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Technik und Kultur – Teil I – Der Segen der Technik

Der Segen der Technik

1. Der Verkehr

Die glänzendste der äusseren Kulturtaten, die staunens­wer­tes­te Leistung der Technik ist in unsrem Verkehrsleben anzuerkennen. Den Naturverkehr vermitteln die Beine, auf ihnen muss der Mensch von Natur aus weiterkommen und kommt so weit, als sie ihn tragen; über Wasser muss er schwim­men – doch wie weit reichen seine Kräfte! Und nun unsere Dampfschiffe, Eisenbahnen, Automobile, Fahrräder! – hier hat die Technik wirklich zur Natur hinzu geschaffen, hier hat der Mensch durch Organisation der Natur eine neue Natur hervorgerufen, eine neue Naturordnung. In diesem Gelingen, in den Werkzeugen, die sie sich hier geschaffen, hat die Tech­nik ihre innere und wahrhafte Bedeutung für die Seite der Kultur gezeigt, die vom Verkehr bedingt ist: hier wurzelt die Technik am tiefsten und innerlichsten, hier hat sie daher am meisten äusserlich vollbracht. Mindestens insofern ist der äussere Erfolg ein brauchbarer Massstab, als er anzeigt, wo und wieweit von inneren Verhältnissen eine Entwicklung ge­för­dert, wenn nicht gar erzwungen wurde.

Es könnte scheinen, als wäre ein eingeborner Wandertrieb der Ursprung des Verkehrs. In Wirklichkeit drängt es den Men­schen gar nicht zum Wandern, sondern er macht sich einzig auf die Suche nach Nahrung. Nur wo diese nicht zur Hand ist, schweift er in die Ferne, nur wenn die Lebensmittel knapp wer­den, macht sich ein ganzer Menschentrupp auf und sucht sich neue Heimstätten, neue feste Sitze; selbst die Nomadenvölker sind unstet doch nur, weil ihre Nahrungsquelle, die Vieh­her­den, die Steppen durchziehen, ebenfalls nicht aus Wandertrieb, sondern dem grünen Grase nach. Solange und wo der Mensch seine Bedürfnisse befriedigen kann, solange ihn nicht Hunger, Langeweile und Qual aufstacheln, ist er weit mehr geneigt friedlich zu beharren, als ins Ungewisse zu streben. Natürlich kann sich durch eine wandernde Form des Lebenserwerbes in Geschlechtern eine Unfähigkeit zur sesshaften Lebensweise entwickeln – wie bei den Zigeunern –; einzelne Personen können gewiss Forschernaturen sein oder zum «Wanderer» werden, von dem es heisst:

«Da, wo du nicht bist, ist das Glück.»

Im Grossen und Geschichtlichen ist es dennoch erst die Lebenssorge, die den Menschen auf die Wanderschaft geschickt hat. Doch auch Wanderschaft ist noch nicht Verkehr; erst wo die Wanderschaft sich wieder heim wendet, tritt die doppelte, die Hin- und Herbewegung ein: denn Verkehr ist Aus­tausch, ob zwischen Menschen oder Orten, und der wandernde Mensch kann bestenfalls Mittel des Verkehrs werden, wenn er den Aus­tausch von Dingen befördert – auf diese kommt es an. Zweck und Inhalt des Verkehrs ist nur die vermittelnde Bewegung zwischen dem einen Orte, wo ein Gegenstand sich gerade be­fin­det, und jenem andern, wo er Verwendung zu finden hat.

Aber jeder brauchbare Gegenstand, sofern er noch nicht in seinem Gebrauchskreise, ist Ware und daher ist aller Verkehr im letzten Sinne Warenverkehr; auch der moderne Reisende ist verkehrstechnisch nur eine Fracht. Das findet seinen Ausdruck eben in der Technik des Verkehrs, in den Werkzeugen und An­stal­ten, mit denen der Mensch den Verkehr zu bewältigen ge­wusst hat: der Mensch allein hätte immer pilgern dürfen. […]

Der so im Leben angewandte Verkehr, sein systematischer Inhalt, ist der Handel, der immer Zwischenhandel ist, die kluge Vermittlung des gesteigerten Warenaustausches, von der Tech­nik in jeder Beziehung vorbedingt und so denn auch selbst nur eine Form der organisatorisch-technischen Meisterung des Lebens durch den Menschen: die Organisation und Tech­nik der Ware. Gewiss hat der Verkehr, haben die Wege und Fahr­ver­bin­dun­gen, Posten und Segler, Eisenbahnen und Dampfschiffe es auch jedem Wissbegierigen ermöglicht, in die Welt hin­aus­zu­kommen – doch konnte das schon ehedem ein Pilgrim; selbst die heutigen Massenreisen allein würden die Verkehrsmittel noch nicht entfesseln, weil diese nur durch hohe Preise die Un­kos­ten der Anlage herauswirtschaften könnten – die Berg­bah­nen der Sommerfrischen beweisen es. Einzig die Waren, die Frachten, machen einen Weg, eine Bahn, einen Kanal, Schleu­sen oder Tunnel bezahlt – aus innerer Notwendigkeit. Dass der Warenverkehr dann aber auch, und von jeher, ein Men­schen­ver­kehr war, ist selbstverständlich, doch ist der Mensch hierbei immer nur ein dienendes Organ, wenn auch das wichtigste; der Handelsreisende ist in Wahrheit der älteste Reisende, einstens zugleich Seeräuber und Krieger. Der Menschenverkehr wurde aber ebenso natürlich zum Austausch von Kenntnissen und Sitten, zum Nachrichtenverkehr, dessen moderne Glanzform in Post und Telegraphie wiederum ganz von der Technik Gnaden ist. Er kommt vor allem dem Handelsverkehr wie der Landes­ver­wal­tung zugute, die als organisatorisch-technische Regelung des Volkslebens von jeher an geregelter Verbindung und Kund­schaft Interesse gehabt hat: das römische Postwesen, die Läu­fer der Inkas, die moderne Verstaatlichung von Post und Telegraphie beweisen es. Daneben gewann allerdings auch der Men­schen­geist stetig einen Zuwachs an Kenntnis, der enge Kreis der alltäglichen Erscheinung um ihn dehnte sich, der kleine Heimatfleck weitete sich zur Welt.

2. Die Industrie

Der gesamte Verkehr, aus der Technik der Fracht ent­stan­den, gehört den Waren, dem Umsatz der Arbeitserzeugnisse. Heute spielen auch die Lebensmittel eine überaus grosse Rolle im Verkehr, aber solange es sich bloss um eigentliche Nahrung gehandelt hatte, vor bedrohlich gesteigerter Volksvermehrung, wäre der Verkehr nie über gelegentliche Berührung von Nach­bar­horden herausgekommen, nie über den Tausch, das Rad wäre wenn überhaupt erfunden, nur einer ganz beschränkten Lastenbewältigung dienstbar gewesen und in beschränkter Form stecken geblieben. Erst die Dinge, die nicht als Lebens­mit­tel dienen, die eigentlichen Rohstoffe der unbelebten Natur, die Bodenschätze, haben hier Wandel geschaffen. Das ani­ma­li­sche Bedürfnis des Hungers hätte sich schon irgendwie stillen lassen – schlimmstenfalls durch Abnahme der Bevölkerung, aber der menschlichere Trieb nach organisatorischer Um­ge­stal­tung der Natur in Geräte, Gebäude, Werkzeuge verlangt das Material dazu. Fand sich das in der Umgegend, gut, so ward es herangetragen, geschleppt, gefahren; fehlte es, so ver­anlasste der organisatorische Trieb die Eroberung von Gegen­den, wo die begehrten Stoffe zu finden waren. Fand dieser Umge­stal­tungs­trieb dann Widerstand an den glücklichen ers­ten Be­sit­zern der Bodenschätze, dann hiess es den Überfluss des eignen Landes im Tausche hinzugeben, riet also auch aus­drück­lich auf Überfluss und Tausch hinzuarbeiten.

Das wurde entscheidend: zunächst weil sich Mass, Gewicht und Geld daraus entwickelten, unnütz, solange der Austausch gewissermassen von Hand zu Mund ging und der Wertmesser bloss Geschmack und Bedürfnis waren, unentbehrlich hin­ge­gen, sobald der mögliche Vorteil und Genuss des Rohstoffes (sein Lustwert) doch erst von der Verarbeitung abhing – der eigene und der fremde Nutzen mussten sich aneinander ge­mes­sen haben, bis Erfahrung und Übereinkommen hier feste Ver­hältnisse und dann auch Werkzeuge schufen, Wage und Mass­stab, zuerst von Volk zu Volk wechselnd, heute beinah inter­na­tio­nal im Metersystem bestimmt. Noch wichtiger war es aber, dass es überhaupt möglich wurde, den Lebensunterhalt von Dingen zu bestreiten, die an sich ungeniessbar waren –, dass es bald sich lohnte, die Erdenstoffe nicht so erdenroh abzugeben, sondern Arbeit in sie zu stecken und so Geräte zu verhandeln –, dass es Sinn hatte, Rohstoffe einzuhandeln über den eigenen Bedarf und sie dann verarbeitet weiter zu bringen –, dass Arbeit, nicht an Ackerbau und Viehzucht gewandt, doch nicht verloren war, weil Brot und Fleisch ja mit der gewerblichen Arbeit eingekauft werden konnten: der Verkehr und seine Mittel haben die Kunstfertigkeit aus enger Bodenständigkeit gerissen, haben ihr Bewegungsfreiheit verliehen, sie erst zum Handwerk und endlich zur Industrie gemacht. […]

Je mehr durch den Verkehr der Kreis der Zusammen­le­ben­den wuchs, richtiger, je mehr die einzelnen Kreise der wirklich Gemeinlebenden, miteinander verknüpft ineinanderflossen, um so grösser wurde der Gesamtwert der notwendigen, wie der ver­fügbaren Tätigkeit, der zu erzeugenden Gebrauchsdinge, jedes einzelnen Arbeitszweiges. Die Stetigkeit und Anspannung der Arbeit, die Häufigkeit und Masse der Herstellung erlaubten da die Gegenstände fort und fort zu verbessern, die Hand­fer­tig­keit zu entwickeln, die Werkzeuge zu verfeinern. Arbeiter einer Berufsart und Arbeitsmittel eines Gewerbes mussten je länger, je mehr sich zusammenschliessen, sich organisieren und end­lich stärker ineinander beruhen, als im übrigen Gemeinleben und den übrigen Tätigkeitskreisen; erst die moderne absolute Technik hob den Zunft-, Innungs- und Kastengeist wieder auf und schuf die eine gewaltige Arbeiterschaft. Auch zur Ver­rin­ger­ung der Kosten musste das Rohmaterial möglichst nah sein oder möglichst leicht zu beschaffen – hier helfen Wege, Bah­nen, Wasserläufe – oder an Orten möglichst billiger Kraft ver­arbeitet werden. So erlaubte und forderte die Technik die Herausbildung gewerblicher Betriebe, wie von Bergwerken, Ziegeleien, Töpfereien, Schmieden, Eisenhämmern, Meilern, Mühlen, Spinnereien – wo immer Wasser, Kohlen, Arbeiter oder aber Erz, Holz, Ton zu finden waren. So kommt es schliess­lich zu den Fabrikorten, industriellen Bezirken und Industrieländern. Der wesentliche Zug der Technik, der der steigenden Organisation, drängt notwendig zum Grossgewerbe, denn nur dieses nützt jedes Werkzeug, jede Kraft, jeden Stoff fast restlos aus, arbeitet dadurch am wohlfeilsten und führt der nationalen Wirtschaft die grösste Menge reiner Werte zu.

3. Die Waffentechnik

Die ungeheure Entwicklung der Technik könnte dem ein­zelnen Menschen, der Empfindung, sehr gleichgültig sein, wenn sie nicht dazu beitrüge, sein Leben behaglicher zu ge­stal­ten; ja, wenn nicht dieses Bedürfnis der Lebens­er­leich­te­rung gewesen wäre, die Technik hätte wenig erreicht. Ihre Anfänge stecken denn auch in jener frühesten Tätigkeit des Menschen, dem Kampfe. Obschon nur ein Zerrbild des kosmischen Ge­dan­kens, hat der Kampf doch den Menschen so zur Ver­in­ner­lich­ung aller seiner Kräfte bringen können, dass ihr innerer Zu­sam­men­schluss hinausdrängen musste und auch draussen Zusammenhänge schaffte: ging das nun einmal nicht un­mit­tel­bar im Grossen an, so wenigstens im Kleinen, wenn nicht in den Zielen, so doch in den Mitteln, den Werkzeugen, den Waffen.

An den Waffen dürfen wir die ersten Versuche der Tech­nik, im weiteren, wie engeren Sinne, suchen, der Kampf ist der Vater aller Technik, von ihm lernten die anderen, friedlicheren Lebensgebiete. Ehemals war der Stein, war der Baumast nur eine Affenwaffe, ein unverwerteter Keim von Kultur; auch so­lan­ge der Mensch den Stein nur roh zum Aufknacken von Muscheln und Nüssen verwendete oder zum Beschleudern der Gegner, den Knüppel zum Erschlagen der Feinde, wäre er wenig mehr als ein Affe gewesen, und wozu hätte die Natur diesen glücklichen Sprung über das Tier hinausgemacht? In­des­sen: der aufbauende, die Wirklichkeit zur Welt zu­sam­men­fas­sen­de Geist des Menschen musste sich baldigst be­tä­ti­gen und konnte dies nicht besser, als durch die Vereinigung all der rohen Hilfsmittel, die auch den höheren Tieren nicht ganz fremd geblieben sind. Indem aber der Stein mit einem Ast, Knochen oder Horn verbunden wurde, wurde er auch hand­li­cher, sein Schlag lenksamer und nützlicher; der Astknüttel wurde wirksamer, wenn scharfe Steinsplitter eingefügt waren, der Wurfspiess konnte sich zum leichten «fernhintreffenden» Pfeil verkleinern, wenn eine Stein-, Knochen- oder Gräten­spit­ze reichlich ersetzte, was an schwerer Wucht der Nähe dran­ge­ge­ben wurde. Waren vorher nur die Kräfte der Wucht und Masse brauchbar gewesen, so konnten nun die hierin be­nach­tei­lig­te­ren, schwächeren kleinen Naturdinge mit ihren Kräften der Schärfe, Feinheit, Biegsamkeit zur Geltung gelangen. Das Wesen des Menschen setzte ihm ja die Aufgabe, durch seine mehr innerlichen Kräfte die äusseren der Natur zu bändigen, die plump-greifbaren und gewaltigen durch flüchtigere und zartere; daher musste sich seine Tätigkeit auch gleich dahin richten, den kleineren Naturdingen einen Wert zu verleihen, indem er sie in seinen Dienst zog, indem er aus ihnen ein Heer ordnete, dessen Befehlshaber er sein wollte. Organisation der Natur und ihrer Kräfte – das ist das Wesen der Technik, das Geheimnis des Menschensieges. […]

Aus der Vereinigung von Knüttel und Stein zu Kampf­zwe­cken ward das erste Werkzeug, ward das Messer, begann der Steinschliff und die Feuerbereitung, wurden die weichen Ge­stei­ne brauchbar und das Erz entdeckt, entstanden der Berg­bau, die Chemie, die modernsten Mittel der Artillerie – der Kampf ist an der Hand der Technik zu unendlicher Über­le­gen­heit gelangt. Doch auf seinem Wege hat er alle Zweige des Lebens – Kunst, Wissenschaft, Gewerbe – bereichert und befruchtet. Die Macht, die ihm ward, hat aber ihn selbst eben­fal­ls verändert, nicht im grundlegenden Wesen, doch in der Anwendung. Knüttel, Messer, Schwert, Spiess und Lanze sind überholt, überhaupt der Nahkampf; doch wo er wieder auf­taucht, bei Messerstechereien, beim Säbelduell, beim Bajo­nett­gefecht, wenn Mensch mit Mensch wieder um das bare Dasein ringen, da treten eben solche uralte Waffen in ihr Recht. Stein­schleu­dern und Katapulte aber, Pfeil und Bogen, Armbrust, Blasrohre, Flinten, Kanonen legen zwischen die Kämpfer einen Raum: sie ermöglichen den Fernkampf. Jetzt verringerte sich die persönliche Gefahr des Angreifers: er konnte es aus si­che­rem Verstecke wagen, einer ganzen Schar von Feinden Schaden zuzufügen; doch eben dadurch wuchs die Gefahr des An­ge­grif­fe­nen, erschütterte sich sein Mut, der nur da ist, wo das Leben bewusst zu bewusstem Ziel eingesetzt werden kann. Hier musste der Mensch an Genossen Schützer und Rächer suchen; der Fernkampf wurde Massenkampf, der sich jedoch im Falle des Nahkampfes wieder in den uralten Einzelkampf auflöst – naturgemäss.

Aus der sich verändernden Kampfesweise, aus der ent­wi­ckel­ten Taktik folgte die veränderte Strategie: auch diese Tech­nik der Schlacht musste mit dem Fortschritte der Waffen­wir­kung die Kampfkräfte ganz anders ausnützen lernen, muss­te ganz anders Herrin des Geländes, des Schlachtfeldes wer­den, als sich die Waffengattungen – Kavallerie, Infanterie, Ar­til­lerie – entwickelten, als sich aus den alten national-eigentümlichen und selbständigen Truppen, wie «kretische» Bogenschützen, «Kosaken», «Husaren», «Alpenjäger», «schottische» Garden, einheitliche Heere bildeten. Aber eigentlich zeigt sich die tech­nische Höhe der Strategie, der Kriegskunst doch nur im Be­gin­ne der Schlacht, in ihrer Vorbereitung, in der geschickten Be­set­zung wichtiger Positionen, in der freien und doch unun­ter­bro­che­nen Gliederung und Unterstützung der einzelnen Trup­pen­tei­le, im Aufklärungsdienst der Kavallerie, in energischer Beschiessung, allenfalls in einem entscheidenden Umgehungs- oder Rückzugsmanöver. Je weiter die eigentliche Schlacht geht, je heftiger der Kampf um die Werkzeuge der strategischen Technik wird – die Positionen, Brücken, Batterien, Forts – um so mehr fällt der Kampf den einzelnen Truppenkörpern, den taktischen Einheiten zu; aber auch die Taktik bröckelt im Kampfe ab, die Urschichten des Krieges tauchen auf, alte For­men ältester Schlachten. Schliesslich löst der organisierte Fern- und Massenkampf um eine grosse Stellung sich auf, ver­zettelt und desorganisiert sich, und Weltschlachten wie von Leipzig, von Waterloo, von Sedan, um Port Arthur sind am Ende nur gigantische Wiederholungen der homerischen Käm­pfe vor Ilion, mit den Stosswaffen Mann gegen Mann, ein Heldenringen, gross und brutal, um ein Haus, einen Baum, eine Fahne.

Die Taktik der Truppenbildung, die Strategie der grossen und weisen Heeresausnützung brachte auch zuerst die grossen Kriegszüge auf, die grossen Eroberungen und grossen Welt­rei­che, während die Nahwaffen des Einzelkampfes nur Streitig­kei­ten kleiner Grenznachbarn erlaubten. In der Tat, die Technik hat durch den Kampf das Weltbild umgestaltet.

4. Die Landwirtschaft

Die Kriege, Schlachten, Kämpfe – alle gehen schliesslich doch nur um das Vorrecht, ein ganzes Land und Volk, einen streitigen Landstrich, ein Feld, einen Fruchtbaum oder eine Tränke zum eignen Lebensgebrauche auszubeuten. Der Kampf, aus dem Machtverlangen des Hungers geboren, ist im ganzen doch nur ein Umweg zur Ernährung durch die Technik, mit dem Kampfe ist die «Magenfrage» allerdings zum Hauptkapitel der Weltgeschichte geworden. Tiefer betrachtet dürfte es heis­sen: der Hunger der zur Ernährung, und Eroberung der Welt geführt hat, ist nur der grobe Ausdruck des kosmischen Ge­dan­kens, der das Lebewesen Mensch, in seiner Selbsterhaltung bedroht, hinausgreifen lässt und die Zufälle der Wirklichkeit durch sich erweiternde Ordnung zu einer Geschichte der Welt gestaltet. Der grobe Ausdruck der Kosmik, ja! – und darum ist der Hunger, unmittelbar, kein grosser Förderer der Technik gewesen. Darum ist auch die Technik für die erste Frage der Ernährung – die Gewinnung der Lebensmittel – nicht gross gewesen. Denn solange die künst­liche Herstellung der Eiweiss­stoffe noch nicht gelungen ist, bleibt es ja die Natur selbst, die im jährlichen Zuwachs der Pflanzen, Früchte und Tiere für den Lebensunterhalt des Men­schen sorgt. Der Mensch hat nicht mehr zu tun, als der Natur die möglichste Vermehrung solcher Pflanzen- und Tierarten zu erleichtern, die ihm zur Nahrung dienen können; er darf hier nicht herrisch gegen die Natur auftreten, er kann bloss im Bunde mit ihr irgendwas erreichen, ja ihr nur zur Hand gehen. Wo die Natur, wie in den tropischen Gegenden, über die Massen es reich und leicht schafft, ist die Mitarbeiterschaft des Menschen fast überflüssig, – auch ein kosmischer Fingerzeig! – seine Anstrengung ist nicht von­nö­ten, er hat keinen Anlass, seine Fähigkeiten einseitig zu ent­fal­ten, er bleibt in einem Glücke der Kindheit stehen. Dieses Glück würde zugleich das Ziel der höchsten Entwicklung er­schöp­fen, wenn die Natur überall von Saft und Kraft strotzte, überall dermassen jede wachsende Bildung, jedes schüchterne Werden begünstigte.

Ist sie nicht vielmehr meist nur ein Kampf schwächlicher Keime mit übergrossen Gewalten? Musste darum nicht in rau­heren Gegenden der Menschenwille zu ergänzen suchen, was da mangelte? Und doch wiederholt sich, auf wenig höherer Stufe, die glückliche Bescheidenheit der Tropenkultur in sol­chen Naturbedingungen, wie etwa der Schwarzerde Süd­russ­lands. Der Boden ist so ergiebig, so willig, dass die gesamte Tätigkeit des Menschen bald einen natürlichen Abschluss im geregelten Jahreslaufe findet. Gerade deswegen ist auch der Mensch überall, wo er mit der Ackererde lebt und arbeitet, ein Naturkind geblieben. Der Kulturumschwung hat hier schwä­che­re Wurzeln, macht sich weniger bemerkbar, anderswo längst veraltete oder vergessene Lebensformen sind dem Lande immer noch natürlich, die Landbewohner sind wesentlich ein konservatives Fundament. Daran hat auch die moderne Tech­nik nichts ändern können; […] Gewiss, der Grossbetrieb kann nicht mit der Zugkraft von Tieren, geschweige mit der schwa­chen Men­schenhand auskommen, sondern muss Dampf­ma­schi­nen oder elektrische Motoren zu Hilfe nehmen; mit gutem Grunde: denn der heutige Grossbetrieb wird von der gütigen Technik nicht nur ermöglicht, sondern von ihr, habgierig, gera­de­zu erzwungen – zieht sie doch in ihrer intensivsten Form, der Industrie, alle Arbeitskräfte der Menschenmassen an sich. Aber von dem Bezuge der Arbeitskraft abgesehen weicht die Art und Weise, wie der Boden heute zubereitet wird, nicht wesentlich von der ältesten ab. […]

Wertvoller, wenn auch ebenfalls nicht umwälzend, ist der Landwirtschaft die Technik geworden, als sie ihr die Be­rie­se­lung der Felder zeigte, als sie Schöpfräder einführte, als sie zum uralten tierischen Dünger die künstlichen Dungmittel hinzuentdeckte und hinzuführte: Chilisalpeter, Thomas­schla­cke, Superphosphat, die dem erschöpften oder überhaupt armen Boden Natrium, Phosphor und Stickstoff zusetzen. […]

Zu diesem Segen der Technik gehört es auch, wenn sie, durch den Verkehr, neue Fruchtarten brachte, wie die Kar­tof­fel, die amerikanische phylloxerafreie Weinrebe, die Apfelsine, oder, durch die Chemie, über den Zuckerwert der Runkelrübe aufklärte und weite Strecken brachen Landes durch die Kar­tof­fel­brennereien ertragreich machte – auch Torfstecherei und Forst­wirt­schaft förderte. Auch für den Schutz der Ernte durch Gift gegen Feldmäuse und Rebläuse, durch Hagelkanonen hat die Technik das ihre getan. […] Ohne die Technik der Chemie, des Gewerbes, des Verkehrs wären die Konservenfabriken unmöglich. […]

Wie die Pflanzennahrung hat die Tiernahrung der Technik wenig zu verdanken, soweit es sich um die Erzeugung der Nah­rungs­stoffe handelt. Die Viehzucht ist von den menschlichen Werkzeugen unabhängig, einzig, dass etwa geeignete Tier­ras­sen durch die technische Vervollkommnung des Verkehrs dort eingeführt werden können, wo sie sich stärker vermehren dür­fen, wie die Rinderherden in Argentinien, die Schaf- und Schwei­ne­her­den in Australien; ferner allenfalls, dass durch Medizinalstoffe eine Seuche bekämpft werden kann, und dass die Geflügelzucht Brutofen statt der lebendigen Vogelmütter ver­wendet, dass Fischzüchtereien eingerichtet werden können, dass der Bienenzüchter durch künstliche Waben den Bienen den unproduktiven Teil ihrer Arbeit abnimmt und so den wirk­lichen Honigertrag steigert. […]

Die Verwendung der Fleisch- und Fischnahrung, das Kon­ser­vieren in Salz und Öl war wiederum das Feld für die Tech­nik, sich hilfreich zu erweisen: denn erst die Konserven und Extrakte erlauben gleich den Rohstoffen sich nach Bedarf verteilen zu lassen. Und hier hat die Technik dann eine gross­ar­tige Organisation geschaffen, die für die einzelnen Volks­wirt­schaf­ten und die ganze Weltwirtschaft von einschneidender Bedeutung geworden ist: zunächst macht sie die Volks­er­näh­rung vom eigenen Boden und Klima unabhängig, regelt Import und Konsum des einen Landes und weckt dadurch die Produk­tion und den Export des andern, verteilt überhaupt die Arbeit unter den Ländern, als wären sie Glieder eines Ganzen. […]

Doch noch mehr, wenn auch in kleinerem Massstabe, ist die Technik in die Ernährung des Menschen eingedrungen, als sie dem Menschen die Rohstoffe zuzubereiten, verdaulich zu machen und ergänzend zu verbinden half; ist’s auch weniger die gewerbliche und Verkehrstechnik, die hier gilt, so ist die ganze Kochkunst selbst ein Zweig der Technik, des or­ga­ni­sa­to­risch tätigen Menschengeistes. […]

Nur ist es wiederum wahr, dass die Technik hier längst ihr Äusserstes geleistet hat; das moderne Gewerbe mag die Ge­schir­re billig und gut an die breitesten Volksschichten abgeben und dadurch Sauberkeit und Gesundheit fördern, aber rein kulinarisch, küchentechnisch, wird auf einem modernen Gas­koch­herde gewiss nichts Köstlicheres geschaffen, als Trimal­chio oder Brillat-Savarin es genossen haben. Das beweist, dass die Menschheit in der Zubereitung der Nährstoffe, im we­sent­li­chen der Ernährung, schon eine absolute Stufe der Or­ga­ni­sa­tion und Technik erreicht hat; hier gibt es keine weitere Ent­fal­tung – eher eine Rückkehr zu einfacherer Kost.

5. Der soziale Komfort

Unbestreitbar: dem Einzelnen, wie er heute lebt, ist die Technik auch in der Ernährung eine unentbehrliche Gehilfin. Noch grösseren unmittelbaren Gewinn hat sie ihm aber an Geräten, an Kleidern, an Gebäuden bereitet. Aus dem not­wen­di­gen Schutz vor Kälte, den Fellen, machte sie biegsame Ge­webe, sie nahm Woll- und Pflanzenfasern und erweiterte durch den Verkehr den Kreis der verfügbaren Stoffe – Leinen, Hanf, Jute, Baumwolle, Seide, Holzwolle: zugleich ein grosser Erwerb für die Länder und Leute, die sie bauen und züchten, eine erweiterte Tätigkeit für zahllose Hände. Die Technik fand die Mittel, um die Farbstoffe der Mineralien, Tiere und Pflanzen dem Gewebe einzuverleiben, ersann künstliche Farbstoffe und beschäftigte Farbfabriken wie Färbereien; sie veredelte das physiologische Bedürfnis nach Kleidung durch sinnen­fröh­lichen Schmuck. Die Menge der Farben und Stoffe gestattete so auch den Wechsel nach Jahreszeiten, Gelegenheiten und Geschmack – und wiederum gab das Arbeit für Spinnereien, Webereien, für Schneider und Händler. Alles in allem hat die Technik in der Kleidung ein reiches Mittel geschaffen, durch das der Mensch wohl heiterste Lebenskunst entfalten könnte – wenn er nur wollte. Dazu kommt dann all das feine Zeug, das sich durch die Technik der Goldschmiede verfertigen lässt, aus Metallen, Schmelzen, echten und unechten Edelsteinen. Toilettenmittel – die Spiegel, Kämme, Bürsten, Rasiermesser, die Schätze der Kosmetik – sind bereit, den Menschen zu verschönern; in den Räumen, die er bewohnt, stehen Stühle, Tische, Schränke, Betten, Möbel für jede Stimmung und jeden Zweck, hängen Spiegel, Tapeten, Gardinen, stehen Glas und Porzellan – Löffel, Messer, Gabeln, alles gibt ihm, dem Reichen wie dem Armen, die Möglichkeit, sich ein harmonisches Milieu selbst zu schaffen – wenn er dafür Sinn hat.

Vor allem aber ist die Wohnung selbst, das Haus, durch die Technik emporgewachsen: nicht mehr ein im Baumgeäst geflochtenes Nest, nicht ein Unterschlupf in Höhlen; längst auch nicht mehr ein Zelt, eine rohgefügte Blockhütte, eine in den See gepfählte Siedlung, sondern: zunächst Balken und Bretter von Axt und Säge sauber bereitet, Quader und Säu­len mit Picke, Meissel, Pulver aus dem Stein gewonnen, Ziegel und Kacheln aus Lehm gebrannt und mit Mörtel zusammengefügt, Stützen, Rippen, Bleche aus Eisen gegossen, gezogen und gewalzt. Ma­schi­nen schachten den Boden aus, Maschinen schaffen die Blöcke zur Stelle, rammen die Pfähle ein, legen das Fun­da­ment, und elektrisch betriebene Hebelwerke richten dann die Mauern; die Stockwerke, die Mietskasernen, die ungeheuren Wolkenkratzer Amerikas steigen auf, die nicht mehr einem einsiedlerischen Jäger, oder einer Familie zur Unterkunft dienen, sondern auf beschränktestem Raume Hun­derte, ja Tausende von Menschen zusammen wohnen lassen. Oder aber die Technik baut Häuser auf Vorrat und versendet die auseinandergenommenen nach Bedarf hier und dorthin, sie verrückt auch ganze Gebäude, wenn deren Platz nötig wird. Gerade in den Bauten, privaten wie öffentlichen, die so überaus wichtig für die Gestaltung des sozialen Lebens und Fühlens sind, wird die Technik zu einer bedeutenden Mitbildnerin der Kultur: sie lässt die Menschen hier ganz anders in enge Füh­lung geraten, sie verschweisst sie geradezu zur Abhängigkeit. Indem sie dicht zusammengedrängt werden, müssen sie in Austausch treten und für die gleichen Bedürfnisse, die nun gemeinsame werden, sorgt dann wie­der­um die Technik. Wenn der einzelne sich sein Wasser von der Quelle holen musste, erbaute sie den gemeinsamen Brun­nen, legte ungeheure, mei­len­lange Wasserleitungen an und verteilt das Wasser durch ein Adernetz von Röhren in alle Häu­ser. Sie schafft den Unrat jedes einzelnen Haushaltes erst in gemeinsame Senkgruben und dann durch die Stadtkloaken hinaus auf Rieselfelder, wo der Abfall unschädlich und zugleich nutzbar gemacht wird. Die Technik hat am uralten Feuerplatz, der den Rauch rücksichts­los umherqualmte, eine Esse er­rich­tet, in den Häusern für viele Essen einen gemeinsamen Schorn­stein erbaut und endlich überhaupt einen kommunistischen Ofen in der Zentralheizung geschaffen, die jedem nach seinem Belieben die Wärme zuführt.

Die Technik hat die gefährliche Kienfackel durch Öl­lämp­chen, die Öl­lämp­chen durch Wachs-, Talg-, Stearinkerzen ver­drängt, durch Petroleumlampe und Spiritusbrenner, bis erst die Gas- und dann die elektrische Leitung überallhin ein rei­nes, bequemes Licht und leicht zu handhabende Wärme führt. Wie von Nerven und Adern der organische Leib, wird das soziale Leben durch solche öffentliche und gemeinsame An­stal­ten verknüpft: was der Verkehr im Weiten und Grossen für die Verbindung der Stämme zu Völkern, der Völker zur Mensch­heit tut, wird im Kleinen eben von diesen Stadt-, Wasser-, Gas-, Elektrizitätsanlagen geleistet, von Telegraph und gar dem in jedes Haus gedrungenen Telephon, die ein gemeinsames Leben von zuckender Feinfühligkeit schaffen.

Zweifellos: unser äus­se­res Leben ist, was es ist, durch die Technik geworden. Die Technik erlaubt dem Einzelnen in unabhängiger Bewegung sich ein Tätigkeitsfeld zu suchen und einem Volke sich unbegrenzt zu vermehren, weil sie un­be­grenz­te Lebensmöglichkeiten schuf: in Urbarmachung bisher fruchtlosen Landes, in stetiger Verbesserung des Ackerbaues, in der Einfuhr ferner Lebens­mit­tel –; in der Ausnützung der toten Naturschätze, in der Arbeitsgelegenheit für sonst un­be­schäf­tigt darbende Men­schen, in der Ausfuhr gewerblicher Erzeugnisse. Die Technik gab dem Volke aber auch die Waffen zur kriegerischen, und den Verkehr, zur friedlichen Eroberung und Ausbreitung seiner Macht und seiner Lebensformen. Die Technik wusste nicht bloss jeden Erdenfleck, jede Naturkraft, jeder scheinbar nutz­lo­sen Abfall für den Menschen auszu­beu­ten, sondern auch durch ihre Mittel zu erhalten, was da war: durch Dämme und Deiche die Überschwemmung abzuwehren, durch feuerfestes Material die Feuersbrünste zu beschränken, durch Lüftung die schlagenden Wetter in den Bergwerken, durch Kanalisation die Seuchengefahr zu verdrängen; und wo das Leben doch verletzt ward, da half sie mit den chemischen Mitteln, Instrumenten und Verbandstoffen der Medizin nach. Im Kampfe gegen Hun­ger und Sterblichkeit organisierte sie immer weitere Natur­mäch­te und schmiedete dem Leben einen gewaltigen Panzer.

6. Wissenschaft und Kunst

Kampf und Hunger sind die stärksten Äusserungen des kosmischen Lebensgefühles: das bedeutet die innere Zentri­fu­ga­li­tät, die Flucht der im Körper vereinigten Urelemente, durch An­eig­nung der äusseren Natur auszugleichen –; aber auch der Er­kennt­nis­drang stammt aus derselben Quelle. War die Technik für die erste grosse Aufgabe des Daseins von weit- tragender Bedeutung geworden, so ist sie es auch für die Wissenschaft gewesen. Zunächst inhaltlich, denn die Technik, die nie zu­frie­den, jeden Erfolg nur benutzte, um weiter­zu­gehen, jedes Werk­zeug erschuf, um es voll auszunützen, zog stetig weitere Kreise der Natur in die Gegenwart des Men­schen und lehrte den Men­schen immerfort neue Erscheinungen kennen, neue Tat­sa­chen berücksichtigen. Gar durch den Ver­kehr hat die Technik den Menschen, der ursprünglich nur seine enge Heimat, ihre Tiere, Pflanzen und Steine kannte, zu neuen Ländern, ja Weltteilen, neuen ungeahnten Gesteinen und Lebewesen geführt. Das Weltbild, das er jeweils erschaut, löste sich immer wieder und immer mehr in eine beunruhigende Fülle von Einzelheiten auf, und so ward dem erkennenden Geiste die Pflicht, diesen Wirr­warr von neuem zu sichten, zu ordnen, die verschiedenen Er­schei­nungen je nach ihrer Ver­wandtschaft zu­sam­men­zu­fas­sen und all den Beziehungen nachzuspüren, die zwischen ihnen obwalten. Die Lücken, die sich auftaten, auszufüllen half oft wiederum die Technik dank ihrem weit verzweigten Umgange mit der Natur, der ihr immer neue Erscheinungen enthüllte: ja, von der Technik angespornt, von der Technik in Dienst ge­nom­men, ist die Wissenschaft eigentlich überhaupt zu sich ge­kom­men und ist in Wahrheit die feinste Form der Tech­nik – die Technik des Wissens. Technisch gestützt kann der Mensch die Naturgesetze erkennen und wieder ein Weltbild gewinnen.

Doch nicht nur den Inhalt der Erkenntnis, auch die Mittel dazu gab der Wissenschaft die Technik: dem Naturforscher die sezierenden Messer, die vergrössernden Gläser der Mikroskope und Teleskope, die Messinstrumente, Maschinen und Retorten; dem Geschichtsforscher erst die Steine, Tonzylinder, Per­ga­men­te, Papiere, auf denen sich die Urkunde der Vergangenheit befinden, und dann auch die Möglichkeit, verlöschte Urkunden aufzufrischen, zu photographieren, die verkohlten Papyrusse von Herkulanum zu entrollen. Und endlich gab die Technik der Wissenschaft die Druckerpresse.

Erst der Druck, erst die technische Möglichkeit, eine Mit­tei­lung schnell zu vervielfältigen, hat der Wissenschaft ihre technische Vollendung gebracht – die inhaltliche ist natur­ge­mäss ein Unding, da jeder neue Augenblick neue Tatsachen erzeugt, die ihrer Protokollierung harren. In ihres Wesens Grunde ist aber die Wissenschaft nur das zusammenhängende Wissen um die Wirklichkeit; die ganze Menschheit weiss aber um die Wirklichkeit nur, wenn die Beobachtung des einzelnen zu aller Kenntnis gelangt. Und das kann nicht eine steinerne Inschrift tun, nur beschränkt ist der mündliche Bericht, un­voll­kommen der abschriftfleissige Pergamentierer, ideell absolut ist eben nur der Druck. In ihm, auch noch in der alten höl­zer­nen Hand­presse, wieviel mehr eben in der modernen Ro­ta­tions-, oder gar vereinigten Schreib-, Setz-, Druck- und Binde­maschine, hat die Wissenschaft sich in Mensch­heits­bil­dung umzusetzen be­gon­nen. Die Bücher, besonders die illustrierten, sind ein un­be­grenz­tes Lehrmittel geworden, die Bibliotheken und Lexiken sind wie öffentliche Schatzkammern des Wissens, aus denen jeder geistige Nahrung entnehmen kann, die Zei­tun­gen, durch die Telegraphie mit der ganzen Welt in Verbindung, werden durch den Verkehr wiederum der ganzen Welt zu­ge­führt: die Bildung kreist, wirkt, wächst, dank der Technik.

Ja, auch das Höchste, was der Mensch geleistet, die Kunst, hat ihre Schritte nur an der Hand der Technik zurücklegen können. Nicht nur die Baukunst, die bei der Beherrschung der physischen Massen von den technischen Mitteln ja aller­wei­tes­ten Gebrauch machen muss, auch die bildende Kunst hätte ohne die Technik nie ihre volle Wirkung erreicht. Es wäre im­mer bei einem plumpen, amulettbehangenen Holzklotz ge­blie­ben, wenn nicht Stift und Spatel aus Tongefässen die Ge­sichts­ur­nen gemodelt hätten, wenn nicht das Messer aus den Baum­stümpfen Hermen geschnitzt und die Farbe sinnliche Belebung hinzugefügt hätte. Und weiter ging es nur als der Mensch die Technik der Steinbearbeitung gelernt hatte, als ihm der Meis­sel ward, der aus dem rohen Block die Gliedmassen heraushob, der immer feiner werdend auch die Züge der ganzen Gestalt verfeinerte. Ebenso als der Mensch das Erz gewann und dann es nicht nur zu hämmern, sondern zu giessen begriff. Und die Technik unterwies ihn weiter, die beste Mischung zu finden, die hohlen Formen durch Ausschmelzen des Wachskernes herzustellen und mit dem flüssigen Metall zu füllen, bis an der Bronzestatue wieder der feine Meis­sel die letzte Ziselierung vollbrachte. Weiter: die Technik ermöglichte es durch die Punktiermaschine, ein Modell des Künstlers von weniger wert­vol­ler Arbeiterhand auszuführen, sie erlaubt getreue Abgüsse in beliebiger Anzahl herzustellen und zu verbreiten, so dass auch diejenigen daran Freude haben können, die nicht das eine Original vor Augen haben; genau wie die photographische und phototypische Technik diese Verbreitung leibhafter Ab­bil­dun­gen der Kunst unendlich gefördert hat und grösste Kul­tur­wir­kung verspricht – ja streng genommen hierin ihre einzige!

Diesen Segen teilt mit der Bildhauerei die Malerei, aber auch sonst hat die Kunst unbezweifelbaren Nutzen von der Technik gehabt. Aus roher Färbung von Geräten ist sie durch Stift und Pinsel, durch die Farben zur Herrschaft über die Formenwelt gelangt. Die Technik stellte die Wände, Vasen und Gewebe her, bereitete sie durch Wahl des Materials, durch sorg­fäl­tige Behandlung der Oberfläche zur Aufnahme der Ge­mäl­de vor, die Technik entdeckte die leuchtendsten und halt­bar­sten Farben, fand, wie sie zu binden und wie zu ver­flüs­si­gen, setzte an die Stelle von Feigenmilch und Harz endlich das Öl, glättete die Frescowände und firnirste die Leinwand. Die Technik gab dem Künstler grössere Bewegungsfreiheit, als sie die einst mühsam zu verreibenden Farben nun schon ge­brauchs­fertig in Tuben auf den Markt brachte, als sie die Pinsel und Leinwand ebenfalls gebrauchsfertig überallhin versandte, wo nur eine Malerhand nach dem Werkzeuge greifen möchte, ohne die sie nicht schaffen kann, wonach es das Malerauge drängt.

Dann aber setzt sich die Technik im engeren Sinne des Werkzeuges – in die Technik im weiteren Sinne der Natur­meis­te­rung um. Ohne die Fähigkeit, jeden Pinselstrich und Meis­sel­schlag nur als Teil eines ganzen Zieles zu begreifen und in diesem Ziele eine Organisation des einzelnen zu sehen –, ohne das Vermögen das einzelne genauest und natürlichst ab­zu­bil­den und es dann bewusst der Gesamtdarstellung einzufügen –, ohne diese technische Aneignung der Naturtreue und die tech­ni­sche Herrschaft der Komposition kann die bildende Kunst nichts leisten. Die äussere Tätigkeit des Künstlers ist eine technische durch und durch; nicht umsonst heisst τέχνη – Techne – die Kunst: der bildende Künstler war früher sozial nur ein Handwerker.

Auch die Musik steht in der Technik Schuld, die ihr von der schwirrenden Senne und der tönenden Muschel bis zu den Leiern, Flöten der Antike und den Violinen, den Klavieren unserer Zeit, neue Werkzeuge und Ausdrucksmittel zu dem Ur-Instrument der menschlichen Stimme hinzu erfand: so ge­stat­te­te sie der Musik, die Welt des Gefühles weit tiefer und in­ni­ger auszugestalten. Und ebenso verschaffte sie den Tonwerken ein unendliches Feld der Wirkung, da sie ihnen Noten und Notendruck gab und sie in Drehorgeln und Phonographen hin­aus­trug. Nicht minder, im Gegenteil, ist die Schau­spiel­kunst der Technik zu Dank verpflichtet, die ihr Bühne und Theater erbaute, ihr gute Akustik verschaffte, die Kulissen malte, die Kostüme wirkte, die Ausstattungseffekte ermöglichte, durch die das Schauspiel für das Publikum überhaupt erst ins Dasein tritt. Am wenigsten, ja kaum, hat die Technik Einfluss in der Dichtkunst erlangt, ausser eben zur Verbreitung ihrer Werke durch den Druck. Wenn es auch in den grossen Dichtungen zweifellos auf ein Abwägen der Teile, der Taten, Gefühle und Gestalten ankommt, also auf eine gewisse Unterordnung des Einzelnen und die Organisation des Ganzen, auf kom­po­si­to­ri­sche Technik –, wenn ebenfalls Rhythmus und Reim eine Herr­schaft, Übung und Handhabung der Formen und somit eine gewisse Technik verlangen –, wenn die Sprache willig zu Ge­bo­te stehen muss und sich in Wort- und Satzbildung modeln lassen: so ist «Technik» hier doch schon dermassen mehr eine allgemeine Menscheneigenschaft der Naturüberlegenheit, eine so unmittelbare Meisterung des Stoffes, dass es eben der mit­tel­ba­ren, durch Werkzeuge, nicht bedarf. Denn der Stoff ist hier nicht die äussere Natur, sondern das innere Leben. Hier, wie überhaupt in der Tiefe der Kunst, hat die Technik ihre Grenze.

Und das ist überaus bezeichnend.

 

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