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Lebensgesetze der Kultur – Dritter Teil – Die Zukunft der Kultur

Das Wesen und Werden der Persönlichkeit

Das Wesen der Persönlichkeit

Jedes Gebilde der Welt besitzt eine Innenmacht, die seine Grundkräfte gestaltend vereinigt; jeder Mensch hat eine Per­sön­lich­keit, die seine Grundmächte zusammenhält und zur Ein­heit­lichkeit zwingt; aber leider ist nicht jeder Mensch eine Persönlichkeit, ist nicht sein ganzes Wesen, Werden und Wirken nur ein Dienst seiner unvergänglichen Innenmacht, sondern vielmehr wird diese heilige Innenmacht zum Tage­löh­ner lebensarmen Erwerbes herabgezogen; oder sie muss schon von so überragender Wucht sein, dass ihr wirklich alle Kräfte der Aussenwelt nur Mittel und Diener des eignen Geschehens, der eignen, inneren Entfaltung werden. Daher gibt es einen Punkt, wo sich die Geister und Menschen scheiden: während die einen alle ihre Triebe nur in den Bahnen der Gewohnheit, Nachahmung und Sitte ausleben, schaffen sich die andren erst die Wege ihres Wandels, ja in dieser Schöpfung neuer Wege und Lebensformen leben sie sich aus, entäussern sie sich ihrer hochgespannten Kräfte, verwirklichen sie ihr Wesen, ver­kün­di­gen sie den Sieg ihrer, der Innenmacht über die Aussenwelt. Dies sind die Persönlichkeiten, jene die Philister.

Weit davon entfernt, einen leichten Sieg zu haben, hat die Persönlichkeit gerade hart zu kämpfen. Denn die Innenmacht ist um so grösser, je reicher. und mannigfaltiger; je abgestufter und in sich gegliederter die Grundmächte des Gebildes sind. Diese Höhe der Grundmächte ist nun aber gerade der Boden der Empfänglichkeit für jede andringende Fremdkraft; daher muss das Gebilde, je grösser die Innenmacht ist, um so mehr nach Tätigkeit streben. Auch die eindringende Kraft kann sich um so mehr ansammeln, je weniger leicht die Innenmacht zum Weichen zu bringen ist; um so machtvoller werden demnach auch die Taten – Empfindungen, Gedanken, Handlungen – sein, mit denen die Innenmacht sich wieder ins Recht setzt.

Der Mensch mittlerer Innenmacht handelt unter dem un­mit­tel­baren Anstoss der Aussenwelt in vorgewiesenen Bahnen der Gewohnheit und Sitte, seine Entladung erfolgt frühzeitig und jedes Glied betätigt sich, sobald es irgend kann. Je be­deu­ten­der jedoch die Innenmacht ist, desto mehr gestattet sie, wie angedeutet, ein stärkeres Anwachsen der Kraft, eine längere innere Wirkungszeit, ein gleichmässigeres Anschwellen der Fremdkraft in allen Gliedern des ganzen Leibes; kommt es dann zur erlösenden Tat, dann wirkt nicht ein einzelnes Glied in ungemässigter Unabhängigkeit, sondern eben der ganze Leib betätigt sich zugleich und das äusserlich handelnde Glied ist nur der Vorkämpfer der andren.

Das trennt den bedeutenderen Menschen von der Masse.

Der bedeutendere Mensch handelt eben dank seiner zähen, weittragenden Innenmacht weniger stückweise und mehr ein­heit­lich, die Entscheidung zum Handeln kommt ihm auch von keinem äusseren Einzelreiz, sondern von der aus­schlag­ge­ben­den Innenmacht, die sich durch die Sinnesreize bloss über Stellung und Stärke des Gegners – der Aussenwelt unterrichtet. Die Persönlichkeit handelt darum nicht aus Nachahmung – die den Sinnesreizen des Vorbildes dank der abstumpfenden Hem­mungs­kraft des Gemeingefühls folgt – sondern aus quellender Eigenheit; nicht unter dem Drucke des Zufalls, sondern aus der Notwendigkeit seines eignen inneren Geschehens; nicht aus blindgewohnter Triebkraft, sondern hellseherisch zweck­mäs­sig: ihr feines Gefüge hebt eben jeden kleinsten Sinnesreiz auf und bringt ihn zu seiner Zeit zur Geltung; nicht fessellos zer­stö­rend, sondern massvoll und aufbauend; nicht in ein­sei­ti­ger Nutzarbeit, sondern in ebenmässigem Schaffen.

Das Schaffen ist das höchste Zeugnis der Persönlichkeit. Die hohe Innenmacht, die weniger als andre die Flut der frem­den Kraft zurückzuweisen braucht, die stärker als andre sich betätigen muss, die zu grösserer innerer Unrast bestimmt ist, sie siegt doch, sie kommt doch zur Ruhe ihres Weltenlaufes: nur dass sie siegt, indem sie diese Ruhe um sich breitet; nur dass sie sich betätigt, indem die Herrschaft des Inneren auch nach aussen Wellen schlägt; nur dass sie die Ordnung, die im Inneren des Gebildes waltet, auch der Aussenwelt aufprägt.

Schaffen heisst ordnen; heisst richtungslosere, herum­ir­ren­de Kräfte in stetige Bahnen lenken; heisst die wilde Selbst­ver­geudung und Selbst­verschleuderung der Kraft zur Ruhe eines stetigen Geschehens bändigen; heisst feindlich sich zerfleischende Mächte zur Einheitlichkeit erbauen; heisst die Willkür der Aussenwelt in Notwendigkeit der Innenwelt ver­wan­deln; es heisst Leben – wachsende Einheit – stiften, wo Verwesung waltete und Ewigkeit wecken, wo der Augenblick zerstiebte.

Die Persönlichkeit zwingt also, in Wiederherstellung ihres eignen inneren Gleichgewichts, die Aussenwelt zur Gestaltung und schafft so neue Lebensformen. Schicht für Schicht, Ur­sache für Ursache durchgegangen ist denn dies die Urkunde der Persönlichkeit:

  Hohe Innenmacht;
also: Mannigfaltige Grundmächte;
mithin: Durchgebildetes Gefüge, reich an inneren Sonderungen;
daher: Lebhafte Eigentätigkeit jedes Gliedes;
und Reger Austausch mit der Aussenwelt;
folglich: Hohe Aufnahmefähigkeit für Fremdkraft;
somit: Stetige Steigerung der Spannung;
demnach: Gleichmässige Spannung aller Glieder;
daher: Starke, innere, einheitliche Handlung;
und Innere Verbindung der einzelnen Handlungen;
folglich: Stetigkeit und Zweckmässigkeit des Handelns;
das ist: Aufbauendes Handeln;
oder: Schaffung äusserer Gestaltungen;
also: Schöpfung neuer Lebensformen.

Persönlichkeit und Sittlichkeit

Die Persönlichkeit ist also organisches Innenleben, ein Innenleben, dessen sämtliche einzelne Anlagen und Taten ineinandergreifen und so zusammenwirken. Dieses unbedingte Zusammenwirken beschränkt nun allerdings jeden einzelnen Teil in seiner einseitigen Befreiung von der Fremdkraft, in seiner Selbstbetätigung; dadurch wird er aber auch dem Über­ge­wicht der Aussenwelt entzogen und inneren, ihm selbst ver­wand­ten Entscheidungen unterstellt. Und so liegt denn der Schwerpunkt der Persönlichkeit im Inneren, nicht im Äus­se­ren; Persönlichkeit ist das Beruhen in sich.

Dieses Beruhen in sich selbst, diese feste Wurzelung der Betätigung im eignen Inneren lässt daher auch in denjenigen Menschen, die Persönlichkeiten sind, das zu höherer Aus­bil­dung gelangen, was im Grunde keinem Menschen ganz fehlt: die Eigenart.

Die Eigenart, die Einzigkeit des inneren Gefüges, wird mit dem Menschen geboren, aber den meisten fehlt es an innerer und äusserer Gelegenheit, eben auch an der Stärke der In­nen­macht, um die eigne Art zu entwickeln; und so bleiben die meisten immer von der Aussenwelt, der Umgebung, den Vor­bil­dern, der Gewohnheit, der Sitte abhängig, ja wenige kom­men überhaupt zum Bewusstsein und Willen der Eigenart. Wenn das Urbewusstsein, das auch den höheren Tieren nicht fehlt, bloss die Umwelt umfasst, so steigt beim Menschen diese Tätigkeit zum Ichbewusssein an, der Erkenntnis der eignen Person als zusammenhängendes Gebilde; Selbstbewusstsein wird es dann bei denen, die eben in ihrem Personengebilde die Selbständigkeit und Eigenheit entdeckt haben; Wesens­be­wusst­sein wird es bei den Persönlichkeiten, um bei noch wenigeren zum Weltbewusstsein des persönlichen Schick­sals­lau­fes zu werden und endlich seinen Höhepunkt in dem Ewig­bewusstsein dessen zu erreichen, der in dem unendlichen, unerbittlichen Schicksal seines eignen Geschehens die Freiheit und selbstschöpferische Göttlichkeit erkennt, aus dem alles Dasein quillt: jene «intelligible Freiheit» Platons, Kants und Schopenhauers.

Die Persönlichkeiten entfalten also ihre Eigenart und Innenmacht, sie stehn der Aussenwelt selbstherrlich gegenüber und nicht nur, dass sie keiner Vorbilder als solcher bedürfen, werden sie vielmehr selbst zu Vor­bil­dern, besser zu Vor­bild­nern und Vorkämpfern, das ist, zu Wegweisern und Schöpfern neuer Lebensformen. Dadurch treten sie aber in Gegnerschaft zu den alten Lebensformen, zu allem Starren, Toten, Nichts-als-Hergebrachtem in Weltanschauung, Naturerkenntnis, Lebenszielen; alles, was die wahre Lebensluft der Nicht­per­sön­lich­kei­ten ist, die Sitte, ist ihnen doppelt wider die Natur, sowohl weil es sie meistern will, als wären auch sie Leibeigne des Gemeinlebens, wie auch, weil es ihrem Schaffenstriebe als dumpfe Schranke im Wege steht.

Wenn denn sprachlich die Zugehörigkeit zur Sitte Sitt­lich­keit heisst, so sind Persönlichkeit und Sittlichkeit einander ausschliessende Begriffe, Todfeinde.

Sittlichkeit ist Zugehörigkeit zur Sitte, ist das Aufgehen des Einzelnen in der Empfindung des Gemeinlebens, und als solche eine Kulturmacht ersten Ranges, weil der wahre Kitt, der die meisten zusammenhält. Aber Sittlichkeit ist auch nur so lange wirklich imstande, die einzelnen zu vereinigen, als diese Vereinigung nicht allen Lebensgesetzen Hohn spricht. Sitt­lich­keit als Unterordnung des Eigenlebens unter die Ziele des Gemeinlebens hört auf eine aufbauende oder selbst nur er­hal­ten­de Kraft zu sein: sobald dieses Gemeinleben vergisst, dass seine Kraft aus der Kraft der Einzelleben stammt; sobald es in blinder Kurzsichtigkeit oder gar nur einem zersetzten Bruchteil zuliebe Unterwerfung in Dingen verlangt, die aus dem Herzen des Menschenlebens selbst quellen; sobald es den Menschen verzichten heisst, wo es um sein Leben geht und alles, was sein Leben lebenswert macht. Nur in einem ehrlichen, freien, na­tür­lich-einheitlichen Gemeinleben ist die willige Ein­glie­der­ung Seiner selbst in das grosse Ganze eine innere Pflicht des Ein­zel­nen, also Sittlichkeit in höherem Sinne; und daher in unsrer Gesittung eigentlich ein Unding.

Sittlichkeit ist ganz zuerst und zuältest eben Unterwerfung unter die Sitte, die von Ort zu Ort, von Volk zu Volk, von Zeit zu Zeit wechselt und daher in Wahrheit eine Fülle sehr ver­schie­de­ner und widersprechender Sittlichkeiten. Doch mit dem Menschenleben vertieft sich die Auffassung des Sittlichen. Zu­nächst wird es eben zu einer inneren Verpflichtung, den Ge­mein­ge­set­zen getreu zu sein; dann heisst es, nicht bloss gegen die geschriebenen Gesetze gehorsam sein, sondern auch nichts tun, was wider den Geist des Gemeinlebens geht, nichts, was das Gemeinleben in irgend einer Form schädigen könnte, daher auch besonders strengste Beobachtung aller got­tes­dienst­lichen Vorschriften, damit nicht der Zorn der Gottheiten das Gemein­leben treffe: das wird nun im Alltagsleben eine sehr ober­fläch­liche Sittlichkeit und nicht minder hohle Frömmigkeit.

Wie die Kultur die Lebensarbeit einer Rasse ist und die Sitte eine Lebensart der Rasse, so ist auch Sittlichkeit die Lebensempfindung einer Rasse; aber mit dem Rassegemisch der Geschichte vermengen sich die Kulturen, Sitten und sittlichen Anschauungen, das heisst, sie lösen sich auf; die alte Sittlichkeit ist mit den alten Sitten in das Grab der Kultur gesunken, und wie das Gemeinleben ein anderes geworden ist, auf anderen Grundlagen ruht, anderen Zielen zustrebt, so muss auch die Sitt­lich­keit einen neuen Inhalt gewinnen. Zumal unter dem Einfluss des Alleingottestums hat denn auch die Sitt­lich­keit einen Aufschwung genommen, der ihr zuerst schlecht bekommen ist, aber doch Hoffnungsaussichten enthält. Im Christentum wurde Sittlichkeit eben: Über­ein­stim­mung des Menschen mit Gott; als aber das Alleingottestum, nach dem es das naturreligiöse Empfinden entwurzelt und getötet hatte, nun selbst zu erblassen begann und einem philosophischen Deismus sich näherte, da verloren die Gebote des alleinigen Jahve ihre Schreckenskraft, und Sittlichkeit wurde nun zu einer Anbetung der Sittengesetze, die auf Menschenwürde ab­zie­len. Was aber Menschenwürde ist, mag jeder für sich aus­rech­nen und die Bequemlichkeit lässt denn auch die meisten ihrer Sittlichkeit genug tun, indem sie blind den Zielen unsrer Gesittung folgen und in der Zersplitterung des Menschen, besonders in der unehrlichen Ablehnung der Sinn­lich­keit, das sittliche Ideal zu finden glauben.

Aber wenn Sittlichkeit das Streben nach Menschenwürde ist, und diese Würde doch schliesslich nur das ist, was dem Menschen als Naturerscheinung, also der Menschheit, einen Wert gegeben hat: dann findet sich die Sittlichkeit wieder zur Kultur zurück, dann ist eben das Menschenwerk der Kultur, eben die Erhöhung der Natur im Menschen der Umriss der Sittlichkeit. Erhöhung der Natur im und durch den Menschen, das ist Kultur; Sittlichkeit ist die Förderung des Men­schen­wer­tes im Menschenwerke, ist weitere Erhöhung der Natur, ist die innigste Übereinstimmung mit der Natur, ist die Erfüllung und Ausgestaltung aller ihrer Kräfte und Bestrebungen, also die Vollentfaltung der von der Natur dem Menschen mitgegebenen Eigenart. Sittlichkeit heisst dann Gehorsam gegen die Gesetze des Lebens, die uns von der Erkenntnis der Gesetze des Wer­dens und Vergehens der Kultur aufgedeckt werden; und dann ist gerade die Selbstherrlichkeit der Persönlichkeit das höchste Ziel der Sittlichkeit, weil der höchste Wert des Men­schen­tums, die machtvollste Kraft des Menschenwerkes nur in der Persönlichkeit liegt.

So findet der Ausgleich von Persönlichkeit und Sitt­lich­keit, von Einzelleben und Gemeinzielen der Menschheit erst auf der höchsten Höhe statt; aber diese Sittlichkeit ist in Wahr­heit ein zornbebender Richter der üblichen Spaliermoral, die nur dann Früchte vom Baume des Menschentums ernten zu können glaubt, wenn dieses an das Mauergitter dürrer Vor­schrif­ten und Regeln, toter Vorbilder und unehrlicher Zer­split­ter­ung gekettet ist. Nicht Zertrümmerung des Men­schen­we­sens, noch Verkümmerung und Verzerrung der Men­schen­trie­be kann Sittlichkeit sein, sondern einzig Erziehung zu der Ein­heit­lichkeit aller Anlagen, zu der Innerlichkeit alles Handelns, zur Selbstverantwortung. Unsre Gesittung, besonders die religiöse, gibt vor, die Wahrheit zu besitzen: aber geschichtlich hat sie nur gegen das Leben in Stolz und Freude, in Mannes­kraft und Sinnenheiterkeit gewütet und dadurch eine un­end­liche Verlogenheit gezüchtet. Aber besser als Wahrheit ist Ehrlichkeit. Wahrheit ist Übereinstimmung von Anschauung und Wirklichkeit und muss daher von Mensch zu Mensch wechseln, reich, wie die Welt in ihren Formen; Ehrlichkeit ist das einzige, was die Men­schen­wür­de vom Menschen verlangt; Mut zur Behauptung seiner selbst, Freude an der Offenbarung der eignen Welt: mehr gehört nicht dazu, aber sie besitzt nur die in sich gefestigte Persönlichkeit.

Die einzige nächste Aufgabe unsrer Kultur ist, jeden Keim an Persönlichkeit, wo er sich auch zeigte, zu hüten und zu pflegen: dann wird, aber auch nur dann, der Boden geschaffen werden, wo aus reichem Einzelleben neues Gemeinleben er­wächst, aus lautrer Eigenempfindung ein echtes Gemeinge­fühl, aus Selbstverantwortung eine neue Edelsittlichkeit. Die un­mit­tel­bare Blutseinheit von Mensch und Menschheit ist ja verloren gegangen, mit ihr, was im Grossen Kultur heissen dürfte; für ein nächstes Zeitalter wird Kultur nur da sein, wo die Mensch­heit sich selbst in der Persönlichkeit erzieht. Wahre Men­schen­würde heisst: gegen den Strom kämpfen, der zerstörend und verschlammend niederbraust, alles in seinen trüben Fluten begrabend, gegen unsre feministisch-demokratische, wirk­lich­keits­scheue, verlogne unsittliche Sittlichkeit.

Die Persönlichkeit und die Geschichte

Jeder Mensch hat eine Persönlichkeit in streng physi­ka­li­schem Sinne, jedoch Persönlichkeit in ethischen in Sinne ist nur einer von vielen Tausenden, und langsam sammeln sich im Laufe der Geschlechter die Tropfen in diesem Urborn der Menschheit.

So zahlreich nun immerhin in den Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte Persönlichkeiten aufgetreten sind, so scheint doch eine völlige Willkür über ihrem Entstehen zu walten und keine Vorzeichen lassen ahnen, aus welchen Tiefen der Notwendigkeit die Geburt eines bedeutenden Menschen – eines, der etwas für die Menschheit bedeuten wird – em­por­quillt. Wohl zu allen Zeiten und fast in allen Völkern sind sie erstanden; doch nicht in allen gleichmässig. Und das gibt einen Fingerzeig.

Wenigstens im Umkreis des Mittelmeeres sind die meisten Persönlichkeiten innerhalb der Kulturnationen aufgetreten, innerhalb der höchststehenden Rassen mithin und auch bei ihnen in steigendem Masse im Laufe ihrer Geschichte. Nun wissen wir ja allerdings nicht, was das Dunkel der vor­ge­schicht­li­chen Zeiten birgt, was jenseits der Grenzpfähle des Volksbewusstseins liegt, bis zu denen die Sagen reichen. Aber, genauer geprüft, findet sich gerade hierin der Schlüssel des Geheimnisses.

Wenn die geschichtliche Erinnerung da aufhört, wo die letzten grossen Namen verklingen; wenn die Geschichte be­ginnt, wo sie einsetzen: dann begann sie vielleicht überhaupt erst, als diese Namen zum ersten Male ertönten, dann begreift sich erst voll Treitschkes Wort:

«Männer machen die Geschichte.»

Ja, erst in dem Augenblicke, wo in einem Volke Männer erstehen, die über die Menge hinausragen, erst wenn es Per­sön­lich­kei­ten gibt, tritt das Volk in die Geschichte ein: denn erst das Leben und die Taten solcher Männer ragen wie Mei­len­steine des Geschehens aus der gleichförmigen Steppe des Alltagstreibens, und sei es an sich noch so reichhaltig. Eine be­deu­ten­de Kraft muss sich betätigen, und wenn es heute in der verwirrenden Fülle unsrer Gesittung oft geschieht, dass reiche Persönlichkeiten unbeachtet und wirkungslos vor­über­gehen, um spät oder gar nicht zur Geltung zu kommen, so ist ein Gleiches für die ersten Zeiten eines Volkes kaum anzunehmen: ein Mann, der seine Kräfte sich regen fühlte, wusste sich auch durchzusetzen.

Gewiss gehört zum Wirken das Feld der Wirkung; aber seine Mitmenschen und ihre Nöte sind ja das Feld des Men­schen, und es bedarf nicht einer äusserlich hochgesteigerten Kultur, reifer Lebensformen, um ein Volk für die Wirkung seiner Männer empfänglich zu machen; eher im Gegenteil. Gerade ein noch rohes Volk bietet sich willig der überlegenen Kraft dar; und fast alle Völker, die wir in der Geschichte kennen sind als rohe Naturgewalten in die Geschichte ein­ge­bro­chen. Beinahe liesse sich sagen: die Geschichte eines Volkes beginnt mit einer ersten Eroberung. Jedoch verpufft manches Volk seine Kraft bei einer solchen Eroberung und seine erste geschichtliche Tat bleibt auch die letzte; dann kommt es nie aus dem Sagenalter heraus, gehört dann auch kaum in die Geschichte der andern Völker, der Menschheit – wie bei den Finnen und Esten fast der ganze Inhalt der nationalen Erin­ner­ung die Sage vom machtvollen Kalews Sohn bildet.

Denn ja: wie das Ich am Nichtich entsteht und die Umwelt des Menschen sein erstes Bewusstsein ist, so gewinnt auch ein Volk sein Bewusstsein, das erste sagenhafte, wie das spätere Nationalgefühl, nur an andern Völkern, zu denen es im Gegensatze steht. Und so hiesse Geschichte: das Wider­ei­nan­der­wir­ken der Völker; vielleicht: die Zusammen­ge­hö­rig­keit der Menschheit.

Rassengegensätze als Ursprung der Persönlichkeiten

Wenn ein kühner Kriegszug oder ein Verteidigungskrieg das Volksbewusstsein weckte und die Sagen erschuf, so ist es ein weiterer Kleinkrieg zwischen neben – und untereinander wohnenden Völkern, der in langsamer vulkanischer Glut die Geschichte schmiedet. Die Geschichte berichtet ja im grossen und ganzen nur von äusseren und inneren Zwistigkeiten, die es auszutragen galt. Und so zeigt sich ein Rassegegensatz und seine Nöte als die Bedingung, unter welcher Persönlichkeiten auftreten; erstens geben die verwirrten Umstände, die un­aus­ge­glich­nen Bedürfnisse sich verändernder Lebensgestaltung den bedeutenden Männern die Gelegenheit, sich zu betätigen und durch ihre schöpferische Gewalt Ordnung und Ruhe in die Drangsal ihrer Volksgenossen zu bringen. Sodann aber ist der Rassegegensatz in Wahrheit der Quell, aus dem die Kraft der Persönlichkeiten steigt; er erzeugt gleich auch das Heilmittel seiner Krankheit, die Neuschöpfer seiner Zerstörungen.

Im Innern des Rassegegensatzes entstehen die Per­sön­lich­kei­ten, wie die Ge­schich­te, und so liesse sich sagen: die Ge­schich­te bringt im Leben der Persönlichkeit einen Rasse­ge­gen­satz zum Ausdruck; das gilt sowohl von der Eroberung, als ihren späteren Folgen.

Eine Eroberung findet ja nur statt, wenn ein Volk seine bisherigen Sitze ganz oder teilweise verlässt und nach neuem Lande sucht. Damit aber diese Wanderung beginne, muss ja die Heimat zu eng geworden sein; oft geschieht das nun durch äussere Ursachen, wie Naturkatastrophen oder auf der Flucht vor mächtigeren Feinden, und dann verläuft die ganze Be­weg­ung meistens sang und klanglos. So leicht nun aber äussere Ursachen zur Wanderung zwingen, so schwierig und langsam kommt es zu einer Wanderung aus inneren Gründen; schon die Gewohnheit lässt bis zum äussersten an der Heimat hängen. Die Spannung muss unerträglich geworden sein, die Volks­mas­se muss eine verhältnismässig hohe Dichte erreicht haben, ehe der Entschluss der Trennung nicht mehr aufzuschieben ist. Bei einem solchen Zustand steigert sich zwar die Rasse überhaupt, weil die durch die Anspannung der Not erworbenen Kräfte des Einzelnen durch enge Blutmischung der Gesamtheit zugute kommt, wenn der Umfang an sich gering ist; aber zugleich son­dern sich auch in bereits volkreicheren Rassen und wei­te­rem Gebiete bei der Vollausnutzung des bewohnten Landes schon rein räumlich Volksgruppen, Sippen und Stämme, es bilden sich innerhalb ihrer neue Lebensformen, es entstehen Neben­ras­sen, die fort und fort ineinander fluten, aber einander nicht länger durchdringen können. Erst dieser Umstand der innern, der blutsmässigen Trennung führt dann zur äusseren Tren­nung; das äussere Leben wird nun getrennten Weges verlaufen, weil das Lebensgefühl schon gesondert ist. Die im Herzen des Landes wohnenden Stämme, dort wo sich die älteste An­sied­lung befand, werden die umwohnenden Stämme, die späteren Siedlungen, immer weiter nach auswärts drängen, weil sie immerfort für den Nachwuchs neues Land brauchen; und da brechen dann die jüngeren Stämme auf, Samenkörner ihrer Rasse, die in das Ungewisse der Welt hinausfliegen. So ent­springt denn jede weittragende, von hochgestiegenen Rassen bewerkstelligte Eroberung einem inneren Rassen­ge­gen­satze.

Die Eroberung führt aber das Volk zu neuen Rasse­ge­gen­sät­zen mit den Ureinwohnern des eroberten Landes. Anfangs erhält sich der äussere Unterschied, solange noch der Drang der Eroberung nachwirkt, solange noch der ausgewanderte Stamm gewisse innere Blutsgegensätze von der Heimat her nachbehält, solange noch aus ihm Männer hervorgehen, die mit klarer Einsicht die Herrenrasse zusammenhalten und den äusseren Gegensatz zur Rasse der Unterworfenen nicht sich verwischen lassen. Wenn aber in Geschlechtern dieses Her­ren­lebens der Herrenstamm alle inneren Sonderungen rein auf­ge­sogen hat und sich reines Blut angezüchtet hat, dann werden auch keine grossen Männer mehr geboren und sind auch an­fangs nicht so nötig, da noch das politische Vermächtnis der früheren Lenker Geltung hat. Aber über kurz oder lang verliert sich denn doch das grosse Streben, wird die Richtung ver­ges­sen, die seine Männer dem Herrenvolke gewiesen haben, und aus der Herrschaft des Blutes wird eine Herrschaft des Be­sit­zes; die dann auch die Unterworfenen emporträgt. Nun tritt eine neue Blutmischung ein, der äussere Rassengegensatz wird in jeden einzelnen hineingetragen, wird zu einem neuen In­ne­ren: da treten dann wieder Männer, Persönlichkeiten auf.

Das Gesetz der Persönlichkeit

Die letzte Folge einer solchen Eroberung, wie sie das Tor aller Geschichte ist, ist also, dass ein Kind nur allzu leicht allzu verschiedene Eltern hat, dass bei seiner Er­zeug­ung gar zu strei­ten­de Grundmächte miteinander ringen. Wie bei jeder Er­zeug­ung setzt eine tätig-metaphysische Urmacht ein, welche die kämpfenden Grundmächte vereinigt und dauernd über sie herrscht: das ist die Innenmacht, die Persönlichkeit. Je näher die streitenden Grundmächte einander stehen, je unmittelbarer sie doch zusammenpassen, um so mehr kommen sie der eini­gen­den Innenmacht entgegen, um so weniger braucht ihnen diese so gar überlegen zu sein; umgekehrt stemmen sich die Grundmächte der Innenmacht, die sie bändigen und gestalten will, um so mehr entgegen, je weniger sie unmittelbar in­ei­nan­der zu greifen vermögen; und das ist bei Blutmischung der Fall.

Führt nun aber bei blutsverschiedener Erzeugung der Zufall der Weltenbahnen nur eine geringe Innenmacht herbei, so wird der Halbblutmensch sein Leben lang an dem inneren unausgeglichenen Gegensatze seiner Grundmächte zu tragen haben; seine Innenmacht wird nur selten die Herrschaft über die auseinanderklaffenden Triebe besitzen, jede seiner Em­pfin­dun­gen wird wider die andre stehen, jede Handlung einzig ihre eigensinnige Bahn verfolgen, unbekümmert um das Ganze wird jeder Teil sich betätigen, und innere Zerrissenheit, äussere Unfruchtbarkeit wird das Schicksal seines Lebens sein. Ohne inneren Halt wird er sich allem masslos hingeben, je nach seiner Anlage der Arbeit oder dem Genuss oder der Askese; er wird sich immer selbst fliehen müssen und doch nie dies Ziel erreichen.

Dazu kommen dann noch immer die Umstände und Zu­stän­de, welche im grossen die Blutmischung des einzelnen Menschen wiederholen, die Zersplitterung und Richtungs­lo­sig­keit des gesamten Lebens, die Einseitigkeit und Zügellosigkeit auf allen Gebieten; und der haltlose Mensch lässt sich dann willenlos von den Wirbeln des Stromes ersäufen, der die ganze Masse seiner Zeitgenossen treibt. Jedoch alle Wasser fliessen abwärts; und so ist es auch gerade in Zeiten, die zu Ende ge­hen, dass solche Zustände und Menschen an der Tages­ord­nung sind: so in der hellenistischen Zeit des alex­and­ri­ni­schen Reiches, so im weltherrlichen Rom, so in unsrer europäischen Gesittung.

Jedoch nicht nur solchen Halbblutmenschen gibt die Rassemischung das Dasein; es walten eben auch Mächte hö­he­rer Wucht, als sie dem Durchschnitt der Zustände gemäss sind. Und wo eine solche überlegene Ur-Innenmacht im Augenblicke der Befruchtung eingreift, da entsteht ein höherer Mensch.

Der höhere Mensch entspringt dem Zusammenwirken überlegenerer, wuchtigerer Mächte, als jeder Augenblick des Geschehens sie darbietet; selbständigere Grundmächte ver­schmel­zen hier und eine ausgreifendere Innenmacht hält sie zusammen; eine vollkommenere Einheitlichkeit offenbart sich in ihnen, als selbst im Dutzendmenschen von leidlich gleich­blü­ti­ger Erzeugung.

Die Persönlichkeit entsteht also aus Blutmischung, jedoch nur aus einer geglückten, nur aus einer solchen, wo sich ein neues einheitliches, ein neues reines Blut gebildet hat; nur wenn aus der Rassenverschmelzung eine neue Rasse her­vor­geht. In diesem Sinne ist jede Persönlichkeit eine neue Rasse, ein Rassekeim, dem es allerdings nicht gegeben ist, sich im grossen zu entfalten. Persönlichkeiten treten auf, wo aus Rassegegenätzen bei glücklicher Verschmelzung neue Rasse­keime entstehen.

Das ist das Gesetz der Persönlichkeit.

Persönlichkeiten sind also Anzeichen tiefliegender Rasse­kämpfe, und darum gibt es immer gleichzeitig mit den höheren Menschen so viele, die geringer als der Durchschnitt sind, neben den überwertigen die unterwertigen, neben den Genies die Idioten; neben den Übermenschen – denn der Nietz­sche­sche Übermensch ist auch nur solch ein Ideal ein­heit­li­cher Persönlichkeit – die Unter- und Unmenschen. Daher kommt es so oft, dass diese klaffenden Gegensätze innerhalb derselben Familie, auf Grund derselben Blutmischung entstehen: das eine Mal war die Verschmelzung eben unglücklich, das andre Mal glücklich; und für die Eltern ist es immer ein Zufall, was für ein Kind sie in die Welt setzen, wenn es auch wohl für die Persönlichkeit des Kindes ein Schicksal sein mag, gerade von diesen gegebenen Eltern Fleisch zu werden.

Je ähnlicher die Eltern einander von Blut und Natur sind, um so zuversichtlicher wird das Kind ihnen gleichen, guter Mittelschlag; je unähnlicher sie aber sind, je selbständiger sie nebeneinander stehen, um so schwieriger gestaltet sich das Los des Neuzugebärenden. Nur wenn ihre Naturen bei aller Eigen­art einander nicht grundsätzlich fliehen, sondern vielmehr fähig sind, einander aufs stärkste anzuziehen, dann wächst die Aussicht auf ein glückliches Ergebnis.

Und so wird das Unterpfand einer guten Erzeugung die Liebe der Eltern: denn die Liebe ist Wesensverschmelzung; und die Verschmelzung des Wesens der Eltern macht eine gleiche Möglichkeit für jene winzigen Teile ihrer Leiber wahr­scheinlich, aus deren Vereinigung das neue Gebilde her­vor­zu­gehen hat, das Kind; sind es diese Ei- und Samenzelle doch, welche die Eigenschaften der Eltern auf das Kind übertragen. Sie müssen also doch wohl an der allgemeinen Wesens­ge­stalt­ung den höchsten Anteil haben; sind die Eltern nun überhaupt eines einheitlichen Empfindens fähig, dann werden auch die Fruchtzellen zueinander passen, und die höchste Wesens­stei­ge­rung des Liebesgenusses wird auch in ihnen nachwirkend eine neue Welt schaffen, eine neue Menschenart, einen bedeu­ten­de­ren Menschen.

So wird die Liebe, die von Natur in erster Linie auf in­nigs­te Verschmelzung des äusseren und inneren Wesens geht – ohne sonstigen Zweck, hier auch ein Förderer der Fort­ent­wick­lung der Menschheit; nicht romantische Sentimentalität, son­dern tiefste Naturgesetzlichkeit macht also die Liebe zur Vor­be­ding­ung einer Ehe, die in ihren Kindern gute Früchte für sie selbst und das Gemeinleben haben soll. Es ist sicherlich kein Zufall, dass unter den bedeutenden Männern viele uneheliche Kinder gewesen sind, Kinder der Liebe, wie sie sich selbst nennen, trotzdem die Unehelichkeit, als soziale Brand­mar­kung, ein schwerer Ballast auf dem Lebenswege ist. Eben bei Verbindungen, die nicht durch Zwang, noch Gewohnheit, sondern durch das quellende Gefühl entstehen, ist die Liebe, die Wesens­ver­schmelzung das einzig Entscheidende; und mindestens tritt sie bei freier Liebeswahl mehr hervor, als, bei den regelrechten Ehen, die auch aus Nebengründen ge­schlos­sen werden und in denen der Liebesgenuss zur «ehelichen Pflicht» geworden ist.

Jedenfalls scheint eine bedeutende Persönlichkeit nur da erzeugt zu werden, wo hohe Wesens­unterschiede zu inniger Verschmelzung gelangen. Nicht dass diese Verschmelzung schon selbst die Kraft der Persönlichkeit ausmachte; nein, die Persönlichkeit entsteht, wie wesentlich jedes Gebilde, nur durch das Eingreifen einer von aussen kommenden hohen Macht, die von da ab zum eigentlichen Innern und Wesen wird, zur Innenmacht. Die Verschmelzung ist nur das äussere Anzeichen dieser sieghaften inneren Wucht und bereitet aus den entsprechend hohen Grundmächten den Boden der Ent­faltung für die Innenmacht, für die Taten der Persönlichkeit.

Die Zeiten der Persönlichkeiten

Die Persönlichkeit ist also ihrem inneren Gefüge nach die Offenbarung einer hohen Innenmacht, die Grundmächte von grosser Gegensätzlichkeit hat vereinigen können; und ge­schicht­lich sehen wir das Walten der Persönlichkeiten vorab in Zeiten, wo die Rassezersetzung Nöte schafft, deren Linderung dann eben grosse Männer braucht und findet. Die Rasse­zer­setz­ung ist aber im Grunde ja nur eine noch chaotische Rasse­bild­ung, die Verwandlung einer Hauptrasse durch Spaltung in Nebenrassen und dann die Blutmischung einander ferner oder näherstehender Rassen zu neuem Blutbestande.

Persönlichkeiten treten also auf, wo neue Rassebildungen im Gange sind – also auch wo die alten im Verschwinden sind – sie sind die Vorläufer neuer Lebensempfindung, erste An­zei­chen einer geglückten Neuschöpfung des Menschentums und dann wohl meistens auch die Bahnbrecher der neuen Lebens­ge­stalt­ung, die Präger neuer Lebenswerte, die Bildner neuer Lebensformen. Ist dann die Rassebildung weiter vor­ge­schrit­ten, hat der grosse Blutausgleich stattgefunden, dann tritt an die Stelle der einzelnen überragenden Persönlichkeiten der neue Mittelschlag, die neue Rasse, die dann wohl auch ihre Lebensempfindung in den Formen gestaltet, die ihr jene Vor­läu­fer gewiesen haben. Das Verschwinden der neu­schöp­fe­ri­schen Persönlichkeiten beweist, dass die Rasseverschmelzung vollzogen ist; dass nach der stürmischen Geburt nun der stille Alltag eingetreten ist; dass die Grundmächte sich völlig aus­ge­glichen haben und keine hohe Spannung mehr von hohen Innenmächten zu überbrücken ist; dass die neue Verbindung wirklich einheitlichen Gefüges ist, wie ein chemischer Stoff, der auch aus verschiedenen Grundstoffen verschmolz, auch unter Entbindung und Erübrigung innerer Kraft. Was die toten Körper bei ihrem einfacheren Gefüge als Licht und Wärme sofort ausstrahlen, das bleibt in den Lebewesen, gar bei der Entstehung neuer Rassekeime, als schöpferische Kraft der Persönlichkeit erhalten und entäussert sich langsam in ihren Taten.

Diese Persönlichkeit ausstrahlenden Rassevorgänge zeigen sich im Leben der Völker, geschichtlich, als Zeiten grossen Aufschwunges, aber eben auch grosser Nöte. Die Nöte stellen sich ein: wenn die einheitliche Lebensgestaltung mit ihren allen Bedürfnissen vorarbeitenden festen, erprobten Formen sich lockert, und zwar sich lockert, weil fremde Lebens­em­pfin­dun­gen ineinander fluten; wenn verschiedene Rassen kämpf­end ineinander aufgehen, oft nur aufzugehen suchen, ohne das Ziel und die Ruhe neuer Blutseinheit zu finden, ewig zu Spal­tung verdammt ewig inneren und äusseren Nöten über­ant­wortet, aber auch eine Persönlichkeit nach der andern gebä­rend, immer neu und immer vergeblich.

So sind wir Deutsche.

Im Herzen Europas liegt unser Land, ein Stelldichein aller Völker Europas, die von Nord oder Süd, Ost oder West kom­mend, hier ihre Schlachten geschlagen haben; und ebenso treffen hier die verschiedenen Rassen zusammen, von Osten die Slaven, von Westen die Kelten, von Norden die Germanen und von Süden kam wenigstens als Kulturform das Römertum. Gibt auch das Germanentum als Oberschicht der letzten zwei Jahrtausende den Ausschlag, so wirken doch die slavische Unterschicht im ganzen Osten, die keltische im Süden und Westen nach; so schon äusserlich der Abbröckelung und Ver­mischung ausgesetzt, kommt noch die weite Ausdehnung hinzu und das von Bergen und Flüssen vielgegliederte Land: alles Gründe, welche die Deutschen in unzählige Sonderungen auflösen, in die feindlichen Bruderstämme aller der deutschen Gaue. Aber diese Rasse – Zersetzung ist weniger richtig als – Gliederung hindert ja nicht, dass fort und fort ein geringer Blutsaustausch zwischen ihnen stattfinde, also immerzu Ehen zwischen Blutsverschiedenen, immer auszugleichende Ge­gen­sätze: und das ist der Boden, aus dem die Per­sön­lich­kei­ten spriessen, da ist’s, wo sie Fleisch werden können; zumal da die Geschichte dann noch die bunten Truppen der Römerlegionen, später Hunnen, Avaren, Ungarn, Slavenstämme, Juden, Fran­zo­sen, Spanier, Schweden, Russen nach Deutschland geführt hat, und gerade die wilde Soldateska in ihrer Liebe auf Raub lässt Samen und Blut zurück.

Kein Wunder, dass wir Deutsche, aus so vielen Rasse­kräf­ten zusammengesetzt, nie die grosse Einheitlichkeit haben finden können, die andre Nationen besitzen; dass gerade unter uns Deutschen starke, selbstbewusste, schöpferische Persön­lich­keiten neben allzu demütigen, liebe­die­ne­ri­schen Durch­schnitts­menschen stehen; dass bei den zahllosen Gegensätzen an Blut und Leben so grelle Widersprüche aufklaffen, wie Heuchelei und Trunksucht einerseits, Schöpferkraft und rück­sichts­loser Mut andrerseits; dass wir mit gleichem Rechte ein Volk von Lakaien wie das Volk der Dichter und Denker heissen; dass wir in grosser Not zu voller Kraft erwachen, aber im Alltag uns gehässig verzetteln. Der Deutsche weiss im Grossen gross zu sein, im Kleinen aber ach! so sehr klein.

So waren in vielem auch die Hellenen.

Der urwohnenden Pelasger Herr geworden, verteilten sie sich in zahllosen Stämmen über die Berggaue und Inseln von Hellas zu eignem Leben; aber immer walteten Beziehungen ob, Gastfreunde spannen enge Fäden hinüber und herüber, Blut mischte sich mit Blut, und Persönlichkeit auf Persönlichkeit erstand. Nur im dorischen Sparta ist die Persönlichkeit weni­ger hervorgetreten, weil sich die Herren strengstens ab­schlos­sen, zu reinstem Blute züchteten und ein kaum wieder er­reich­tes Gemeinleben der Einheitlichkeit darstellten. Zwar hatte anfangs eine gewisse Vermischung, wie in Messene, statt­ge­fun­den, aber da trat auch die Persönlichkeit Lykurgs auf, schuf den neuen reinen Staat und war auch fast die letzte Per­sön­lich­keit, bis nach einem halben Jahrtausend der eintretende Wan­del, die Vernachlässigung der alten Rassegebote wieder in Agis und Kleomenes die letzten Männer Spartas weckte. Um­ge­kehrt sind auf den Inseln und vor allem in Attika immerzu Misch­hei­ra­ten zwischen den Hellenenstämmen und wohl auch Klein­asia­ten vorgekommen, von ihnen stammen auch die meisten der glänzenden hellenischen Persönlichkeiten her. Besonders als in Attika die Adelsherrschaft der Ionier von den achai­ischen Bauern gestürzt worden war, als die Demokratie siegte und die Blutmischung einsetzte, als die neue Rasse der Athener im Werden war, da begann jenes wunderbare Jahrhundert, das mit den Perserkriegen begann und mit dem Fall Athens schloss; da war auch die Rassemischung vollzogen, die Per­sön­lich­keiten werden seltener und fehlen dem Vaterlande, als Makedonien darüber herfiel.

Italien, mit Ausnahme Misch-Roms, ist an Per­sön­lich­kei­ten arm, solange die ersten zwei Jahrtausende laufen; erst als nach dem Sturze der Hohenstaufenkaiser die germanischen Völkerschaften zu wirklichem Zusammenleben mit den roma­ni­sier­ten Keltoetruskern Nord- und Mittelitaliens gezwungen werden, als sie aus den Landburgen in die siegreichen Städte einzuwandern begannen und hier in den engen Gassen sich mit den Alt-Einwohnern zu vermischen hatten, da ersteht eine Persönlichkeit nach der andern, da beginnt die Zeit der Re­nais­san­ce, die nur halb eine Wiedererweckung der alten Kunst ist, vielmehr jedoch der Werdevorgang eines neuen Men­schen­schla­ges, eben der Italiener. Drei Jahrhunderte etwa, von der Mitte des dreizehnten bis zur Mitte des sechzehnten Jahr­hun­derts dauert diese schier unerschöpfliche Fülle von Persön­lich­kei­ten auf allen Gebieten menschlicher Betätigung, Staats­män­ner, Heerführer, Dichter, Maler, Bildhauer, Musiker; dann verebbt die Flut, weil das innere Italien eben vollendet war, weil die Gegensätze sich ausgeglichen hatten; weil es den hohen Innenmächten nun mehr an der Gelegenheit fehlte, ein­zu­grei­fen und sich zu verkörpern.

So redet denn das Zeugnis der Geschichte laut davon, dass jene höchste Verkörperung des Menschentums, die schöp­fe­ri­sche, selbstherrliche Persönlichkeit da auftritt, wo neues Men­schentum im Werden ist, wo ein Zeitalter, eine Lebens­empfin­dung, eine Rasse zu Ende geht und ein neuer Weltentag be­gin­nen will.

 

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