als ich diesen Brief schrieb. Dann folgt eine Anklage gegen die Verkehrtheit der sozialen Gesellschaft. Das Wort «Laster» wird da auch noch von mir gebraucht, in einer Weise, wie ich es heute, als gereifter, erfahrener Mensch nicht mehr gebrauchen würde; denn auch eine andere Ordnung der Gesellschaft würde die Lebhaftigkeit der Gefühle nicht aufheben, ja, es wäre nicht einmal wünschenswert, dass die «Willensrichtung» gemodelt würde, ganz abgesehen da von, dass es bei vielen vergeblich wäre. Recht hatte ich mit der Behauptung, dass die «sittliche Macht der Gesellschaft die verrücktesten Ehrbegriffe be‭­güns‭­tigt». Die Gesellschaft schien mich «an einer bessern Zukunft» verzweifeln zu lassen.

Der junge Denker und Seelenarzt

«Moral heisst für mich: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.» Diese Worte an Eduard waren gleichsam ein Einwand gegen den absoluten (fast nihilistiscben) Altruismus, den mein Freund vertrat und der mir eine subjektive Täuschung schien, ja sogar gefährlich; denn wer sich selbst vergewaltigte, könnte sich ja auch leicht moralisch berechtigt fühlen, seine Mit‭­men‭­schen um des guten Zweckes willen zu vergewaltigen. Das war ja oft das Resultat, die Folge des Sich-Ertötens – ja der Ur‭­sprung vieler Verfolgungen und Unterdrückungen gewesen. Das hatte Eduard an sich selbst erlebt und wirkte in ihm blut‭­ge‭­mäss nach, bis er sich davon befreite.

Weitschauend war die Erklärung: «Unter der Liebe zu den andern ist nicht bloss Liebe zu den eben Lebenden zu ver‭­ste‭­hen, sondern ebenso die Liebe zu der künftigen Generation. Diese Liebe muss dich vor Taten bewahren, aus denen für deine Nachkommen Unheil erwachsen kann.» Das ist auch die Grund‭­lage der Eugenik, gesunderer Nachfahrenschaft, ver‭­min‭­der‭­ter Zerrüttung.

Vom «Sehr lieben teuren Edy», wie ich ihn oft anredete, kam wieder ein Brief, von dem ich schrieb: «Erschreckend, wenn ich Dich nicht kennen würde.»

Wieder suchte ich ihn aufzurichten, indem ich ihm das Günstige seiner Lage darlegte, im Verhältnis zu der meinen; dass seine «gesichertere Lebensstellung» ihm «ungehindertes Schaffen» gewährleisten würde. Innerlich reich begabt, wäre er doch ohne Hindernisse vorwärts gekommen, während ich de‭­ren nur zu viel gehabt hatte, schon durch die Russifizierung. «Du kannst das Schöne in Dir aufnehmen», tröstete ich, «eine schöne lebendige Welt in Deinem Innern aufbauen». Die Rich‭­tung auf seinen idealen Pol, auf Elisabeth, brauche er nicht aufzugeben. Wenn es an der Liebe liege – die könne auch die Hindernisse verschiedener Weltanschauung, andern Glaubens überwinden. «Ja, selbst wenn sie nicht Dein würde, Du darfst deshalb nicht verzweifeln; ein grosser Mensch darf nicht in einem einzelnen Menschen untergehen. Die grossen Geister haben die ganze Welt in ihrem Innern aufgenommen. Sollte die Sehnsucht nach einem bestimmten Weibe Deinen bedeutenden Geist ganz in Fesseln schlagen können? – so dass er daran zugrunde geht, uneingedenk dessen, dass ja auch dieses Weib schliesslich nur ein Teil jener Menschheit ist.»

Diese Ermahnungen kamen nicht von einem älteren See‭­len‭­arzt, sondern von einem lebensvollen Jüngling von 22 Jah‭­ren! den gerade er oft vor der Lebhaftigkeit des Empfindens warnte.

Meine Mahnung war überdies, er solle sich nicht zu sehr ins Spezielle verlieren, sondern den Sinn für die Zusam‭­men‭­ge‭­hörig‭­keit der Dinge behalten. Es folgte nun eine noch schärfere Zensur und Ergründung der Moral, die ihn zu erdrosseln droh‭­te, wie schon manchen andern vor ihm, der sich allzusehr von der Wirklichkeit entfernte und zum Sklaven eines «Tabu»-ver‭­bo‭­tes machte. Gerade dieses Wort «tabu» hatte er gebraucht, wo er seine Natur zwängte, ohne sich gesundheitlich Dienste zu leisten.

«Tabu» ist ein Wort aus dem Polynesischen, das gebräuch‭­lich wurde, um sittliche Verbote zu bezeichnen, die (gerade wie bei uns) bestimmte Worte, Handlungen oder Berührungen ver‭­hindern wollen, bei deren Übertretung der menschlichen Ge‭­sell‭­schaft Gefahr drohe. Solches Tabu ist aber gar nicht bloss bei Naturvölkern mächtig, auch unsere christliche europäisch-amerikanische Moral besteht zum grossen Teil aus solchen abergläubischen «Tabus», dass der Gesellschaft Gefahr drohe, wenn etwas geschieht, was tabu (verboten) ist, sei es durch überkommene Sitte, Volksaberglauben, vermeintlichen Gottes‭­willen und dergleichen.

Vorsichtig setzte ich ein, ich darf wohl sagen, mit objek‭­ti‭­ver Reife, wenn man bedenkt, dass ich damals selbst einen viel religiösern Standpunkt hatte als mein zu jener Zeit ganz athe‭­is‭­ti‭­scher Freund Eduard v. Mayer.

«Weisst Du, lieber Edy – verstehe mich, bitte, nicht falsch –, wenn ich die Natur des Menschen recht erwäge und alles betrachte, wie es ist von Natur (er studierte ja Natur‭­wis‭­sen‭­schaf‭­ten), nicht was Sitte oder Moral, die ja dem jedesmaligen Zeitalter entsprechen, daraus gemacht haben, so komme ich zur Einsicht, dass man alles Mögliche schlecht, unmoralisch nennt, was doch ganz der Natur entspricht … Die Moral ist ja kein feststehender Begriff. Dir müsste es um so leichter sein, Dich von jener falschen Auffassung los zu machen, als ob die Moral ein in sich bestimmter unwandelbarer Begriff sei, da Du nicht auf die Bibel schwörst. Die Befriedigung des Liebes­trie­bes ist etwas durchaus in der Natur Liegendes. Wie kommt man nun darauf, sie unmoralisch zu nennen, falls sie nicht in bestimmter Weise oder unter besondern Zeremonien ge­schieht? Bei manchen Volksstämmen denkt man auch ganz anders darüber oder hat anders darüber gedacht. Moral und Recht sind aber nicht an und für sich da, sondern durch eine Autorität bedingt. Darum war das Jus Naturale solch ein Un­sinn. Darum scheint das – Recht und Moral, was dem his­to­risch entwickelten Gefühl einer Zeit entspricht. Mancher hält es sogar für unmoralisch, ins Theater zu gehen (wie seine Mut­ter es tat). Wenn ich das streiche, kann ich auch das Un­mo­ra­li­sche in der Befriedigung des Liebestriebes streichen.»

Wie schon der Jüngling richtig folgerte, hängt eben alles von der Anerkennung irgend einer Autorität ab, sei sie nun Bibel, Kirche, Buddha oder Mohammed, wenn man diese Auto­rität nicht in der Stimme des eigenen Gewissens findet. Und so fuhr ich, Lösung erstrebend, fort: «Mir scheint es also durch­aus subjektiv, wenn jemand, wie Du, lieber Edy, so un­ge­heu­er auf seine höhere sittliche Anschauung pocht. Schopenhauer würde zu Dir sagen: Sie stehen noch sehr unter dem Einfluss des jüdischen Gesetzes. Ja, ohne dass Du es weisst, wirst Du von der Bibel oder, richtiger, von deiner Umgebung be­ein­flusst.»

Ich war der Meinung, dass man Christus auch ganz anders als die Pietisten auffassen konnte. In derselben Zeit erschien mein Gedicht an die Prinzessin Ludwig Ferdinand von Bayern, in den «Dichterstimmen der Gegenwart»; Anlass dazu war ein Gedicht von ihr. In jener Zeit schrieb ich gar das grosse Ge­dicht «Non possumus», das die geistige Bedeutung des Papst­tums und die innere Zuversicht jenes Spruches «Wir können nicht» (zurückweichen) zum Inhalt hatte, ein Gedicht, das 1903 Papst Leo X III. zu einem Dank veranlasste, noch kurz vor seinem Tode. Ich fragte zwar nicht danach, wie weit damals meine Äusserungen damit zusammenstimmten, glaube aber doch, die innere Bedeutung einer geistig- geistlichen Führung besser und bedeutender erfasst zu haben als sehr viele, die sich allein und jedem in ihrer Kirche unterwerfen. Das Christentum wird nur dann wieder in neuen Geschlechtern lebendig werden, wenn es seine seelischen Werte mit einer höheren Wertung des Eros zu verbinden weiss, der noch ganz andere seelische Auf­ga­ben hat, als der Antrieb zu einer Menschenfabrik zu sein. Eros ist Amor, nicht Sexus. Sexus ist «Genos». Eros ist Liebe, nicht Geschlechtlichkeit.

So fuhr ich auch ruhig als Seelenarzt fort: «Ich wollte Dir gar zu gern etwas Lebenslust einimpfen, und ich glaube fast, dass es mir gelingen würde, obschon ich selbst so oft melan­cho­lisch bin. Ich habe eine reiche Quelle an meinem Glau­ben in mir, der immer wieder seinen Kopf emporhebt.»

Damals hatte ich das Werk «De jure belli ac pacis» des Rechtsphilosophen Hugo Grotius (1583–1645) durchstudiert, staunte über seine Gelehrsamkeit, fand aber schon, dass er sie zu sehr zur Schau trug, statt in die Tiefe einzudringen. Auch mit dem materialistischen Philosophen Hume (1711–1776) beschäftigte ich mich lebhaft, dessen klarer Blick für die Wirk­lich­keit ich anerkannte, weil ich stets dafür war, dass man von der Wirk­lich­keit ausginge und von ihr aus seinen Flug nähme. Eines möchte ich gleich einschalten, dass ich Nietzsche noch gar nicht kannte und dass also meine moralisch freien Be­trach­tun­gen ganz und gar nicht von da aus be­ein­flusst waren.

Reges Interesse an meinem Geschick nahm die alte Ba­ro­nin Caroline von Krüdener, wie ich erfreut meinem Freunde berichtete. Auch einige junge Damen, die im Sommer zu Gast waren, hatten sich meiner angenommen. Aber die Sucht der Menschen, sich mit ihrem Nächsten zu befassen, verschonte mich nicht. Als meine Schwester bei der Baronin D. in T. war, wurde schon von mir und Agnes als von einem Liebespaar gesprochen. Das Interesse der Menschen am Liebesleben ist ja gross, aber dank dem Neide und einer falschen Moral wird dieses Interesse meist zum Unheil und zerstört viele Liebe, ja Lebensglück der Menschen.

Das Elend männlicher Jugend

Eines Abends begleitete ich einige Kameraden in eines jener geheim-öffentlichen Häuser, wo die entweihte Liebe feil ist. Ich habe diese Stätte nie zuvor und nie nachher betreten. Nicht dass ich mich hier moralisch emporheben will und die andern verurteilen. Es ist ein schweres Problem geworden, das sich nur zum Teil auf einem neuen Wege lösen lässt, mehr im An­schluss an die Natürlichkeit der Antike und noch lebender an­de­rer Völker. Die männliche Jugend der jungen Reife von 14 oder 15 bis 25, ja oft noch höher hinauf, weiss sich nicht anders zu helfen, als dass sie jene Stätten aufsucht oder zu oft der Selbstbefriedigung nachgibt. Ein Mohammedaner, dem die alte persische Moral vorgeworfen wurde, hatte nicht unrecht zu erwidern: «Ihr habt die Prostitution.» Im obigen Alter ist bei uns an Heirat nicht zu denken, aber der junge gesunde Leib verlangt seine Erfüllung mit Naturnotwendigkeit, ähnlich wie die monatlichen Regeln beim weiblichen Geschlecht, nur beim männlichen Geschlecht als Ausdruck gesunden Behagens. El­tern, Lehrer und Gesellschaft schliessen beide Augen oder schau­en zur andern Seite, als ob damit die «Moral» gerettet würde. Wenn die Ehrenmänner auf Treu und Gewissen aus­sa­gen sollten und keinen Meineid leisten, so würde kaum einer übrig bleiben, der nicht in Selbststillung des Naturtriebes seine Erfüllung suchte. Dieser Trieb ist nun einmal eine Natur­tat­sache, gleichviel ob von Natur oder Gottes Gnaden. Wohl dem, der diesen Trieb mit Überlegung zu mässigen wusste, dann wird ihn auch nicht das Elend böser Folgen treffen, wie gewisse Schreckpredigten es mehr zum Schaden der jungen Leute vor­hal­ten. Aber – die seelische Kraftergänzung fehlt bei der ein­sa­men Stillung. Anstelle der leiblichen Ergänzung des «Kraft­fel­des» zweier ähnlich gestimmter männlicher Wesen tritt die Phantasie als eher erschöpfende Ergänzung zu der mechanisch-physiologischen Auslösung. Der seelische Austausch fehlt aber auch beim Besuch feiler Genussstätten. Den jungen Men­schen­kin­dern jener Stufe fehlt die kameradschaftliche Liebe. Der gerühmte Jugendschutz im Pubertätsalter fruchtet sehr wenig, er führt nur zu jenem ängstlichen Geheimleben, von dem ich sprach.

Alles erotische Angstleben ist weit ungesunder als mass­vol­le physische Erfüllung. Das hatte der nordische Philosoph I. G. Hamann (1730–1788), obwohl christlicher Theo­loge, schon lang erkannt. In den «Sokratischen Denkwürdigkeiten», wo er von Sokrates und dessen Umgang mit schönen Jünglingen redet, sagte er, trotz persönlicher Abneigung und un­ge­nü­gen­der Ergründung der Sache in jener Zeit, folgendes: «Man kann keine lebhafte Freundschaft ohne Sinnlichkeit empfinden, und eine metaphysische Liebe sündigt vielleicht gröber am Ner­ven­saft als eine tierische an Fleisch und Blut.» Das Wort «ani­ma­lisch» wäre hier richtiger gewesen, denn das Wort «tierisch» hat einen rohen Sinn bekommen; es handelt sich ja mehr um das, was die Lebewesen alle empfinden, auch die, welche nicht «tierisch» sind, nicht so sehr materiellem Genüsse nachgehen, als ein Mitschwingen verwandten Wesens suchen, um dabei ihrer irdischen und geistigen Natur gerecht zu werden. Ich weiss, dass ich hier ein Gebiet berühre, das immer noch als ein stachliges «Rührmichnichtan» behandelt wird. In den letzten 30 Jahren sind aber doch wesentliche Fortschritte in der Ein­sicht gemacht worden; und eine neue Generation klopft nicht bloss an die Türen, sondern sprengt sie auf. Und es ist längst nicht alles verdorben in dem neuen, oft ungebärdigen Streben der Zeit. Es gibt auch eine «wohltätige» Revolution, wenn die Gesellschaft überlebt und unwahrhaftig ist. Trotz wiederholter Reaktionsbestrebungen, als Sammlung der «Erschreckten», ist unsere Zeit wie «erfüllt» zur Umwandlung. Vieles ist zerstört, was uns lieb war; das habe ich selbst bitter erfahren in den Trümmern einer versunkenen Welt. Aber es musste wohl so kommen, und ich trage dazu bei, die Bausteine einer neuen Zeit zu sammeln und aufzurichten.

Jener Besuch im feilen Hause irdischer Triebe, dessen Name schon wenig schön war, bestrickte mich nicht, im Ge­gen­teil, ich blieb im «Salon», wo einige der halbentschleierten Huldinnen sich über den jungen Sonderling gewundert haben mögen, auf dessen Werben sie warteten. Meine Seele war zu sehr von andern Bildern feineren Reizes erfüllt; ich dachte auch an Agnes. Und ich wusste, welche Krankheitsgefahr für das Leben drohte. Ich will hier nicht ein Urteil über meine Ka­meraden fällen; den einen kannte ich als einen eher feinen, zart anmutenden Menschen. Den meisten bleibt ja nichts übrig, als dass sie dieser zweideutigen Lösung ihres Jugend- und Lie­bes­dran­ges erliegen, in unserer sogenannt christlichen Kultur. Sonderbar genug, dass es denkende Männer und Frauen gab und gibt, die bei dieser sozial und seelisch unhygienischen Lösung wie bei einer lästigen Notwendigkeit verharren. Da ha­ben es die Kultur- und Kirchenstürmer leicht, sich als Erle­di­ger einer morschen Gesellschaftsordnung zu brüsten. «Tabula rasa» – reinen Tisch machen! … Traurig genug, wenn das not­wendig ist.

Neues Erwachen

Nach diesen studentischen Festtagen fuhr ich dann nach dem schönen Karlshof in Kosch zu meiner Tante, der Generalin Olga von Kupffer. Kosch lag auf der andern Seite der Bucht von Reval, auch am Meer, jenseits Katharinenthal, wo bewaldete sanfte Hügel sich längs der Küste hinziehen. Meine Tante war dort zum Sommeraufenthalt, seit dem Tode meines Onkels (1890) lebte sie in Reval. Im Sommer weilte dort auch ihr Sohn, mein Vetter Arthur v. K., mit seiner ersten Frau, der – entführten Jüdin. Der ehemalige Zögling der Garde­ka­val­le­rie­schule war schon einige Jahre zuvor bei uns in Jootma ge­we­sen, wo er mir durch seine schlanke, elegante Erscheinung Eindruck machte und ich durch ihn Mut gewann, auch einen Haarschopf auf einer Stirnseite zu tragen, statt bloss glatt zurückgekämmtes oder gescheiteltes Haar. Er hatte wie sein Vater eine gewisse humoristische Art; seinem Äussern nach hatte man ihn eher für einen Kaukasier oder Georgier halten können; er hatte dunkle Augen, dunkles Haar und trug einen kleinen zugespitzten Bart. Zuerst war er in amtlicher Stellung bei dem Gouverneur von Jekaterinoslaw, musste dann aber dort seinen Posten jener Entführung wegen aufgeben, d. h., in Wahrheit hatte der Mann ihm seine Frau «abgetreten». Sie wurde dann Christin, wodurch diese unerfreuliche Tat einen christlichen Anstrich bekam. Aber diese Frau, die mit ihren Augen spielte und die ich damals von einer liebenswürdigen Seite kennen lernte, ist dann nachher auch ihm mit einem Kol­legen entglitten. Auch ein Roman! Nach der Scheidung hei­ra­te­te er dann eine Baltin, Ella von Boldt. Er wurde Wirk­li­cher Staatsrat, Exzellenz und rechte Hand des letzten Gou­ver­neurs von Estland, Werjowkin. In der Revolution rettete er sich und seine zweite Gattin durch die Flucht in die Türkei und von dort nach Ragusa-Dubrovnik in dem dann zu Jugoslawien ge­hö­rigen Dalmatien. Auch Schicksale! … diese Lebens­ge­schich­te meines eleganten und doch im Grunde gar nicht ober­fläch­li­chen Vet­ters.

Aber noch zwei junge Geschöpfe traten mir dort in Kosch entgegen, die ich zuvor nur einmal als kleine Kinder sah: Alice und Waldemar von Rennenkampff genannt Waldy, die Kinder meiner wirklich schönen Kusine Anna v. R., geb. v. K., die ich bereits erwähnte. Ihr Mann war nach Petersburg übergezogen, nachdem sie früher in Nishni-Nowgorod gelebt hatten; in Est­land besassen sie das Rittergut Konofer. Die Kinder waren nun bei ihrer Grossmutter in den Ferien. Über sie schrieb ich an Eduard: «Ich habe mich mit ihnen sehr gut amüsiert. Meine Nichte ist vierzehn, Waldi dreizehn Jahre alt. Er ist wohl so bild­hübsch, dass es ein Kunstgenuss ist, ihn bloss zu be­trach­ten; er ist jedenfalls das hübscheste männliche Wesen, das ich kenne, wenn man einen Knaben «männlich» nennen kann, ebenso wie die Mutter fast das hübscheste weibliche Wesen ist. Sie waren auch reizend zu ihrem katholisierenden Onkel Elisàr Maria, obgleich sie ihn einmal zu bekehren suchten.» Ich hatte einige Gedichte mit «Elisar Maria von Kupffer-Ertzdorff» ver­öf­fentlicht. An Jahren stand ich den Kindern sogar näher als der Mutter, meiner Kusine, die elf Jahre älter als ich war, wäh­rend die Kinder nur acht und neun Jahre jünger. Und da sollte ich etwas Merkwürdiges erleben. Wie ich schon erwähnte, hatte ich mit 17 Jahren ein kleines Epos geschrieben, in dem ich die­se Zeit als den Höhepunkt der Jugend feierte und meiner Sehn­sucht Ausdruck gab, einmal träumend durch einen Kuss er­weckt zu werden. Dieser erotische Wunsch hatte sich auf Agi gerichtet, blieb aber unerfüllt. Da – eines Morgens wurde ich durch – Küsse geweckt und – schaute in die lachenden Augen eines Engelsbuben! Es war Waldy!

Wohl kein gewöhnlicher Gedanke eines Dreizehnjährigen, seinen Gast auf solche Weise zum Bewusstsein zu bringen. Wer noch an höhere Fügung glaubt, den muss ein solches Erlebnis doch berühren, besonders als Erfüllung eines seit Jahren ge­heg­ten Jugendwunsches. Jahre später, da er im Japanischen Kriege als blutjunger Leutnant inmitten der Soldaten aufrecht stand und furchtlos in Lebensgefahr schwebte, richtete ich an ihn ein Gedicht, das mit den Worten beginnt:

 

Du wecktest mich wie der Beseeler Eros

Mit frischem Morgenkuss aus dunklem Schlummer,

Du wecktest reichrer Liebe Lust und Kummer,

Du wecktest in dem Schlummernden den Heros.

 

Auch ihn habe ich, wie sechs Jahre zuvor Agi, im blauen Ma­tro­sen­kragen zuerst geschaut. Wir sind in der Heide am Meer um­her­gestreift und haben auf einem Hügel gesessen, gescherzt und geplaudert. Als er mal mit blossen Knien und Waden um­her­sprang, mahnte die Schwester Alice, dass sich das nicht schicke; da erwiderte der Bube lachend: «Lass doch, das macht Elisàr Freude.» Später, in der südlichen Ferne zwischen Rom und Florenz, entstand dann ein noch un­ge­druck­tes Gedicht in herzlicher Erinnerung:

 

Wie sehr ich dich liebte,

Du ahntest es kaum.

Ein schöner Traum,

Der nie zerstiebte,

Blieb mir der Blüte Holder Duft

Aus Jugend und Lenzesluft

Im reifenden Gemüte.

 

Als ich dich küsste Wohl ungezählt,

Hat sich mein Herz gestählt

Zum Kampf der Liebe, den ich rüste.

Und ob ich wüsste,

Dass alles stirbt,

Was hier um Wonne

Und Sonne wirbt —

Ich breite die Flügel

Gen Abend aus,

Auf blühendem Hügel,

Wie damals zur Stunde,

Und fliege hinaus!

Wohin? … woher keine Kunde –

Da bin ich zu Haus.

 

Dieses Unerkundschaftete ist die Klarwelt, wie ich sie später ge­stal­tet habe, schon vielen zur Erhebung – im Sanctuarium Artis Elisarion zu Locarno. Geahnt hat Waldy meine Zuneigung doch. Er hat dann später eine Baronesse Margot von Hoynin­gen-Huene geheiratet, die leibliche Kusine von Agnes. In viel späteren Jahren erhielt ich noch einen Brief von ihm, in dem er herzlich und mit Verständnis sprach und sagte: ich wäre mei­ner Zeit zu weit voraus, als dass sie mich schon recht ver­ste­hen könnte, aber ich würde «zu grösserer Wirkung aufgespart». 1931 ist er leider bereits gestorben. Das Leben seiner Schwester Alice, die weder ihm noch der Mutter an Schönheit ähnlich sah, ward zur Tragödie, infolge der Agrarrevolution in Estland. Ihr Gatte, Herr von Samson-Himmelstjerna, wurde seines Gutes beraubt und wahnsinnig; sie zog mit den beiden Kindern nach Königsfeld in Deutschland und starb bald an einem schweren Gehirnleiden. So hat meine schöne Kusine Anna von Ren­nen­kampff, die vom Gatten und ihrer Freundin von Miaskowski auf Händen getragen wurde, den Gatten, die Tochter und den geliebten Sohn überlebt. Als Dichterin veröffentlichte sie eine dramatische Dichtung «Das Märchen von der Sehnsucht» und Romane, wie «Das Haus auf der Höhe». Schicksal um Schicksal in dieser Welt, die ich die Wirrwelt nannte.

Ich verliess nun – Sommer 1894 – Reval und «fuhr», laut meinem Brief an Eduard, «nach Lechts, wo ich den ganzen Tag und die Nacht blieb». Als ich vom reizenden Buben erzählte, sagte die Baronin halb im Scherz: «Sie sind ja ganz verliebt in Ihren Neffen.» Worauf ich betonte, dass es kein Wunder wäre und dass mir das natürlich liebenswürdige Wesen sehr wohl­ge­tan hätte. Dann heisst es im Briefe weiter: «Den andern Mor­gen fuhr ich mit ihnen (Agi und der Mutter) in die Kirche zu Ampel (etwa 10 Kilometer weit) und kam dann nach Hause (Jootma), wo ich zwei junge Damen als Hausgäste vorfand, von denen die eine 18 Jahre alt ist und recht hübsch. Agi soli heute auch herkommen.

Ich zitiere absichtlich aus Briefen jener Zeit, um möglichst unverfälscht, objektiv darauf hinzuweisen, wie über­ge­schlecht­lich natürlich, wie unbefangen lauter meine erotische Be­zieh­ung zu Anmut und Liebe war, ganz ohne jene krankhafte Eroto­pho­bie oder scheinheilige Brutalität, die in der entarteten Kul­tur bei den Menschen förmlich grossgezogen werden, so dass die jungen Menschen zu unglücklichen Neurotikern, ver­zwei­fel­ten Pessimisten oder verlogenen Lebensgeniessern werden, die sich äusserlich Gesellschaft, Staat und Kirche fügen; oder auch zu fanatischen Pietisten, die trotzdem sie sieben Kinder in die Welt setzten, noch nicht den Mut haben, ihr Gefühlsleben im Grunde anders als unrein zu betrachten. Hier tut Läuterung not. Besser sie käme auf dem Wege friedlicher Einsicht als durch gewaltsamen Umsturz.

Es ist sehr ähnlich, wie mit der Entwaffnung und Gleich­be­rech­ti­gung der Völker und Menschenarten in der Politik. Wird sie auf friedlichem Wege zu erreichen sein, oder bedarf es noch gewaltsamer Ereignisse? In der Wirrwelt herrscht Un­gleich­heit, und nur durch möglichste Freigemeinsamkeit kön­nen die Gifte der Unterdrückung gemindert und gelindert wer­den. So lang noch immer ein Volk oder ein Mensch die Lebens­art des andern als unwert oder gar schändlich verfemt, ist an gesunde, friedlichere Zustände nicht zu denken.

Seit dem Studentensommers hatte ich, wie ich Eduard schrieb, in den Augen der Lechtsschen Jugend an Interesse gewonnen. «Agi meinte, ich sei doch einmal Mensch gewesen, sonst sei ich immer Halbgott.» Dies Urteil war bezeichnend. Worin bestand dieses vermeintliche Halbgottestum? Darin, dass ich ruhig meine Stellung wahrte, mich nie herabsetzen liess, durch mein Wesen und meinen Geist Achtung abnötigte, und dass ich mich gern in einer gewissen geistigen Atmosphäre bewegte, die, wie ich öfters beobachten konnte, die jungen Da­men weit weniger unterhielt, als dienstfertiges Hofieren und bloss scherzhafte nebensachliche Behandlung des Geistigen, das dabei nur als eine Art Salonwürze gebraucht wird, um Ein­druck zu machen. Auf die Gefahr hin, ein schiefes Mäulchen bei hübschen Damen zu bewirken, muss ich doch sagen, dass ihnen geistige Dialoge weniger liegen oder geistige Fragen, um sich zu klären, weniger als z. B. grösseren Knaben und Jüng­lin­gen, sofern sie überhaupt geistiges Interesse haben. Das ver­stan­den die alten Hellenen sehr wohl und wussten daher ihrer Kultur einen doppelten Reiz und eine eigenartige Höhe zu geben, die uns mangelt, da bei uns die freie Entfaltung der Menschenarten durch eine – man möchte fast sagen «wider­na­tür­liche» Moral verbaut wurde. Allmählich wird man das ein­sehen. Dabei war die Frau und was ihres Wesens ist, in der klas­si­schen Antike gar nicht missachtet, wie bei Moham­me­da­nern, ja auch bei Christen, die das Weib lange als seelenloses Gefäss der Sünde betrachteten, als Versucherin seit Eva her. Meine lieben Frauen, vergessen Sie das nicht, dass das Weib in einer Kultur wie Sparta, Athen, Theben besser daran war, wo Knabe und Jüngling zu ihrer Gemüt- und Kulturwirkung ka­men. Das ist aber nicht mit sogenannter «Homosexualität» gleichbedeutend, wie dieses Ungetüm von Wort heisst; an «horror feminae», an Angst vor dem Weibe, litten diese Män­ner erst recht nicht.

Wer meine Darlegung des Lebens aufmerksam gelesen hat, wird mich nachher ohne Schwierigkeit verstehen, wie ich dazu kam, später, 1900, die «Lieblingminne und Freundesliebe in der Weltliteratur» herauszugeben, aus gerechter Empörung über eine klägliche Entstellung des Liebeslebens seitens Homo­sexueller und Antihomosexueller.

Das geschah nicht, um mich etwa in den rührseligen, «Be­gna­di­gung» erbittenden Reigen vieler Ho­mo­sexueller ein­zu­rei­hen; nein, wahrhaftig nicht! Ohne mit klarem Verstand zu prü­fen, hat man mich oft und geflissentlich missverstanden. Die­ses Missverständnis wird immer mehr geklärt werden, aber es hat mich und mein Schaffen lange geschädigt. Das geschah nicht zum mindesten von Seiten solcher, die mir eher dankbar sein sollten, aber aus Feigheit mich erst recht in falsches Licht setzten und sich dadurch wie durch ein «Alibi» zu reinigen suchten. Oder sie schwiegen mich überhaupt tot, wenn sie an literarisch massgebenden Stellen waren. Im Grunde sind jene und ich ganz verschieden geartete Menschen.

Selbst der Kunsttitane Michelangelo war im Grunde ein Mensch, der an sich selbst litt und seiner Sehnsucht nach Kraft in den mächtigen Gestalten und üppig starken jungen Männern Ausdruck verlieh, die mit den biblischen Geschichten der Ca­pel­la Sixtina, die sie umrahmen, wahrlich nichts zu tun haben, aber ihm das Wesentliche waren, ebenso wie auf der Heiligen Familie im Hintergrunde. Anmut sagte ihm wohl wenig, Anmut ist für harmonische, ausgeglichene Seelen oder für solche, die, selbst stark, die erfüllende und entspannende Wirkung der An­mut ersehnen. Das kann nicht genug gesagt werden. Deswegen können Gemälde der An­mut gerade auch auf Frauen, die har­mo­nisch sind, beglückend einwirken; dagegen versagen vor meinen Werken Männer, die eine derbe Ergänzung brauchen, ob es nun Homosexuelle sind oder Heterosexuelle, die auf derbe Frauen eingestellt sind. Das ist das Wesentliche, nicht äussere Geschlechtsabzeichen. Diese oberflächliche Auffassung wird überwunden werden müssen.

So sehr ich Agnes sinnlich und seelisch liebte, die Zerrerei wirkte am Ende entfremdend, wie es in Briefen und Gedichten jener Zeit zum Ausdruck kommt. Aus dem Brief vom 17. August 1894 an Eduard erklingt eine ernste Problemstimmung – auch dem Christentum gegenüber. Freilich heisst es dann wieder: «Ich bin mit erneuter Kraft zu meinem positiven Glauben zu­rück­gekehrt.» Der Musiker Franz Liszt hatte auf mich tiefen Eindruck gemacht. Ich schrieb dann: «Dieselben Worte, die Liszt einst dem verzweifelnden Richard Wagner sagte, möchte ich auch dir zurufen: Nur entbehren und entsagen hält uns auf­recht auf dieser Erdboden. Lass uns unser Kreuz zusammen tra­gen.» Ich schloss daran meine damaligen Verse:

 

Es war kein Schwärmer, den auf Golgatha

Die Henker an das Kreuz geschlagen.

Die Zeit vergeht, Sein Geist ist ewig da,

In Herzen zahllos durch die Welt getragen.

 

Wieder ermahnte ich meinen Freund in der Ferne, den Blick aufs Ganze zu richten, «nicht an einem Wesen ganz hängen zu bleiben und seinetwegen womöglich zu verzweifeln, und nicht im Wahnsinn der Begrenzung verloren zu gehen; nein, Edy, das darf der Mensch nicht, der das Grosse will … Durch Kampf zum Sieg, durch Zweifel zum Glauben, durch Kälte zur Wärme!»

Auch da sprach ich noch aus, wie ich dieser Liebe zu Agnes manche Bewahrung verdankte, fügte dann aber hinzu: «nur zum Teil, denn meine Liebe zu dem Gott, den ich anbete, hat wohl auch das ihrige getan.» Schon kündigte ich ihm an: «dass ich nicht verzweifeln würde, wenn sie nicht mein wird. Es ist doch etwas unbeschreiblich Grosses um die Ewigkeit und das Wirken Gottes in der Welt. Lieber Edy, jeder trägt zum Teil sein Leid in sich selbst. Glauben muss man, glauben, dass die Sonne scheint, auch wenn man sie nicht sieht. Auch du sollst nicht verzweifeln. Die Befriedigung des Geschlechtstriebes ist keine Sünde. Jenseits des Grabes gibt es kein Freien und keine Ehe mehr.»

Eine männliche und mannhafte Arbeit

Wir mieteten zwei Zimmer in Charlottenburg in der Knese­beck­strasse 93. Die Frau, bei der wir einzogen, schien uns ein junges Mädchen, Tochter der älteren Frau, und sie versicherte uns, dass es sehr ruhig bei ihnen wäre. Nachher erwies es sich, dass sie selbst, eine zierliche Brünette, die an eine Prinzessin Radziwill erinnerte, die Mutter von drei Töchtern und einem Knaben war, der später in mein Leben eintreten sollte. In jener Zeit kamen mir ein paar Bücher in die Hände, die mich so ver­drossen und zugleich zum Widerspruch nach zwei Seiten an­trie­ben, dass ich zu einer mühsamen schriftstellerischen Arbeit bewogen wurde, die leider vielfach ganz missverstanden wurde, wohl auch zum Schaden meines eigentlichen Schaffens. Es wurde zwar nur eine Nebenarbeit, aber, wie gesagt, eine sehr zeitraubende, da sie auch viel Studien erforderte. Nach der Psyche Trichiliaschen Veröffentlichung von Professor von Krafft-Ebing über abweichende Sexualgefühle (Psychopathia sexualis) und nach dem Prozess des unglücklichen englischen Dichters Oskar Wilde war eine ganze Literatur über die so­ge­nannte Homosexualität entstanden. Zufällig kam mir auch ein Buch von einem gewissen Otto de Joux (Pseudonym) in die Hände, das mich durch seine schiefe, oberflächlich beklagende, unmännliche Art der Behandlung geradezu empörte. Wer meine bisherige Darstellung aus früheren Briefen aufmerksam gelesen hat, wird nun wissen, wie überlegen ich schon in jun­gen Jahren über all diese Dinge dachte, die durch eine gerade­zu unnatürliche sozial-ethische Entwicklung erst zu schwie­ri­gen Problemen gemacht worden sind, die sie natur­ge­mäss gar nicht zu sein brauchten. Ich kannte ja auch die Antike schon recht gut, wusste, dass die Neigung zu Schönheit und Geist gar nicht mit bestimmten Geschlechtsabzeichen verbunden zu sein brauchte. Ich wusste, dass der grosse Philosoph Platon, der auch in der christlichen Geisteskultur eine bedeutende Rolle spielt, in seinem «Staat» dem Helden als Belohnung zugesteht: die Zärtlichkeit eines Mädchens oder Knaben zu geniessen. Auch der spätgriechische Priester und berühmte Biograph Plutarchos äusserte sich darüber mit freier Überlegenheit. Ich kannte Shakespeares Sonette, Schillers begeisterte Freundes­lie­be, die Gedichte des in allen Gymnasien studierten Horaz’, die sowohl Liebe zu Mädchen wie schönen Jünglingen be­ken­nen – kurz, es verdross und reizte mich, jede zärtliche Em­pfin­dung, die sich nicht auf ein rein weibliches Wesen richtete, in einseitiger, übertriebener Weise als schmähliche Entartung oder als Unglück dargestellt zu sehen. Namhafte Helden der Geschichte, wie Julius Cäsar, der Feldherr Epaminondas, Alexander der Grosse und Friedrich der Grosse, wurden da zu weiblichen Seelen, die sich unglücklicherweise in einen männ­li­chen Leib verirrt hätten, entweder verdammt oder weinerlich entschuldigt. Liebe und Fortpflanzungstrieb, zwei im Grunde ganz verschiedene Erscheinungen des Lebens, waren längst in ein gemeinsames Fach gesperrt. Und nun wurde um Mitleid für die armen, andersgearteten «weiblichen» Männer geworben und gebettelt. Es hiess, die Armen schreckten vor dem Weibe zurück, hätten «Horror feminae», weil sie ja selbst Weiber waren. Aus meinem eigenen Leben, wie jeder aufmerksame Leser nun weiss, wusste ich, dass das keineswegs der Fall zu sein braucht, dass bei mir von einer Abneigung gegen das Weibliche gar keine Rede sein konnte, besonders nicht von einer Abneigung gegen sinnliche Reize weiblicher Anmut und Schelmerei. Andrerseits wusste ich, besonders seit mein bild­hüb­scher Neffe Waldy mich durch Küsse geweckt hatte und mit zärtlicher Munterkeit erfreute, dass man zugleich eine liebe­volle Wärme gegenüber einem hübschen Knaben empfinden konnte und dass diese ebenso erwidert werden konnte. Auf­rich­tig und aufrecht, wie es meine Natur erforderte, beschloss ich, eine Sammlung der Weltliteratur und Geschichte zu­sam­men­zu­stel­len und jene einseitige, naturwidrige Behauptung durch Belege zu widerlegen, und zwar im Interesse einer wahr­haftigen Kultur.

Ob es so extreme, einseitig veranlagte Naturen gab, die geschlechtlich nur in einer, begrenzten Weise empfanden, darum war es mir nicht zu tun. Es mochte der Fall sein, und ich habe mich später davon überzeugen können, dass es männliche Wesen gibt, die gar nicht zum Weibe neigen, ja geradezu eine Abneigung dagegen haben, wie es anderseits Männer gibt, die für die schönen Knaben und Jünglinge nichts empfinden, ob­wohl das oft durch ethische Verdrängung und anerzogene, moralisch-religiöse Furcht bedingt ist, weniger durch natür­li­che Abscheu. Es bedurfte einer Menge Studien in ver­schie­de­nen Sprachen, da ich in diesem Sinn fast keine Vorarbeit fand. Vor allem lag mir auch daran, zu erweisen, dass jene Liebes­nei­gung zu schönen Knaben und Jünglingen keineswegs eine Ver­falls­er­scheinung der Antike ist, wie böswillig behauptet wurde. Erst später, nach Erscheinen meines Buches, hat mir der be­rühm­te Philologe Professor Ulrich von Wilamowitz-Moellen­dorff, der mein Buch las, noch Material gegeben, das meine Behauptung unzweideutig bewies. Das waren Berichte von der Insel Thera (Santorin), Inschriften des dortigen Gymnasiums beim Apollontempel aus dem siebenten (!) Jahrhundert vor Christus! – Inschriften in sehr eindeutigen Worten. Um ihre Entdeckung bat sich besonders der gelehrte Hiller von Gär­trin­gen verdient gemacht. Auch Berichte über die altgermanischen Taifalen (um Modena) verdanke ich Wilamowitz. So konnte auch Tacitus’ Bericht über die alten Germanen in diesem Punk­te anders gelesen werden als bisher beliebt war. Ich musste Verschiedenes aus den antiken Sprachen erst selbst neu über­set­zen, wobei mir Dr. Eduard von Mayer einen Teil der Arbeit abnahm. Er war ja, wie aus der Lebensgeschichte erhellt, gleich mir jahrelang von der Liebe zum Weibe belebt, und stimmte nun meiner umfassenderen Einsicht bei, nachdem er früher eben ohne Verständnis gewesen war.

Damals glaubte ich noch, dass die Menschen – die Zeit­ge­nossen – imstande waren, sich durch vorgelegte Beweise eines Besseren belehren zu lassen. Einige Zeit später freilich er­kann­te ich, dass man mit drei Generationen rechnen musste, bis ein wirklich neuer Gedanke oder eine Erkenntnis allgemeiner auf­genommen wäre, also etwa mit einem Jahrhundert. In einer Generation kann die neue Einsicht höchstens zur Kenntnis einer gewissen Gruppe von Menschen gelangen. Dass dem so ist, habe ich später erlebt. Je umwälzender der Gedanke ist, umso länger dauert es. Damit musste ich rechnen, als ich ein Jahr später, um die Jahrhundertwende, meine neue religiöse Botschaft innerlich erlebte.

Neapel und Pompeji

Unsere Reise ging diesmal mit ganz geringer Unterbrechung bis Neapel, wo ich Wärme zu finden hoffte, indes ich bald schmerzlich empfand, dass viel wahre Wärme, Herzenswärme, im Norden blieb. Wir fanden bald ein paar Zimmer in Santa Lucia, das heute so verändert ist; aber die Luft ermüdete mich oft, und ich stand wie unter einer Last, trotz des Südens. Oft besuchte ich das schöne Museum von Neapel, besonders die Räume mit den Bildern von Pompeji; auch kopierte ich ein antikes Gemälde, das den Narkissus darstellte. Das vorlaute Treiben von Neapel zog mich auch diesmal nicht an. Im öf­fent­li­chen Garten, der sogenannten Villa Nazionale, wo auch das treffliche Aquarium deutscher Gründung seinen Platz hat, gab sich wohl ein ungezwungenes Leben, wo gewiss viele ihre Abenteuer suchten und im geheimen ihr Erleben fanden, aber es war keine Welt für mich. Alles, was mit Liebe zu tun hatte, war mir heilig, ebenso wie meinem Freunde Eduard.

Ich lernte dort bei Musik einen jungen Sizilianer, der auch Malerei studierte, kennen, Giulio B. Er sprach oft mit Gering­schätzung von den Neapolitanern, war aber selbst auch nicht viel idealer und entsprach nicht den sizilianisch stolzen Wor­ten, die er geme vorbrachte. Wir machten einmal einen Aus­flug nach Capo Miseno und nach Pompeji. Dazwischen waren Eduard und ich nach Cava dei Tirreni gefahren, wo die Luft besser war; es liegt südlich von Neapel in einem weiten be­grün­ten Tal, überhöht von einem Hügel mit Burgruine, und ist ein Aufenthalt für heissere Tage, besonders das höher gelegene Corpo di Cava, wo ich zu meinem Erstaunen eine prächtige Birke fand, wie in unserem Norden. Dort entstand das Gedicht «Unsere Rätsel»:

 

Wie sind die Berge voll Sonne,

Die Täler in Nacht!

Da zittert im Grün und lacht

Die kurze – ewige Wonne.

Während es in den Wipfeln

droben rauschte, hörte ich:

Die Glocken läuten von ferne

Zu Freud und Leid …

 

Und doch klang es aus: «Der Frühling kommt – das Siegen!» Dabei war es Sommer, schöner Sommer. Aber ich dachte an einen andern Frühling, an ein fernes Siegen der Seele. Eigen ist, dass diese innere Zuversicht, auch in schweren Stunden meines Lebens, immer wieder lebhaft durchbrach. So lautete es schon 1896 im Augenblick tiefsten Ernstes : «Du scheiterst nicht!!»

Im Juli verbrachten wir fast vier Wochen in Pompeji, so dass ich dort wie heimisch wurde und wir kunsthistorische Studien trieben. In Pompeji umfing mich eine alte, versunkene Welt. In den antiken Häusern, denen man neuerdings nicht mehr ihre Bilder entführte, wurde es für mich lebendig, wie vor 2000 Jahren.

 

Der Himmel blaut ins rote Gemach herein,

Im Mosaiken Estriche spriesst das Grün

Und schmählich wächst der Sonne Schatten.

Raschelnd die scheuen Lazerten huschen.

 

So störend es ausserhalb an den Toren von Pompeji wurde, wenn die aufdringlichen Kutscher mit ihren von Fliegen und Bremsen umschwärmten Pferden einem keine Ruhe liessen oder die lästigen Fremdenführer endlos plapperten – sobald wir die tote Stadt betreten hatten umfing uns Ruhe, denn wir hatten als Künstler und Studierende den freien Permessi, mein Freund nach einer Empfehlung von dem bekannten Gelehrten Alessandro Chiapelli. Noch sah man in Pompeji die Spuren der Räder, sah Inschriften flüchtigen Lebens an den Mauern. Ich stand vor einem kleinen Rundbild in jenem roten Gemach, sah einen Knaben wie vor 2000 Jahren die Hirtenflöte spielen:

 

Er zieht die dunklen Brauen zur Schläfe hoch,

Die grossen Augen lächeln mich schelmisch an,

Nun lächeln auch geschwellt die Wangen,

Senkt sich das Haupt Melodien folgend.

[…]

Kenn ich dein Lied doch, dein Lied ist ewig!

 

Es steht in den irdischen Gedichten «Auferstehung». Ich habe das Bild gemalt, das indessen zugrunde ging.

Als ich einen einfachen Jungen einen Korb aus dem Schutt der Ausgrabungen tragen sah und er mich mit scheuem Lä­cheln um eine Zigarette bat – leider vergeblich, da ich als Nicht­raucher keine bei mir hatte – da musste ich denken: Beide tragen wir Schutt, graben das Leben wir aus … Auch des fernen nordischen Knaben musste ich gedenken, der mir sein Herz erschloss, ohne Trug, ohne Anmassung:

 

Ich lieb deinen Mund, der die Wahrheit plaudert,

Ich lieb deinen Blick, der so schelmisch zaudert.

Ich lieb dein gesundes, dein neckisches Wesen,

An dem alle trüben Geister genesen.

Ich lieb dein natürliches kindliches Lachen,

Dein zartes ungestümes Entfachen.

 

Eine Frucht dieses länger Aufenthaltes wurde auch das schöne, treffliche Buch von Eduard von Mayer «Pompeji in seiner Kunst», das viele entzückte, und von dem man nur wünschen kann, dass dieses kleine, aber inhaltsreiche Buch wieder im Buchhandel erschiene.

Lieblingminne und Freundesliebe in der Weltliteratur

In Pompeji erledigte ich noch Korrekturen der grossen Li­te­ra­tur­sammlung, die ich schon in Berlin vorbereitet hatte und von der ich bereits als von einer mannhaften Arbeit sprach. Mit obigem Doppeltitel wollte ich andeuten, dass es sich einerseits um zärtlichere, erotisch betonte Liebesempfindung zu an­mu­ti­ger Jugend handelt (Lieblingminne), anderseits aber auch um Gefühle, die mehr in das Gebiet der wärmeren Freundschaft gehörten. Der begrenzte Raum gestattete es mir nicht, was ich sonst gewünscht hätte, auch Gedichte zur Frauenminne der gleichen Dichter einzufügen, gerade um die reichere Note sol­cher Dichter oder Künstler darzulegen. Die Einleitung zu dem Buche, die auch in einer Zeitschrift erschien, musste für den­kende und aufmerksame Leser meine Absicht klarstellen. Man hätte das erwarten können. Leider wurde damals das Buch in Berlin von dem Verleger in aufregender Weise angezeigt, auf der Rückseite eines Flugblattes in den Reichstag zur An­kün­di­gung geworfen. Infolgedessen erhielt ich von meinem Onkel Hugo von Kupffer, dem Chefredaktor des «Berliner Lokal­an­zeigers», einen aufgeregten Brief, in dem er mich beschwor, das Buch ja nicht erscheinen zu lassen: es könnte mir schaden und ihm Überdruss bereiten. Ich habe damals diese Warnung nicht angenommen. Er hatte von seinem Standpunkt aus damals wohl recht. Aber – ich hatte ja gar nicht «Sensation» erstrebt, war mit überlegenem Bewusstsein daran gegangen, hatte eine grosse Arbeit geleistet, die dann auch nachher bei klugen und verständigen Männern und Frauen achtungsvolle Anerkennung fand. Meyers grosse Enzyklopädie hat dann auch viel später erwähnt, dass ich der erste seit dem Philosophen Platon war, seit über 2000 Jahren, der diese Gefühle zu männ­licher Jugend kulturell und ethisch wertete, und nicht psychia­trisch, kriminell oder nur physiologisch.

Gegner hat es mir wohl eingetragen. Auch bin ich vielfach gänzlich missverstanden worden. Es konnte, ehrlich gewertet, gar nicht davon die Rede sein, dass ich all die zitierten Geister als «bloss homosexuell» hätte hinstellen wollen, wenn auch bei einzelnen von ihnen diese Neigung durchaus überwog, so bei August von Platen und Michelangelo. Wie gesagt, nur Un­ver­stand oder Böswilligkeit konnte das behaupten. Aus meiner Lebens­geschichte und aus meiner warmen Beziehung zu Mäd­chen und Frauen geht überdies zur Genüge hervor, dass es von mir selbst nicht gelten kann, was mir unterschoben wurde. Ich habe auch schon an anderer Stelle ausgeführt, dass sexuell und erotisch sich keineswegs decken, dass das Wort «Eros» sach­lich entwertet worden ist, weil ja Eros = Amor (Liebe) und nicht – Sexus (Geschlecht) ist. Das ist eine direkte Fälschung des Wortes.

Ich habe dem menschlichen Gefühl, solang es edel-mensch­lich zutage tritt, sein Recht geben wollen. Dabei würde auch die christliche Welt, jedenfalls der Glaube, nur gewinnen. Damals äusserte ein Herr in Rom: dieses Buch wäre eine ethi­sche Tat, es hätte, als erstes, lautere Reinheit und Adel den Gefühlen gegeben, und alle sollten dafür dankbar sein. Der englische Soziologe und Dichter Edward Carpenter (1844–1929) hat mich später in Florenz in Anlass dieses Buches auf­gesucht und mir seine Sammlung «Joläus» mit freundlichen Worten gewidmet. Als später auf eine gehässige, feige De­nun­zia­tion hin Klage gegen das Buch erfolgte, da sind drei nam­hafte deutsche Männer für den ethischen und wissen­schaft­li­chen Wert meines Buches vor dem Reichsgericht in Leipzig eingetreten: Professor Dr. Franz von Liszt, der berühmte Rechtslehrer und Neffe des Komponisten, der Dichter Rudolf von Gottschalk und der grösste Philologe, Professor Dr. Ulrich Freiherr von Wilamowitz-Möllendorff. Daraufhin wurde mein Buch als ernstes wissenschaftliches Werk freigegeben.

Wie wenig sich die nur Homosexuellen an meinen Büchern und meinem Geist erfreuten, bewies die Tatsache, dass meine eigenen Gedichtbücher bei ihnen wenig Anklang und Absatz fanden. Sie hielten sich mehr an die Klagetöne der «Namen­lo­sen Liebe eines Sagitta», der als – Anarchist! nicht den Mut fand, seinen wahren Namen zu nennen, um nicht als homo­sex­uel­ler Verfasser den Absatz seiner andern Bücher und seine gesellschaftliche Stellung zu gefährden. Mir liegt nicht daran, solch mutlosen «Draufgängern» die Maske abzunehmen, ob­wohl ich weiss, wer es ist. Später hat mir eine junge Dame, die meine Gedichte schätzte, gesagt: «Sie hätten schlauer ge­han­delt, sich erst durchzusetzen.» Sie meinte es gut, wer aber so ängstlich und schlau handelt, ist kein Elisarion. Ich habe nichts zu verbergen. Und gerade wertvolle Frauen brachten mir Liebe und Achtung entgegen. Ja, eine deutsche Frau und Mut­ter, die Tochter eines mecklenburgischen höheren Geistlichen, Maria Hagelmann, äusserte, sie hätte, seit ihrem Verkehr mit mir und seit ihrer Kenntnis meines Schaffens und Wirkens, wieder Achtung vor der Menschheit gewonnen, und das nach­dem und trotzdem ein böswilliger Mann der Linken, ein revo­lutionärer! Professor an der Hochschule in Hannover mein Schaf­fen vor ihr zu verdächtigen versucht hatte. Wer eine Mutter hatte, wie ich, kann von der Frau nicht unedel denken. Und wessen Jugendliebe zu einem Mädchen so vielfachen Ausdruck fand, jahrelang, wie die meine schon in «Leben und Lieben», wo alle Liebesgedichte dem Mädchen galten – der braucht sich kein schützendes «Alibi» zu schaffen.

Warum ich nicht geheiratet habe

Die Wärme meines Gefühls, das Bedürfnis nach täglichem, herz­li­chem Austausch liessen mir ein einsames Leben des so­ge­nannten «Junggesellen» unerträglich erscheinen, sogar in jungen Jahren, wo ich weniger auf Hilfe angewiesen war. Das in solchem Sinn einsame Jahr in München und sonst kurze vereinsamte Wochen waren für mich stets eine harte Prüfung. Auch hatte ich Jugend gern um mich, verstand mit ihr allezeit gut umzugehen, und später hätte ich mich sicher auch an ei­ge­nen hübschen und aufgeweckten Kindern gefreut. Weibliche Anmut und zärtliche Art sprachen mich an, und die Wärme meines Gefühls blieb nicht ohne Leidenschaftlichkeit. Und doch habe ich nicht geheiratet. Dafür gibt es einige triftige Gründe, auf die ich hier eingehen möchte, damit nicht immer gar zu falsche Schlüsse gezogen werden.

Ich hatte, wie erwähnt, von früh auf viel gelitten, leiblich und auch durch ein zartes tiefes Gemüt. Das Leben war für mich keineswegs etwas schlechthin Begehrenswertes, so dass ich mich für mein Dasein dem Vater nicht zu Dank verpflichtet fühlte, im Gegenteil, einige Zeit als Knabe einen äusserlich unbegründeten Groll gegen den guten Mann empfand, aber gar nicht, wie ich schon ausführte, aus sinnlicher «Mutter­bin­dung». Zum Betrübnis meiner teuren Mutter verwünschte ich einmal, dass ich geboren wäre. Sonst konnte ich keinen Vor­wurf gegen meine immer gütige Mutter haben, die, wie mein Vater mir später selbst einmal sagte, des leib­li­chen Aus­tau­sches mit dem Manne nicht bedurft hätte. Aus unbedingter Lie­be zum Gatten war sie Mutter geworden, und eine ideale Mut­ter, die aber sehr zart war. Später, als Gereifter, war ich der Meinung, dass es in der Tat sehr verantwortungsvoll ist: Kin­der in dieses Leben, in diese Leidenswelt zu setzen. Der Ge­dan­ke der Eugenik, der Zeugung gesunden wertvollen Le­bens, ward mir früh bedeutungsvoll. Mein Vater, der als Pri­ma­ner durch einen Turnunfall auf Jahre leidend geworden war, nahm, um seine Arbeit und seinen Beruf erfüllen zu können, Mor­phi­um. Die Einsicht, dass dieses Mittel, als Gift, wenn auch in geringeren Dosen injiziert, auf die Nachkommen­schaft schäd­lich wirken könnte, hätte ihm nach meiner Überzeugung ab­ra­ten sollen, Kinder zu zeugen. Wenn er auch später, nach Auf­ga­be dieses Mittels und des Rauchens, gesunder wurde, war ich doch in jener Zeit gezeugt. Die Ursache war wohl der Glau­be, es geschähe ja nichts ohne Gottes Willen! …

Die Ehe meiner Eltern war eine denkbar harmonische, es gab nie ein Zerwürfnis, ja nicht mal den leisesten gegenseitigen Vorwurf. Meine Grossmutter väterlicherseits war noch in ihrem Alter eine lebenskräftige Frau; das mag in ihm gut nachgewirkt haben, doch ich hatte, wie gesagt, eine zarte Mutter.

Bei mir hat es in all meinen Leiden und schweren Er­leb­nis­sen der grössten Willensanspannung bedürft, um das zu leisten, was ich geleistet habe, in vielen Studien und reichem Schaffen. Eine wunderbare Fügung hat es ermöglicht, dass ich nicht im Kampf ums Dasein früh zugrunde ging. Das verdanke ich, menschlich, der freundschaftlichen Fürsorge, die ich mir freilich erst mit erneutem Leide erringen musste.

Durfte ich unter solchen Umständen, mit dieser gewon­ne­nen Einsicht, neues Leben zweifelhafter Gesundheit in diese Welt setzen ? – Für mich war es erfahrungsgemäss ja eine «Wirr­welt»; und über jedem ohne Ausnahme hing das Da­mok­les­schwert des Todes – gleichsam das Richtschwert, das am Ende jeden tötet. Wenn, wie mir unlängst ein Münchner Arzt sagte « … der Tod das beste ist, was wir haben … so mag das ein Humor bitterer Einsicht sein, der wohl den Tatsachen entspricht, aber – wer so denkt, darf der drauflos neues Leben zeugen?! – besonders, wenn man als Arzt weiss, dass diese Be­frei­ung oft erst nach langen Qualen im Kerker der Krankheit erfolgt … Es gibt ja genug Leute, die im Überschwang des Ver­langens, ohne zu peinliches Gewissen, dafür sorgen, dass diese werte Gattung Mensch nicht ausstirbt, ja sich noch reichlich vermehrt, worauf dann Kriege zum Ausgleich nötig werden … Es heisst öfters: geistig wert­vol­le Menschen sollten für wert­vol­le­re Nachkommenschaft sorgen. Die Kinder und Enkel be­deu­ten­der Männer sind aber kein Beweis für den Erfolg dieser Aufgabe. Auch heisst es: heirate! damit du im Alter nicht ein­sam und hilflos bist. Aber wieviel vereinsamte Väter oder Müt­ter habe ich in meinem Leben getroffen, deren Kinder an­ders­wo ihr Leben lebten.

Viele, die leben und nicht seelisch noch geistig zeugen und nur eine Last und Hemmung des Lebens sind, hätten besser nicht ins Leben treten sollen, man denke an die Blödsinnigen und die im Alkoholrausch Gezeugten oder die vielen mit Sy­phi­lis-Erbschaft!

So lieb mir eine glückliche Familie erscheinen konnte – ernste Gedanken hielten mich ab, und wohl mit Recht, Nach­kom­men­schaft zu gründen. Und das, obwohl ich überdies für Genealogie, Ahnen- und Geschlechterfolge das lebhafteste Interesse habe. Ausserdem fühlte ich in mir eine Lebens­auf­ga­be, die immer stärker ihr Recht und meine Hingabe verlangte. Für eine Familie ums Dasein zu ringen und dabei meine innere Aufgabe zu erfüllen, daran konnte ich schon mit 27 Jahren nicht mehr denken, weil ich nicht über gesunde Kräfte regel­mäs­sig verfügen konnte. Ich hatte oft Mühe, all meiner Sorgen und Leiden Herr zu werden, wie man ungefähr aus meinem Leben weiss. Auch hatte ich, bei meiner lebensreformerischen Aufgabe, mit der Feindschaft Andersdenkender, geheimer und mächtiger, zu rechnen, konnte also nicht um soziale Gunst für eine Familie werben. So sagte mir sogar die Tochter eines protestantischen Missionars, eine bekannte Schriftstellerin: Missionare sollten nicht verheiratet sein.

Es hätte nur eine reiche Frau sein können, und darauf aus­zugehen lag mir gewiss nicht. Überdies: eine Frau, die einen noch jungen Mann heiratet, hat ein Recht darauf sich als Weib und Mutter auszuleben, also Kinder in das Leben zu setzen. Ausnahmen davon gibt es auch unter dem weiblichen Ge­schlecht, aber sie sind selten, und dann fehlt gerade bisweilen die Wärme des Gefühls, die ich liebte und schätzte.

Und mir wurde ein geistiger und seelischer Freund, der, nachdem er einmal den Drang in die Fernen überwunden hatte, mir mit Herzlichkeit, reicher geistiger Fähigkeit, Tapferkeit und treuer Fürsorge zur Seite stand, so dass ich, trotz allem Schweren in vieler Beziehung, mich erhalten und sogar mein grosses künstlerisches und geistiges Lebenswerk gestalten konnte, abseits vom Brot-Kampf des Alltags, denn Kampf gab es sonst mehr als genug, und ich bin ihm nicht ausgewichen.

Und ferner: es sind nachher so viel weibliche Wesen in mein Leben getreten, die mir ihr Herz erschlossen und denen ich etwas bedeuten konnte, was wohl weniger der Fall gewesen wäre, wenn ich selbst eine Familie gegründet hätte. Ich habe auch da Liebe spenden können und Liebe empfangen.

Ich denke, dies alles klärt vieles. Warum schrieb ich dieses Kapitel, als hätte ich mich etwa zu entschuldigen? Damit nicht einfach die gänzlich falsche Vorstellung bestehen bleibt, ich hätte gar Abneigung gegen das Weibliche (gar «horror fe­mi­nae») oder Furcht vor dem Weibe gehabt. Eine reichere Mensch­lich­keit lebt in mir und meinem Werke, als in solchen einseitigen Menschen, die nur zu dem andern Geschlecht oder nur zu dem eigenen gefühlsmassig und triebhaft hinneigen. Ich lehne darum auch, wie gesagt, das Wort «Junggeselle» für mich unbedingt ab, denn ich habe bisher nie für mich allein gelebt, sondern immer in Gemeinschaft, in Austausch mit mir vertrauten Menschen; seit dem Jahre 1922 überdies in herz­li­cher Gemeinschaft mit einem jungen weiblichen Wesen, das eine Fügung mir zuführte. Warme, lautere Menschlichkeit ist das Beste. Etwas vom Humor, Frohsinn im höheren Sinne, wie ihn auch mein Vater hatte, konnte ich doch noch, trotz alles Missverstehens und Leidens, mir bewahren. Hoffentlich noch bis ans Ende.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort des Herausgebers

 

Wahrheit oder Dichtung?

Auf dem Meridian von Delos

Normannisches Muttererbe

Aus väterlich geistigem Geschlecht

Baltische Art

Das letzte Jahrhundert meines Zweiges

Die Wahlsprüche meines Lebens

Geburt – ein Opfer der Freude

Mein Vater – des Klugen blinder Glaube

Kind – in der Wirrwelt

Meine Mutter – duldende Liebe

Tante Mathilde von Maydell

Die geistige Freundin des Kindes

Der erste Tod

Heimschulung

Balten – keine Russen

Hinaus ins feindliche Leben

Der erste Schultag!

Der Bühne erster Zauber

Ein heiterer – ein seltener Christ

Karl I. Stuart?

Der Verzicht auf das Krönungsfest

Der Einzug in Schloss Jootma

Wieder in Reval

Erste religiöse Bedenken

Schwere Erlebnisse

Eltern und Sohn

Russischer Machtwahn und Demokratie

Der zweite Tod

Name ist nicht «Schall und Rauche

Wenn Buben reif werden

Erotisch – nicht sexuell

Agi, die Frühgeliebte

Das Jubiläum meines Vaters

Seelenadel

Die arme Dame

Zwischen Jootma und Lechts: Elisar und Agi

Wandlungen

Letztes Schuljahr in Reval

Ich und die russische Welt

Gedanken, die voraneilen

Sankt Petersburg, das alte kaiserliche

Die Lotterie des Examens

Eine Fügung: Eduard von Mayer

Sankt Annen in Sankt Petersburg

Ein schweres Jahr

Vor der Berufsentscheidung

Die Universität und der Idealist

Liebe, Leid und Torheit

In der Familie des russischen Popen

Der einsame Studiosus Juris

Liebesprobleme

Der junge Denker und Seelenarzt

Vor dem grossen Entschluss

Das Elend männlicher Jugend

Neues Erwachen

Dem Schicksal entgegen

Der Auswanderer

Am Tode vorbei

Falsche Heiligkeit

Selbstwerdung

Aus dem Karneval

Über die Alpen

Erster Zauber des Südens

Schwermut in München

Von München nach Estland

Entfremdung

Fernensehnsucht und nahe Liebe

Berliner Universitätszeit

Meines Vaters Tod

Ich lächle dieser Tränenwelt

Die Tragik des Aufrechten

Tiefstand des Lebens

Lebensbund und Italienreise

Ein Intermezzo – Zwischengedanken

Im deutschen Sommer

Eine männliche und mannhafte Arbeit

Ein kleiner Genius

Ein Spielhagenabend

Liebendes Erwachen

Neapel und Pompeji

Lieblingminne und Freundesliebe in der Weltliteratur

Von Süden nach Norden, von Norden nach Süden

Ein Winter in Rom

Der neue Glaube

Ein Mensch wie Du – kein Zerrspiegel

Erlöste und Unerlöste

Rhythmus der Sprachen

Wunderkräfte des Lebens

Fino von Grajewo

Meine Dramenschicksale

Berlin – Kur – und bunte Ferienwochen

Lichte Wochen am Genfersee

Noch ein Versuch in Berlin

Warum ich nicht geheiratet habe

Schwere Prüfungen

Zur Gesundung des Liebeslebens

Die Aufgabe Europas! – oder Untergang

Florenz: ein Haltepunkt meines Lebens

 

Der Weg der Liebe

John Henry Mackay

John Henry Mackay veröffentlichte von 1906 bis 1926 unter dem Psydonym «Sagitta» sieben Gedicht­bände mit dem Titel «Die namenlose Liebe». John Henry Mackay war eine zeitlang befreundet mit Rudolf Steiner