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Lebensgesetze der Kultur – Erster Teil – Das Wesen der Kultur

II. Die Mitarbeit der Natur

Kultur und Klima

In ganz überragendem Masse tritt der kulturerzieherische Einfluss des Wechsels in all den Wanderungen hervor, die in geschichtlicher und vorgeschichtlicher Zeit von dem Menschen vollführt worden sind.

Gleichgültig warum der Mensch sich gezwungen sah, seine Ursitze zu verlassen; genug, dass er aus gegebnen, ihm ver­trau­ten Naturzuständen in neue gelangte, denen er sich anzupassen hatte. Die neue Heimat mochte im ganzen besser oder schlech­ter als die alte sein, jedenfalls geriet der Mensch in ganz neue Lebensverhältnisse, und die einzige Hilfe waren seine bis­he­ri­gen Kenntnisse, die er in der Heimat unbewusst gewonnen und verwertet hatte, weil sie dort aus dem schlichtesten Tages­ge­brauch hervorgegangen waren. Jetzt suchte er diese Kenntnisse anzuwenden, jetzt musste er nach Stoffen seiner Betätigung suchen und fand sie anders, als er es erwartete. Zwecke zu wollen hatte er schon gelernt, jetzt lernte er es, sich die Mittel zu seinen Zwecken zu bereiten, seine Handlungen der Natur anzupassen und dadurch die Natur zu meistern.

Bei diesen Wanderungen machte wohl meistens der Zufall den Wegweiser: ein Flusstal, ein Gebirgszug gaben oft die Rich­tung an; nur dass der Mensch auch schon fähig sein musste, die Gunst des einen Zufalls vor andern auszunutzen. Eins der wertvollsten Geschenke der Natur ist immer die Mitwirkung des Meeres gewesen, zumal wenn die Küste gegliedert genug war, um dem Menschen auf kleine Entfernungen selbst der Lotse zu sein, bis er Selbstvertrauen und Lust an weiteren Fahr­ten ins Ungewisse gewann; und auch dann noch sind stetige Meeresströmungen und Winde eine wesentliche Unter­stüt­zung. Kühne Schiffervölker haben sich nur in Inselgebieten herausgebildet – wie längst bekannt aus dem Beispiel der Kariben des Antillenmeeres, der Malayen des Sundaarchipels und Polynesiens, der Phönizier, Hellenen und Ligurer des Mittelmeers, der Normannen der skandinavischen Inselwelt und der Norweger der Fjords. Besonders die Phönizier sind geradezu ein Schulbeispiel des Kultureinflusses der Natur; sie sind ja nur der vorgeschobenste Posten der semitischen Stämme, die in Innerarabien sich zum räuberischen Hirtenvolk entwickelt hatten, in den fruchtbaren Ebenen Mesopotamiens und des Jordan zu sesshaften Ackerbauern geworden waren, und an der schmalen Küste Syriens zu Seefahrern wurden, die, allerdings von einer Meeresströmung westwärts getragen, von einer Siedlung zur andren gelangten.

So zeigt sich die äussere, klimatische Natur als eine der Ursachen, welche eine Sonderung und Sichtung der Menschen bewirkt haben; und wenn auch alle Kultur Menschenwerk ist, so war doch auch der Mensch ein Naturgebilde, und meisterte er die Natur, so modelte doch auch die Natur an ihm; und der Aufstieg der Rassen bleibt ihr verdankt. Nur derjenige Men­schen­schlag ist zur Höhe des Menschentums emporgestiegen, dessen Kräfte in harter Zucht sich innerlich zu steigern hatten; diese Kräfte verwirklichen konnte er aber nur, wenn die ihn umgebende Natur weder zu reich, noch zu arm war. Engste Verwandte sind die niedrigststehenden Indianer Inner­bra­si­liens oder die Feuerländer und die Peruaner, jene in der grössten Üppigkeit von Natur und Klima oder wiederum in der äussersten Armut lebend, diese in der herben Luft fruchtbarer Hochtäler eine blühende Kultur schaffend; und ebenso sind nördlich die einen Indianerstämme Jäger geblieben, wie es den weiten Wäldern und Prärien gemäss war, die andren wurden auf der Hochebene Mexikos zu einem Kulturvolk. Ebenso wurden die turanischen Sumeroakkadier Stifter der west­asia­ti­schen Kultur erst als sie aus den öden Steppen in das Flusstal von Euphrat und Tigris gelangt waren, die Chinesen erst als sie vom Himalaya herabgestiegen waren den Wassern des Yangtse nach zur fruchtbaren gelben Erde; und wie Assyrobabylonier, Hebräer und Phönizier, so schwangen auch die Araber sich zur Kultur empor, erst als sie das lähmend heisse Arabien mit den milderen Strichen am Mittelmeer vertauscht hatten und am Nil, in Syrien, Sizilien und Spanien heimisch geworden waren.

Die Natur in der Rasse

Wenn der Mensch tätig und schöpferisch ist, so hat er diese Eigenschaften ja gerade von der Natur geerbt, die, tätiger als er und schöpfungsmächtiger, ihn im Grunde doch nur zum Werkzeug ihres Könnens gewählt, ja gemacht hat. Und wenn denn doch die Rollen verteilt sein sollen und die Kultur Menschenwerk ist, so hat die Natur es sich eben nicht nehmen lassen, die Kulturtriebe des Menschen, abgesehen von aller äusseren Förderung, auch von innen heraus zu stählen und zu veredeln. Die beste Mitarbeiterin wurde die Natur dem Men­schen im Menschen und nur wo sie an dem Blute des Menschen vorgearbeitet hatte, da wurde es ihm leicht aus diesem Blute heraus die Richtlinie der Naturaufgaben einzuhalten.

Die Stufen, Wandlungen und Wanderungen, die den ein­zelnen Menschenschlag zu dem gemacht haben, was er werden konnte, lassen sich schwerlich nachprüfen; nur bleibt es als Leitfaden der Vorgeschichte, dass nur neue äussere Umstände den Anstoss zu innerer Erneuerung, Neubelebung und Er­höh­ung des Menschen gewesen sein können. Jede höhere Kultur­stufe, sofern sie nicht nachweislich eingeimpft worden ist, darf daher als Beweis einer Naturänderung gelten, für gewöhnlich also wohl einer Wanderung; und auch zur Nachahmung genügt die Berührung verschiedner Kulturkreise allein nicht, sondern die innere Bereitschaft zur Entlehnung muss hinzukommen, bleibt also das Entscheidende. Je niedriger ein Volk steht, um so näher liegen seine Ursitze, oder äussere Umstände müssten gar zu schwer auf ihm lasten, wie bei den arktischen Stämmen; je höher die Rasse steht, desto «weitgereister», vom Schicksal umhergeworfner ist sie. Die neue Kultur, die in Nordamerika aus europäischem Samen emporsteigt, beweist, dass die neue Natur neue Lebensformen weckt, bleibt ihr Schöpfer auch der Geist des Menschen. Nur muss dem wandernden Volke nach den Zeiten des Unsteten immer wieder die Ruhe ge­schlech­ter­langen Wachsens auf stetigem Boden werden, oder es wird unfruchtbar, wie es die an sich hochbegabten Juden geworden sind; es muss mit dem Boden verwachsen, in ihm Wurzeln schlagen, um, seiner Herr werdend, auch der Natur freier und überlegner gegenüber zu stehen. Dann mag eine neue «Wan­de­rung einen neuen Aufschwung bringen.

Nicht eine, sondern viele Urheimaten besitzt also vor den niedren Rassen die höhere, nicht eine Jugend sondern mehrere hat sie durchlebt, nicht einmal, sondern oft ihr Blut veredelt und vereinheitlicht. Wäre eine Rasse allein durch die Welt gezogen, wer weiss welche Höhe sie hätte erreichen können; aber die reiche Natur züchtete eben eine Fülle von Lebens­bil­dun­gen und zwecklos, reine Tätigkeit, die sie ist, warf sie dann ihre Bildungen durcheinander und liess die Rassen nicht bloss zur Einheitlichkeit emporsteigen, sondern auch durch Misch­ung hinabsinken, bis aus dem Chaos neues Werden quillt. Und so ist denn, recht begriffen, die Geschichte der Kultur eine Geschichte der Rassen, die Geschichte des Men­schen­wer­kes die des Menschenblutes.

 

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