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Lebensgesetze der Kultur – Dritter Teil – Die Zukunft der Kultur

XXV. Der Kulturwert der Persönlichkeit

Persönlichkeiten als Schöpfer der Kultur

Persönlichkeiten erstehen somit, wo Rassenvorgänge sich abspielen, sie sind durch ihre schöpferische Eigenart der Beweis, dass hohe, dem Durchschnitt überlegene Innenmächte die Gelegenheit haben, in den Streit grundverschiedener Blut­mächte einzugreifen und sich an ihnen, sie an sich zu einem neuen hohen Gebilde zu verkörpern. Rassengegensätze sind da, sie gelangen jedoch zum Ausgleich.

Worin nun die Bedeutung der einzelnen Persönlichkeit liegt, durch welche Tätigkeit sie sich auszeichnet, woran sie ihre schaffende, gestaltende, richtunggebende Kraft offenbart, das ist, denk ich mir, auch nur ein näheres Anzeichen auf die ringenden Mächte der Zeit. Je nachdem, welche äussere Kräfte in den Rassevorgang mit hineinspielen, ja ihn vielleicht erst geweckt haben, zeigen sich auch die Nöte; die Bedürfnisse, die Gelegenheiten des äusseren Volkslebens; und an ihnen betätigt sich dann die Persönlichkeit und tritt so an das Licht der Öffent­lichkeit.

Doch nicht, als ob diese Bedürfnisse erst die Per­sön­lich­keit erschüfen, nein: die Bedürfnisse, wie die Per­sön­lich­keiten sind gleichzeitige und gleichartige Äus­se­run­gen derselben zugrunde liegenden tief organischen Vorgänge. Nur dass, was im Grossen und Allgemeinen noch um Lösung und Ein­heit­lich­keit ringt, diese Ein­heit­lich­keit und Lösung kann schon im kleinen und einzelnen gefunden sein, oft früher als sie sich im grossen durchsetzen kann: und diese vorläufige und vor­lau­fen­de Lösung, diese Hoffnung auf eine glückliche Neugeburt des Menschenschlages sind eben die Per­sön­lich­kei­ten; die Per­sön­lich­kei­ten sind also, wo sie auftreten, zugleich ein Hinweis auf die Kampfesglut innerer Gegensätze und ein Versprechen der künftigen Friedensruhe, der Erfüllung der um ihre Ziele rin­gen­den Triebe. Vielleicht käme diese Erfüllung langsamer auch ohne sie; aber da die Menschheit sich willig der Leitung dar­bie­tet, wenn es Not tut, so sind es doch die grossen Per­sön­lich­kei­ten, welche den Fortschritt bringen. Die Morgenröte führt zwar nicht den Tag herauf, doch kündet sie ihn an und weckt wohl auch die Schläfer, ihm entgegenzugehen.

Aber dieser Fortschritt, den die Persönlichkeiten bringen, ist langsam genug, die Bahn, die sie bauen, wird in hartes Gestein gesprengt. Eine erste Persönlichkeit, vielleicht wirklich der erste Vorläufer kommender Blutskämpfe, Zersetzungen und Nöte, bringt die Ahnung neuer Lebensgestaltungen und Lebensnotwendigkeiten erst zu seinem eignen Bewusstsein, und spricht er sie aus, so versteht ihn niemand, denn er ist seiner Zeit um Geschlechter voraus. Andre Persönlichkeiten, die nach ihm kommen, schon häufiger, weil eben die Blut­mi­schung breitere Kreise ergreift, tragen dies Bewusstsein, aus dem eignen Gefühl quellend, nicht unbedingt, aber oft überdies an den ersten Verkünder anknüpfend, ins Weitere hinaus und leben der blinden Menge ein neues Leben vor. Und erst, wenn die Blut­mi­schung sich ganz vollzieht, leben ihnen dann auch die andern alle nach, wandeln sie die Bahnen, die jene Ersten und Seltnen ihnen gewiesen, die ihnen jetzt eben auch schon gemäss und natürlich sind, als verstände es sich gar nicht anders; und da vergessen sie auch meistens die Bahnbrecher und Wegweiser. Aber diese scheinbare Ungerechtigkeit ist doch nur der Ausdruck der Naturvorgänge: solange die neuwerdende Art erst Einzelne, erst Persönlichkeiten ergriffen hat, ist ja die grosse Menge meist noch nicht in Not; und kommt die Not an sie, dann hat die Rasseumwandlung eben auch sie ergriffen und willig-nachlässig folgen sie jetzt den für sie vorbereiteten Zuständen. Dass die Persönlichkeiten so voraus empfinden ist ja nur, weil in ihnen ja schon Gegenwart ist, was der andern in einer fernen Zukunft harrt. Und so sind die Persönlichkeiten wirklich immer die Zukunft der Rasse und ihrer Lebens­ge­stal­tung, der Kultur.

Eine einzelne Persönlichkeit wird also selten oder nie einen Umschwung hervorbringen – er ist ja auch noch nicht nötig – sondern eben erst eine ganze Reihe von Persön­lich­kei­ten, die aus gleichen inneren Blutsgegensätzen her­vor­ge­gan­gen, der tastenden und suchenden Menge ihr eignes Empfinden deutet und ihrem Handeln die Wege weist. Je tiefer die Not zu werden hat, je gewaltiger der innere Kampf sein wird, je schmerz­hafter die Geburtswehen des neuen Menschentums dann auch sind, ein um so grösserer Zeitraum liegt zwischen dem endlichen Durchdringen der neuen Lebensform und ihrem ersten Aufblitzen in den Empfindungen eines hohen Vor­läu­fers, um so länger und vielseitiger wird auch die Reihe derer sein, die an der Geschichte wirken. Denn so sind es in Wahr­heit doch die Männer, welche die Geschichte machen: die Triebe der Massen aber, auf welche es bei der Entscheidung im grossen ankommt, sind nur der Stoff, an dem sie sich be­tä­ti­gen, nur das Chaos, aus dem sie neue Welten schaffen.

Alle Lebensformen werden von Persönlichkeiten vor­emp­fun­den, erlitten, gesucht und gefunden; dann hat sich die Menge häuslich in ihnen niedergelassen. Alle Werte der Kultur sind von Persönlichkeiten geprägt worden, für sich als eigner heiliger Schatz; dann wird es gangbare, abgegriffene Münze der Menge. Die ganze Kultur ist nur ein Werk der Persönlichkeiten, die Menge vergröbert und verzerrt sie; was die Per­sön­lich­kei­ten inbrünstig schaffen, ist wie das kleine Urbild eines Rie­sen­wer­kes, noch innigen Lebens voll: die Handwerker der Kultur, die Menge, machen daraus das fertige grosse Abbild, das auf Gassen und Märkten zu prangen hat. Ja, die Persönlichkeiten, aus Rassegegensätzen geboren, erste Rassekeime, sind die Schöpfer der Kultur, die Menge, die endlich wieder aus­ge­gli­che­ne Rasse, ist nur der Niessbraucher der Kultur. Kultur hat auch nur die einheitliche Rasse, nur ein Volk, nur eine ge­schlos­se­ne Nation, Kultur ist nur die in sich selber fest be­ru­hen­de und nach aussen schöpferisch sich betätigende Per­sön­lich­keit.

Die Erfinder

Die Zeiten ändern sich nur, wenn sich die Menschen ändern: denn alle Entwicklung stammt aus dem Innern; alle äussere Mächte, die nicht unmittelbar zerstören, wirken nur auf dem Umwege des menschlichen Inneren an dem Men­schen­wer­ke mit; alle Vorteile, welche die Natur darbietet, gewinnen eben erst durch den Menschen ihren lebendigen Wert.

Auch Bedürfnisse werden als solche empfunden, erst wenn sie sich tief haben einfressen können, wenn ihnen der Schall­boden im Inneren bereitet worden ist: und dann erst sucht der Sinn nach Abhilfe, dann durchschürft er die Natur nach Hilfs­mit­teln, dann greift er tastend nach dem einen und andern, bis der Zufall ihm entgegenkommt. Aber die Zufälle der Natur können auch nur dann ausgenutzt werden, nur dann in ihrer flüchtigen Gelegenheit ergriffen, festgehalten und dienstbar gemacht werden, wenn ein helles Auge sie begreift, wenn ein helles Hirn die ganze Tragweite ihres Geschehens erkennt und sich ein Bild der möglichen Gestaltung dieser Kräfte im Augen­blicke entwirft. Und so ist jeder Fortschritt auch der äusseren, grundlegenden, wirtschaftlichen Lebensgestaltung der schöp­fe­ri­schen Erfindungsgabe eines Einzelnen, einer Per­sön­lich­keit entsprungen.

Der technische Erfinder ist die älteste der Per­sön­lich­kei­ten. Auch die allerälteste und einfachste Anwendung von Werk­zeugen muss von einem einzelnen begabten Kopfe aus­ge­gan­gen sein oder auch von vielen einzelnen, voneinander unabhängigen, in gleichen Nöten befindlichen Personen. Dass es eben einem vor den andern glückt, zeigt, dass er vor den andern weiss, wo mit der neu sich darbietenden Naturkraft einzusetzen; um das zu wissen, muss vorab in ihm selbst ein Mangel das Wirkungsfeld eröffnen, muss seine eigne Lebens­ge­stal­tung behindert sein und zu wünschen übrig lassen, es muss sich in ihm oder um ihn ein Notstand vorbereiten, der übliche Umgang mit der Natur, die hergebrachte Wirtschafts- oder Handwerksform muss eng zu werden beginnen. Wenn also bei stetig steigender, sich verdichtender – und dann auch innerlich sich sondernder – Bevölkerung das gewohnte Leben kein Aus­kom­men mehr gewährt, dann empfindet ein Einzelner, Höher­be­gab­ter, Feinerorganisierter, dem der Durchschnitt des Lebens sowieso nicht entspricht, weil er schon aus ab­wei­chen­den Grundmächten zu besonderer Eigenart geboren ist, früher als die andern die Schranken des Bestehenden, leidet, sucht und findet einen neuen Ausweg – für sich; denn meistens wollen die meisten die Neuerung gar nicht gelten lassen und erst wenn ihnen die Not allzu gross und auch dem Stumpfsten bemerkbar wird, dann kann eine andre Persönlichkeit die alte Erfindung wiederholen oder aufnehmen und dadurch zum Segenspender für viele werden, das wird dann zum Gemeingut und Kulturfortschritt. Die meisten Namen der Erfinder sind vergessen worden und ein Achtloser könnte glauben, sie hätten nie gelebt; aber das Erfinderschicksal neuerer und neuester Zeiten beweist, wie begierig sich die Menge auf eine neue wirtschaftlich ausnützbare Erfindung stürzt, sobald die Stunde dieser Ausnutzung gekommen ist, als wenn es sich so von selbst verstände; den Einzelnen, der es erfunden, die Per­sön­lich­keit, die den neuen Weg gezeigt, entlohnt sie mit Undank, oft mit Ruin. Aber ebenso deutet der Umstand, dass so oft zu gleicher Zeit gleiche Erfindungen ganz voneinander unab­hän­gig gemacht werden darauf hin, dass tiefe, allgemeine Kräfte in den Geistesschöpfungen der genialen Per­sön­lich­kei­ten, ja in ihnen selbst zur Offenbarung gelangen: dann haben eben ähn­liche Gegensätze der Grundmächte bei der Erzeugung ähn­liche Innenmächte Fleisch werden lassen, die so erzeugten Männer haben ähnlich an den Zuständen gelitten und die Natur hat ihnen ähnliche Auswege gewiesen.

Es sind also einzelne Erfinder die Schöpfer aller der äusseren Lebensgestaltungen und Gegenstände und wirklich führt denn auch eine bahnbrechende technische Erfindung ein neues Zeitalter herauf, aber in Wahrheit kommt das neue Zeitalter nur durch das neue Menschentum, deren Werden in der Persönlichkeit des Erfinders den ersten gelungenen Aus­druck fand.

Den Wert einer Erfindung kann nie der Augenblick be­stim­men, sondern erst die Stunde, welche diese Erfindung in Leben umsetzt und oft ist der wahre Erfinder eben diejenige Persönlichkeit, welche die Lebensanwendbarkeit einer Natur­er­schei­nung erkennt; war sie schon vordem bekannt, so muss er sie recht eigentlich erst neu erfinden, und ihm gebührt die Ehre der Erfindung, in ihm erst offenbart sich der tiefe Mensch­heits­vor­gang, nicht in dem zufälligen ersten Beo­bach­ter, der mit gelehrter Genauigkeit jeden Vorfall als gleich wichtig tagebucht und dann wohl auch einmal etwas als erster findet und berichtet, ganz ohne den Fügelschlag des Lebens zu vernehmen. Dann muss eben ein andrer nach ihm kommen, der vielleicht gerade von ihm die Kenntnis dieser Natur­er­schei­nung hat, aber nun begreift, was für Schätze sich darin bergen, weil sein Empfinden tiefer und umfassender ist: er, einzig er ist dann der Erfinder, der geniale Bereicherer des Lebens, das in ihm selbst aus innerer Kampfesnot zu quellender Fülle gelangt ist.

So bergen denn auch jene Schuttgeschichten der Gräber­fun­de und Urweltsiedlungen das Zeugnis nicht bloss von längst verwehter Tage Notdurft, sondern auch von dem bildenden Geiste einzelner Auserlesener; wo wir kühl von älterer und jüngerer Steinzeit, von Kupfer-, Bronze- und Eisenzeit spre­chen, da sollte es heissen: «Ziehe deine Schuhe aus, denn wo du hintrittst, ist heiliges Land!», ist Offenbarung des aus Leiden schaffenden Menschengeistes. Auch jene fernen Jahr­tau­sende haben ihre Bahnbrecher der Lebensgestaltung gehabt, wenn der starre Kreis des Alten gesprengt werden sollte, wie es in der Renaissance wieder geschah, wo Flavio Gioja aus der Magnetnadel den Kompass erschuf, weil der Seeverkehr von Küste zu Küste oder in dem engen Becken des Mittelmeers dem steigenden Erwerbsleben nicht mehr genügte; wo Gutenberg dem steigenden Werte der Geistesbildung durch die Erfindung der beweglichen Lettern entgegenkam. Und wiederum als die Zeit in den Wehen lag, entdeckte James Watt den alten Papin­schen Kessel wieder, erfassten Galvani und Volta die Elektri­zi­tät, gründete Lavoisier die Chemie, und fort und fort erstand ein neuer naturwissenschaftlicher Erfinder nach dem andern, und Röntgen wie Marconi sind jedenfalls noch nicht die letzten Männer, die aus der inneren Zerspaltung unsrer Zeit geboren eben unsrer Zeit auch die Mittel geben werden, über sich selbst hinauszuwachsen, neuen Formen entgegen. Ob aber all diese glänzenden Erfindungen des technischen Jahrhunderts trotz ihres unmittelbaren Niessbrauchs wahrhaft der Menschheit zum Segen und neuem Leben dienen werden, hängt einzig davon ab, ob die rassebildende Rassezersetzung, von der diese Persönlichkeiten Zeugnis ablegen, wieder zu grosser Ein­heit­lich­keit wird gelangen können, ob neue Rassen den Persön­lich­kei­ten und neue Kulturen ihren Erfindungen folgen werden: denn unmittelbar befruchtend und ethische Wege weisend ist die Technik nicht; neue Lebensziele und die Bahn zu ihnen offenbart sie nicht, nur die äusseren Mittel, solche Bahn zurückzulegen, gibt sie an die Hand. Lebenswerkzeug ist die Technik, nicht Lebensinhalt.

Die Krieger

Die Technik dient nur dem äusseren Leben und sehr ver­schiedenen Zwecken muss sie fronden: ein Hammer meisselt ebenso willig ein Götterbild, wie er einen Menschenschädel zerschmettert; das Feuer schmiedet aus demselben Eisen Ket­ten und Waffen, die Buchdruckerkunst hat soviel zur Geistes­frei­heit, wie zur Knebelung und Lähmung des Menschentums, zu Wahrheit wie zu Lüge beigetragen. Darum ist der technische Erfinder, so genial er sein möge, doch nur der Handlanger der ethischen Persönlichkeiten, die wie er in den Kräften, die der Zufall der Natur darbietet, die Hilfe aus der Not des Lebens zu erkennen vermögen; auch sie sind Erfinder, nämlich Pfad­fin­der durch das Labyrinth der Zukunft; und die wahre Höhe er­reicht die Kultur nur, wenn sie ihren Anregungen folgt.

Wenn alle höhere Kultur da erwächst, wo ein schon ge­schul­tes Volk als Eroberer in neue Verhältnisse einbricht und der Mann die Leitung des Gemeinlebens übernimmt, so ist unter den für die Volkskultur wichtigen Persönlichkeiten die kriegerische eine der ersten, oder allgemeiner und im Sinne späterer Zeiten gesprochen, der Feldherr. Der Feldherr ist äusserlich die glänzendste Verkörperung des Mannes: denn wenn es wo gilt, aus dem Nichts der Zufälle das Fruchtbare zu erkennen, so ist es auf dem Schlachtfelde, und wenn jemand richtungslose Kräfte zu einer ungeheuren Macht zu­sam­men­fasst, so ist es der Feldherr, der aus den Hunderten, Tausenden oder Hunderttausenden seiner Krieger mit gleicher Über­le­gen­heit ein einheitliches Werkzeug erschafft. Die höchste Tat­kraft und Tatbereitschaft, flammender Wille und Opfermut gehören in gleicher Weise dazu, wie eben das helle Auge, das Ziele und Wege in der blauen Luft sieht, aber greifbare und wirkliche Zie­le. Wirklichkeitssinn – die geniale Nüchternheit, die Treitsch­ke an Friedrich dem Grossen rühmte –, die Erkenntnis der tatsächlichen Kräfte, der möglichen Mittel zum gewollten Zwecke, ist natürlich die Grundlage; aber gerade in den äus­se­ren Zuständen Mittel zu Zwecken zu sehen und diese dann wollen zu können und diesen Willen dann in fruchtbare Taten umzusetzen, das ist das Wesen des Mannes und vor andern des Feldherrn, der darum auch der geborene Führer eines Volkes in den Zeiten der unmittelbaren Not ist, die nicht auf­ge­scho­ben werden kann, sondern eine augenblickliche Entscheidung des «Siegens oder Sterbens» verlangt. So ist es in der Schlacht, so im grossen auch, wenn ein Volk seine Urheimat verlassen muss und vor ihm die weite unbekannte Welt sich öffnet, wenn es von der Not aufgestachelt zu jeder Tat bereit ist, zum Tode sogar, nur um leben zu können: da tritt dann an seine Spitze der geniale Heerführer, der aus gleicher innerer Not geboren, wie die ganze Menge, aber innerlich schon zu der Ein­heit­lich­keit geworden, an der es jener mangelt, nun auch tiefer emp­findet, weiter schaut und gewaltiger will, als sie, und so reisst er sie mit, so macht er sie sich untertan, und wenn er noch nicht Erbfürst war, jetzt wird er es mit dem höchsten Rechte des Menschentums. Die Römer wussten wohl, warum sie ihre Imperatoren fürchteten: denn aus ihnen gingen schliesslich doch, als die innere Not und Zersetzung des Römertums aufs höchste gestiegen war, mit dem ersten Julius Cäsar die Cäsaren hervor; und in gleicher Sinnesart fürchtete die republikanische Regierung Frankreichs den kleinen Korporal, der wie ein Sie­ges­sturm durch die Lombardei fegte und auch ihre Pöbel­herr­lich­keit dann mit einem Kommandowort seiner Ent­schlos­sen­heit und Willenskraft austilgte. Nicht umsonst vergöttert ein Volk seine Kriegshelden, denn sie sind das fleischgewordene Ideal seiner so vergeblich ersehnten Lebens­ge­stal­tung.

Der Kriegsheld ist nun zwar auch nur der Bildner äusserer Lebensgestaltung, doch nicht in dem Sinne, wie das von den technischen Erfindern gilt. Der Kriegsheld schafft den Leib eines Volkes, er stellt es in die ihm angemessenen Lebens­ver­hält­nisse, er wurzelt es in den Boden ihres Landes fest und nun kann der Schössling zum Baume werden. Es sind nicht Werte an sich, die er schafft, aber doch unumgängliche Formen des grossen Weltaugenblickes und diese haben für jedes Volk dann doch einen unendlichen Wert: denn so wird es zum waltenden Herren eingesetzt und kann mit seinem inneren Leben das äussere erfüllen; ohne letzteres zerfällt das Ganze. Darum ist die wahre Grundlage einer Volkskultur, also der Kultur über­haupt, eine grosse Kriegstat und die wahren Schöpfer und Ahnen eines Volkes sind seine grossen Krieger, die es nicht umsonst als Heroen verehrt, in denen es eine Offenbarung der Göttlichkeit sieht. So sangen und sprachen die Hebräer von ihren Richtern, die sie aus Kriegsnöten und Sklaverei befreit hatten, so machten sie ihre Kriegshelden Saul und David zu Königen; so priesen die Hellenen die Kriegszüge, die das Inselmeer durchbraust hatten und Herakles, Theseus, Achil­leus, Aias waren ihnen die Stammväter ihrer Könige und die Miltiades, Themistokles, Pelopidas, Epameinondas, Alexander, Kleomenes waren ihnen das vollgültige Zeugnis ihrer un­er­lo­sche­nen Volkskraft. So trugen die Barkiden Hamilkar, Has­dru­bal und Hannibal das Karthagertum ein letztes Mal auf den Gipfel der Macht, königliche Selbstherrscher auch sie, auch sie von ihrem Krämervolke verbannt, wie ihre Gegner, die rö­mi­schen Feldherrn, Scipio voran, wie früher der alte Camillus nur den Undank der Menge ernteten, die ohne sie zitternd dem Sturme der Not erlegen wäre.

Eine weichherzige, marklose, entmannte Zeit, die wie unsre ausser Erwerb und betäubendem Genuss nichts kennt, die im Dienste des Weibes und ihrer Bedürfnisse restlos aufgeht, schaudert vor dem Blutvergiessen des Krieges zurück; als ob die faulen Zeiten innerer Zersetzung nicht grössere Leiden in den überverfeinerten Nerven der Menschen weckte und grössere Schätze an Menschentum und Persönlichkeit vergeudeten, als vielleicht an äusseren Gütern von der Kriegs­furie niedergetreten und niedergebrannt wird. Dass der Krieg schrecklich ist, wird niemand leugnen, aber auch das Leben ist hart und die Natur ist schrecklich, und da kann auch der Mensch, da kann auch ein Volk, über dem die Gesetze des Lebens walten, sich nicht immer dem Grausigen entziehen. Und da bleibt es, allen äusserlich Friedensseligen zum Trotz doch Wahrheit, dass das innere Blut, die Rasse und Kultur, nur durch äusseres Blut, den Krieg, gesund erhalten wird; es darf allerdings kein Krämerkrieg sein um Goldminen oder Waren­plät­ze, sondern er muss der Wahrung der nationalen Unab­hän­gig­keit oder der Ausdehnung des nationalen Gebietes gelten. Mag dann auch die Gesamtrasse allmählich in Nebenrassen zerfallen, in verbündete Bruderstämme, so ist ihr selbst, wie ihr Lebensarbeit, der Kultur, damit unendlich mehr gedient, als mit der innerlich verschleierten, doch bestehenden Son­de­rung, die weder zu erhöhter Neuverschmelzung führen kann, noch zu ehrlicher Trennung. Da ist es wahrhaft ein heiliger Frühling des Volkslebens, wenn das Volk sich selbst Luft schafft und zur Eroberung schreitet.

Vor andern Rassen ist darum auch gerade der arischen und innerhalb dieser der germanischen eine Kampfes­freu­dig­keit und die Verehrung der grossen Kriegshelden eigentümlich, die schöne Früchte hätte tragen können, wenn sie der Weltlauf nicht eben immer mitten unter andre Völker, der Zersetzung entgegengeführt hätte, allerdings so nur neue Gelegenheit zur Bewehrung der Volkskraft, zur Geburt machtvoller Helden gebend, wie des Cid in Spanien, der grossen Condottieri im Italien der Renaissance, der fran­zö­si­schen, schwedischen, deutschen Feldherrn des siebzehnten Jahrhunderts – Wal­len­stein, Gustav Adolf, Turenne, Prinz Eugen – der französischen und deutschen Marschälle der Napoleonischen Zeit und des siebziger Krieges.

Die Staatsmänner

Der Kriegsheld gibt seinem Volke, das er vorweg erfüllt, seine erste Verwirklichung, oft leider auch die letzte. Aber wenn er sein Werk getan hat und das völkerschmiedende Schicksal wohl will, dann tritt an seine Stelle der Erzieher, der Gesetzgeber, der Staatsmann, und baut weiter an seinem Volke. Der Gesetzgeber ist der Mann, der nicht in der drän­gen­den Not des Augenblickes in erster Linie nur für die Rettung der Gegenwart schafft – wie es der Feldherr tut, wenn er nichts als Kriegsmann ist – sondern eben mit weitem Blicke aus den kleinen inneren und äusseren Nöten das Ringen der unter­ir­di­schen Grundmächte erkennt und die Richtung zu übersehen vermag, in die er sie zu weisen hat, das Ziel zu erschauen, dem sie schon von selbst zustreben, ohne es erreichen zu können. Und so wägt er die Kräfte der Gegenwart an den grossen Auf­gaben der Zukunft, die kleinen Wünsche und Gelüste an dem harten Willen der Rasse, die werden soll. Im Gesetzgeber müssen die um Gestaltung ringenden Blutmächte schon eine höhere Einheit gefunden haben, als auch im Feldherrn, in dem es noch allzu sehr von drängender, unruhiger Kraft gärt. Der Gesetzgeber muss, um wirklich grosse Bahnen weisen zu kön­nen, über all den Gegensätzen seiner Zeit stehen, aber nicht in kühler Ferne, sondern, in ihnen wurzelnd, doch Kraft seiner Genialität sie vereinigend; nur dann kann er aus ihnen heraus empfinden und, sein eignes inneres Erleben, seine eigne Ent­wick­lung, seine eigne Selbsterziehung zum Beispiel nehmend, seinem Volke zeigen, wie es aus der Lebens­ge­stal­tung der Vergangenheit in die der Zukunft zu steuern hat, mitten durch das stürmische Meer der Augenblicksnöte. Die parla­men­ta­ri­sche Gesetzgebung ist nur das Tagebuch der Zufallsinteressen und ein Spiegelbild der gegebenen Zersetzung; fruchtbar und wahrhaft national kann nur der einzelne geniale Staatsmann sein, wie Bismarck vor allem es war, der sein persönliches Ideal, sicher, dass es aus den echten Bluttrieben der neu­wer­den­den Rasse quillt und ihren notwendigen Lebenszielen gerecht werden wird, nun auch den Mut hat zu verwirklichen, wenn ihm die Möglichkeit gegeben wird, die keimenden Dinge zu lenken. Vielen Dank pflegte er ja damit nicht zu ernten: denn je grösser seine Aufgabe ist, je verwirrter die Zustände sind, um so weniger kann er, ja darf er mit jeder Massregel jeden einzelnen befriedigen, der kurzsichtig nur den Vorteil der nächsten Stunde sieht und nicht willig ist um einer reichen Zukunft willen, auch nur einen Tag sich einzuschränken. Überdies sind in solchen Zeiten grosser innerer Zerfahrenheit, wo gerade eine geniale staatsmännische Persönlichkeit von­nö­ten wäre, die äusseren Volksrechte meistens sehr gross, die Zeit ist demokratisch und zieht nur allzu gerne, um ihren Groll auf Grösse, Strenge und Herrenmacht sich vom kleinen Herzen zu laden, die grossen Kulturschöpfer des Staates vor ihr Scher­ben­gericht der Erbärmlichkeit. Zwar ein Lykurg, der frühzeitig, ehe das Übel allzu eingerissen war, zur Betätigung seiner Willensmacht kam und auch noch ein gediegnes Werkzeug an seinen Spartiaten vorfand, konnte einem halben Jahrtausend seine Gesetze geben, und war doch weise genug, sich dem zweifelhaften Danke seiner Mitbürger zu entziehen. Solon musste es erleben, dass über ihn und seine Gesetzgebung hin­weg­geschritten wurde, ein Perikles aber, wie die Gracchen erlitten unmittelbar die Demütigung, den Untergang als Lohn dafür, dass sie das grosse Ganze im Auge gehabt.

Und da es ein Kampf um Macht ist, hat der Pöbel von sei­nem kleinen Standpunkt aus gar nicht so Unrecht: denn gelingt es dem grossen Staatsmann sich in seinem Werke durch­zu­set­zen, so tritt dann eben auch an Stelle der Volks­herr­schaft die starke Königsgewalt, die grosse, äusserliche Ein­heit­lich­keit des Landes, die vielleicht zeigt, dass aus der Not der vor­her­ge­gan­ge­nen Zersetzung eine innere Einigung nahe daran ist, sich zu verwirklichen. Auf die Solonische Verfassung stützt sich gleich Peisistratos, auf Richelieu folgt Ludwig XIV., Bismarck hat die Monarchie in Deutschland in ganz hervorragender Weise neu gefestigt, trotzdem er manche Souveränität gestürzt hat. Dass meistens gleichzeitig auch siegreiche Kriege den Glanz der Krone heben, beweist ja auch nur in dem Auftreten her­vor­ra­gen­der Feldherrn, dass in der Fülle der Persönlichkeiten ver­schiedner Art ein urtiefes Streben nach Rassegestaltung in der bunten Volksmasse tätig ist; die eine Persönlichkeit arbeitet da unbewusst der anderen in die Hand, und ihre eignen nächsten Ziele sind oft nur die Vorwände, die ihnen von der Natur vor­ge­spiegelt werden um sie anzuspornen, sind, richtiger, Phan­ta­sien, in denen sich tiefer Urdrang mit den Zufälligkeiten ihres äusseren Lebens mischen. Aber ohne diese kleinen Abirrungen gäbe es überhaupt kein Vorwärts; und das muss erkannt wer­den: jede Persönlichkeit, die in einem Volke auftritt ist eine Selbstoffenbarung dieses Volkes, so fremd sie es anmuten mag, so sehr sie widereinander laufen mögen, so wenig das Volk ihr Wirken zu begreifen imstande wäre; und recht hat da immer die Persönlichkeit, denn sie ist einheitliche Natur, das Volk aber hat es noch erst zu werden.

Die Baumeister

Das ist ja das wahrhaft Bezeichnende an dem Wirken der Persönlichkeiten, dass sie, indem. sie nur ihr eignes Leben zu verwirklichen meinen, doch eine grosse Lebensform für kom­mende Geschlechter hinstellen, ja dass sie, wollen sie etwas für die Zukunft bedeuten, doch nur gerade eigensinnig der Voll­ent­fal­tung ihrer selbsteignen Art nachzustreben haben; wollten sie nach den Regeln, Meinungen und Zwecken der grossen Masse der Mitlebenden schielen, sie verlören die innere Ziel­si­cher­heit, ohne je im Alltagsbrauch nützlich werden zu können; weil aber ihre Persönlichkeit nur die Ausgestaltung und Bändigung tiefliegender Blutkämpfe ist, so entspricht die Richtung ihres Sonderlebens doch der grossen Innenbahn, welche dem Volke gewiesen ist; und wie fremd sie auch widereinander stehen mögen, bleibt es doch eben Naturtatsache, dass ein Gebilde um so mehr von den Eigenschaften seiner Grundmächte abweicht, je einheitlicher und wohlgefügter es ist: Wasser gleicht in nichts dem Wasserstoff und Sauerstoff, aus dem es doch be­steht, und eine Persönlichkeit gleicht nicht dem zerfahrenen Wirrwarr, der sich in der breiten Volksmasse regt, und ist doch aus ihm gebildet; und darum gehören zu einem Volke seine Persönlichkeiten, mag es sie auch verurteilen und kreuzigen, als wären es Tollhäusler oder Verbrecher.

Gibt das Genie des technischen Erfinders die Mittel des äusseren Lebenskampfes an, stellt der Kriegsheld sein Volk auf den festen Boden der politischen Wirklichkeit, baut der Gesetz­geber durch seine Schranken der Zersplitterung vor und dringt er auf Erziehung zur Einheitlichkeit, so ist damit die äussere Kulturarbeit erfüllt; doch ist sie nichts, wenn nicht innere Werte hinzukommen, in denen sich erst das lautere Men­schen­tum zeigt und an denen sich immer weiter veredelt. Schon der Gesetzgeber kann nichts Grosses schaffen, wenn nicht in ihm als helle Weltanschauung und Überzeugung lebt, was das dumpfe Gefühl der Menge bewegt, die Religion – bei Leibe nicht tote Buchstaben, sondern quellende Mächte! Der Ge­setz­geber kann eben nur aus den Gefühlen seiner rechts­be­dürf­ti­gen Mitmenschen, aus ihrer Sinnesart und Denkungsweise, aus ihrer Sittlichkeit und Frömmigkeit heraus wirklich lebens­fä­hige und lebenbringende Ordnungen setzen; er führt mit sei­nem Werke unmittelbar durch das Herz des Volkes die Hoch­stras­se seiner Staats- und Rasseziele.

Aus diesem Herzen heraus, aus seinem Leben und Weben, im Dienste seiner Gefühle, der kleinen Alltagsbedürfnisse, wie der grossen Gedanken, schaffen auch die grossen Bildner, die Baumeister, Maler und Bildhauer.

Gerade in den Baumeistern zeigt sich der enge, tiefe Zu­sam­menhang der Persönlichkeiten mit ihrer Zeit, der sie doch immer unendlich überlegen sind. Denn allerdings dienen Ge­bäu­de immer nur grossen Gemeinaufgaben und sind Kunst­werke, wenn ihnen ein einheitlicher Zweck gewiesen wurde; aber diese Aufgaben lösen, diese Zwecke durch die geeigneten Mittel in Erfüllung· umsetzen, das kann doch wiederum nur die Einzelpersönlichkeit, die, in sich gefestigt und ihres ein­ge­bor­nen Zieles bewusst, aus der Fülle und Unmittelbarkeit des eignen Lebens jene Aufgaben und Zwecke in Empfindung zu verwandeln weiss, und aus der Empfindung erbaut sich dann in seiner Einbildungskraft das organische Ganze des schönen Baus. Nun steht er da, nun wird er tausendfach wiederholt und tausend fach wird die Empfindung des grossen Baumeisters der äussere Rahmen, zum Leben ungezählter Kleinerer, die, an diesen Rahmen gebunden, an die Anlage der Räume und Bau­glie­der sich gewöhnen müssen und unbewusst die Le­bens­form annehmen, die ein andrer geschaffen. Und sie nehmen sie auch gerne an, da jener andre, der grosse Baumeister bloss aus der Empfindung des gemeinsamen Lebens heraus geschaffen hat, also den Kleinen im Grunde nur ihre eigne unbewusste Form, die sie suchten und nicht finden konnten, von sich aus gegeben hat. Und dann erwacht an der Wirklichkeit ihr Traum und ihr Empfinden erzieht sich an den Gebäuden, in denen sie leben denn auch diese Gebäude leben, wenn sie eine schöpferische Persönlichkeit aus seinem fleischgewordenen neuen Ras­se­ge­fühl heraus geboren hat. Und so kann gerade der Meister der Baukunst, der an das Gemeinleben, an äussere Besteller und Geldgeber gebunden ist, dem Gemeingefühl die Wege weisen und erschafft Werte, die um so höher sind, als sie sich dem oberflächlichen Sinne entziehen: weil sie aus der Tiefe der Natur stammend zu Naturmächten geworden sind.

Die Pyramiden, deren genialen Schöpfer wir ja nicht ken­nen, waren mehr als nur Königsgräber; sie waren das gross­ar­tigs­te Denkmal, das je der Macht des Todes gesetzt worden ist und damit der Ausdruck der Sinnesart eines ganzen Volkes; aber obschon dem Tode geweiht, waren sie selbst nicht tot, sondern griffen mit ihrer ehernen Grösse in das Leben ein, redeten mit ihrer stummen Zunge eindringlich zu den Le­ben­den und wiesen ihnen immer neu den Weg, den sie gehen sollten. Wer auch immer zuerst das Bild der Pyramide in sei­nem Geiste erschaut hat, selbst in ihrer unvollendeten Stu­fen­form, selbst an ältere Bauten älterer Meister an­knüp­fend, der griff Jahrtausenden voraus und lebt noch heute.

Gewiss knüpft alles Leben an das Vorleben an, jedes Ge­schlecht an seinen Vorgänger, jede Kultur an Nachbarkulturen; gewiss erlangt irgend ein Gerät, ein Brauch, ein Gedanke seine volle Entfaltung erst nach langem Werden, und so ist die höch­ste Form auch nur die Blüte eines langen Wachstums; so ging aus der Höhle das Lehmhaus, aus dem Lehmhaus das erd- und rasenbedeckte Steinhaus hervor, das dann auch zur Behausung der Toten wurde und an seine Stelle, an Stelle auch der Ehren­stein­hau­fen tritt dann als letztes Glied der Entwicklung die Pyramide. Aus der Feuerstätte in der Waldhütte, in dem Zelt, in dem Hause wird die Hauskapelle, wird das Gotteshaus, wird der Tempel; aber nach den ägyptischen und mesopotamisch-syrischen bringt erst der hellenische diese Bauform, die auch eine Lebensform ist, auf ihren Höhepunkt, und jeder einzelne Baumeister, der einen neuen Tempel errichtet und die über­kom­me­ne Bauordnung durch sein persönliches Empfinden neu belebend umwandelt und auch nur im kleinen sie verändert, bringt damit neues Leben zum Ausdruck und erzieherischen Eindruck, wird damit zum Erzieher seines Volkes, das in diese Tempel tretend unbewusst den Geist aufnimmt, der in den Mas­sen und Formen lebt. Die drei Säulenordnungen der dori­schen, ionischen und korinthischen sind die kürzeste Urkunde der Hellenengeschichte, nichts weniger als Zufall, sondern der willig vom Gesamtleben verwertete Einschlag persönlicher Schöpferkraft; ob da die urdorische Säule auf ägyptische, die ionische auf persische Vorbilder zurückgeht, ändert nichts an der Tatsache, dass die geringste Abweichung vom Vorbild der Ausdruck eines selbständig überlegenden Empfindens ist. Und schliesslich heisst Schaffen nicht das bare Nichts mit barem Stoff erfüllen, sondern aus dem formlosen Stoff und seinen zerstiebenden Kräften, Gebilde gestalten, in deren Formen die sie bändigende Macht sich verkörpert, und heisst weiter aus geringeren Gebilden höhere formen, einzelne Glieder erstarrter Gebilde in neuen Gebilden zu neuem Leben höherer Betätigung erwecken. Und das war, beispielsweise, die Befreiung der Säule aus der Haft des Innengebäudes, aus der Dienstbarkeit einer dunklen inneren Dachstütze, wie das noch im Antentempel er­hal­ten ist, und ihre Verwendung zu der lichten Pracht des Um­gan­ges, diesem Abbilde hellenischen Gemeinlebens.

So muss es später auch wieder ein schöpferischer Bau­meis­ter gewesen sein, der aus der umgekehrten Raumfolge des rö­mi­schen Hauses die Grundlage der christlichen Basilika erfand; dieses Herauslösen des Wesentlichen aus dem Neben­säch­li­chen ist auch Schaffen, ist auch aus dem Wirrwarr die Ordnung eines organischen Gebildes erstehen lassen. Wenn es ursprünglich natürlich nur Vorsicht war, dass die Christen, sich versammelnd, von der Hintertür der Hintergasse ein­tra­ten, dann durch den Peristyliumsgarten in das Tablinum gelangten, wo sie sich als Gäste aufhielten, während der Leiter des Gottesdienstes im Atrium – dem uralten religiösen Mit­tel­punk­te des Hauses – beim wohlweislich verrammelten Ves­ti­bu­lum sich befand, so wurden eben dann später aus dem Ves­ti­bu­lum Apsis und Chor, aus dem Atrium die mittlere Vierung der Kirche, in den Atriumsflügeln, den Alen, war das Querschiff angedeutet, das Tablinum ward Langschiff, die schmalen Sei­ten­gän­ge, die Fauces Seitenschiffe – und der das Tablinum ab­schlies­sen­de Teppich dient ja noch jetzt an den italienischen Kirchentüren zum Windschutz – Portikus war das Peristylium, an dessen Springbrunnen sich die Gläubigen reinigten. Diese alte Grundanlage bereicherte sich dann später an den Formen syrischer Tempel und römischer Gerichtshallen, verlängerte und verbreiterte den Hauptteil, das mittlere Langschiff der Gemeinde, verkürzte verhältnismässig das alte Atrium: den­noch zeigt die kühne Herübernahme der wesentlichen Be­stand­tei­le und Raumverteilung des ältesten christlichen Haus­got­tes­dien­stes in die selbständige Freiheit der späteren Kirchen, dass ein klarer Kopf diesen Übergang bewerkstelligt hat, ein Mann, der aus dem Zufall einer Vorsichtsmassregel das Organische und Lebendige herausgriff, und nun erst war die neue Form wirklich da. Gerade dieses Beispiel beweist, dass Neues schaf­fen nur heisst, die Dinge in neuem inneren Zusammen­hange sehn, und dass darum der unbedingte Wert der Per­sön­lich­kei­ten, ob Baumeisters oder einer andren, nichts einbüsst, wenn sie in der Reihe der Entwicklung mitten drin stehen und an das Werk Vorlebender anknüpfend ihre Kulturaufgabe soweit fördern, dass ein Nachlebender einsetzen kann. Die Per­sön­lich­kei­ten sind wie die Zähne eines Rades, über das die Kette der menschlichen Geschlechterfolge arbeitend dahinläuft; aber ohne jeden einzelnen dieser Zähne, und gar ihre Gemeinschaft, wäre die ganze endlose Kette ausser Wirkung gesetzt.

Baumeister ist nur der, bei dem sich lebhafter Sinn für die organische Einheitlichkeit einer bildnerischen Gemeinaufgabe mit dem Auge für das gegenseitige Mass der in Dienst zu stel­len­den Kräfte vereinigt, unterstützt von der unmittelbaren Empfindung, welche Wucht in diesen Kräften lebt, der also Materialgefühl, Raumsinn und lebendiges Zweckempfinden besitzt. Es kann ein schöpferischer Baumeister darum auch nur in solchen Zeiten zur Geltung kommen, die neu werdend für ihre neuen Gemeinaufgaben noch nicht Dach und Fach besitzt und aus dem geborgten Schneckenhause der früheren Zeit gerne herauskäme; sobald die Zeit und das Volk für solche Gemeinaufgaben reif ist, dann wird die innere Schmiede der Rassenbildung schon solche Männer hervorgebracht haben, die schon zu wollen wissen, wo die anderen nur noch wünschen, und überdies als greifbares Abbild der mehr geistigen Ver­hält­nis­se und Mächte in äusseren Massen die plumpen Stein­mas­sen zu bändigen verstehn, in lebendiger Einheitlichkeit Zweck und Mittel zum Ausgleich zu bringen.

Es ist denn auch kein Zufall, dass vom Jahre 600 v. u. Z. ab soviel Namen von Baumeistern in Hellas zu finden sind: denn da war der Ausgleich der Rassen und Stämme gerade im Werden und mit ihm sollte Gesamthellas geboren werden; und ebenso beginnt in der Renaissance wieder eine Namenfülle von Baumeistern. Oftmals sind sie zugleich Bildhauer oder Maler, wie schon die hellenische Sage den Daidalos es sein lässt, und wie es besonders glänzend sich in Michelangelo vereinigt findet: da quillt die schöpferische Formengebung eben aus der innersten Machtfülle der Persönlichkeit und gestaltet alles, womit sie in Berührung kommt.

Die Bildhauer und Maler

Die Baumeister haben ja immer Nutzaufgaben des Ge­mein­le­bens zu bewältigen: denn selbst ein Tempel, der ja der Gottesverehrung dient, ist ein Nutzgebäude. Weit mehr ins unmittelbare Gefühlsleben des einzelnen greifen die Maler und Bildhauer hinein.

Während die Baukunst eben die grossen Massen der Häu­ser, Gräber, Tempel zu beseelen hat, beseelen die eigentlich bildenden Künste die kleineren, darum nicht geringeren, viel­mehr ebenso wichtigen, nur noch vertrauteren, dem Menschen inniger zugehörigen Gegenstände des Alltagslebens. Beseelen heisst aber ein Leben wecken, das noch nicht da ist, und da strömt denn dieses neugeweckte Leben ununterbrochen aus den kunstgeadelten Dingen des kleinen Gebrauchs, dringt durch die Sinne in das Innere des Menschen, der mit ihnen umgeht, und weckt so hier seinerseits ein abermals erhöhtes Leben.

Die bildende Kunst konnte das, weil sie aus dem feienden Schmucke der ältesten Zeit erwachsend, stets im unmittelbaren Dienst des religiösen Empfindens geblieben ist; und nur dann kann der Bildner wirklich ein Kunstwerk schaffen, wenn er selbst nichts andres will, als seine heiligen Gefühle zum Aus­druck bringen, wenn sein Schaffen ihm selbst lebenzeugender Gottesdienst des Lebens ist. Daher war der erste Höhepunkt der bildenden Kunst nur in einem Volke möglich, das, wie die Hellenen, zur Anschauung der göttlichen Lebensmächte ge­langt war, das in den Gesetzen des vollentfalteten Lebens die sittliche Kraft erkannte, und danach lebte: da kam auch vor allein der menschliche Leib zu seinem Rechte, und wie sie jeden Liebestrieb dem grossen Ganzen des Gemeinlebens ein­zu­ordnen wussten – wie besonders ihre grossartige Ver­wen­dung der Lieblingminne zur Erziehung beweist –, so war ihnen eben auch der ganze Leib mit allen, ebenmässig vereinigten Gliedern heilig. Die Gestaltung der Gottheiten in der Form menschlichen Wesens zog nicht diese hehren Mächte in den Jammer des Erdenlebens hinab, sondern erhob nur den Men­schen zur Göttlichkeit, die immer in ihm schlummert, aber erst dann zu segensreichem Walten erwacht, wenn seine Ein­heit­lich­keit Ziel und zugleich Inhalt seines Daseins wird. Nur ein solches Himmel und Erde umfassendes Religionsempfinden, nur die Erhebung der Sinnenfreude zu sittlicher Heiligkeit konnte die bildende Kunst zu ihren Werken befähigen, konnte sich wiederum an diesen Werken weiter und weiter erbauen und veredeln.

In der Renaissance, als aus Germanen und romanisierten Keltoetruskern das neue Volk der Italiener hervorging, da erblühte noch einmal die bildende Kunst, gerade auch wie­de­rum in engem Bunde mit dem Gottesdienste und religiösen Empfinden. Aber nicht durch die Kirche des Christentums, sondern ihr zum Trotz. Nur weil das üppig erwachende Leben in seiner sicheren Fülle über alle sinnenfeindlichen Dogmen mit kühnem Mute hinwegsetzte; nur weil das alte fromme Heidentum erwachte und lächelnd in altgewohnter Duld­sam­keit die überkommnen Formen beibehielt; gewiss, dem Leben sein Recht zu verschaffen, auch wenn es seine Mächte nun weiter Heilige statt Götter nannte – denn es ging nicht um Namen, sondern um Lebenswerte; nur weil die – von nüch­ter­nen Philistern verweltlicht genannte, in Wahrheit lebensvoll gewordene – Kirche eben gar nicht mehr eine Religion des Buchstabens und Wortes vertrat: nur deswegen konnten die Bildner ruhig alle frommen Erzählungen des Christentums übernehmen und, die eng geschichtliche Treue der Mar­ter­ins­tru­men­te zurückdrängend, nur die Schönheit und Sinnenfreude verherrlichen. Sie konnten in fröhlichem Durcheinander wie­der einmal Menschheit und Gottheit vermählen, sie konnten die Heiligkeit des vollentfalteten Menschentums verkünden. Filippo Lippi darf sein Kind der Liebe auf dem Schosse der Nonne Buti als Christkind darstellen: denn ob sie schon ihr Gelübde der Unfruchtbarkeit – genannt Keuschheit – ge­bro­chen hatte, hatte sie gerade damit die Sünde dieses Ge­lüb­des gesühnt und welterlösend thront die fleischgewordene Liebe auf dem Schosse der Mutter – Jungfrau. Raffael darf seine Geliebte als Himmelskönigin malen, Sodoma darf seinen Lieblingsknaben als Heiligen Sebastian oder Isaak anbeten lassen, Leonardo mischt in seinem Johannes Dionysos die sinnlichen Reize beider Geschlechter, Michelangelo umkränzt mit dem Reigen der nackten Jünglingsleiber, die seine Wonne waren, die Heilige Geschichte der Sixtinischen Kapelle, und Correggio umgibt die Glorie des Himmels mit einem Chore entzückender Schenkel.

Lebendiges Gefühl, die Gewissheit lebendiger, ewiger Mächte, die Religion des Lebens und der Erde, von welch letz­te­rer schliesslich doch gilt, dass der Himmel auch dort ist, wo sie ihre Schicksalabahn dahinzieht: das ist der Boden, auf dem die bildende Kunst einzig gedeihen kann, und nur soweit sie die Buchstabenlehre des Geschichtschristentums in Mensch­lich­keit, in menschliches Leid oder menschliche Lust, in das Märtyrertum einer ihrem Inneren sich opfernden Per­sön­lich­keit oder die Mutterfreude oder festliche Hei­ter­keit um­zu­set­zen vermag, kann die bildende Kunst auch in die christlichen Kirchen Einzug halten; das Wesentlich-Chris­ten­tüm­liche hat mit der bildenden Kunst nichts zu tun, kann mit ihr nichts zu tun haben, schon weil die geschichtliche Grundlage des Chris­ten­tums der ganzen Sinnen- und Erdenwelt keinen Wert zu­spricht, da der Christenhimmel, die Gemeinschaft mit dem Alleingott, nur durch den Untergang der bestehenden Welt zu verwirklichen ist. Und wenn unsere bildende Kunst heute keinen Boden im Gemeinleben mehr hat, wenn sie zu leerem Prunk oder einsamer Selbstgenügsamkeit verdammt ist, so liegt es eben daran, dass das Geschichtschristentum allmählich wirklich das religiöse Gefühl umgebracht hat. Religion brau­chen wir, ja! – aber keine Buchstabenlehre.

Nur innerlich heidnisch – naturfromme Zeiten, wo sich alle Mächte des leiblichen Lebens in Vollkraft betätigen, wo das Blut am Werden ist, wo die Freude der oberste der Werte ist – denn Freude ist die Vollerfüllung des irdischen Lebens, auch in seiner geistigsten Form – nur da bringt die grosse. Menge den Werken der bildenden Kunst das Verständnis einer gereiften Sinnlichkeit entgegen, damit können die bild­neri­schen Persönlichkeiten wirken und sich verwirklichen.

Bildender Künstler wird nur die Persönlichkeit, die zu ihrer inneren Überlegenheit und Selbstgewissheit noch die Gabe mitbesitzt, die sinnliche Umwelt unendlich feiner zu empfinden, als zahllose andere: da ist es wie ein unun­ter­broch­ner Austausch von Kraft zwischen Mensch und Natur, ver­mit­telt von den Sinnen, die nach Betätigung streben und denen dann auch immerzu die Lust ihres Daseins zuströmt – oft auch der Schmerz, nicht der Fülle von Lebenskraft teilhaftig werden zu können! Und was nun so sinnlich erwärmend das Wesen des Künstlers durchpulst, das drängt es ihn, zu verewigen, das will er erhöht geniessen, indem er es nachbildet, und mit jedem Pinselstrich, mit jedem Meisselschlag liebkost sein innerer Sinn die Schönheiten, die sein äusserer ihm dargeboten. Ein reiches, tiefes, einheitliches Geist-Sinnenleben offenbart sich in den Werken des bildenden Künstlers: sich selbst, seine vergangne, gegenwärtige oder als zukünftig erträumte Lust schafft er zu dauernden Gestalten um oder er befreit sich, übermässig von Lustverlangen gequält, von der Pein seiner unbefriedigten Triebe. Der eine Künstler, dem vor allem sein Auge die Aussenwelt erschliesst und der dem Lichte die Offen­ba­rung aller Schönheit und Lust verdankt, wird Maler und die Farben sollen von seinem Entzücken reden; der andere lebt in dem Tastsinn seiner Haut und fühlt all das warme Leben des Leibes in seinen Gliedern nach: er wird Bildhauer und noch einmal durchkostet er die eigne Sinneswonne, wenn sein Meis­sel die lebensvolle Schönheit des lauteren, unverfälschten, un­ver­hüllten Leibes wölbt, wie es vordem seine Hand gefühlt, ob nun in unmittelbarer Berührung; ob von dem Auge geleitet Tastsinn und Muskelsinn hier, Farben- und Liniensinn dort, aber Sinn, Sinneslust, Sinnlichkeit: das ist der Mutterschoss der bildnerischen Persönlichkeiten, die gerade nur in Flut­zei­ten der Rassebildung als höchste Wellen emporzüngeln und ihre Zeichen hoch an dem Felsen der Men­schheits­ge­schichte einätzen; und sie verschwinden auch wieder, wenn die auf­ge­regten Wasser sinken und hinfort ruhig ihres Laufes dahin­glei­ten: wie die Schöpferkraft der Renaissance versiegte, als die Rasse der Italiener glücklich geboren war.

Aber gerade indem die Maler und Bildhauer sich selbst und immer nur ihre eigne Freude, Lust und Hoffnung dar­stell­ten, welchen Inhalt auch der Besteller des Werkes vor­ge­schrie­ben haben mochte, gerade, weil sie als Per­sön­lich­kei­ten nicht anders konnten, als ihre eigne Innenwelt hinausstrahlen und verkörpern, deswegen lebt solch ein unverwüstlicher Geist des Lebens in ihren Schöpfungen, deswegen sprechen sie auch noch zu fremden, fernen Zeiten; wievielmehr müssen sie nicht zu ihrer eignen Zeit gesprochen haben, die da sinnfällig und greifbar vor sich sah, was sonst gerade nur durch ihre Träume gehuscht wäre, und nun mit den Werken der Bildmeister erst recht sehen lernte, wieviel Schönheit, Lust und Leben sie umgab. Die Schöpfungen der bildenden Künste greifen aus der verwirrenden Fülle der wirklichen Natur diejenigen Ge­stal­tun­gen heraus, in denen sich der Künstler, je nach seiner Anlage, widergespiegelt fühlt; aber in dem sie herausgegriffen werden und der äusserlich gegebene Zusammenhang mit dem Chaos der Wirklichkeit aufhört, verlangen sie einen stärkeren inneren Zusammenschluss und der Künstler gibt ihnen den auch, er lässt sie zu Gebilden von überwirklicher Einheitlichkeit und Innerlichkeit werden, er macht sie zu ewigen Formen, die notwendig in sich selbst beruhen, als ginge sie die ganze übrige Welt nichts an. In dieser unrealistischen Weise, die aber allein wie eine Offenbarung des Lebens anmutet, bringt er eine hö­he­re Ordnung, als die äussere Natur sie kennt und kennen kann, zur ersten Verkörperung und zwingt diese neue Ordnung, als wäre sie die einzig notwendige, der Anschauung der Menge auf. So erzieht er ihr die Vorstellung höheren Formenlebens an und spornt durch die sinnlich-geistige Lust, welche sein Werk erzeugt, den Beschauer an, auch in seinem Leben so ein­heit­lich, so selbstgewiss, so in sich beruhend, so ebenmässig zu werden, und verspricht ihm dafür Erdenfreude.

Der Kulturwert der bildnerischen Persönlichkeiten ist also, dass sie das Sinnenleben des Menschen erziehen, indem sie der tastenden Einbildungskraft Verwirklichung verschaffen und aus dem lustvollen, scheinbar vollkommnen Ebenmasse ihrer Werke ihm den Weg zu stetiger Erdenfreude weisen.

Die Tonschöpfer

Die bildende Kunst predigt die Schönheit, Freude und Ewig­keit der sinnlichen Erdenwelt, in der sie den Menschen heimisch machen will, und zwar durch möglichste Ausbildung seiner Leiblichkeit, seines Gefühls, stoffliches Gebilde zu sein, dessen Geist, Seele und wahre Innenmacht sich gerade in den ruhigen Formen seiner Glieder betätigt; darum ist sie auch von allen Künsten die am höchsten über den rohen Naturzustand erhobene, die menschlichste, die Kulturkunst, in der im schroff­sten Gegensatze zu der tierischen Urmenschlichkeit die innere Gottähnlichkeit des Menschen Fleisch geworden ist – nicht materiell in den einzelnen Gliedern seines Leibes, wohl aber dynamisch in dem vollkommenen inneren und äusseren Ebenmass seiner Bildung, in der vollkommenen Unterwerfung der geringeren Mächte unter höhere; und diese unvernichtbare Herrschaft höherer Mächte, als der Durchschnittszufall unsres Lebens bietet, ist doch der wahre Inhalt des Göttlichen.

Wenn das Lebenswerk des bildenden Künstlers wie ein Sonnenstrahl die Welt erhellt, so kann dasselbe nicht von den Musikern gelten. Schon dass die Musik erst in der christlichen Zeit zu hohen Kunstwerken gelangt ist, beweist, dass ihr Geist nicht unbedingt von dieser Welt ist, dass sie der Seele nur deshalb so viel geben kann, weil sie darauf verzichtet, den Leib als gleichberechtigt anzuerkennen, und mehr noch, weil sie ihm geradezu entzieht, was sie der Seele zu geben gedenkt. Nicht, dass sie an sich unsinnlich wäre: im Gegenteil! Heinse sah sehr klar, als er das Wesen der Musik in der Erregung von Leidenschaften erkannte und ich habe sie als die physi­ka­lisch­ste aller Künste bezeichnen zu dürfen geglaubt, da sie doch messbare mechanische Kraft in das Nervensystem eindringen lässt. Aber eben weil sie in das Innere so machtvoll eindringt, weckt sie es zum Gegensatze mit der Aussenwelt; wo sie nun dies Innere gleichmässig belebt und in jedes Glied strömend die bacchische Lust des Tanzes erzeugt, da ist sie der bren­nend­sten Sinnlichkeit näher, als irgend welche Kunst sonst, ja allzu nah und allzu masslos, zerstörend braust sie dann einher. Aber solange und wo diese Tanzmusik Volksbedürfnis ist, wird auch kein musikalisches Kunstwerk entstehen, sondern werden einfache Naturrhythmen genügen; und steigert sich der Tanz im Dienste der Gottheit und an ihren Inhalt gebunden, dann tritt er wie in der Tragödie doch allmählich zurück und die Musik, kunstvoll in ihrer Art, bleibt nur Begleitung. – Erst wenn der Leib gebunden ist, wenn die Lust der Glieder verpönt ist, dann hat sich die Musik nur an die Nerven zu wenden und mag sie martern und peinigen; dann strömt die Kraftfülle, die sie erzeugt, den einzig erlaubten Weg zum Gehirn und trägt mit sich ins Bewusstsein alles, was in der Tiefe des Leibes wu­cher­te, und strömt dann wieder zurück, bereichert mit den trau­ri­gen Erinnerungen des Bewusstseins, und lähmt mit ihrem Über­drange, der sich doch nicht betätigen darf, alles, was im Menschen schon sowieso gedrückt und krank ist, bis der Mensch nicht mehr Stand zu halten vermag, und wenn er nicht aus innerer Qual schliesslich selbst in Musik ausbricht, in Gesang, dann können nur Tränen ihn erlösen. Ist es also nicht Lust, so ist es Leid, was die Musik weckt und das beste Ver­dien­st der hohen Musik ist der Tränenrausch, der dem Men­schen erlaubt, sich von dem langsam angesammelten Jam­mer seines Lebens in einem Krampfe zu entlasten.

Bedürfnis des Volkslebens wird die hohe, religiöse, Kir­chen­musik erst unter der Herrschaft des Christentums, dessen wider den Leib gerichtete Verbote eine unnatürliche Kraft­stau­ung im Menschen erzeugen und dann eine gewaltsame Befreiung erzwingen: da ist das geeignetste Mittel eben die Musik.

Aber wenn die Tanzmusik zum Freudenrausche steigern soll, tut sie das nur bei dem Fröhlichen, der Traurige wird durch sie noch trüber gestimmt, ohne jedoch sich ausweinen zu können; diese Erlösung bringt ihm nur ernste Musik, die selbst schon aus Seelenqual geboren ist. Und da setzt wiederum die schöpferische Persönlichkeit des Musikers ein.

Zwar auch die einfachsten Volksrhythmen, mit welchem Instrumente sie auch immer gespielt würden, werden nur aus dem Empfinden eines Einzelnen – vieler Einzelner entstanden sein, aus der unmittelbar ebenmässigen Kraftentlastung durch alle Glieder, also auch der Kehle und Lunge: das ist eben die Einheit von Musik und Tanz, von Klang und Bewegung, die einander gegenseitig mässigen und messen. Je einfacher, natür­licher, häufiger, allgemeiner nun ein Gefühl ist, das sich ent­äus­sern will, um so leichter wird diese Tanzbetätigung eintreten, desto schlichter wird der Rhythmus, desto leichter und anmutiger die Melodie sein. Und hinaustretend wird sie dann an fremde Ohren schlagen, durch fremde Sinne in fremde Seelen dringen und hier denselben Rhythmus, dieselbe Stim­mung wecken, die sie geboren: wie der Rhythmus der elekt­ri­schen Ströme im Draht des Fernsprechers die Gleichheit der Töne im Sprachrohr und im Hörrohr verbürgt. Die Musik ist das in Luftschwingungen umgesetzte Gefühl und daher auch die Rückumsetzung von Luftschwingungen in Gefühl: der unwiderleglichste Beweis dafür, dass das Seelenleben auch nur Physik ist.

Zu voller Geltung kommt aber die Tonschöpfung und der Tonschöpfer erst dann, wenn das Gefühlsleben dermassen reich und verwickelt geworden ist, dass einfache rhythmisch-melodische Entlastung nicht mehr genügt, sondern eine selbst schon innerlicher verwachsne Tonfülle und ein tiefer gefügter Rhythmenreigen nötig ist, um diesen Gefühlen zu entsprechen, um sie bis zur Erlösungsschwelle zu steigern: denn dann bricht es sich mit Naturgewalt Bahn, ob in Lust oder Trauer. Darum gewinnt besonders mit dem Christentun, als der unterdrückte Leib ein verwirrteres Gefühl in sich emporwachsen lassen musste, die grössere Musikschöpfung überhaupt erst an Be­deu­tung und ging immer mehr zur Selbständigkeit über. Das konnte ihr aber nur in dem Empfinden einer bedeutenderen Persönlichkeit glücken, die bei feinerer Sinnesempfindung, lebhafterem Innenleben, selbständigeren Gefühlen vor zahl­lo­sen andren an dem Leben leiden musste, aber aus den einzelnen Tönen der Natur, die ihn mit Zauberkraft berührten, erbaute er dann das Tonwerk, das seinem Inneren volle Befreiung geben konnte. Alles, was ihn quälte, an ihm nagte, in ihm unklar nach Erlösung rang, das floss in die Töne, das erschuf sich eine Melodie, das wogte in den Tonfolgen auf und ab, das wurde ein Kunstwerk. Die Tonschöpfung gab ihrem Schöpfer seine Heiterkeit und innere Gesundheit wieder, aber sie selbst ist das unsterbliche Denkmal seines Leidens.

Nun dringt dieser Tonbau auf den Zuhörer ein; und sieh! die Luftschwingungen der Töne setzen sich in Empfindung um, jeder Akkord wird ein Gefühl, der Rhythmus zur Stimmung, und alle die ungeweinten Tränen, die der schaffende Meister sich von der Seele gesungen oder gespielt, strömen nun in den Zuhörer ein, ihn mit Qual und Trauer erfüllend; fort und fort schwillt sein Seelenjammer, bis die Erlösung eintritt.

Sein Gefühlsleben legt der Tonschöpfer also in seinen Wer­ken nieder, und natürlich sind da die Werke eines son­nig­hei­te­ren Meisters anders, als die eines tief vergrämten, Mo­zarts anders als die Beethovens; und auch die Zeiten und Völ­ker brauchen daher verschiedene Meister, Meister ihrer See­len­stimm­ung, die Italiener eine Musik, die nie ganz die Sin­nen­freu­de vergessen darf, der Russe schwermütige Töne, der Deutsche eine herbe Festigkeit. Die hellenische Musik, die wir ja gar nicht sicher kennen, muss anders gewesen sein, als unsre nachchristliche, denn schon innerhalb ihrer klaffen die Musik des heiteren Rokoko und die spätere so sehr auseinander.

Auch dieser Zusammenhang beweist nur, welche über­per­sönliche, nämlich Blut-Mächte auch in der Per­sön­lich­keit und gerade in ihr zutage treten; ihr Schaffen ist recht eigentlich nur die Nachwirkung und der Ausklang der Rassenschöpfung, die ihnen vor andern das Leben gab.

Die Dichter

Wenn der Tonschöpfer durch sein Werk sich selbst von drängenden Gefühlen befreite, dieses Werk aber in dem Zu­hö­rer gerade wieder diese Gefühle zur Auslösung bringt, so darf der Kulturwert der Musik und ihrer Meister in der Regelung des physischen Gefühlslebens gesehen werden.

Das physische Gefühlsleben umfasst alle die inneren, an sich verborgen bleibenden Vorgänge des Leibes, die sich, ins Gehirn ausstrahlend, dem Bewusstsein auftrotzen. Aus physi­schen werden sie psychische Gefühle, wenn eben das Be­wusst­sein mit seiner weiteren Erfassung der Wirklichkeit be­stim­mend ins Gefühlleben eingreift und alle seine Er­in­ne­run­gen und Bilder mit den rein leiblichen Gefühlen ver­schmilzt: dies wird dann das Gemütsleben.

Was der Tonschöpfer nun für das Gefühlsleben ist, das bedeutet für das Gemütsleben der Dichter.

Das Gemütsleben ist das eigentliche Innenleben, ist der Ausdruck des Gesamtaustausches zwischen dem einzelnen Men­schen und seiner Umwelt und daher mindestens so alt, wie die Menschheit, vielleicht älter. Jedenfalls wurde es im Men­schen eine selbständige Macht und fand gleich in der Sprache sein williges Werkzeug, ja nur als Werkzeug des Gemütslebens ist die Sprache geworden, was sie ist, nur, weil sie der un­mit­tel­bars­te Widerhall der Natur im Menschen ist und der freieste Verkehr des Menschen mit seinen göttlichen Brüdern, den Mächten der Naturdinge, nur deshalb verdichtete sich in ihr echtes Leben, gewann sie ein fast selbständiges Leben.

Die älteste Sprache, die älteste rohe Lautfolge, die einer Naturerscheinung mit dein Ausdruck der Gefühle erwiderte, die sie geweckt, war zugleich noch Musik, Dichtung und Reli­gion; auch später bleiben diese Drei immer in engem Bunde, aber indes die Musik nur den reinen Klang des Ge­fühls­aus­dru­ckes entwickelt, während die Ausübung der Religion von der Ausdrucksbewegung der Stimmbänder und Gesichtsmuskeln zu denen der eigentlich handelnden Glieder überging, zuerst noch ganz unmittelbar zu praktischen Zwecken, später zu got­tes­dienst­li­chem Brauch, hat die Dichtkunst sich immer nur an die Sprache gehalten; und das liess sie denn auch die erste Priesterin und Tempelhüterin der Religion sein und bleiben.

Zur eigentlichen Kunst, zu einem auszeichnenden Können, zur Tätigkeit einer eigens dafür veranlagten Persönlichkeit wurde die Dichtung aber erst, als die Sprache eine erste Stufe mit der Erwerbung eines Wortschatzes erreicht hatte, der dem Tagesgebrauch völlig genügte, als sie eben wirklich in den Dienst des Gemeinlebens getreten war und es nun dem ein­zel­nen nicht mehr so unbedingt freistand, ganz neue, unerhörte Lautverbindungen zum Ausdruck seiner Gemütsbewegungen zu machen; das heisst, niemand konnte einen andern verhindern, sich durch leere Klänge zu erfreuen, aber, weil nicht Ge­mein­gut, waren sie dann eben für die andern auch un­ver­ständ­lich und sinnlos. Und so war der einzelne an den Sprach­stamm­schatz seiner Horde gebunden, ohne darin einen lästigen Zwang zu empfinden, im Gegenteil.

Aber auch der Alltag entwickelte sich, brachte neue Er­schei­nun­gen, neue Empfindungen, neue Taten, die ganze Umwelt der Gottheiten wuchs und diesen veränderten Zu­stän­den wollte das Gemütsleben doch auch einen Ausdruck geben. Und einen Ausdruck gab ihnen auch derjenige Mensch, der tiefer als die andern empfand, weil er inniger mit der Natur lebte; weil er ihr Wesen, Weben und Walten unmittelbar mitlebte; weil er früher als die andern das Neue gefühlt hatte: dann teilte er sich in den festen Worten der gemeinsamen Sprache den Genossen mit, so für sie zum Offenbarer dieses Neuen werdend. Fortab ward er und andre seinesgleichen als gottbegnadet verehrt, er schaute vor andern die Gottheiten, ihr Wesen und ihren Willen, er musste zwischen ihnen und seinen Genossen vermitteln, er musste von den Taten des Gottes berichten, wie sie ihm der Geist offenbarte, er musste die Bitt-, Lob- und Danksprüche an die Gottheit richten, er war Vor­be­ter, Priester, Prophet. Dann verfielen auch diese Sagen und Gebete dem erstarrenden Alltagsgebrauch, berufs- und erwerbsmässige Priester nahmen sie in Pacht, die berichteten Taten der Götter wurden zu unantastbarer Überlieferung, zu Glaubenssätzen, an denen im allgemeinen auch der nicht mehr zu zweifeln wagte, der weiter in unmittelbarer Vertrautheit mit der Natur lebte; der sich in diesem Umgang mit den Natur­mäch­ten auslebte, der Dichter. Nur ganz Hervorragenden konn­te es da gelingen, plumpere Vorstellungen älterer Zeiten seinem Empfinden entsprechend zu veredeln – wie Pindar das oft tut. Aber je fester die äusseren Schranken der Natur­auf­fas­sung werden, um so mehr vertieft sich das Innenleben der dichterischen Persönlichkeit; je starrer die Religionslehren geworden sind, um so mehr liegt es an ihm, das echte Reli­gions­empf­in­den lebendig zu erhalten; und das geschieht nur durch die Pflege des Gemütslebens, das jedes Ding und jedes Ereignis, als von lebendigen Mächten gelenkt, lebendigen Widerhall im eignen Innern wecken lässt. Der ganze natürliche Umkreis des Lebens, in den der Mensch gestellt ist, seine Lust und sein Leid, wie Leid und Lust der Natur, ist darum der unerschöpfliche Born, aus dem schöpfend der Dichter schafft.

Soweit es Menschen gibt, gibt es auch eine Dichtkunst, denn ununterbrochen webt das Gemüt; aber wenn einmal das Leben seine Form gewonnen hat, wenn ein Volk seine sichere Kultur erlangt hat, dann verläuft auch das Gemütsleben, so unendlich wechselnd im einzelnen, im grossen doch in festen Bahnen, und ganze Zeitalter zehren an längst geschaffenen Dichtungen, weil diese ganz ihrem Gemütsbedürfnis ent­spre­chen: so leben die Volkslieder, so die Heldensagen, einmal, als das Volk noch im Werden war, von einer Persönlichkeit auf der Grundlage der religiös-vorgeschichtlichen Überlieferung ge­dich­tet, dann im kleinen umgedichtet und verändert, un­sterb­lich weiter, bis eine neue Menschenschöpfung, eine neue Ras­se­bildung beginnt, neue Bedürfnisse, neue Gemütswerte ent­ste­hen und neue Persönlichkeiten diesem Gemütsleben neuen Ausdruck für ein Zeitalter verleihen.

Wie alle Künstler, und fast mehr als sie, kann der Dichter nur dann eine Kulturmacht sein und zwar Lebensformen des Gemüts erschaffen, wenn er sich selbst unbeirrt treu ist und unverfälscht sein eignes reichquellendes Leben ausspricht; richtet er sich nach dem Geschmack der zufälligen Augen­blicks­zu­hörer, dann vergeudet er seine Kraft, dann veruntreut er sein Pfund, und kann doch nicht einmal diesen Au­gen­blicks­be­dürf­nis­sen gerecht werden, weil er ihnen innerlich fremd ist; nur wenn und soweit er mit der Gegenwart geht, wird er schon von selbst seine Zeit aussprechen: dann vergeht er auch mit der Zeit. Aber alles Schaffen ist Vorschaffen, Vorleben und je ferner in der Zeit die volle Wirkung eines Dichters liegt, um so bedeutender ist seine schöpferische Kraft, um so eigenartiger das Menschentum, das in ihm seine erste Verwirklichung gefunden hat. Der Dichter ist nur soweit eine Kulturmacht, als er die Zukunft verkündet, sie aber aus der tiefsten Durch­drin­gung der Gegenwart vorahnt; und das kann er nur, wenn er unbeirrt und rückhaltlos in die Tiefen seines eignen Wesens steigt, denn da ist ja die einzig wahre Gegenwart. Nur wer eine Welt in sich trägt, gehört der Welt.

Das bestimmt denn auch die Rangstufe eines Dichters. Nicht die unumgängliche Form- und Sprachbeherrschung, der Bilderreichtum, die Fülle und Geschlossenheit der Gestalten allein gibt hierin den Ausschlag, sondern die innere, ethische Selbständigkeit des Dichters, der über dem «Milieu» stehend, diesem vermöge seiner Gestaltungskraft eine Zukunft weist. Allerdings kann ein gelungnes Sonett noch nicht diese Selbst­herr­lichkeit beweisen, es gehört eine gewisse wuchtige Fülle der Dichtung dazu, aber dann entscheidet doch eben die Wucht, der grosse Zug über den kulturellen, den Mensch­heits­wert. So gute und bessere Verse als im «Faust» stehen, haben andre auch geschrieben, aber die unerschütterliche Grösse dieses Werkes ist eben der geniale Blick und Mund Goethes, der die höchste menschliche Ethik in der Gestalt Fausts ent­rollt hat und in den Worten niedergelegt:

 

Wer immer strebend sich bemüht

den können wir erlösen.

 

So brachte einstens Sophokles in seiner «Antigone» – neben der es auch viele gute Dramen gab und gibt – die olym­pi­sche Religion zur Vollendung, demselben göttlichen Gipfel des Menschentums sich nähernd, den später Christus für alle erobert hat. Das ethische Genie ist also die höchste Weihe des Dichters. Ein Kind kann zwar in der Tonkunst – wie Mozart – oder in der Malerei – wie Raphael – sich auszeichnen, der Dichter muss aber schon entwickelter sein, um überhaupt et­was Befriedigendes zu schaffen. Aber erst ein freies und rei­fes Eigenleben kann ihn zu einer Bedeutung für die Mensch­heit emportragen.

Sein Eigenleben hat also immer noch der Dichter – mit dem Zerstreuungshandlanger der Schriftstellerei nicht zu verwechseln – in seinen Werken niedergelegt, sich, seinen geistesverwandten Mitmenschen und dem Publikum, soweit es ihm nachfühlen kann, zur Seelenlust. Ob dies Werk nun der Heldensang der Ilias ist – dessen trotz aller nachträglichen Flickarbeit grossartig einheitliche Komposition nur Silben­krä­mern entgehen kann – oder Siegeshymnen des Pindar, Tra­gö­dien von Sophokles und Shakespeare oder Busspsalmen der gefangenen Juden, Liebeslieder von Anakreon, Hafis und Goethe oder die grossen Weltgedichte der «Divina Commedia», des «Faust»: immer ist lauterstes Eigenleben ihr Inhalt, un­mit­tel­ba­re Einheit von Mensch und Naturmacht die Kraft die sie immer und immer wieder Leben ausströmen lässt, heilige Naturfrömmigkeit ihr Wesen.

Die Philosophen

Da der grosse, der denkende Dichter nur seine Welt er­schafft und in dieser Einzelwelt die Gesamtwelt ihr selbst offenbart, so wird er damit zum Ethiker, zum Bildner der Welt­anschauung und nur eine weniger den Launen des Ge­fühls­lebens unterworfene Abart von ihm ist der Philosoph, dessen Kulturwert in der Formengebung für das Gedan­ken­le­ben beruht. Mit dem Dichter verbindet den Philosophen das Werk­zeug ihrer Darstellung, die Sprache, und eben vor allem der weltumfassende Blick; sie unterscheidet aber, dass der Dichter aus dem Gefühl für das Gemütsleben und damit auch für das religiöse Empfinden schafft; der Philosoph aber schafft aus der Anschauung für das Gedankenleben.

Dem Philosophen genügt nicht die unmittelbar em­pfun­de­ne Gewissheit der Dreieinigkeit: Gott – Natur – Mensch – wie dem Dichter; er will die grossen Triebkräfte des Alls bei ihrer weltenschaffenden Arbeit belauschen, er will den grossen Urmächten nachspüren, um in seinem Bewusstsein ihr Werk nachzuerschaffen; er will jede Einzelheit des bunten Zufalls in ihrem Zusammenhange mit den stetigen Bestrebungen des Ganzen erfassen: und diese nennt er die Gesetze, die Not­wen­dig­keit, das Schicksal. Der Dichter begreift die Welt in der Gegenwart, der Philosoph in der Ewigkeit.

Das was im Rahmen einer festgefügten Religion der Pries­ter ist, was für die quellende Gegenwart des Gefühls vor allem der lyrische Dichter bedeutet, das kann der Dichter-Denker und das will der Philosoph für ein ganzes Zeitalter sein. Das können sie aber nur, wenn sie selbst Zeitalter sind, wenn der ganze Geist einer möglichen Zukunft, wenn die Em­pfin­dungs­wei­se einer ganzen Rasse in ihnen um Ausdruck und Ver­kör­pe­rung ringt. Aber eben diese unendlich hohe Aufgabe lässt be­sonders den Philosophen oft das Gegenteil von dem er­rei­chen, was er erstrebt; von den unzähligen Wellen der chaotischen Wirklichkeit umhergeworfen, zwischen den Klip­pen über­kom­me­ner überlebter, zu Irrtum gewordener Lehren eingeengt, strandet sein Gedankenschiff nur zu leicht auf der Untiefe allzupersönlicher Neigungen oder Abneigungen. Darum kann selbst der echte Philosoph, dem Wirklichkeitssinn, wie schöp­fe­ri­sche Einbildungskraft, Mut zur Selbstbeurteilung und Furchtlosigkeit gegen äussere und innere Schwierigkeiten in gleichem Masse eignen müssen, doch eben nur in Zeiten vollerfüllter, ja überreifer Kultur auftreten, wo innerlich alle grossen Massstäbe zu versagen beginnen, äusserlich aber eine erdrückende Fülle von Tatsachen, Kenntnissen, von Wis­sen­schaft gegeben ist; da kann er dann, so schwer der Weg aus dem Labyrinth zu finden ist, wenn nicht der sichere Kompass eines einheitlichen Empfin­dens ihn leitet, gerade aus diesem Wirrwarr, das alles enthält, den Knäuel der Wirklichkeit in lückenlose Ketten des Geschehens auflösen. Indem sein Em­pfin­den die Wirklichkeit sichtet und im scheinbar Gleichen die entgegengesetzten Mächte herausspürt, im scheinbar Ent­ge­gen­ge­setz­ten die gleichgerichteten Triebe erkennt, findet sich eines zum andern, erbaut sich aus den formlosen Werkstücken das Weltgebäude.

Nun steht es da, nun treten nach und nach, erst einzeln, dann in Scharen die andern Menschen ein und lernen von der Sternwarte dieser Eigenwelt die grosse Gesamtwelt anschauen und überblicken. Aber je mehr der Menschen sich zu einer Gedankenform drängen, desto mehr verliert diese von ihrer Klarheit und Wahrheit, desto gröber und ungenauer wird sie vom Hundertsten auf den Hundertundersten und gar vom Zehntausendsten auf seine Nachfolger übertragen: denn mit dem Blut des Menschen, mit seiner Rasse, seinem Schlage, seinem inneren Gefüge, wechselt auch seine Grundbetätigung, die Empfindung, und anders steht er der Wirklichkeit ge­gen­über, das Alte ist nicht mehr wahr, so wahr es auch gewesen. Wahrheit ist ja nur die Übereinstimmung des menschlichen Empfindens mit den Mächten der Umwelt, und beide wechseln, weil sie Gebilde sind oder Gebilde schaffen: unvergänglich sind nur die Tatmächte, deren Wesen nie ins Bewusstsein treten kann, weil das Bewusstsein schon ein Kampf ist, keine selb­stän­dige Macht, der Kampf zwischen der Innenmacht des Menschen um Selbstbehauptung gegen die andringenden Kräf­te der Aussenwelt. In seiner rastlosen Empfindung und seinem Schöpferdrange kommt der Mensch dem Urwesen noch am nächsten, jeder einzelne Gedanke ist aber nur eine Einzel- und Stückwahrheit 74).

Das Wesen der Welt lässt sich denn auch nicht erkennen, wohl aber lässt es sich leben.

Leben heisst sein Wesen verwirklichen, an und mit der Wirklichkeit betätigen; und wenn nun Wahrheit nur im Leben ist, nicht im Erkennen, so ist die alleinzige Wahrheit für jeden doch wieder eine andre, weil jeder sein eignes Leben uner­bitt­lich zu Ende leben muss. Diese alleinzige Wahrheit des Lebens ist aber: sich selbst in Übereinstimmung mit dem grossen Willen der Welt zu bringen, in sich selbst und um sich durch Vollentfaltung jeder Kraft Einheitlichkeit und Ebenmass zu erschaffen.

So wird der Philosoph aus einem Erkenner zu einem Richter, aus einem Schauer der Wirklichkeit ein Gesetzgeber kommender Gestaltungen, und die neuen Formen des Ge­dan­kens, die aus der strengen Lebensnotwendigkeit seines Innern ausstrahlten, ihm selbst zur Klarheit und Weltordnung, die werden nun auch die Bahnen des Lebens für jeden, der, die Gedankenformen des Philosophen nachdenkend, sie sich aneignet und einer neuen Wirklichkeit gegenüberstehend nun auch anders handelt, als vordem. So mündet alle Erkenntnis wieder in das tätige Leben ein, so wird alle Philosophie, die Weisheit vom Leben sein wollte, Weisheit für das Leben. Ihre Ethik ist der Wert einer Weltanschauung; ihre Ethik, getragen von den Formen, wie sie die Wirklichkeit anschauten und welche Wirklichkeit sie sich und ihren Schülern ge­gen­über­stell­ten, hat denn auch die Kulturbedeutung der Philosophen ausgemacht, wenn es auch eben überpersönliche Rasse- und Zeitmächte sind, welche den Philosophen zu Lotsen ihrer Ziele wählt, ob das nun der sinnenkühle Platon oder der scharfe Aristoteles des sich selbst zersprengenden Hellenentums sind; oder Giordano Bruno, der dichterische Italiener, und Spinoza, der weltfremde Jude, in denen das alternde Alleingottestum sich selbst aufhebt; oder ein Rousseau, ein Kant, ein Hegel, ein Schopenhauer, ein Nietzsche. Und ebensolche ethische Blut­mäch­te lenken den Blick des Forschers auf engerem wis­sen­schaft­li­chen Gebiete, wie einen Kopernikus oder Darwin, die, ob Gelehrte, doch neue Lebensgrundlagen legten; oder geniale Erzieher: Sokrates, Pestalozzi.

Die Religionsstifter

Der Erfinder schafft die Werkzeuge des äusseren Lebens. Der Kriegsmann schafft das Ackerland, auf dem eine nationale Rasse einen nationalen Staat gründen kann.

Der Staatsmann schafft die grossen Schranken und Bah­nen des Gemeinlebens, die nach innen, wie nach aussen Gren­zen, Stetigkeit, Gedeihen geben.

Der Baumeister schafft die Räumlichkeiten, in deren Geist sich das Gemeinleben abzuspielen hat.

Der Bildmeister, ob Maler oder Bildhauer, schafft die schö­nen Formen, an denen sich das Sinnenleben erziehen und erbauen soll.

Der Tonschöpfer schafft den Ausdruck für das Ge­fühls­le­ben des Menschen.

Der Dichter schafft Lebensformen für das Gemüt.

Der Philosoph schafft die Weltanschauung, die den Le­bens­massstab für ein Zeitalter bildet.

Aber die unmittelbare Empfindung des Lebens schafft nur der Religionsstifter.

Nicht dass Religion an sich es überhaupt nötig hätte, ge­grün­det zu werden: das unmittelbare Lebensgefühl des Men­schen weiss sich von lebendigen, schaffenden, ewigen Mächten umgeben; eher kann religiöses Empfinden durch Buch­sta­ben­leh­ren ertötet werden, und dann gibt es nur schwer eine Auf­er­steh­ung. Wohl aber geht auch gerade auf religiösen Gebiete das Empfinden der einheitlichen Persönlichkeiten der dumpferen Menge voran und längst, ehe diese etwas ahnt, hat sich jenen ein neuer Weltentag offenbart, den sie dann zu verkünden haben. Die ältesten Religionsstifter, die Propheten der Natur­re­li­gio­nen, wie der hellenischen Sittenreligion, sind unbekannt geblieben, weil sie wirklich aus der Tiefe ihres Volksgefühls heraus nur das verkündet haben, was in dem Herzen eines jeden lebte, was jedem daher auch sofort zur Lebenswahrheit werden musste; und nur Bräuche, Opfer, Gebete erforderten hinfort religiös-schöpferische Persönlichkeiten. In gewissem Sinne sind allerdings auch die Philosophen die letzten Re­for­ma­to­ren ihrer Volksreligion, wie besonders Sokrates der Religionsstifter der Sittlichkeit heissen könnte, der letzten, blassen und einseitigen Gestaltung der olympischen Sit­ten­re­li­gion; aber hinter ihnen kann nie das grosse erdenkräftig em­pfin­dende Volk stehen und sind sie auch Schöpfer neuen Lebensmassstabes so ist doch ihr Leben we jene Him­mels­spra­che nordischer Sommernächte, wo Abend- und Morgenröte ineinander übergehen. Sind sie denn auch vielleicht ein Mor­ge­nrot, die Verkünder neuen Lebens, so sind sie doch auch sicher das Abendrot eines müden Zeitalters und jedenfalls sind die Schläfer noch nicht geboren, die sie zu wecken gekommen sind.

Anders die eigentlichen Religionsstifter, die wirklich nicht mehr Morgenröte, sondern schon Tagesanbruch sind, Son­nen­auf­gang und diejenigen gleich auch vorfinden, denen sie zum Leben zu leuchten haben: sie bedeuten eine unendliche Kraft für ihr Volk, so Moses, der das allgemeine Gefühl seiner dar­ben­den hebräischen Mithirten aussprach, als er in der er­drü­cken­den Ungeheuerlichkeit des Sinai das Banner des einen schrecklichen Wüstengottes aufrollte und sie mit diesem Schlacht­ruf das furchtbare Kanaan überfluten hiess; so Mo­ham­med, der aus dem einen Winkel der arabischen Wüste die Herren von so vielen Reichen hervorrief, als er ihnen für den einen Allah zu streiten gebot.

Folgenschwer ist für die Mittelmeerkultur und damit fast für die Menschheit aber eben nur die Religionsgründung des Moses geworden; als die Hebräer in den fetten Weiden Kana­ans die harte Einherrschaft Wüsten-Jahves mit der mil­de­ren Sonnen-Baals zu vertauschen gedachten, da erstanden schon immer Eiferer für Jahve, wie der priesterliche Samuel oder Elias; und als in diesem Schlachtfelde der ägyptischen und mesopotamischen Weltmächte dann wieder Not einzog und die alten Erinnerungen der Wüstenzeit erwachten, das Gefühl der Nichtigkeit vor dem einen Gott, da erwuchs aus dem heb­räi­schen Eingott in dem Herzen Jesajas der Alleingott der Welt: Harte Gesetzesparagraphen konnten das oberste Gebot der Jahve-Religion, die demütige Entwertung der eignen Per­sön­lich­keit, doch nie verwirklichen helfen, denn immer musste in dem Buchstabenfrommen der pharisäische Stolz auf seine Buchstabenfrömmigkeit wider jenes oberste Gebot verstossen. Aus diesem inneren Widerspruch gab es keinen Ausweg, bis Christus geboren wurde.

Wie Buddha der indischen Welt, wurde er der euro­päi­schen der Erlöser; nur dass er aus dem Jammer der Welt einen andern Ausweg sah, als in mönchischer Weltentsagung. Christi Religion ist die Verkündigung der Gotteskindschaft, die Neu­of­fen­barung des uralten Menschheitsgedankens, dass unmit­tel­ba­re Gottesmächte in dem Menschen leben, dass er eine Ver­kör­perung des Urgottesgeistes ist.

Gewiss war Christus geschichtlich an das Judentum, sein Empfinden, seine Anschauungen gebunden und glaubte selbst nur an den einen Gott des alten Bundes, bis der stumpfe Wi­der­stand seiner Zeitgenossen, die von der allgemeinen Gottes­kind­schaft und dem Reiche Gottes im Menschenherzen nichts hören wollten, ihn überzeuge, dass wenn Niemand, so doch er selbst aus Gott stammte. Damit war das altjüdische Allein­got­tes­tum innerlich aufgehoben, Gott und Mensch waren wieder Vater und Kind, wie am Tage, da der erste Mensch geboren war, Gott war nun Gott der Liebe, nicht länger des Gesetzes. Diese Gotteskindschaft, um es noch einmal zu sagen, ist der Sinn von Christi Wirken, und nur dieses Leben in der Fülle der weltgestaltenden Urmacht, nur dieses Streben, im eignen Dasein die Urmacht der Welt Fleisch werden zu lassen, keine Lehre ist das Wesen des Christentums wie Jesus es gestiftet hat, der die geistig Armen selig pries, diejenigen welche ihren Wert nicht in den Geistesschätzen der Kenntnisse und Er­kennt­nis sehn, sondern ihn in der Lautereit des Herzens suchen und in lebendiger Gerechtigkeit verwirklichen. Christi Nachfolge heisst nicht in den Anschauungen des Judentums von vor zweitausend Jahren sich gefangen geben, sondern leben, wie er, die gött­liche Innenfülle in Wandel und Taten zum Ausdruck bringen und, wenn es sein muss, wie er, mit dem Tode beweisen, dass nur die Persönlichkeit, die, ihrer gött­lichen Sendung bewusst, der Welt ein Leben vorzuleben vermag, die Welt erlösen kann.

Das geschichtliche Christentum ist allerdings nur die Frat­ze seines Wesens, denn es ist die Religion des Buch­sta­bens, der Lehre, der Gesetze und nur im einzelnen Christen kann der Geist Christi, der Geist der lebenschaffenden Liebe leben und lebt er auch; aber ebensogut in einem Heiden, der an viele Götter glaubt. Es war und ist der unselige Irrtum der ersten Apostel und, des letzten Missionars, dass sie nicht eine frohe Botschaft vom Leben in Gott verkünden gehn, die jenseits aller Dogmen alle Religionen umfassen könnte, sondern dass sie unduldsame Mären hinaustragen.

Wenn Christus von sich selbst sagte: «Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater, denn durch mich», so bleibt es bei diesem Wort. Niemand kann den göttlichen Frieden, der höher ist, als alle schriftgelehrte Ver­nunft, besitzen, niemand kann des Reiches Gottes teilhaftig werden, niemand kann seiner Gotteskindschaft, seiner Gött­lich­keit sich erfreuen, der nicht wie Christus die Wahrheit lebt, sein Leben in Einklang mit dem göttlichen Urwillen der Welt bringt; und der ist: die eigne eingeborene Innenmacht zur sieg­haften Herrschaft über die niederen Mächte stellt, die Ver­körperung der Urtatmacht in der ewigen Ruhe der Schönheit.

Von allen Persönlichkeiten der Kultur ist Christus die be­deu­tendste, die am tiefsten und innigsten gottmenschliche. Über seine Neuschöpfung des Lebens gibt es nichts hinaus; nur gälte es, alle die toten Ruinen wegzufegen, in deren Kerker sie fort und fort schmachtet. Erst wenn das Geschichtschristentum tot ist, wird Christus auferstehen.

Die Lebensgesetze der Kultur

Es ist kein Zufall, dass die höheren Werte der Kultur, des Menschwerkes von Männern geschaffen worden sind, nicht von Frauen; das einzige Feld des öffentlichen Gemeinlebens, auf dem sich das Weib rühmlich betätigt hat, ist, wenn vom selbst­ver­ständlichen Heim abgesehen wird, die Staatskunst gewesen; aber eben auch das älteste Gemeinwesen verdankt seine Ent­steh­ung ja den Weibern, weil sie, anschlussbedürftiger, in der festen Gemeinschaft den Halt ihres Lebens finden: und das macht sie zu Bewahrerinnen der Kultur, deren Schöpfer der Mann ist, persönlicher, ungebundener, willensmächtiger als sie.

Der heilsame Einfluss des Weibes kann nie aufhören, es sei denn, dass ihr Einfluss ausschliesslich würde; und an dem Punkte sind wir. Nur wenn der Mann wieder, im Bunde mit dem Manne, dem Übermass an starrer Sitte und zersplitternder Erwerbstätigkeit halt gebietet, wenn das Gemeinleben wieder auf Blut, das Wirtschaftsleben wieder auf die Scholle, das Ein­zel­leben auf Persönlichkeit gestellt wird, kann zielbewusste Arbeit von Geschlechtern neues Kulturleben erzeugen. Da aber, um das zu wollen, solche Männer schon vorhanden sein müs­sen, wird der Totentanz unsrer Gesittung wohl schon un­auf­halt­bar sein, das Menschenwerk ist ein Fragment geblieben …

Und das waren die Lebensgesetze dieses Menschenwerkes:

  Die Kultur
1. entsteht mit den Persönlichkeiten, die sich selbst an der Umwelt gestaltend, dieser Formen verleihen;
2. bildet sich, wenn eine menschliche Gemeinschaft sich diese Formen aneignet;
3. steigt bei fortdauernder Rassebildung durch neu­auf­tre­tende Persönlichkeiten, die durch neue Lebens­for­men die sich erhöhenden Bedürfnisse befriedigen;
4. wird zu stetigen Lebensformen bei geglückter Rasse­zucht in stetiger Natur;
5. sinkt bei Rassezersetzung
  a) in Spaltung,
  b) in ungeeigneter Mischung
  durch den Widerspruch aller Lebensformen infolge
  x) innerer Unbefriedigung
  y) äusserlich übersteigerter Lebenshaltung
  immer anwachsenden Bedürfnissen trotz der Fülle neu­schöp­ferischer Persönlichkeiten, die keinen Boden der Wirkung finden.