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Lebensgesetze der Kultur – Zweiter Teil – Die Werte der Kultur: Die Reifezeit

XIX. Recht und Unrecht

Das Recht als Rasseschutz

Aber das Gemeinleben blieb ja nicht bei der ältesten Gleich­heit und Ungliederung stehen. Selbst wenn nur fried­liche Ausbreitung, noch ganz auf dem alten mutter­recht­lichen Boden, die Horde sich allmählich zum Stamme  auswachsen liess, da musste eine Lockerung des Gesamtgefüges eintreten, da zerfiel die Rasse bald in Unterrassen, wie das Land in ein­zel­ne Gebiete, und diese Sippen und Landschaften schieden sich doch je länger, je mehr. Da mochte als Grundsatz immer noch die Gemeinehe und der Gemeinbesitz herrschen, die Gewalt der Tatsachen wies doch jedem dieser geringeren so­zia­len Gebilde seinen Wirkungskreis zu, aus dem der Einfluss der andern möglichst ausgeschlossen war; und kam es denn doch zu Eingriffen so kam es auch zu Gewalttaten; innere Zwis­tig­kei­ten, Bruderkriege sind die Folge und sprechen deutlich von der Zerspaltung der Rasse. Der Gesamtstaat ist schon zersetzt, aber nach aussen sucht er sich immer noch zu erhalten, und im Innern ist noch nichts an der grundsätzlichen Stellung des Ein­zelnen verändert: jeder Mitlebende hat auf Grund seines Blutes das gleiche Teil am besiedelten Besitz und an den Weibern der Sippe.

Erst wenn in den so geschwächten Gesamtstaat nun, unter Benutzung der Zwistigkeiten, andre Horden als Miteinwohner hineindrängen, oder, umgekehrt, ein grösserer oder kleinerer Bruchteil des Volkes auszieht, sich eine neue Heimat zu ero­bern und dann mitten in andre Völker gerät, dann beginnt eine einschneide Neubildung des Rechtes, ja dann, erst gewinnt es seinen vollen Sinn.

Äusserlich zwar bleibt das Recht nach wie vor Rasse­schutz, aber gerade die notwendige schärfere Ausprägung des Ras­se­ge­dankens setzt den einen Grundsatz in einzelne Be­stim­mungen um. Früher liess sich ja die Rassereinheit und der Ausschluss fremden Blutes von jedem Missbrauch des Ge­mein­gu­tes mit leichten Mitteln durchführen, weil, was zu­sam­men­ge­hör­te, zusammenwohnte und fremdblütige Eindringlinge durch Verhaue, Zäune, Wachen fernzuhalten waren; die Be­rüh­rungen waren selten, beabsichtigt und beaufsichtigt. Nicht mehr so jetzt wo die Erobererrasse mit den Ur­ein­woh­nern in buntem Gemisch durcheinander lebten und täglich tau­send­fache Berührungen stattfinden mussten.

Das Recht sollte zwar die Rasse, die herrschende, die bestimmende natürlich, schützen, aber das Recht selbst musste durch Gesetze geschützt werden, oder sein Schutz war un­kräf­tig. Ein Volk, das in Blutsreinheit lebt, braucht keine Gesetze, braucht keine Vorschriften zum Tun oder Unterlassen, weil jedes Glied unwillkürlich durch seine Tätigkeit das Ge­samt­le­ben fördert, ja kaum, wenn beabsichtigt, es schädigen könnte. Nun aber, in einem gemischtrassigen Staate, musste jeder angehalten werden, bewusst das zu tun, was das Staatswohl vorschrieb, und verhindert werden, auch nur unbewusst-fahr­lässig oder gar böswillig, dieses Staatswohl zu schädigen. Das Staatswohl: das war das Wohl und die Festigung der den Staat bildenden und lenkenden Herrenrasse.

So bekam das Grundrecht ein doppeltes Gesicht: es galt als solches für jeden einzelnen, aber da es jetzt auf eine Scheidung ankam, auf die Sonderung von Herren und Unterjochten, so waren die Gesetze eben zweierlei, für die Herren die einen, für die Unterworfenen die andern. Die Ungleichheit des Blutes musste zu einer Ungleichheit der sozialen Stellung führen, zu einer Verschiedenheit der sozialen Bedeutung und der sozialen Aufgaben. Den Unterjochten ward es zum Gesetz, in jeder Weise sich vom Leben der Herren fernzuhalten – besonders vom Gottesdienste –, im übrigen mochten sie ihr Leben un­ter­ei­nan­der nach eignem Gutdünken und Herkommen regeln; nur durften sie nicht daran denken, irgend etwas vom Herrengut für sich zu brauchen oder in Liebesbeziehungen mit der Her­ren­schaft zu treten, wie das für den Umgang mit den Weibern der Folgen wegen begreiflich; aber auch Knaben zu lieben verbot Solon den Sklaven, doch eben nur den Sklaven. Wo es anging, wurden die Unterjochten auch äusserlich als solche gekennzeichnet, wie in späteren Zeiten Kleider­ord­nun­gen soziale Unterschiede zu erhalten suchten. In den Pyrenäen mussten im Mittelalter die letzten Gotensplitter, die Cagots, einen roten Entenfuss als Abzeichen auf ihrem Kleide tragen, wie sonst die Juden einen spitzen Hut, wie im moha­me­da­ni­schen Morgenlande die Christen, Juden und Perser in früheren Zeiten ebenfalls durch die verschiedenen Farben ge­kenn­zeich­net wurden.

Streng galt aber das Gesetz auch für die Herren. Die Rasse konnte nicht mit der unbewussten Zweckmässigkeit der Hand­lungen rechnen, sie musste sich schützen und darum auch dem Nachlässigsten seine Pflicht vorschreiben. Was es zu tun gab, wann es die Waffen zur Verteidigung gegen die unbotmässigen Unterjochten zu brauchen galt, war nicht nötig erst ein­zu­schär­fen; dagegen aber, wessen sich zu enthalten war. Zumal für die Weiber der Herrenrasse wurde der Umgang mit den Unter­joch­ten aufs schärfste verpönt, weil sonst das fremde Blut zer­set­zend eingedrungen wäre; aber auch den Männern wurde um der Gesamtrasse willen vorgeschrieben, nicht mehr aus der unmittelbaren Sippschaft, gar aus der eignen Familie zu hei­ra­ten, sondern aus den andern, ferneren Sippen der Rasse: so nur wurde der allzu einseitigen Ausbildung der Sippen zu Un­ter­rassen, der inneren Lockerung und Entfremdung der Rasse halbwegs vorgebeugt. Ebenso wurde es nun, schon um die Weiber zur Treue gegen die Rasse zu erziehen, notwendig, sie zur Treue gegen ihren eigentlichen Gatten anzuhalten, die Heiligkeit der neuen Ehe untersagte es auch dem früher lie­bes­be­rech­tig­ten Manne, nach der Weise der alten Gemeinehe, sich mit dem anerkannten Weibe eines andern abzugeben.

Gegen die Unterworfenen stand also die Rasse als Ganzes einheitlich da und schied sich von ihr; im Innern aber hatte sie sich in lauter kleine lebendige Zellen, die Familien, umgesetzt. Innerhalb der Familie galt auch noch das gemeinsame Be­sitz­recht am zugewiesenen Lande und seinem Ertrage, aber ge­ge­nei­nan­der schlossen sich die Familien ab und Übergriffe hierin mussten ebenso das feste Gefüge des Herrenstaates verletze, mussten ebenso die Dauer der Rassenherrschaft abschwächen. Und darum ist es eine gemeingefährliche, ahndungswerte Tat, sich an den Weibern und dem Eigentum der Rassegenossen zu vergreifen. Aus dem alten Gemeinrecht war, immer zugunsten der Gesamtrasse, ein Familienrecht geworden und was früher nur den Rassefremden verwehrt gewesen war, den eignen Mitgliedern aber gestattet, das war als Blutschande, Ehebruch, Diebstahl nun allen verpönt.

Das Buchstabenrecht der Rassezersetzung

Mit der weiteren Entwicklung des Gemeinlebens mussten sich die Möglichkeiten innerer Gegensätze immer nur ver­meh­ren. Erstens war die scharfe Bluttrennung auf die Dauer gar nicht durchzuführen; weder war es wirklich zu verhindern, das die Weiber der Herrenrasse nicht doch von den Männern der Unterworfenen Kinder empfingen und sich so das niedere Blut einschmuggelte, noch liessen sich’s die Männer der Her­ren­ras­se nehmen, mit den Weibern der Unterjochten zu verkehren, und so sickerte das Erobererblut veredelnd in die niedere Be­völ­ke­rungs­schicht. Hierin fand also ein immer zunehmender Ausgleich statt. Zweitens sonderte sich die Hauptrasse doch mehr oder minder in Unterrassen, die wohl ineinander üb­er­gin­gen, aber doch an innerer Zu­sam­men­ge­hö­rig­keit verloren; und an Stelle des in ältesten Zeiten einrassigen Gemeinlebens, an Stelle des doppelrassigen Herrenstaates tritt im Laufe der Geschichte eine immer buntere Musterkarte von Unterschieden und Übergängen, von inneren Gegensätzen mannigfaltigster Art, tausendfältige Gelegenheit zu Zwistigkeiten, immer ab­neh­men­des Gemeingefühl.

Dazu kommt noch, dass mit der Zeit der Besitzstand sich völlig verändert. Das Land, einstens Gemeinbesitz, dann zwi­schen Herren und Unterjochten verteilt, zersplittert sich immer mehr, ballt sich aber auch in einigen Händen wieder zusammen, die Landlose wechseln immer willkürlicher ihre Besitzer, ohne Rücksicht auf die Zukunft des Herrenstandes. Aber eben dieser Herrenstand ist eigentlich nicht mehr vor­han­den Mit dem Gewerbe sind zahllose Angehörige der Nie­der­ras­se emporgekommen, haben sich durch die Macht ihres Reich­tums wie Gleich und Gleich neben die alten Herren gestellt, ja es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese ganz verdrängt werden.

Mit dieser Bereicherung und Zersetzung des Gemeinlebens muss auch die Rechtsbildung gleichen Schritt halten. Lykurgos verbot den Spartanern geschriebene Gesetze zu haben: denn die Gesetze, die Grundsätze der Rasseerhaltung, sollten im Herzen und Blute jedes einzelnen lebendig sein. Aber das ward ein Unding, sobald der Staat nach aussen anwuchs und nach innen sich zersplitterte. Wo das lebendige Gemeingefühl ver­siegt und versiegen muss, da waren feste, äussere, ge­schrie­be­ne Gesetze vonnöten. Und der Bestand an Gesetzen wuchs und wuchs und muss wachsen, je reicher und umfassender das äussere Leben wird, bei gleichzeitiger Abnahme der inneren Einheitlichkeit.

Weit davon entfernt ein Wegweiser lebendiger Kultur zu sein, ist die Niederschrift der Gesetze in Wahrheit der Grab­stein der einheitlichen, rassemässigen, ursprünglich spru­deln­den Lebensart. Denn wenn sie schon äusserlich die innere Uneinigkeit kennzeichnet, führt sie mit der Gewalt des starren Buchstaben auch die innere Umwandlung immer weiter. Le­bens­recht wird zu Buchstabenrecht und damit zum Widersinn: es befördert, was es verhindern sollte, und ertötet, was es zu beleben und kräftigen hatte. Uranfänglich und lange noch sinngemässer Rasseschutz, Schutz der gemeinnützigen Le­bens­kräf­te, wird das Gesetz immer mehr zu einem äusserlichen Besitzschutze, zu einem Sachenrecht, das nicht nach den lebendigen Werten, sondern nach den toten Zufälligkeiten eines hochgesteigerten Verkehrslebens richtet.

Recht war einstens auf Blut gegründet, war die natürliche Gemeinschaft der Mitlebenden; dann war Recht immer noch ein Leben, das der einzelne von seiner Rasse trug; endlich wurde es die Selbständigkeit des einzelnen im Rahmen des Gemeinlebens: nur dass dieses Gemeinleben auf die Dauer die grossen Ziele einbüsst, nur dass es einen äusserlichen Wohl­stand mehr als innere Einheitlichkeit und Natürlichkeit schätzt; und da bedeutet denn die sogenannte Selbständigkeit und Rechtsfreiheit nicht viel mehr, als ein Verzicht des Ge­mein­lebens, selbst grosse Zwecke zu weisen. Gewiss ist sie unter den Verhältnissen des mischrassigen, unorganischen, des heutigen Staates für den einzelnen unentbehrlich, ja genügt sie in ihrer Halbheit noch nicht einmal: aber doch nur, weil der Träger der Kultur, der Boden des menschlichen, gesteigerten Lebens, weil die Blutgemeinschaft der Zusammenwohnenden vernichtet ist.

Nicht weil der Mensch so staatsfeindlich und ungesellig, so gewalttätig und böse wäre, bedarf es der Gesetze: sondern weil wirklich die Lebenszwecke, die Handlungen, das ganze Sinnen und Trachten der einzelnen allmählich dazugekommen sind, wider einander zu gehen. Das grosse Gemeinleben ist mit der fortschreitenden Blutzersetzung erstorben, die ver­ei­ni­gen­de Macht gemeinsamen Lebensinhaltes ist verschwunden – und nur grosse Nöte, wie ein Krieg, lässt sie heiligend er­wa­chen –, der kleine Sinn des einzelnen geht nur auf die nächst erreichbare Wirklichkeit, auf den Erwerb. Und da prallen die einzelnen dann auf einander, da gibt es denn Gegensätze und Rechtsstreitigkeiten, da müssen Gesetze mildernd eingreifen.

Das Gemeinleben war früher gemeinsames Leben, heute ist es ein Nebeneinanderwohnen und Widereinanderstreiten; Verbrechen hiess früher, die Grundlage des Lebens, die Ge­schlos­sen­heit der Rasse gefährden, heute ist es Störung der abgemessenen Einzelkreise, aus denen sich mosaikartig der Staat zusammensetzt – und wenn es noch wenigstens ein kunstvolles Mosaik wäre! Gewiss soll das Gesetz die Ge­samt­heit erhalten, aber das Ergebnis der Geschichte ist eben, dass diese Gesamtheit kein organisches Gebilde mehr ist, sondern ein toter Mechanismus. Nicht mehr um das Blut, sondern um das Gut geht heute das Staatsleben, und was an spärlichen Gesetzen andere Werte zu schützen trachtet, ist nur ein ganz ungehöriges Überbleibsel von Übergangszuständen: so die Gesetze, die dem geschlechtlichen Leben gelten und Sitt­lich­keits­ver­ge­hen suchen, wo es heute gar keine mehr gibt – wie Doppelehe oder gar Lieblingminne –, weil die Blutsfrage aufgehört hat, die Grundlage des Ganzen zu sein. Verbrechen war einstens Bruch der Gemeinschaft, heute ist es Verletzung des Gesetzesbuchstabens, der von einem Tage zum andern wechseln kann.

Darin spricht sich am deutlichsten der Niedergang der Kultur aus. Die alte Urgrundlage ist verlassen worden, das Urgrundgesetz der Blutgemeinschaft ist in tausend Ge­set­zes­pa­ra­graphen verzettelt worden, die andern Ziele dienen, und noch ist es nicht gelungen, wieder die einfache Anerkenntnis zu gewinnen, dass die Menschheit wirklich atomisiert ist, dass heute nur der Rechtsgrundsatz der völligen Selbständigkeit den Tatsachen entspricht, dass heute als Verbrechen nur die Ver­ge­waltigung der Einzelfreiheit zu gelten hat, vorbehaltlich einer weiteren Neuentwicklung.

 

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