Zukunft der Natur, Teil IV
Die Struktur des Lebens
Die Verwirrungen der Politik, die Entartungen der Volkstümer, die Missstände der Persönlichkeiten sind eine Folge des Unterfangens, eine Lebensfrage auf mechanische Weise zu lösen.
Die Mängel der Wirrwelt – Stoffwechsel, Nahrungssuche, blutiger Wettbewerb; dazu Naturkatastrophen und Seuchen – wurden noch gesteigert, weil vor den kurzfristigen Nöten jedes Tages der Sinn des Lebens übersehn wurde, in den Einzelnen und in den Völkern. Und diese natürliche Kurzsichtigkeit wurde dann die Handbabe, diesen engen Gesichtswinkel zu einem Weltbild zu verklügeln.
Wohlergehen und langes Leben!
Diejenige Deutung der Welt, die das versprach, wurde bevorzugt, ob auch mit Furcht und Zittern von den Einen – von Andern mit dem Instinkte werdender Macht, erlangbar durch zu erwerbende Unentbehrlichkeit für fremde Bedürfnisse.
Und so wurde, teils in Unkenntnis des eignen Lebens, teils in kühler Überlegung, diese erdgebundene Deutung zu hoher Vorschrift und Zwang – und liess doch vielerlei Auslegungen ärgstens wider einander streiten! Was ist nicht an Geistes- und Willenskraft dabei vergeudet worden, dem aufbauenden Leben der Völker zum Raub! – Nutzniessern der gegenseitigen Verfeindung zu steigendem Vorteil …
Denn jede beanspruchte Alleingeltung und uneingeschränkte Macht und endete in pomphafter Ohnmacht inmitten allgemeinen Misstrauens und Hasses. Nur wer, wirklich erdhaft geblieben, die Geisteskämpfe als Fechtübungen und Werkzeug betrachtete und, unter sich einig, die unfruchtbaren Ruhmestaten der Andern für die eigne Macht auswertete, erhielt und behielt diese, bis zu dämonischem Grade.
Und so ward es immer und immer wieder: Wirrwelt; ward wiederum das erdverhaftete Tiertum mit den Mitteln des Menschentums.
Und das Leben ward um seinen Zielsinn gebracht: unterbrochen, zerbrochen.
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Was ist Leben?
… in der betonten Bedeutung: mehr als das Dasein etwa eines Gesteins oder eines Wassertropfens oder einer Maschine.
Antworte ich darauf: sinnvolles Dasein – so stimmt das, aber sagt noch nichts über die Wege zur Sinnverwirklichung und Wertgewinnung. Und so bliebe die Frage ungelöst, bliebe mit tönenden Silben abgespeist, die Worte vortäuschen, wie jeder Marktschreier sie vorbringen kann.
Die fruchtbare Antwort muss von den Erscheinungen selbst abgelesen werden und muss – so hoch ihr letztes Wort langen soll – für die kleinsten Lebewesen so gelten, wie für den Menschen und sein Schaffen, für ein Volk und seine Geschichte. Denn das Leben als Ganzes ist etwas unendlichfältig Einmaliges und Einziges auf der Riesenmasse des Leblosen.
Es geht, bei der Erspürung der Antwort, zunächst um die alltäglichen Vorgänge auf unsrem Erdball, nicht um Metaphysik. Aber das Metaphysische oder Metamechanische bleibt die Kraftachse des Lebens selber und ist auch in der Politik wirksam, namentlich in einer biologischen. In einer sozusagen unmetaphysischen Welt der bloss greifbaren und errechenbaren Dinge gäbe es überhaupt kein Leben – und in einer unmetaphysisch-sein-wollenden gäbe es statt der Menschen nur noch Waren, Warenumsatz, Warenknechte.
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Das Leben besteht ja nicht «an sich» – es vollzieht sich nicht als bares eindeutiges Geschehen, als Betrieb im luftleeren Raume. Es ist wirklich nur in den Wesen, die es erleben. Die Wesen, die unendlich-zähligen Einzelwesen sind es, die das Leben tragen, darstellen und verwirklichen – die Eigenwesen in ihrer unaufrechenbaren Mannigfaltigkeit und gestaffelten Ungleichheit tun es aus innerstem Drange.
Aber das Einzel- und Eigenwesen lebt auch nicht in einem wesenleeren Raume an sich: die Andern sind da, an denen es gar nicht vorbeirasen kann, so schlechthin und gleichgültig und austauschlos. Die Andern sind Gelegenheit, Anlass, Boden und Stoff, daran der Einzelne und Eigne zu seiner Verwirklichung gelangt, und damit zum Leben.
Im Andern, im Du erfüllt sich das Ich und entsteht das Wir – die Welt.
Denken wir uns mal jedes Hinüber- und Herübergreifen der Kräfte zwischen den Wesen weg! Was bliebe von unsrem grossen wirren Weltall der Gestirne und Erden, der Massen und Gestalten übrig ? – Ein zerfallender Staub von Punkten, ein unendlich-faltiges Nichts an Kraftlosigkeiten.
Alle Kraft ist: Wirkung im Andern. Das, was die Wesen einander suchen lässt, ist – in allem Irr- und Wirrtum doch der schöpferische Lebensquell der Welt.
Eros.
Ohne ihn kein Leben, keine Gestaltung, keine Gemeinschaft, keine Liebe, keine Freundschaft, keine Volksschaft. Seiner bedient sich der gestaltende und ordnende Höchste Geist, wenn Er die Eigenwesen aus der Wirrwelt der Selbstsüchte lösen will, aus den Ur-Einsamkeiten emporheben.
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Das Weltall ist kein Würfel- oder Murmelkasten. Die letzten, punkthaften Dinge und Mächte sind überall in besonderer Lagerung und eigener Anordnung, die in den «Abständen» die metaphysische Freiheit darstellen, in der «Gestaltung» aber die Gemeinschaft dartun. Unendlichfältig in örtlichen «Gefügen» und «Klangfiguren» sind sie da – vom winzigen Planetarium eines Atoms an, über den feinen innersten Bau eines Kristalls und den gigantischen Zusammenhang von Milchstrassen, bis zu den Zellen, Lebewesen, Volkstümern.
Überall ist das äusserlich Grosse aus Individuellem zusammengeschlossen, das sich der Messung entzieht – und überall schliesst sich Individuelles zu Gemeinschaft zusammen. Aktiden, Tatmächte – räumlich beurteilt: Strahl- und Quellpunkte ausserhalb des Raums – sind die letzten, innersten Faktoren auch der Elektronen. Aktide und Elektron, Elektron und Atom, Atom und Molekül, Molekül und Kristall oder Zelle, Zelle und Leib, Persönlichkeit und Volk: sie sind nichts ohne einander.
So ist überall «Bau», «Gefüge», «Struktur» – aber ihr Sinn ergibt sich aus dem, was wir am Lebewesen sich abspielen sehen: erst das Leben gibt dem Leblosen den Sinn, und erst das voll erfüllte Leben gibt dem beginnenden den Sinn, das Menschentum dem Tiertum, dem Menschentum das geistige ordnende Genie.
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Also nochmals:
was ist Leben?
Vorsichtiger gefragt: wo ist Leben?
Leben ist da, wo …
1. … wo und soweit ein Ding von sich aus seine innere wie äussere Lage verändern kann — Veränderungen von aussen her jedoch über sich nicht unbedingt ergehen.
Zwar: ein Erdbeben, ein Bergsturz, eine Wasserflut, eine Feuersbrunst, eine Bombe, ein Faustschlag und dergleichen mechanische Vorgänge können mit ihrer Übergewalt auch ein lebendes Wesen zwingen und als eigne Macht ausschalten, können es zertrümmern, ohne dass es, von sich aus, daran beteiligt wäre. Im gewöhnlichen Verlauf der Vorgänge jedoch wird zwar ein toter Fisch, ein abgebrochener Ast vom Wasserstrom mitgetragen – der lebende Fisch aber wird im stillen Teich sich nach Belieben bewegen und wird gegen den Strom schwimmen können; die lebende Pflanze wird ihre Blattstellung von sich aus regeln, wird sich mit ihren vortastenden Wurzeln an den Boden festklammern und der Strömung widerstehn. Staub wird vom Winde weggetragen – der lebende Vogel steigt aber gegen den Wind, wie gegen die Schwere. Der Leichnam liegt still im Grabe — der Lebendbegrabne wird sich aufbäumen, um hinauszukommen.
«Etwas» in all diesen Dingen – Fisch, Pflanze, Vogel, Mensch – wirkt also gegen die vorherrschende äussere Kraft. Und dieses Etwas ist das wesenhaft Entscheidende, ist das Mitbestimmende – sogar wenn es doch unterliegt. Dass überhaupt Widerstand, also ein «Anderssein» einsetzte, bezeugt eine innere Gegenkraft gegen die äussere Übermacht: und das ist Leben.
So «lebt» eben ein Mensch, lebt ein Volk in dem Widerstand gegen die Vergewaltigung – Feige sind wie tot.
Leben ist Selbsttätigkeit.
2. Leben ist mithin da, wo ein Ding sich regt, in unmittelbarem Drange oder durch äussere Einwirkung: hin zu Andrem oder weg vom Andren, in Zustreben oder Widerstreben, das zu Ausweichen und Flucht, aber auch zu Angriffs-Verteidigung werden kann.
Die Pflanze wendet sich dem Lichte oder dem Wasser oder bestimmten Stoffen zu oder von ihnen ab; zwar auch ein Eisenteil bewegt sich zum Magneten, bewegliche elektrische Leiter stellen sich auf elektrische Ströme ein, gleichnamige elektromagnetische Pole stossen sich ab; aber das geschieht sozusagen «zeitlos» – Pflanzen aber «verarbeiten» erst die Einwirkung, und die Anpassung beansprucht Zeit, also inneres Reifen. Nachttiere ziehen sich zurück, wenn Licht sie trifft; die Schnecke, wenn sie Berührung wittert; Ratten verlassen Räume vor dem Erdbeben.
Äussere Kraft wird also vom Lebewesen «als Reiz» verwertet, je nachdem, wie es dem einzelnen Wesen förderlich oder schädlich «erscheint», d. h. in seinem Innern schon teilwirksam wird. Zwar auch ein Mineral leistet der Wärme oder Elektrizität oder dem Lichte Widerstand, oder vielmehr: Einbusse der Kraft tritt ein, durch äusserliche Sperre des Durchganges: mehr nicht – und doch liesse sich wie ein Nachhall lebendigen Verhaltens darin erkennen.
Eigenbestimmte Gegentätigkeit ist das Wesen der Reizwirkung: das Minderlebendige wird den Zeitpunkt solcher Gegentätigkeit verpassen. Auch im Völkerleben. Bereitschaft, sich zu verteidigen, um sich zu behaupten, gehört somit vorab zum Leben. Leben ist Selbstbehauptung, inmitten der Andern.
3. Leben ist da, wo ein Wesen die Einflüsse und Bestände der Umwelt eigen bestimmt verwertet, sie sich eineignet und einverleibt.
Zwar Wasser nimmt ebenfalls lösbare Stoffe in sich auf; feste werden in Sand und Lehm gebettet, wie sie sind – die Pflanze aber entnimmt der Kohlensäure der Luft bloss den ihr erwünschten Kohlenstoff und scheidet den ihr überflüssigen Sauerstoff aus. Das Tier verschlingt seine Nahrung, nimmt in sich als Wesensteile aber bloss das ihm Brauchbare auf, scheidet ihm Unverwendbares als Unrat aus.
Sie beziehen das Auswärtige in sich ein, ihrem Inwärtigen zur Mehrung, nach der Auswahl ihrer Eigenart.
So wachsen auch Gruppen an: durch Aufnahme zustimmender, erprüfter Mitglieder; wachsen Staaten, wenn sie die Lebenskraft werbender Aneignung und Eineignung besitzen. Un-«Verdaubares», Un-Anpassbares aber stört die innere Lebenseinheit, muss «ausgegliedert» werden.
Leben ist Wählen.
4. Leben ist da, wo Eigenbewegliches, von einer wählenden Wesensmacht überwaltend geführt und gefügt, sich fortgestaltet, ohne seine Eigenform und Eigenschaft einzubüssen.
Zwar auch ein Kristall «wächst» (scheinbar) in seiner verdunstenden Mutterlauge – eine Eisblume an der erstarrenden Glasscheibe; Eisenfeilspäne «bemoosen» einen Magneten.
Die pflanzliche und die tierische Zelle aber wächst wirklich: kraft der Obmacht im Zellkern, der aus der Umwelt der Stoff- und Kraftmengen in sich zieht und sie dem regsamen Zellgefüge einordnet; er führt die Eigenbewegungen und Eigenbestände der Nahrungszufuhr in die übergeordnete Gestaltung über, in den Betrieb seines Lebensraumes.
So! bilden sich aus Einzelnen auch «Körperschaften» durch Führerpersönlichkeiten; sie bilden sich zurück und zerfallen, wenn diese versagen – wie Zellen verfallen und verwesen, wenn der Zellkern zugrunde ging.
Leben ist Eigen-Wachstum.
5. Leben ist da, wo der innere Zusammenhalt der Gliedteile, von der zentralen Obmacht «gesteuert», vielfältige Lagerungen, Umlagerungen, Anordnungen ermöglicht, ohne zu zerfallen.
In einem Mineral ist jedes Teilchen mit den andern gleichgeordnet, hängt aber in seinem Zustand nicht von den nachbarlichen ab, sondern von den, alle umgebenden Zuständen der Umwelt.
In einer Pflanze, in einem Tier entstehen aus dem einen Keim-Eiweiss lauter verschiedene, doch unmittelbar zusammenwirkende «Gewebe»: Faserstoff, Zellflüssigkeit, Fruchtfleisch, Haut und Kern – Nerven-, Muskel-, Bindefaser, Blutzellen mehrfacher Art, Drüsen, Knochen. Keines ohne das andre.
Oder es tritt Formenfolge einunddesselben Wesens ein: Falter-ei, Raupe, Puppe, Falter entfalten sich aus einander; und so: Samenkorn, Keimblätter, Schoss, Blüte, Frucht und wieder Samen.
Oder es ergibt sich Doppelformung, wie im Geschlechtergegensatz, der die Keimgemeinschaft auf verschieden Einzelne – als wären es autonome Glieder eines Ganzen – verteilt, kommenden Einzelwesen zur Werdung.
Und so verteilen sich die Aufgaben einer menschlichen Gemeinschaft auf ihre Glieder, die einander berufsständisch bedingen: soziale Biologie.
6. Leben ist da, wo die Wesens-«Obmacht» die tätigen Untermächte des Gefüges selbständig innerhalb der Gemeinschaft walten lässt: gliedhafte Viel-Einigkeit ist Leben.
Bei dem allseitig gleichartigen Wachstum einer Zelle können die Untermächte gleichzeitig in Tätigkeit sein – sie können einander aber auch ablösen: ein Stengel schiesst auf, dann bildet sich ein Gelenk oder eine Gabelung, jeweils in Blätter oder Blüten ausmündend; und diese übergeben dem werdenden Keim wieder alles vereint.
Im Gemeinleben geschieht das bei der Bildung von Siedlungen, Kolonien, Unter- und Ortsgruppen, die doch das Gemeinsame bewahren.
7. Leben ist da, wo die Oberordnung, unmittelbar bestimmend, sich in den Untergebilden so verwirklicht, dass diese ihre Teil- und Sonderordnung neuem Zuwachs auferlegen können, um ihn so der Gesamtordnung einzufügen – derart, die erworbenen Neubestände das empfangene Gefüge zu eigen übernehmen, wie «ererbt», und es sogar bei Abspaltung bewahren und weitergeben: an neue Einzelmächte.
Die Keimzelle löst sich aus dem Gesamtbestande des Gesamtgefüges als selbständig; aber unverloren bleibt dem Lebensstoffe der auferlegte innere Gefügebau; und so der Ablauf mit seinen möglichen Entfaltungen in Wachstum, Gliederung, Eigenschaften und Leistungen, die die Vorgeschlechter wiederholen. Leben ist auferlegtes Erbtum in persönlicher Verwirklichung.
8. Leben ist mithin da, wo die Vor-Ordnung neuen Obmächten als wahrender Erbauftrag übermittelt wird: diese «verkörpern» sich richtunggebend und waltend in den abgespaltenen Erbzellen, die ohne die Obmächte sich zersetzen, zerfallen müssten. Durch Obmächte wird die «Art» in Vervielfältigung bewahrt; ohne sie gäbe es keine «Fortpflanzung» und, infolge des Einzelsterbens, dann das Erlöschen der Art überhaupt. Mit dem letzten Exemplar einer selten gewordenen Pflanzen- oder Tierart, verschwindet ihr Metaphysisches ins Unwirkliche.
Die Erblichkeit wird wirklich erst in neuen Wesen, die zu eigener Selbstgestaltung sich der vorgewordnen und vorgefundenen Gefügeformen bemächtigen, die der blosse «Stoff» nicht bewahren könnte. Sie werden dadurch aber selber an die betreffende Gefügeform und deren stofflichen Bestand gebunden – zugleich mit zahllosen andren «Artgenossen». Wachstum-Sprossung-Neugeburt.
Blosse «Zellteilung» würde die abgespalteten Teile dem Zerfallen überantworten: nur wenn in den «Ab-Teil» eine tätige «Obmacht» tritt, wird der «ausgesetzte» Ab-Teil zu einer Neu-Zelle und einer Ganzheit. Auf jedes lebende Gebilde, dessen Zellen sich fort und fort teilen, strahlen Tatmächte ein, die ihre Verwirklichung suchen. Leben ist Beseelung des Zuwachsenden.
Doch es gibt auch die Entstehung neuer Arten und Lebensgruppen, wenn besonders überlegene Obmachtwesen dem «Zufall» ( ?) eine neue Lagerung des Lebensgefüges abgewinnen und sie zur Dauerform erheben.
Das ist dann Schöpfung. Leben ist Eigenschöpfung im gesteigerten Erbe.
All das ist sehr selbstverständlich – sollte es sein! Aber es wird so oft mit grossen Worten, die über die Tatsachen sentimental hinwegschellen, vom «Leben» gesprochen und seinem absoluten Wert – oder auch Unwert! Da hielt ich es für nötig, diesen nüchternen Bericht von Vorgängen schrittweise aufzustellen. Ein standfester Bau hat auf hartem, unansehnlichem Gestein einen besseren Ort, als auf dem Seerosenteppich eines Morasts.
So ist also Leben: die Wirksamkeit zielhaft tätiger Wesen, die mittels eines vorgewordnen Tatgefüges (stofflichen Gepräges) Richtungslosere zu gemeinsamem Vorgehen ordnen; der gemeinsame Wirkungsraum ergibt die Gestalt, die gegeneinander abgewogenen Einwirkungen ergeben die Eigenschaften,
die Reihe der Auswirkungen innerhalb der Umwelt ergibt den Daseinsablauf – Lebenslauf des Einzelnen, Geschichte einer Artgenossenschaft.
Weil aber die Wesen so unendlich-fältig verschieden, so ungleich unter einander – bei gleichsinnigem Ziele – sind, prallt Wesen gegen Wesen, Strebung gegen Strebung, Art gegen Art, Volk gegen Volk: unerbittlich, gewaltsam, grausam, immer zur Selbstbehauptung wider den Zerfall, auf Kosten Andrer.
Und das ist eben die Wirrwelt der Eigenwesen.
Und doch zielt jedes Wesens Streben dahin, mit den Andern zu wirken, Gemeinschaft zu werden – ist dennoch die irrende Suche nach unendlichfältigem Einklang die innere Linie und Sinn des ganzen Weltverlaufes.
* * *
So beruht denn das Leben auf dieser Dreiheit:
eines gestaltenden Wesens,
eines eigen-bestimmten Ordnungsgefüges aus Erbschaft,
und einer Menge noch wirrer Einzelmächte, die das sichtbare Gebilde nach Artgepräge ergeben werden.
Ohne diese Einzeldinge, Einzelwesen als Roh- und Baustoff kann in der Welt des Stoffes das Eigenwesen nicht sichtbar werden, noch bleiben. Ohne das ordnende Gefüge aber – aus altem Geschehen und Erbe, also ohne Art und Geblüt – kann das Eigenwesen die wirren Stoffe und Mächte gar nicht bändigen, ordnen und prägen. Oder es müsste immer wieder bei den Vorahnen der einzelligen Amöbe beginnen. Aber die Lebensläufe speichern eben Werte für den Stufengang der Später lebenden auf, und nur so gibt es «Fortschritt» in der Formen-Stufenreihe des Lebens.
Wiederum bliebe aber ohne das obwaltende Oberhaupt, ohne ein innerstes Eigenwesen das Ordnungsgefüge – Art und Rasse – unwirklich, eine blosse Idee, eine metaphysische Möglichkeit; blieben die minderen Einzelmächte richtungslos und zusammenhanglos, ein rohes Gewirre. Erst die Obmacht ist es, die sie nach ererbter, eigenerwählter Ordnung gestaltet.
Diese drei ergeben das Gefüge des Lebens in den einzelnen tatsächlichen Lebensgebilden. Diese Dreiheit der Wirkung gilt für die einfachste Lebenszelle aus Atomen und Elektronen, gilt für den entfalteten Leib aus einzelnen Zellen, gilt für eine Volksschaft aus persönlichen Menschen.
Die Vernachlässigung auch nur einer der Drei führt zu Störung und Zerstörung des Lebens. Kommt der stoffliche Bestand zu kurz, so hungert die Zelle, so verhungert der Leib, so stirbt das Volk aus. Wird das Geblüt in der reinen Eigenheit missachtet, so entartet es, sich selbst entfremdet – bei Zellen tritt das durch Vergiftung der Nahrung ein; bei Personen durch Unterdrückung der ihnen eignen Lebensverrichtungen, wie namentlich im Liebesleben; bei Völkern durch ungeeignete Rassenkreuzung, die zu Instinktverwirrung führt, alles öffentliche Handeln entgeistend.
Wird endlich das zentrale Wesen ausgeschaltet, so erstirbt der eigentliche Lebenswille: in der Zelle mit dem Tode des Zellkerns; in dem Menschen mit der Entrechtung der Persönlichkeit, als dem seelisch-Innerlichen; in einer Volksschaft mit dem Fehlen geistiger Führerschaft des Willens.
Das Dasein solch «entseelten» Gebildes – Zelle, Leib, Volk – wird überflüssig.
Wird die – der menschlichen Seele als «kosmische Funktion» entsprechende – Obmacht der Volksschaft abgetan, so verfällt das Volk dem Niedergang zu minderer Lebensstufe: diese Obmacht ist nicht diese oder jene, zur Zeit führende Persönlichkeit, sondern ein «Metaphysikum», das dem artgeprägten Volkstum als Wesensgrund innewohnt und das in primitiver Sprache des Gefühls als «Nationalgott» verehrt wurde. Er kann mit der geschichtlichen Entwicklung wohl den Namen ändern, aber Er und das Volkstum gehören zueinander; und es ist schon etwas Wahres in dem Wort von Gustave Le Bon: ein Volk überlebt nicht den Tod seines Gottes.
Und so wird die Menschheit ins Tiertum zurückgedrängt, wenn das Höchste Zentrum und Oberhaupt – Gott der Lebensordner und Seelenführer, dessen blosse Stellvertreter die irdischen Oberhäupter zu sein haben – in seiner wahren Einwirkung behindert wird, indem man ihn als blossen, wenn auch omnipotenten Machtfaktor materialisiert, mechanisiert oder gar entpersönlicht; und damit fällt dann auch die Seele hin, zu blosser Gehirnfunktion oder noch weniger entwertet.
Die zerstörende Wirkung geht da hin und her, von der Abstumpfung der Seele zum Unglauben und vom Unglauben zur Veräusserlichung und Überreizung der Seele, bis sie dem blossen Geschäft und Genuss verfällt. Der Unglaube, im tieferen Sinne, kann aber immer noch fanatisch dogmatisch und rituell sein: seine Gottheit ist ein Ungott über Unseelen herrschen-wollend. Und so wird es auch ein Unvolk zahlloser «Kreaturen» und Sozial-Atome.
Die Neigung zur Mechanisierung Gottes und der Seele durch Vorschriften und Bevormundung ist bei der Mechanik des wirtschaftlich-staatlichen Lebens sehr gross. Um so nachdrücklicher müssen die drei Wesenspunkte betont werden, soll es zu einer Genesung des persönlichen und Volkslebens kommen.
Ich habe sie ja wie ein unbeteiligter Beobachter nüchtern hingestellt. Und sprach nicht von der Seite des inneren Erlebens, das wir auf die Dinge übertragen möchten, die wir auf «Leben» prüfen. Ich sprach von Mächten und Kräften, aber ich sprach vom Geiste nicht, nicht von Gefühlen.
Aber wie bestätigt sich nicht die Hauptsache, die Wirklichkeit innerer Obmächte, sobald wir aus eigenem Erleben die unendlichfältigen Stimmen unendlich eigener Strebungen um uns begreifen! Da erfahren wir, wiedererkennend: dass «Leben» die zielvolle Selbstgestaltung eines Wesens ist – die Eigenwesen sind, wie Elisarions Klare Kunde sie erkannte und nannte. Und ihre Gesamtheit irrenden Wirkens ergibt die leidende Wirrwelt aus- und zueinander Strebender, an-einander Geratender, wider-einander Ringender, Verkrampfter, Zersprengter, Suchender – die alle um Einklang un-verlorner Selbstheiten kämpfen. Dumpf oder ahnend oder gar bewusst streben und leben sie im Dienste eines höchsten ordnenden Geistes als des Oberhauptes und Lebensherren aller Seelen in ihrer selbstgesetzten Existenz, deren «Urheber» er nicht, aber deren Helfer und Führer er ist.
Not und Zweifel, Angst und Hass, Sehnsucht und Liebe, Hoffnung und Mut – sie sind alle unmittelbare Urkunden des seelisch-persönlichen Lebensgrundes und Lebenszieles, wo immer sich, auf tiefster oder höherer Stufe, ein Wesen regt, ein Wille waltet, in unendlichzähligen Dramen der Wirklichkeit.
Ist es eine Vermessenheit, das Eigne und Innere auch den Andern anzudichten? Seele, Wille, Gefühl, Ziele. Aber die Anmassung wäre noch grösser, nur sich selbst eine innere Welt inmitten toter Larven zuzusprechen!
Nun denn, ihr mich umwandelnden Traumgestalten, die ich für andre Iche halte, in Nein oder Ja – ich stelle den Lebensplan vor euch hin, den ich tausendmillionenstimmig rundum höre und durch die Klare Kunde begreifen lernte: das Ich, das ein Du sucht und ein Wir werden will, aus geheimnisvollem Erbe und Schicksal – in neuen Aufgaben neuen Zielen zu – über die Wirrwelt hinaus – hin zu der Klarwelt Gottes.
Volk und Persönlichkeit
Inhaltsverzeichnis
IWorum geht es?
(als Schlusskapitel)
III Seelische Lebensstufen
IV Vormenschliches
V Das Metaphysikum Mensch
VI Die Lebenszellen des Volkskörpers
VII Lebensstufen des Weltbildes
VIII Völkische Erkrankungen
IX Wiederaufstieg?
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