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Zukunft der Natur, Teil II

Klaristische Vorfragen

Willen und Glauben

Die Klare Kunde, die grundlegend neu in das Dasein schauen lehrt, stellt auch die Wissenschaft gänzlich auf neue Bahnen.

Freilich behauptet die Wissenschaft allezeit: die einzig mögliche Bahn sei die ihre, sei die Bahn der Wahrheit, und gar kein Nebenblick trübe ihr forschendes Auge; sie sei voraus­set­zungs­los, also vorurteilslos, urteile nur nach den Tatsachen; jede «neue» Bahn bedeute nur eine Aufdrängung von Zielen in wissenschaftswidriger, wahrheitswidriger Weise. Die Wissen­schaft sei weder theistisch, noch atheistisch, nicht dualistisch, noch monistisch, nicht intellektualistisch und nicht ma­te­ria­lis­tisch — sie sei einzig und völlig Wissenschaft; also sei kla­ris­ti­sche Wissenschaft schon eine Wahrheitsminderung.

Freilich bedeutet diese Ablehnung jeder neuen Geis­tes­rich­tung die allerwertvollste Mahnung der Wissenschaft an sich selbst, der mahnende Rat, gegen neue Erkenntnisse keine vorgefassten Meinungen vorzubringen.

Tatsächlich aber hat die Wissenschaft mehr als einmal auf jedem Einzelgebiete und auch im Ganzen den For­schungs­stand­punkt verändert und ganze emsig errechnete Kennt­nis­rei­hen schliesslich verworfen (als Beispiel stehe die so verwickelte Bahnberechnung der Himmelskörper im vorkopernikanischen Weltgebäude); eben weil plötzlich oder allmählich nicht länger haltbar erschien, was ehedem Voraussetzung war und endlich zum Vorurteil, ja zum Irrtum geworden war. Das geschieht nicht bloss durch Entdeckung neuer Tatsachen, sondern auch durch neue Wertung, Verknüpfung, Beleuchtung allbekannter Tatsachen. Solche Wertung quillt aber tief aus den Wil­lens­wur­zeln des Geistes, je nach weiten Gemeinzusammenhängen und Zeitbedingungen, die den Dienern der Wissenschaft immer diese oder jene Richtung des Grundempfindens bestimmt, und sie damit von echter Verwertung zahlreicher Tatsachen aus­schliesst.

Ja: die vollkommne Vorurteilslosigkeit, die die Wis­sen­schaft vorgibt, ist selbst ein zünftiges Vorurteil, ist Vor­aus­set­zung und Schiebung, eine um so schlimmere, als sie dadurch die tiefste Prüfung der Kenntnisse und Erkenntnis verhindert.

Die Wissenschaft – gleichsam als pseudoklassische Gott­heit – mag freilich voraussetzungslos genannt werden, doch ihre Priester, die Wissenschaftler, die Forscher können es, da sie Menschen sind, keineswegs sein; nicht nur die For­schungs­gren­ze des Einzelnen, je nach Anlage, Zeit und Hilfsmitteln, ist ein Hindernis, auch die innere Beteiligung wägt und wertet die Tatsachen gar verschieden. Die Zusammenarbeit verschiedner Forscher beseitigt wohl die kleinen Grenz- und Rechenfehler, aber durchaus nicht die Tatsache ihrer sondereignen («indi­vi­duel­len») Voraussetzungen, die durch Gemeinsamkeit wenig berichtigt und nur auf ein Mittelmass festgelegt werden. Völki­sche, rassische, zünftige, Klassen-, Kasten-, Berufs-, Ge­sit­tungs- und Glaubensvorurteile umfassen, binden und verketten ja grade viele Einzelgeister in starrer Gemeinsamkeit — so auch die Forscher. Gemeinsames Vorurteil ist vielfaches Vorurteil.

Die wissenschaftswidrige Kerngefahr des irrigen An­spruchs – es fehle jede Voraussetzung – ist ja gerade darin enthalten, dass die Erkenntnis des Eigenforschens und der Eigenwerte zur möglichen Übereinstimmung der Sam­mel­for­schung und deren Wahrheitswertung gestellt wird – und so das widerpersönliche Vorurteil siegt: das Einzelwesen in seinem Streben und Wirken sei wertlos, unecht und gefährlich – die Allgemeinheit allein entscheide.

Der Anspruch der Wissenschaft, kraft des jahrtau­sen­de­alten Forschungsgefüges vor Irrtum geschützt zu sein und jedem möglichen Irrtum schon dadurch vorzubeugen, dass eben die allgemeine Prüfung unerbittlicher Massstab sei – dieser Anspruch erledigt, als Richter in eigener Sache die Vorfrage aller Erkenntnis: wie sich überhaupt Erkenntnisse bilden und welchen Zweck die Erkenntnis habe.

Die stille Umgehung dieser Grundfrage, namens wider­per­sön­licher Massenwürde, hat schwer die Wissenschaft nieder­ge­hal­ten. Freilich liess sich der einzelne Forscher niemals vom eigenen Suchen abhalten, dennoch geschah es immer mit stiller Vorher-Unterwerfung, die aber in Wirklichkeit doch nur Schein blieb, in solcher Scheinerfüllung jedoch die Selbsterkenntnis der eignen Voraussetzung hinderte – sie einzig aus dem Be­wusst­sein hinaus drängte. Bewusstseinsverdrängung ist aber äusserst lebensschädigend, führt sie doch zur inneren Selbst­er­schüt­terung aller willenskräftigen Wirkung, die im Be­wusst­sein, in klarer Gewissheit sich selber wertet, nun aber lahm­ge­legt der Lebenserfassung absagt und statt Erkenntnis blosses Splitterwissen züchtet. Was die Wissenschaft heute selbst als Zersplitterung bitter beklagt, ist nur Ergebnis der Unter­bin­dung ehrlicher Eigenforschung durch allgemein ver­pflich­ten­de Furcht vor aller «Voraussetzung», die dem Einzelnen angeblich immer in wissenschaftswidriger Weise anhafte, aber nie und nimmer der Allgemeinheit der Forscher.

Dieser lähmend-verlognen Zersplitterung und Vermassung des Geistes im Rahmen der heutigen Wissenschaft stellt der Klarismus die ehrlich eigene Freiforschung gegenüber, die gar nicht den weiten und fruchtbaren Wissenszusammenhang auf­hebt, sondern nur jeden forschenden Geist zu voller Eigen­ver­tief­ung verpflichtet. Er bricht mit dem Wahn der Voraus­setz­ungs­lo­sig­keit und Wurzellosigkeit jeder neuen Erkenntnis aus­serhalb der vorgegebenen Bahnen, in denen eigene Willens­reif­un­gen und Willensrichtungen stattfinden.

Der bisherigen Wissenschaft gegenüber, die stets nur von Gegnern sich Vorurteile vorwerfen lassen musste, erklärt der Klarismus, dass seine Wissenschaft unbedingt auf Vor­aus­setz­ung fusst, in tätig reifendem Willen wurzelt. Es eine blanke Anerkenntnis des Klarismus, dass Anstelle des abgelehnten «Anthropomorphismus», der doch nur einem Sozial-Anthro­po­mor­phis­mus den Platz räumte,91 seit Nietzsche der Mensch «menschlich» denken muss, das Subjekt «subjektiv». Nach ihm kommt es nur darauf an, dass der Menschlichkeit ein immer höheres Ziel gewiesen werde und die «Subjektivität» sich als ehrliche Eigenwesenheit bekenne. Tiefer geschaut, sind dies ewige Wertformen, die Kraft des menschlichen Seelengefüges sich im Bewusstsein als um so echter einfügen, je weniger der Mensch rückwärts starrt, sondern vorwärts strebt.91a Der Men­schengeist ist im Tiefsten «theomorph».

Klaristische Wissenschaft hat die Voraussetzung, dass alle Erkenntnis in Eigenwesen geschehen, die willenshaft aufwärts streben, aus dumpfer, einsichtsloser Verwirrung und Stockung zu lichter Daseinserfassung, zu klarer Willensentscheidung und mutiger Lebensgestaltung.

Dies ist klaristische Antwort der Frage: wie und wozu sich Erkenntnisse bilden.

Wäre das Eigenwesen ein Nichts – es gäbe weder Irrtum, noch Wissensdrang, noch Willensdrang.

* * *

Dieser Grundsatz klaristischer Wissenschaft hebt auch den alten, unversöhnbar scheinenden Gegensatz von «Wissen» und «Glauben» lebensbejahend auf, ihn gleichwohl in anderer Weise bestätigend.

Den Glauben stützt der Klarismus in keiner Weise auf strit­tige Urkunden, deren Abfassung immer zeitgeschichtlich bedingt ist, und die somit das forschende Wissen auf längst berichtigte Zeiterkenntnisse festzulegen drohen –, wie das im Christentum bisher geschehen ist. Nein! der Klarismus gründet den Glauben auf lebensgestaltende Willensrichtung.

Das Wissen löst der Klarismus vom Zwang sofortiger all­gemeiner Gültigkeit und errichtet den Gradmesser der Wahr­heit stets und bloss in der Klarheit, die sie dem Eigen­be­wusst­sein gibt, und in der Freudigkeit, die sie dem Eigen- und Ein­zelwillen verleiht, auch wenn der Gemeinnutzen nicht gleich zu verrechnen ist.

Den Wert der Wissenschaft sieht der Klarismus somit durchaus nicht im sogenannten unbedingten «Beweis», der dennoch in seinem Kettenlauf schliesslich in sich selber zu­rück­gerät («petitio principii»), also nur eine ausgesponnene Selbstvoraussetzung ist – vielmehr in Klärung, Stählung und Schulung des Eigenwesens. Derart erhebt der Klarismus die Wissenschaft zu innerer Lebenswürde anstelle der äusseren Masseneichung.

Im gleichen Sinne weist der Klarismus gerade den Glauben an, mit klaren Blicken die Lebenstatsachen einzusehen, die Lebensfolgen zu Ende zu denken und nicht vor «unbequemen» Erscheinungen auszuweichen. Glaube klaristischen Geistes ist Klarerfassung des Daseins in all seiner mannigfaltigen Schich­tung und sondereigenen Gliederung – ist also grade auch ein Aufruf zu weitester Forschung.

Doch eben: klaristisch begriffen, bewegt sich alle wirkliche Forschung in Eigenbahnen der eignen Willensnöte, geht vom Eigenstandpunkt des Einzelbewusstseins aus und sucht die Zu­sam­menhänge der Dinge und Vorgänge stets aus tiefster Eigen­schwin­gung heraus zu empfinden; der echte Forscher sucht aus allem Geschehen die eigne Schwingung herauszuhören, je nach eignen Reifegrade in Art und Abart zu bestätigen und dadurch sich selbst zu läutern und klären. Und wenn sich Gleich­ge­stim­mte zusammenfinden, geschieht die gemeinsame Forschung dennoch nur im Zusammenklange des Einzelempfindens.

Auf willenshafte Selbsterkenntnis aus Einenerkundung des Daseins läuft somit die klaristische Wissenschaft hin und er­füllt damit die uralte, dreifache Forderung alles tie­fe­ren For­schens: durch Kenntnisse zur Erkenntnis und so zur Wil­lens­er­höh­ung zu kommen! Klar schauen – klar denken – klar han­deln: das ist klaristischer Wahrspruch, die Deutung des hei­li­gen delfischen Wortes: «Erkenne dich selbst».

Der Klarismus befreit den Glauben vom Urkundenzwang, dem er Gültigkeit innerhalb blosser Hunger- und Fronordnung zugesteht; er setzt gar wohl einen Gegensatz von innerem und äusserem Wissen. Dennoch hebt er den irrigen Gegensatz tie­fe­ren Wissens zum Glauben auf, indem er anstelle äusserer Be­wei­ses­forderung nun die Klärungsforderung setzt. Es ist die An­wen­dung auf das Willensleben des Eigenwesens, die er als Prüf­stein errichtet, dessen Hungerverzerrung die übliche Probe auf Nützlichkeit ist.

Tiefes inneres Wissen ist Glaube, ist Willensklärung des Eigenwesens; doch äusserer Glaube, als blosse Buchung ge­eich­ter und scheinbar geeichter Tatsachen, wird zum willens­läh­men­den Wissensdünkel. In Willensstärke treffen sich we­sens­ei­nig des Glaubens Zielblick und die Wegforschung des Wis­sens; sie bilden die Doppel­ein­heit des menschlichen Ziel- und Wegbewusstseins. In Willensschwäche dagegen fliessen zu­sam­men: urkundensüchtiger Aberglaube der Götzenfurcht und be­weis­süchtiges Aberwissen der Massenfurcht – eine Doppel­ein­heit dumpfer und müder Unpersönlichkeit. Zwischen Glauben und Wissen herrscht keine Feindschaft, wohl aber klafft ein Gegensatz zwischen den beiden Doppeleinheiten «Glauben und Wissen» hier – «Aberglauben und Aberwissen» dort. Es ist der­selbe Gegensatz, den der Klarismus zwischen der frohen See­lenfreiheit des göttlich vollkommenen Reiches und dem Hun­ger- und Schwergeist des unvollkommenen Chaos bekennt, zwischen Klarwelt und Wirrwelt.

* * *

Die Wissenschaft hat seit je eine doppelte Aufgabe anerkannt:

gedanklich alle Zusammenhänge der Daseinserscheinungen ohne Ausnahme aufzudecken;

tätig die Daseinsnöte im Sinn der erkannten Zusammenhänge zu regeln;

also in reiner und angewandter Weise dem Leben zu dienen. Sie hat damit dreierlei eingestanden:

erstens, dass abseits vom wirklichen, willensbedingten Leben ihr Sondersein des Sinnes entbehre;

zweitens, dass ihr Lebensinn sich ohne Sondertätigkeit nicht verwirklichen lasse – dass sie der Unabhängigkeit mitten im Massengefüge der Fron bedürfe;

drittens, dass sie, um recht dem Leben zu helfen, den Gegenwartsnöten stets voraus und scheinbar noch unnütz nach ihnen Ausschau zu halten habe.

Selbst auf dem Boden der rückwärts starrenden All­be­weis­ver­pflich­tung und Allgemeinsucht hat sie damit, dem eignen Wahne zuwider, ausserhalb all der Gleichfron ein freies Son­der­ge­biet begründet und gegen die bare Vergangenheitssucht die Zukunftsrichtung des Lebens bekannt und über die bare Kenntnisvermehrung die Förderung des Lebens in denen, die leben – den Einzelwesen – gesetzt.

Freilich muss die Wissenschaft stets am bereits Ge­sche­he­nen die Wegezeichen des Werdenden lernen, zum Wissen des früheren Seins in der Vergangenheit gelangen, indes der echte Glaube stracks auf die Zukunft, in Willenswahl und Lebens­ab­mes­sung zielt. Entgegengesetzt der üblichen Meinung ist Glau­be von innerstem Spornwert, gerade den Willenstätigen, Le­bens­vollen, indes sich willensgeschwächte Naturen weit eher zur stillgetreuen, duldsamen Forschung eignen. Diese ist denn auch ganz in die Hände von Solchen gekommen, in denen kein Wille von Zukunft, Mehrung, Eigengestaltung sich regte – von Solchen, die um der Forschungssicherheit willen höher als alles, stille Ordnungsruhe schätzen mussten und alle Ge­mein­weis­heit in alterprobten Satzungen fühlten. So geriet die Wis­sen­schaft – leider fast unvermeidlich – nach und nach in wis­sen­schaftswidrige bare Vergangenheitssucht, suchte in ewi­gem Rückblick, die Quellen, Grenzen und Masse des Lebens am Anfang der Zeiten – im Widerspruch mit ihrem kraftvollen Ur­trieb, dem vorwärtsgerichteten Wissensdrang.

Doch nun im Klarismus wird die Wissenschaft endlich auch mit sich selber einig, denn die auf ewige Mehrung ge­stell­te Klare Runde entkleidet die starre Vergangenheit ihrer er­lo­ge­nen Hoheit, von der sich die Wissenschaft täuschen liess.

* * *

Wenn sich die Wissenschaft ihrer Doppelaufgabe klar bewusst ist: durch Klärung der Einsicht in die Zusammenhänge der wirkenden Kräfte, Willensanweisungen zu gewinnen – so wird sie vor allem, als rechte Glaubens- und Willenshelferin, all die Leistungsbedingungen jeder Erscheinung erforschen, ohne zu meinen und vorzugeben, dadurch schon der wirkenden Kräfte Wesenheit ergründet zu haben und folglich Schranken in Form von Naturgesetzen erlassen zu müssen. Denn jedes «Natur­ge­setz», mag es auch die baren Betriebskräfte nutzbarer sammeln – gebietet, wenn es mehr als blosse Formel ist, dem Willen ein «Halt!» Und das ist lebenswidrig, ist wissenschaftswidrig.

Die Wissenschaft wird gewiss den Menschen lehren, die nach dem Stande der Weltenreife gerade gegebnen und nach dem Stande der Wissensreife gerade erkannten Leis­tungs­be­ding­un­gen seinen Zwecken entsprechend zu regeln – in diesen beiden Punkten liegt auch der Wahrheitskern von «Natur­ge­set­zen». Aber vor allem wird sie die Leis­tungs­be­din­gun­gen des menschlichen Tuns und Wollens weise beherrschen lehren, da­mit die minderen Zwecke dem tiefsten und höchsten Hauptziel – wie der Glaube es kündet – der Klärung des Eigenwesens, der Überwindung des Chaos, der Lebensverjüngung entsprechen.

Noch jede Zeit der menschlichen Arbeitsgeschichte glaubte die völlige Kenntnis der Arbeitsbedingungen, sichere Wissen­schaft schon zu besitzen. Doch neue Arbeitsbedürfnisse rück­ten neue Erscheinungen in den Nutzkreis, forderten bessere Nutzung der alten Erscheinungen, drängten auf bessere, wei­te­re Einsicht in all die Bedingungen, die den Nutzwert der Leis­tung bestimmen.

So wurde die Wissenschaft eben jeweils vor neue Fragen, Aufgaben, Forschung gestellt und mancherlei grundlegende Einsicht der früheren Arbeit erwies sich als Bruchteil-Einsicht. Meistens keimte dann die neue Einsicht gerade an solchen Er­schei­nun­gen, die bisher nicht beachtet, nicht gewertet, nicht in Rechnung gestellt und nicht genutzt wurden – und gerade durch ihre Ausserachtlassung störend das Nutzergebnis he­rab­setz­ten.

Unsre Gesittung, in ihrer ungeheuren Fülle von Leis­tun­gen, Kenntnissen, Werkzeugen, sieht sich durchs allgemeine Missbehagen, das fröstelnd die Menschheit durchzieht – end­lich dazu gedrängt, die Grundfrage aller Leistung zu stellen:

worauf der Wert und also der Sinn der menschlichen Ar­beit beruhe.

In Arbeitsgefüge («technische Organisation») ist nahezu alles verwandelt – doch wem und wozu dient sie, die Arbeit?

Freilich, schon diese Frage erscheint als Störung des an­geb­lich weisen allgemeinen Gleichgewichts, Störenfried scheint der also fragende Eigenwille zu sein, mit dem das Massen­ge­werk­tum (die «Maschinierung» der Menschheit) und sein Be­ra­ter, die heutige Wissenschaft, gar nichts anzufangen wissen. Doch gerade diese lästige Störung, die hier in der Frage einzig nur die willensmutige Form desselben tiefsten Widerspruchs ist, den in müder Zermürbung die weitaus Meisten empfinden – diese Störung zeigt, dass hier eine Kraft durch falsche Ein­stel­lung Schaden statt Nutzen leistet.

Auf diese vergessene, ja weggelogene Kraft des Eigen­wil­lens und Eigenwesens sich klar zu besinnen, war längst und ist heute in drohendster Weise die Aufgabe wahrer Wissenschaft.

Im Klarismus hat sich ja diese Besinnung tiefstens voll­zo­gen.

Grade darum ist der Klarismus die Grundlage neuer Wis­sen­schaft, wird in der Zukunft die Wissenschaft eben klar­is­tisch sein oder überhaupt nicht sein.

Mag sie sein Bekenntnis noch gar nicht teilen wollen, und hört sie bloss auf den tiefsten Notschrei der Zeit, so muss sie dieses schmählich beiseite gelassne und verbannte Eigenwesen zum Ausgangspunkte der Forschungen nehmen, anstatt es vor­ei­lig zu beugen unter die Hohlform des Denkens, unter «Ge­set­ze» des Staates oder der sogenannten Natur. Die Macht der Tat­sachen wird am Ariadnefaden der Eigengesetzlichkeit («Au­to­no­mie»), die ehrlicher Eigenhoheit hiesse, auch die Wis­sen­schaft endlich zu solchen Folgerungen führen, die alten Er­schei­nun­gen alle in solchem neuen Zusammenhangs zeigen, aus denen dem Klarismus bereits der Hinweis auf seine Glau­bens­einsichten ward.

* * *

Die Wissenschaft hat sich selbst strenge Beobachtung vor­ge­schrie­ben, in Form der Nachprüfung von Tatsachen, und lässt darum eigentlich nur den behutsam gewähltem Messversuch («Experiment») als genügender Beweis gelten, «Urkunden» sind bloss mehr oder minder zweifelhafte Berichte. Sie müsste als oberste Einschränkung ihrer Erkenntnis zugeben, dass sie über nichts, als messbare Eintritt- und Ablaufbedingungen irgend eines Vorganges urteilen kann, und alle andre Kennt­nis­se bloss als Berichte sammelt, ohne sie prüfen zu können, da jede geschichtliche Nachprüfung wiederum nur Berichte be­nut­zen kann. Sie ist nur berechtigt, auf das «Wann?» und «Wo?» und «In welchem Zusammenhang?» zu antworten – auf das «Warum?» die Antwort jedoch ganz verweigern muss. Daher hat sie alle Meinung über die Wesenheit irgend eines Vorgangs als nicht wissenschaftlich abzulehnen.

Genau so ist der Wille vollberechtigt, die Einmischung die­ser Messwissenschaft in die Fragen nach Wesenheit und Zie­len der Dinge zurückzuweisen; nur darf er fordern, als ers­ter der Tatsachen anerkannt zu werden.

Schliesslich wurzelt ja auch die Wissenschaft selbst in stre­bender «Willensschaft». Also: als wollender Mensch – und wollte er nur die «Wahrheit» – muss der Forscher die tiefere Klarheit und klarere Antwort erst im Werte finden, den die Vorgänge für den Willen haben, in Ahnungen ihrer Wesenheit, die durchaus keiner Messung verantwortlich sind, sondern in Klärung des Willens ihren Wahrheitsgrad anzeigen. Freilich darf er – auch ohne ins aussermessbare Wesensgebiet mit un­zu­ständigen Massen zu dringen – in strenger Prüfung die Grenze von Willensahnung und Wissenschaft sicher abstecken.

Die Grenzbestimmung ist im eigentlichen die Aufgabe je­ner Oberwissenschaft, der Philosophie, die sich seit 3500 Jah­ren daran abmüht; aber sie pendelte schwankend hin und her zwischen frankem Glauben und krauser Wissenschaft, war bestrebt mit Zwangsbeweisen Glauben und Wissenschaft in­ei­nan­der zu mischen, wodurch nur Scholastik und Ma­te­rial­is­mus als Gegenpole entstanden. Zur Grenzbereinigung kam sie nicht.

* * *

Dies begriffen zu haben bleibt Kants Verdienst, aber freilich war seine Willenskraft gänzlich auf Willensenteignung ge­rich­tet. So riss er zwischen Glauben und Wissen die trennendste Kluft. Er beraubte den Willen seines Gefährten, dem weg­bau­en­den Wissen das sich im Glauben auf Ziele richtet, beraubte die Wissenschaft ihres Wertzieles, stürzte beide in ärgeren Wirrwarr als je zuvor. Sie sollen aber nicht Feinde sein, viel­mehr in freien Ämtern neben- und miteinander wirken!

«Wodurch entsteht Erfahrung?», fragte Kant, und ersann sich aus Willenslähmung den Glauben an zwingende Denk­for­men, die ja alles und nichts beweisen, doch jeglichen Willen entrechten.

Erfahrung ist Willenserfassung und Denkformen sind Willensarten, antwortet auf die Frage Kants der Klarismus. Wille ist Lebensgestaltung, ist Zukunftswirkung.

Nach Wirkung und Gegenwirkung in Folgereihen erlebt sich jede Erfahrung. Die Wissenschaft steht ganz im Zeichen des Masses, die Philosophie gibt ihr als Massstab den Ursatz: «ohne Ursache keine Wirkung» – dem Willen im Glauben be­stätigt die Philosophie im Satze: «jeder Ursache ihre Wir­kung». Der erste Satz blickt forschend rückwärts, der zweite weist tätig vorwärts. Leugnet die Wissenschaft ihren Massstab, will sie nicht zugeben, dass eine jede Wirkung auf Ursachen zurückweist, Wirkungsunterschied auf Ursachenunterschied, Wirkungswechsel auf Ursachenwechsel zeigt – so wird sie zum Aberglauben berüchtigster Art. Will der Glaube nicht Folgen aus Gründen zugeben, nicht eine We­sens­kraft sich in eignen Wirkungen ausgestalten lassen, so wird er kraftlose Starrheit, eiferndes Aberwissen. Beide sind so in schlechter Weise ver­tauscht.

Als Grenzbereiniger und als Mahner, als Friedensrichter, steht zwischen Glauben und Wissen­schaft nun die klaristische Philosophie und fordert den klaren Einklang von Wirkung und Ursache. Ihr Amt und Wesen ist nicht die Begründung der klaren, willenserlebten Glaubenseinsicht, noch die messende Reglung der Daseinsverhältnisse – wohl aber, kraft der Ziel­ge­wiss­heit des Glaubens dem forschenden Geiste die Massstäbe darzureichen und die grossen Erkenntnislinien zu weisen –, die dann in Erziehung zu Willenslinien werden sollen.

* * *

Eine Ausführung aus klaristischem Glaubensgrunde und eine Einführung in die künftige, die klaristische Wissenschaft soll das Folgende also sein: Hinweis und nicht Beweis, Andeutung und nicht Erledigung. Besonders gilt diese Einschränkung, wie ich betonen möchte, den physikalischen und biologischen Ein­zelheiten, die durch neue Erfahrungen – gerade auch von der klaristischen Einsicht veranlasst – in vertieften Zu­sam­men­hän­gen erscheinen können und neue Tatsachen entdecken lassen werden, die manche meiner Vermutungen im einzelnen be­rich­ti­gen mögen, jedenfalls aber nur zugunsten immer klarerer Anwendung der klaristischen Grundschau.

Kraft und Wert dieser Zukunftswissenschaft, ihre Gül­tig­keit liegt in der Klarheit, die von dem Grundglauben aus­strahlt, all die verworrnen Werdegänge in ihrer inneren Ein­fach­heit aufhellt. Die Rechnungsprobe ist in der klaren Fol­ge­richtigkeit da, mit der die Aufgaben wahrer Erziehung, das wahre, gesunde Gefüge des tätigen Staatslebens daraus folgen; so setzen sich alle bisherigen tastenden Wünsche voll Wider­sprüchen nun in ruhige Willenssicherheit um: alle menschliche Arbeit und Leistung diene der Naturerhöhung kraft Eigen­ent­fal­tung in Eigenwerken.

Rückwärts wie vorwärts besteht die klaristische Wis­sen­schafts­lehre die Prüfung, denn all ihre Forschungskraft stammt aus dem aufwärts und vorwärts weisenden Willensglauben der gottwärts gerichteten Eigenwesenheit, diesem Kerne von Eli­sa­rions Klarer Kunde, die all die Weite, Tiefe, Höhe und Fülle der Welt als Zwieheit begreift, die zum Einklang strebt.

Zweierlei Ewigkeit

Die Verjüngung des Lebens

Klaristische Vorfragen

XIVDie Zwieheit des Daseins

XVWillen und Glauben

XVIZweierlei Ewigkeit

XVIIKlaristische Logik

 Klarwelt und Wirrwelt

Klaristische Dynamorhythmik

XVIII Urmächte

XIXDer Pulsschlag des Urwesens

 Raum und Zeit

Die Wirrwelt

XX Die Schicksalgeschichte des Stoffes

XXI Die Grundlinien des Lebens

XXII Das Walten des Bewusstseins

XXIII Paarung und Fortpflanzung

XXIV Pflanzentum und Tiertum

XXV Mann und Weib

XXVI Der Sinn der Gestalt

XXVII Das Reifen der Seelen

 

Die Verjüngung des Lebens, PDF (Auszug)

Ptolomäus, Buchillustration, 1584

Claudius Ptolemäus, lebte von etwa 100–160 nach Christus in Alexandria, Ägypten. Seine drei Werke zur Astronomie, Geografie und Astrologie galten in Europa bis zur frühen Neuzeit als wissenschaftliche Standardwerke und wichtige Datensammlungen.

Nach Ptolemäus befindet sich die Erde scheibenförmig fest im Mittelpunkt des Weltalls. Alle anderen Himmels­körper (Mond, Sonne, die fünf damals bekannten Planeten und der Sternhimmel) bewegen sich in kristallenen Sphä­ren auf als vollkommen angesehenen Kreisbahnen. Damit verwarf er das von Aristarchos von Samos und Seleukos von Seleukia vertretene heliozentrische Weltbild.

Auf diese früheren Schriften zurückgreifend, die man den neuen optischen Instrumenten jener Zeit bestätigten konnte, gab Kolumbus die Einsicht, dass man gegen Westen nach Indien segeln könnte, die Entdeckung Amerikas 1492. Die Expedition von Magellan umsegelte von 1519–1522 die Welt und bewies somit, dass die Erde rund ist. Nikolaus Kopernikus und nach ihm Galileo Galilei und Johannes Kepler bestätigten das heliozentrische Weltbild. Galileo Galilei wurde von der Inquisition angeklagt, weil seine Erkenntnisse nicht der Bibel entsprachen!

Astronomen nach 1600 übten grosse Kritik an Ptolemäus. Laut Newton waren fast alle von Ptolemäus angeblich selbst gemachten Beobachtungen und Messreihen fiktiv oder von Hipparchos übernommen. Messfehler könnten auch den Grund gewesen sein für die als wahr geltenden «Beweise» von Ptolomäus. Bradley E. Schaefer kam jedoch 2002 zum Schluss, eine beträchtliche Anzahl der von Ptolemäus genannten Beobachtungsdaten habe dieser (bzw. seine Assistenten) selbst gewonnen. Er habe jedoch dann, wenn ältere Daten besser zu seinem Modell passten als seine eigenen, diese ohne ausdrückliche Quellenangabe übernommen.

Darstellung des ptolemäischen Weltsystems, 1661

Nach Magellan und seiner Weltumsegelung 1519–1522 war klar, die Erde ist eine Kugel. Das heliozentrische Weltbild geisterte aber weiterhin umher, obwohl Kopernikus 1543, Galilei 1587 und Kepler 1609 erkannt haben, dass die Erde um die Sonne kreist. Doch deren Erkenntnisse waren der Wissenschaft nicht genug. Erst James Bradley konnte im Jahre 1729, mit der stellaren Aberration die Eigen­bewegung der Erde gegenüber der Fixsternsphäre be­wei­sen, von da an wurde unser heutiges Modell des Son­nen­systems mit einer Erde die um den Zentralstern kreist, allgemein akzeptiert. Doch noch bis 1822 durften im Einflussbereich der Römischen Inquisition die Schriften Galileis nur in Bearbeitungen erscheinen, die betonten, dass das heliozentrische System ein blosses mathe­ma­ti­sches Modell sei.

Isaac Newton, Gemälde von Godfrey Kneller, 1689, Institute for Mathematical Sciences,
University of Cambridge

Isaac Newton war ein englischer Naturforscher und Verwaltungsbeamter. In der Sprache seiner Zeit, die zwi­schen natürlicher Theologie, Naturwissenschaften, Al­che­mie und Philosophie noch nicht scharf trennte, wurde Newton als Philosoph bezeichnet.

Isaac Newton ist der Verfasser der Philosophiae Naturalis Principia Mathematica, in denen er mit seinem Gravitationsgesetz die universelle Gra­vi­tation beschrieb und die Bewegungsgesetze for­mulierte, womit er den Grundstein für die klassi­sche Mechanik legte. Aufgrund seiner Leistungen, vor allem auf den Gebieten der Physik und Mathematik gilt Isaac Newton als einer der bedeutendsten Wissenschaftler aller Zeiten. Die Principia Mathematica werden als eines der wichtigsten wissenschaftlichen Werke eingestuft.

Seine Arbeiten zur Mechanik und Physik wurden als «Na­tur­gesetze» bewertet und haben noch heute ihre Gül­tig­keit. Nur weiss man nach Einstein, das alles «relativ» ist; die mechanischen Gesetze nach Newton sind mathe­ma­ti­sche Modelle und nur gültig unter «irdischen» Be­din­gungen –, und keine absoluten «Naturgesetze», was immer man darunter verstehen mag.

Ariadne und Theseus, Gemälde von Niccolo Bambini

Der Ariadnefaden war der griechischen Mythologie zufolge ein Geschenk der Prinzessin Ariadne, Tochter des kretischen Königs Minos, an Theseus. Mit Hilfe des Fadens fand Theseus den Weg durch das Labyrinth, in dem sich der Minotauros befand. Nachdem Theseus den Minotauros getötet hatte, konnte er entlang des Fadens das Labyrinth wieder verlassen. Der Hinweis für die Verwendung des Fadens stammte von Dädalus, der auch das Labyrinth entworfen hatte.

Dädalus war ein brillanter Erfinder, Techniker, Baumeister und Künstler. Seine Künste waren weit bekannt, die von ihm gestalteten Figuren sollen lebensecht gewesen sein. Er wurde von König Minos auf Kreta festgehalten weil er wütend auf Dädalus war, weil dieser Ariadne den Hinweis mit dem Faden gegeben hatte. Da der König alle Seewege unter strikter Beobachtung hatte, war der Gedanke einer Flucht von der Insel ziemlich hoffnungslos. Doch Dädalus griff auf seine Erfindergabe zurück: Aus Federn von Vögeln und dem Wachs von Kerzen fertigte er Flügel für sich und seinen Sohn und flog mit ihm davon. Sie hatten bereits die Inseln Samos, Delos, Paros, Lebinthos und Calymne hinter sich gebracht, als der ausgelassene Ikaros ungeachtet der Warnungen seines Vaters zu hoch stieg und der Sonne zu nahe kam, das Wachs schmolz, welches die Flügel zu­sam­men­hielt, und er stürzte ins Meer.