Technik und Kultur – Teil III – Der Geist der Technik
Der Geist der Technik
23. Technischer Geist und Lebensanschauung
Der Geist der Technik, das Wesen der Technik als selbständige Macht betrachtet ist also:
– mittels der Arbeitsteilung den Menschen zu zerstückeln;
– durch die Arbeitseinheit ihn zu entpersönlichen;
– durch die Arbeitsgemeinschaft ihn zur Masse zu machen;
– durch die technische Unterordnung ihn innerlich und äusserlich zu entgeistigen.
So wird er, entwürdigt, zum willenlosen Gemächte der monotheistischen Idee zu Händen ihrer politisch-sozialen Verkörperung, der militärisch-bürokratischen Staatsgewalt. Der Monotheismus hat also der Technik viel zu verdanken; aber die Religion …?
Religion1 gilt heute den einen für die überflüssigste Sache und den lächerlichsten Unsinn: sie verstehen unter Religion aber nur Bevormundung, die Unterwürfigkeit unter priesterlich verfälschte Sagen, priesterlich eigensüchtige Bräuche, priesterlichen Dünkel und Hass. Die andern reden nur von Glaubenseifer, Gottesdienst und Gotteswort und halten daher die Religion für das Unentbehrlichste. Diese sehen darin die Stütze des Staates und das Mittel der Volksbeherrschung, instinktiv richtig, weil der Staat ihnen die Grenze der Lebensanschauung ist. Und fürwahr! die Orthodoxie religiöser Buchstaben kann nicht besser Fleisch werden, als im Massenstaat. Jene fürchten eine Beschränkung ihrer modernen Tendenzen – mit Unrecht! Denn was ihnen modern heisst, der Kampf gegen alle Hindernisse der vollen technischen und sozialen Entfaltung, dazu treibt, wenn auch langsamer, doch um so gründlicher, der Staat gerade durch seine scheinbaren Bremsanstalten, Heer, Beamtentum und Kirche.
Aber es gibt doch noch Empfindungen ausser der bourgeoisen Sehnsucht nach gründlichster und der proletarischen nach schleunigster Entwicklung zur Masse. Ausser dem Zwillingspaare – Mono- und Atheismus – lebt denn doch noch ein Selbstgefühl, das von innerer Macht der Weltgestaltung redet. Und dieses Gefühl sträubt sich gegen den Massenstempel, der den Menschen zu einem Staube des Zufalls oder von Alleingottes Gnaden macht, zu einem ererbten Werke der Masse oder der Alleinheit. Diesem Gefühl der Persönlichkeit im eigenen und jedem Naturleben hat die Technik unendlichen Schaden zugefügt. Je mehr sie wuchs, um so nachhaltiger. Ihr Geist bildete sich ja mit ihrem Aufschwunge immer deutlicher heraus, der Geist der Unpersönlichkeit und Mechanisierung. Mit ihrer gewerblichen Schwester arbeitete die priesterlich-christentümliche Kirchentechnik Hand in Hand, dem gemeinsamen Ziele zu – oft mit verteilten Rollen, scheinbar verfeindet. Denn so ergibt es sich, der Mensch fühlt sich so sicherer, je nach Anlage, entweder in der «Freiheit» der technisch-modern-liberalen Anschauung oder unter dem «Schutze» der orthodox-konservativen. Es kommt jedoch auf eins heraus, hier auf dem Umweg, des Gemüts, dort auf dem der Arbeit, und so steuerte der Mensch dem Hafen der Entpersönlichung zu.
Besonders gefährlich ward aber eben der technisch-gewerblich-moderne Weg, weil er so frei und gangbar scheint, weil er den Menschen bei seinem besten lockt, dem Freiheitsgefühl. Der Drang nach Freiheit ist nicht so negativ, wie das Wort selbst, nicht nur die Leere der Nichtbehinderung. Vielmehr ist es der tiefe Kampfesruf der Persönlichkeit, die, um schöpferisch zu sein, um sich gestaltend zu verwirklichen – mindestens nicht gewaltsamer Behinderung unterliegen darf. Sonst wird sie eben Masse. Freiheitsgefühl, Überzeugungstreue, Persönlichkeit, echte Lebensempfindung, natürliche Religion: es sind nur Phasen und Formen des kosmischen Dranges. Und die Technik, die urwesentlich persönlich erlebter Umgang mit der Natur war, schien dem Menschen alles zu versprechen. […]
Der Vatikan ist elektrisch beleuchtet, Leo XIII. schickte seinen Segen auf der Phonographenwalze in die Welt, der Ultramontanismus versteht Presse und Parlament meisterlich zu handhaben. Das beweist eben, dass die Technik an sich noch gar kein Fortschritt ist – erst ihre Nutzanwendung durch den Menschen kann sie dem Aufstiege des Lebens dienstbar machen. Das ist aber offenbar das schwerste Stück der ganzen Menschheitsarbeit.
Bedeutungsvoller ist aber wiederum, dass die Wissenschaft als rechte Hand der Technik immer mehr die Urkunden des Alleingottestumes als unhaltbar zerfasert hat, philologisch, geschichtlich und naturwissenschaftlich – das Alleingottes- tum ist ganz unglaubwürdig geworden. Schliesslich musste es dahin kommen, dass die monotheistische Technik die Absetzung des Alleingottes verkündete.
Jedoch: hätte das Alleingottestum mittels der von ihr geförderten Technik nur sich selbst ermordet – es wäre ein Verdienst. Nun hat aber der Geist der Technik, der Geist der allein glücklichmachenden und allein geduldeten Technik, der Geist der zur Despotie angepeitschten Technik – nicht irgendeinen Gott umgebracht, wohl aber das natürlich religiöse Gefühl des Menschen erwürgt und damit eine wesentliche Lebensbedingung zerstört. Weil dem Menschen gelehrt wurde, dass der Alleingott die Welt erschaffen hat, musste in ihm dieser Glaube siechen, als er erkannte, dass sie unerschaffen ist. Weil ihm eingehämmert worden war, dass der Alleingott nur im Bibelbuche richtig zu finden sei, musste der Glaube sterben, als dieses Buch sich als grandiose Fälschung entpuppte. Vor allem aber: der Mensch hatte gelernt, dass Gott nur das Gegenbild des Menschen sei, der Gegensatz alles menschlichen Wesens, dass es daher nur einen Gott geben könne, dass Gott Einer wäre, oder Keiner. Als nun die vom Alleingottestum gehegte Technik den Alleingott umgestossen hatte, da gab es überhaupt keinen möglichen Gott mehr. Geblieben ist ein mehr oder minder unklarer, unpersönlicher, chaotischer Pantheismus, der sich nur im seherisch-dichterischen Gefühle wieder schüchtern dem naturechten Polytheismus nähert, im philosophisch-ethischen Empfinden aber ganz verblasst. Goethe ist nicht etwa der ins dichterische übersetzte Spinoza, sondern die Umkehr von pantheistischer Formlosigkeit zu hellenisch-polytheistisch-individuellem Monismus. Und ein moderner Dichter, Elisàr von Kupffer, eröffnet uns den Blick in eine neue religiöse und sittliche Welt2 – über Olympia und Golgatha:
Die Schönheit naht, sie sendet ihre Boten,
Der Frühling jubelt in zerstörten Mauern,
An allen Zweigen frische Knospen lauern.
Lebendig wird es in dem Reich der Toten!
Hör auf, mein Sinn, hör endlich auf zu trauern!
Denn Christus lebt in deinem Opferherzen,
Und Dionysos deinen heitren Scherzen,
Und deiner Liebe – Eros-Aphrodite!
Lass dir dein Glück von keinem Feinde merzen!
Erwache Welt, der ich den Gruss entbiete,
Und bete an, vor dem die Sehnsucht kniete,
Dein Seelenheim, dein himmlisches Verlangen!
Leer’ deinen Kelch, an dem die Lippen hangen,
Und ward er auch vergiftet, ohne Bangen!
Florentine XXVIII: «In Pompeji» aus: «An Edens Pforten – aus Edens Reich»,
sufische Gedichte 1906/7, E. Pierson, Dresden
Aber die moderne Naturwissenschaft – Nährmutter und Impresario des technischen Wunderkindes, stammt durch Spinoza vom Monotheismus ab.
Die Bibel hat mit der Technik Gott erschlagen: nicht nur ihren Alleingott, sondern mehr – den Glauben an unvergängliche, persönliche, gestaltende Mächte in jedem Naturgebilde, an die kosmische Göttlichkeit, die in jedem selbständig und persönlich dem grossen Ziele der Freude zustrebt, an die weltbildende Kraft der Form, an eine Welt lebendiger Mittelpunkte, die unsere Sprache nun einmal «göttlich» nennen möchte. Wirklich, der sinaitische Gedanke hat gesiegt. Unsere Zivilisation ist die des mosaischen Ideals. Darum ist es eine lächerliche Inkonsequenz, wenn die Staats-, Weltpolitik- und Technikschwärmer sich gegen die Juden sträuben. Diese wenden ja nur die Grundsätze des technischen Allstaates unbeirrter und erfolgreicher an. Sie gehören in unsere Gesittung. Der Antisemitismus als Gegner der Vaterlandslosigkeit hätte einen Sinn von echtem Volksgefühl aus. Aber das ist durch Staat und Technik längst verwirtschaftet worden. Heute darf Antisemit nur sein, wer den kategorischen Staatswahn überwunden hat. Und wer das hat, ist sicherlich nicht mehr anti irgend einer besondern der herrschenden Machtgruppen, sondern über sie alle hinaus, über alle Parteien, über alles Unpersönliche.
24. Die moderne Erziehung
Der Bibelgeist der Technik hat die persönliche, natürliche Religion ausgerottet und damit die Grundlage des persönlichen Gefühls; er hat aber auch die Sittlichkeit untergraben.
Zwar nicht jene Sittlichkeit, die im äusseren Mitmachen der Lebensbräuche besteht, in der klugen Verheimlichung etwaiger Eigensprünge, in der tatsächlichen oder angeblichen Unterwürfigkeit unter die jeweils geltenden Anschauungen, im charakterlosen Verzicht auf das Recht eigener Lebensführung. Diese entartete Sittlichkeit hat zweifellos grosse Fortschritte gemacht, in dem Masse, als der dreieinige Geist der Technik – Gewerblichkeit, Staatlichkeit, Priesterlichkeit – sich entfaltet hat. Doch diese Anständigkeit – denn mehr ist sie nicht – ist genau so das Zerrbild echter Sittlichkeit, wie die Masse das Zerrbild des Gemeinlebens ist; sie ist genau so Vernichtung des ethischen Gefühles, wie die Masse Vernichtung der Persönlichkeit ist.
Sittlichkeit ist schliesslich nicht mehr noch minder als kosmische Treue. In der Persönlichkeit bedeutet sie also die ehrliche Entfaltung der eignen Empfindungen an den Personen, Dingen und Kräften der Umwelt, zu gemeinsam höherer Lebensform. Im Gemeinleben ist sie die Achtung vor jeder Individualität, die nicht gewaltsam oder fraudolenza ihr Gebiet erweitert, ist sie die zielbewusste Förderung des Ganzen durch anerkennenden Ausgleich der einzelnen Naturen, durch Zucht eines Jeden selbst und Duldung der anderen, die natürlich-freiwillige Unter- und Überordnung der Individualitäten.
Von dieser Ethik kann aber der Geist der Technik nichts wissen wollen. Denn seine Scheinkosmik beruht erstens nicht auf freiwilligem Anschluss der Naturen aneinander, sondern auf dem technischen Zwang der mechanischen Anhäufung, und ist zweitens die Verneinung der Persönlichkeit von Grund aus. Ganz kann die Technik den Menschen ja nicht verwandeln und einen Ansatz von wahrem Gemeinleben – in der Familie – muss sie immer wieder dulden. Denn ihr, die aus der Massenvermehrung geboren ist, liegt ja gerade so sehr an Menschenmaterial. Und dafür sorgt am besten die monogamische Ehe. Doch eine solche nutzensüchtige Duldung kann auch hier nur zerstören.
Die geflissentliche Hast, mit der unsere Zivilisation an die Schaffung von – Familien? nicht doch! sondern von Ehen denkt, lässt das kleine Gemeinleben von vornherein falsch beginnen. Die Frage wird ganz und gar nicht so gestellt: passen diese beiden Menschen zum Leben zusammen? Sondern die Antwort ist vor der Frage fertig: dieses Weib kann Kinder gebären, dieser Mann kann Kinder zeugen, aus ihrer Verbindung müssen Kinder hervorgehen und darauf kommt es an.3 […]
Die meisten Ehen sind weder sehr gut noch sehr schlecht. Das ist aber für die Ethik des Gemeinlebens das Allerschlimmste. Es liegt nicht Grund genug zu wirklicher Entfremdung, gar Trennung vor, aber längst fehlt die Kraft, ein wirkliches Miteinanderleben zu erschaffen. Ob die Kinder aus solchen durch den Massengeist unseres öffentlichen Lebens zusammengewürfelten Ehen biologisch viel taugen, ist sehr zu bezweifeln. Greifbarer jedenfalls ist der Schaden, den ihre jungen Persönlichkeiten in solch unechtem Familienleben nehmen. Sie finden gewiss meistens alle Fürsorge für ihr leibliches Wohl. Aber in Wohlstand wie Armut lernen sie immer nur, dass des Lebens Inhalt eben «Essen und Trinken, Kleider und Schuh, Haus und Hof» sind. Und dieses Nur-Hungerideal ist der Grundschaden unserer Gesittung. Die Kinder lernen an den Ehen ihrer Eltern als höchste Möglichkeit des Gemeinlebens schätzen, was nur ein Rohstoff dazu sein sollte, die wirtschaftliche Zusammengehörigkeit. Über diese kann der gewerbetechnische Sinn unserer Zeit überhaupt nicht hinausdenken.
Demnächst vertieft sich der negative Schaden an der kindlichen Ethik durch den positiven: dass die Kinder gar keine wahrhafte Erziehung erhalten, gar nicht zum Gemeinleben geschult werden – und das doch glauben gemacht werden! Bei den Eltern war im ganzen Leben die Persönlichkeit nicht zu ihrem Recht gekommen. Darum wecken sie die Persönlichkeit in den Kindern nicht nur nicht, sondern verderben sie gleicherweise durch Härte wie durch Verzärtelung. Selbst wenn sie es grundgut meinen, wissen sie nicht mehr, wie es anzufangen, und finden keinen, der es ihnen sagt. Bilden sie sich etwas auf sich selbst ein, dann wird das Kind zu blindem Gehorsam angehalten – sonst wird es zum Tyrannen des Hauses entwickelt. Als ob Persönlichkeit die eigensinnige Willkür von Augenblickswünschen wäre! Nein: das Kind kann sehr wohl gehorchen lernen, ohne seinen Willen einzubüssen oder starrsinnig zu werden, und kann sich entfalten, ohne unausstehlich zu werden. Nur darf der Gehorsam nicht der Willkür von Elternlaunen dienen, sondern soll Erziehung des kindlichen Willens zur Einordnung heissen. Nicht gebrochen soll der Wille werden, sondern sich frühzeitigst gewöhnen, am Ganzen des Familienlebens als Glied teilzunehmen, und begreifen, dass es sich naturgemäss einfügen heisst. Dieses Einfügen am richtigen Ort, im richtigen Masse, das soll die Elternkunst sein.4 So, seinen Anlagen entsprechend dem kleinen Gemeinleben eingegliedert, lernt das Kind beides: gehorchen, das ist sich als organischen Teil einer Einheit fühlen –, und zugleich Persönlichkeit sein, das ist, sich als frei mitgestaltende Kraft zu wissen. Statt dessen: entweder nennt man Persönlichkeit das Austoben ungezügelter Willkür – eine Verhöhnung des Wesens der Persönlichkeit; oder man lehrt durch Verbote sich willenlos ducken – das ist der Weg zur Masse.
Unsere Unfähigkeit zur Erziehung ist nur der Ausdruck des technischen Geistes. Durch geschlechterlange Züchtung der öffentlichen Meinung hat er sein Werk vorbereitet und setzt es noch energischer in der Kinderstube fort. Heisst es im Staats- und Erwerbsleben sich entpersönlichen, so fängt damit die Erziehung an – als naturnotwendige Ergänzung wird dann über die Stränge geschlagen. Und wie sollte es anders sein?! Unsere Unfähigkeit zur Erziehung ist nur der Ausdruck des technischen Geistes. Durch geschlechterlange Züchtung der öffentlichen Meinung hat er sein Werk vorbereitet und setzt es noch energischer in der Kinderstube fort. Heisst es im Staats- und Erwerbsleben sich entpersönlichen, so fängt damit die Erziehung an – als naturnotwendige Ergänzung wird dann über die Stränge geschlagen. Und wie sollte es anders sein?! Das Kirchendogma der Sündigkeit zerrüttet das Gemütsleben des Kindes. Es erkennt entweder als Mittler zwischen sich und Gott die Befehle der Eltern, die befohlenen Lehren der Kirche, die befohlenen Zwecke des Staates an – dann ist das Spiel einfach gewonnen. Oder es beginnt ein Leben auf eigene Faust, sobald es irgend kann, dann aber immer mit dem Stachel der eigenen Schlechtigkeit. Und dieser Stachel treibt dazu die innere Unzufriedenheit durch möglichste Masslosigkeit zu betäuben und den Katzenjammer abermals zu betäuben, bis das Spiel auf diesem Umwege dreifach gewonnen ist – in der Erschöpfung des Eigenwillens, in der scheinbaren Weisheit schlechter Erfahrungen, in der Geldbedürftigkeit kostspieliger Vergnügungen.5
Wenn ein Kind aus heutiger Mittelehe ins Leben hinaustritt, kennt es als Lebensinhalt nur: möglichst ertragreichen Erwerb durch abstumpfenden, technischen Beruf. Und als Lebenszweck: die grösste Unterwürfigkeit unter alle herrschenden Einrichtungen, Anschauungen und Bestrebungen, die Verwirklichung des kategorischen Imperativs der Masse. Dessen wahrer Sinn – seit dem Sinai her – hat sich ja in Kants perversem Satze offenbart, sittlich wäre nur die Handlung, die ohne Freude geschieht. Zwischen die nagenden Mahnungen der unterdrückten, unverstandenen Persönlichkeit und die nachdrücklichen Forderungen der öffentlichen Meinung gestellt, muss der Mensch hin- und herschwanken. Vom staatlich-technischen Geiste des echten Gemeinlebens entwöhnt, von der öffentlichen Bevormundung in der sittlichen Selbstverantwortlichkeit vernichtet, glaubt der Mensch alle nur erdenklichen Pflichten gegen das Leben erfüllt zu haben, wenn er nach arbeit- und vergnügsamer Junggesellenzeit als guter Steuerzahler und nervenkranker Mann neue kränkliche Wesen zur Erhaltung von Staat, Gesellschaft und Grossarbeit in die Welt setzt. Wie deren Leben innerlich verlaufen wird, ist ganz belanglos, wenn sie nur militärdienst- und steuertauglich sind – heisst es doch in der Bibel: «Seid fruchtbar und mehret euch! Bete und arbeite! Jedermann sei der Obrigkeit untertan!»
25. Unsere Lebensbehaglichkeit
Der Geist der Technik hat durch die entpersönlichte Arbeitstätigkeit unmittelbar, mittelbar durch die Staatserziehung und die monotheistische Anschauung den Menschen seiner kosmischen Aufgabe entfremdet. Er hat aber auch das tägliche Leben zerrüttet und verkehrt.
Der Mensch will, als Abschlagszahlung auf das grosse, ferne Ziel des Kosmos, die tägliche Lebensfreude. Sie wird ihm am echtesten, wenn seine Persönlichkeit, den Leib beseelend, der Weltharmonie entgegenlangt – in der Liebe, im geistigen Schaffen, im Heldentum, in den künstlerisch-religiösen Empfindungen, und allgemeiner in jeder freien Volltätigkeit des Menschen. Mit der Unterdrückung der Persönlichkeit, mit der erzwungenen Stücktätigkeit und der Ernüchterung der Lebensanschauung, mit der Verpönung der Liebe – ausser der staatlich geprüften Kindererzeugung – sind dem Menschen die unmittelbarsten Wege zur Freude gesperrt worden. Doch so plump der Geist der Technik auch ist – ganz den Menschen totschlagen kann er nicht. Für die mangelnde Freude der natürlichen Bedürfnisse hat er ihm andere Bedürfnisse und andere Freuden gegeben, aber es sind Surrogate.6
Was anders als Surrogate sind denn die Herrlichkeiten der erkünstelten Lebensbehaglichkeit, die unsere Technik uns gewährt? Sie versorgt uns mit Alkohol und Delikatessen, mit Häusern und Kleidern – wozu? Alkohol – zum künstlichen Schnellrausch, da der natürliche Freudenrausch der sich erfüllenden Persönlichkeit unmöglich geworden ist. Wie dürfen diejenigen gegen den Alkohol kämpfen, die für die technische Arbeit und staatliche Unterwürfigkeit eintreten?! Der Alkohol ist der verkörperte Geist unserer Gesittung. Delikatessen? – weil mit der Persönlichkeit die Fähigkeit verloren gegangen ist, den Genuss in voller, heller, persönlicher Erfassung der Gegenwart zu finden. Deshalb müssen starke Mittel reizen und brauchen doch noch nicht zu schmecken. In dem städtischen Arbeitsleben steigert sich die Zubereitung der Speisen und Mahlzeiten mit der abnehmenden Genussfähigkeit. Und je umständlicher die Speisen sind, desto mehr Abwechslung verlangen sie. Brot kann man jeden Tag essen! So steigert sich die Kostspieligkeit der Ernährung in geometrischem Verhältnis. […]
Unsere moderne Technik leistet, hier einsetzend, der Masse fünffache Handlangerdienste. Erstens, moralisch-antiethisch, beschafft sie die Kleidung, um dadurch die Erinnerung an den Leib – diesen Urort der Persönlichkeit – zu ersticken; und in langen Geschlechtern ist ihr das überraschend gelungen. Zweitens, sentimental-antihygienisch, erlaubt sie durch die Kleidung allen schwächlichen Kindern sich ins Leben weiter zu schleppen und bis zur Fortpflanzung zu gelangen … immer der Zweck der Zahlenvermehrung! Und die gesunden Kinder verweichlicht, schwächt sie eben dadurch: vermehren werden sie sich doch, aber das stolze Kraftgefühl wird geknickt, die Fähigkeit zur Freude verringert, das Bedürfnis nach teuren Surrogaten geweckt. Drittens, ökonomisch-sozial, zwingt sie den Menschen zum Erwerbe der Kleidung, zum Erwerbe von ärztlicher Hilfe – dadurch leben so viele Menschen, werden so viele Gewerbe reich, und er selbst muss mehr arbeiten, als er sonst brauchte, hat sich tiefer zu entpersönlichen. Viertens, psychologisch-sexuell, beschlagnahmt sie alle wachen Kräfte des Menschen, so dass er am Feierabend doch irgendein Heim wünscht. Und da schliesst er nach der Studienzeit des prostitutionellen Verkehrs die erste – schlechteste Ehe. Vermehrte Menschenzahl für die Masse und vermehrte Arbeit für ihn selbst sind die Folge. Fünftens, industriell-kapitalistisch, gestattet sie durch Arbeitsgelegenheit für ihn und dermaleinst die Kinder solche proletarische Ehen.
Innerlich und äusserlich treibt die Technik den Menschen zu Paaren, und was sie ihm bietet, sind Steine für Brot.
Es klingt ja wunderbar, wenn unsere Lebensmittel durch grossartige Verkehrsanstalten wer weiss woher kommen: sie sättigen den heutigen Menschen aber nicht im geringsten mehr, als den Urmenschen seine Wildnahrung. Nur weil es daran mangelt, nur weil die Masse zu gross geworden ist, musste der Verkehr beginnen, und nur zur Abhilfe der Massennot dient die gesamte Technik. Das ist ebenso wunderbar, als dass die Blumen im Sommer blühen und Schnee im Winter fällt, einfachste Naturfolge. Der einzelne Mensch hat nichts dadurch gewonnen. Verloren hat aber mit der Menschheit, die ihr Kulturziel nicht mehr erreichen kann, seit ihr geniales Kulturmittel ihr über den Kopf gewachsen ist, auch der Einzelne – unbedingt! Er muss in Riesenhäusern der Grossstädte wohnen, in die Masse eingepfercht, mit ihr und durch sie jeder Hungersnot, jeder Feuersgefahr, jeder Seuche ausgesetzt, in den Magazinen und Warenhäusern auf die Waren des Massengeschmacks angewiesen, abgewiesen mit jeder persönlichen Regung, hilflos, wenn die glanzvollen öffentlichen Institute von Bahnen, Wasserleitungen, elektrischen Anlagen, Zentralheizungen durch Zufall versagen.7
Ein armer Bettler von der Gesamtheit Gnaden, das ist der Mensch geworden, als er sich vermehrend, vermassend in Fabriken, Städten und Staaten zusammendrängte: unpersönlich in seinem Willen und seiner Tätigkeit, abhängig in allen Bewegungen seines Lebens, abgestumpft durch die Entfremdung von der lebenden Natur des Landes, ein seelenloser Höriger seines eigenen Riesenwerkes. Der Prunkpalast der modernen freiheitlich-technischen Zivilisation ist in Wahrheit ein ungeheures Gefängnis, in dem ein jeder lebenslänglich Zwangsarbeit zu verrichten hat, aber auch einer leidlichen Ernährung gewiss ist. Wohin doch der Hungerteufel den Menschen gebracht hat!
Stehe! stehe!
Denn wir haben
Deiner Gaben
Vollgemessen!
Herr, die Not ist gross!
Die ich rief, die Geister,
Werd ich nun nicht los.
Goethe: Der Zauberlehrling
1) Vergleiche die hochinteressante Schrift: «Olympia und Golgatha» von Elisàr von Kupffer, Nr. 1 in der Sammlung «Lebenswerte».
2) Es ist nicht das «Übermenschentum». Wenn auch Nietzsches Ideal nicht der missverstandene Herrenmensch der Moderne ist, so zeigt doch seine Lehre vom «Willen zur Macht» deutlich, dass er die Überwindung des Schwächlichen im Menschen allzu sehr in der äusserlichen Kraftentfaltung sah. Das ist aber gerade die Tendenz, die uns von Anbeginn der Kultur in die Entartung getrieben hat. Deswegen ist auch Nietzsche negativ geblieben und sein unverlierbares Verdienst ist eben die Kritik aller Moral – eine neue positive, aus dem Gefühlsleben erwachsende und somit praktische Ethik hat er nicht gewiesen, wenn er auch im Spruche: «Denn alle Lust will Ewigkeit» der Antwort auf alle seine Fragen sehr nahe gekommen ist. Das Wort «Übermensch» ist ja von Goethe geschaffen, der damit eine tiefe und uralte ethische Wegrichtung ausgedrückt hat – aus der Alltgashalbheit hinaus. Er selbst war harmonisch frei. Aber z.B. der geniale Flug Byrons hatte keineswegs in sich die Weltordnung gefunden. Elisàr von Kupffer hat a. a. O. dargelegt, dass die Wurzeln seiner Welt in «Olympia und Golgatha» liegen. Auch Ibsen hat (wie viele vor und nach ihm) vom «dritten Reich» geträumt – aber es bleibt bei ihm philosophisch-kritisch-fragend. Elisàr von Kupffer ist darin neu, dass er lebenspositiv in Ethik und Religion ist, in der verwirklichten Synthese von Frömmigkeit und Erdenfreude, von Harmonie und grösster Freiheit. Daher ist er bisher noch nicht allgemein bekannt geworden – vielleicht ist auch die Zeit für ihn noch nicht reif.
3) «Man heiratet nicht aus Vergnügen, sondern aus Staatspflicht!», sagte mir ein sehr bekannter politischer Journalist.
4) Vergleiche «Priesterin Mutter», Nr. 5 der Sammlung «Lebenswerte».
5) Vergleiche «Die Seele Tizians», Kapitel VII.
6) Vergleiche «Der Dienst des Goldes», Nr. 4 der Sammlung, «Lebenswerte»
7) Ich sehe ganz von den Unglücksfällen ab, die der Technik billigerweise nicht höher als der Natur anzukreiden sind. Aber die Abhängigkeit, in die der Einzelne geraten ist – das ist der schwerste Vorwurf. Nur ein Beispiel: am 7. August 1906 wurde die New-Yorker Untergrundbahn durch einen Wolkenbruch überschwemmt. Die Leute, die in den Zügen waren, um schnell vorwärts zu kommen, mussten lange Zeit im Wasser, in der Kloakenluft gefangen sitzen.