Die Zukunft der Natur, Teil 1
Das legalistische Weltbild: die Welt als Zwang
Stützen der Gesellschaft
Als wirkliche Werte des Lebensgefüges gelten dem eingemeindeten Menschen mit Fug nur die Arbeit, das Geld und die «glaubenslose» Moral.
Die Arbeit ist, als Nutzverwendung der Tatkraft der äussere Grundwert, der Massstab des Rohwerts, den der Mensch für den Nahrungserwerb der Allgemeinheit besitzt.
Dass der Hunger jeweils mit Kraftaufwand zu stillen ist, ist unbestrittene Tatsache. Und die laufende Not, den regelmässigen Hunger durch Vorkehrungen regelhaft und gemeinsam auszugleichen, ist zweckmässige Kraftersparnis.
Doch Wahnsinn war es, die Kraftersparnis nicht der höheren, eigentlichen Willensbetätigung frei zur Verfügung zu stellen, sondern zur blossen Mehrung des Hungers zu brauchen, der dann auch Mehrkraft erfordert. Nur scheinbar ist es kluge Berechnung, die Kraft auf Vermehrung der Hunger-«Träger», auf bare Mehrung von Menschen einzustellen; denn wenn auch die neuen Menschen vermehrte Arbeitskraft bedeuten, so stellen sie auch vermehrte Nahrungsforderung dar. Sicherlich könnte, von höherer Willenseinsicht geleitet, durch klug verteilte Gemeinarbeit mit weniger Aufwand und mehr Ersparnis gewirtschaftet werden –, könnte die Mehrung der Menschen also erhöhten Überschuss freier Kraft gewähren, wenigstens in gewissen Grenzen. Doch wirkte von Anbeginn an der Hungerwahn dieser echten Menschenwirtschaft entgegen.
Das Unheil stammt aus jenen Tagen, da Eltern, nachdem sie die Sorge der Jungenpflege gehabt, im erwachsnen Kinde die Arbeitskraft zu werten begannen und ihre Aufzuchtsarbeit sich lohnte. Da ward es zum reinen Geschäft, sich viele Kinder zuzulegen, und die Mühen der Aufzucht, mit grossem späteren Nutzen, bar zu verzinsen; das Kind erwies sich als gute Vermögensanlage der Arbeit.51
Der proletarische Standpunkt mit seiner anfangs garnicht und später nur schlecht verhehlten Sklaverei, dem Eigentumsrechte am Kinde und dessen lebendiger Kraft –, so uralt und scheinbar selbstverständlich, ist in Wahrheit noch nicht überwunden, und darum muss auch unsre Gesittung im Proletarierstaate der Allsklaverei füglich und billiglich enden: der Einzelne wird zum blossen Eigentum des Gemeingefüges werden, zur Arbeitsleistung, zur Kraftlieferung einfach verpflichtet.
Die Eltern, zuerst der Vater und dann auch die Mutter, lernten im Kinde nicht etwa nur den herzlich-dankbaren Altersversorger erhoffen, vielmehr den tunlichst frühen Arbeiter sehn. So wurden im Kinde vor allem solche Kräfte gepflegt, geschult und geschätzt, die Arbeitsnutzwert versprachen; die andern Kräfte und Eigenschaften hiessen mindestens wertlos, brotlos, wenn nicht gefährlich. Die ganze Kraftverwendung wurde danach gewählt und gelenkt. Und weit davon entfernt zur Höchstbetätigung eignen Willens erzogen zu werden, findet der reifende Mensch die Eigenbetätigung nicht mal freigestellt, kommt sogar wenn sie sich Bahn bricht, in Streit mit der machtfesten Hungerregelung.
Zu dem unmittelbaren Hungeraufwand der Kraft kommt also weitere Kraftentziehung hinzu, und beschränkt durch fruchtlose Reibung, vergeudendes Tasten und Streben, verkommt die wahre, gestaltende Willensbetätigung immer mehr. Nur Arbeitsschulung, keine Schaffenserziehung empfangen die Kinder, und keine Willensleistung –, nur Hungerleistung ist der Beruf der Erwachsnen. Der Rest ist – Geldsucht.
Seit jener Zeit, da die Israeliten –, um des Alleingottes Alleinmacht zu ehren –, den Eigenwillen bekämpften, ist immer und überall dem Menschen im Gelderwerbe Ersatz geboten für die Einbusse seiner Eigenbestrebungen –, ein Linsengericht für das höchste Vorrecht. Geld gibt Jedem Genussrecht anstelle des Tatrechts, und ordnet die Einzelkraft ohne sie abzuschaffen, entartend in die allgemeine Arbeits-Genossenschaft ein; das Geld ist, welcher Währung immer, ein schwebender Arbeitsausgleich, in Brot und Genuss bezogen. Mit Unrecht tadelt der Einheitsglaube kirchlicher, wissenschaftlicher, völkisch-rassischer Art den «Mammonismus»: er ist nicht bloss einfache Nebenfolge, er ist die echte und naturnotwendige Wirkung der eigenwidrigen, massenherrlichen Allgesetzesgültigkeit.52
Diesem Vorgang leistet die sogenannte Moral bedeutenden Vorschub, sind doch Arbeit, Geld und Moral die drei «Dimensionen» derselben Entartung.
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Die bare, glaubenslose Moral besteht in der überlegungslosen, gefühlsmässigen Hoheit der Masse.
Die Einzelsitten der Vorzeit – gelegenheitskluge Gemeinbräuche – erstrebten bereits gehorsame Manneszucht.
Dann gab es die alte Gemeindehoheit, die ihr Gemeinwohl um es vor Götterrache zu schützen, in der Ausmerzung aller Einzelbestrebungen erkannte und durchsetzte.52a
Später wahrte die Herrenhoheit streng ihre Stellung als göttliche Rechtsordnung wider dem Einzelbegehren, aus der eignen Mitte wie von den Unterworfnen her.
Nun, im Arbeitbsbürgergefüge lernt der Einzelne fühlen, wo sein sicheres Brot ist: im unbedingten Bestande der Allgemeinheit. Pflicht, Gefühl und Hungereinsicht vereinen sich, ohne von Jenseitshoffnung und Jenseitsfurcht getrieben – denn unbezweifelbar klar liegen Strafmacht und Nahrungsnutzen der Mehrheit vor Augen, der Eigenwille aber ist früh durch Erziehung und Schulung entmannt. So heisst es einfach sich fügen: was für die Meisten ja gar nicht schwer ist; doch die wenigen Eigentätigen müssen tun, als wären sie einverstanden.
Es kommt bei der Sittenfrage ja gar nicht so sehr auf den Inhalt der sträflichen Taten an, als darauf dass niemand eigenmässig handle, denn das und eigentlich gar nichts anderes gilt für gemeinwidrig: die Eigentat.
Der Inhalt der Sitten in Pflicht und Verbot, hat derart gewechselt, dass was an einem Orte, zu einer Zeit gelobt und befohlen ward, anderwärts und andermals verpönt und geahndet wurde. Da sprechen die Arbeits-, Kampf-, Erhaltungsbedingungen jeder einzelnen Gruppe entscheidend mit. Nun haben aber diese Bedingungen für den Einzelnen, will er des Brotes sicher sein, als Lebensumriss und Grenze zu gelten; «sittlich», gemeintreu handelt der Einzelne also, wenn er ohne Eigenerwägung sich so der Alt-Überlieferung fügt, wie die Mehrheit sie grade auszulegen beliebt, mithin in Gemeingewohnheit, berichtigt durch Nachahmung, seine Richtschnur erblickt. Ewig bezeichnend ist es, dass der so wesensbrave Nettelbeck jahrelang hat Kapitän von Sklavenschiffen sein mochte;53 es war halt «gute» Sitte, der Neger war kein Mitmensch und so wenig wie heute –, galt freie Menschenachtung als Gewissensmass. In Nichterziehung oder gar Betäubung des Eigengewissens durch Mehrheitswahn ist die «Moral» sich immer gleich geblieben, stetig wie die Schwerkraft.
Begreiflich ist es hieraus, dass Sittenhörigkeit immer sich ganz besonders gegen das Liebesempfinden richtete.
Ehemals hiess es die Zeugungskräfte, wie andre Leistungskräfte des Einzelnen, ganz bestimmter Gemein- und Gruppenerhaltung klüglich dienstbar zu machen – da musste gemeindlich bestimmt werden, wie, wo und wann und von wem die Fortpflanzungspflicht zu erfüllen war; davon reden die mancherlei krausen, entgegengesetzten Geschlechtsgebräuche, Gemein-, Viel- oder Einehe, in Inzucht oder Aussenzucht; jede Form war und hiess jeweils alleinheilig, von der sittenwidrigen Art geschieden, wie Tag und Nacht.
Heute heisst es vor allem vermeiden, dass andre Triebe als bloss die ruhigste Arbeitsleistung das Einzelempfinden bewege, denn nur bei Gleichgewichtslage liefert jedes Gewerkteil des grossen Menschengewerkes das Höchstmass an Kraftumsatz und Nutz-«Effekt». Das Liebesempfinden aber gilt für arbeitshinderlich, leistungsmindernd und also gemeingefährlich – ausser es dient zur «Lieferung» zahlreicher Ersatzarbeiter, deren Aufzucht die Eltern ausserdem zu steigender Arbeitsspannung und Brotfron anhält.
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Die ausschliessliche Einehe gilt heute als angemessne Nutzverwendung des Sinnenempfindens. Jede nicht einzig derart gerichtete, derart eingeschränkte Sinnes- und Liebesneigung gilt für arbeitswidrig, gemeinwidrig, wider die Allgesetze der Hungerordnung. Pflicht, durchaus nicht Liebe, ward vom hungrigen Massengeiste zum Lebenserhalter berufen. Doch die erkünstelte «monogamische» Zucht dient in keiner Weise der Vertiefung des Lebensbandes.
Freilich: ist ein Kind das frohe Erinnerungspfand der Liebe, so ist die Aufzuchtsmühe den Eltern Freude, die keinen baren Gegenlohn fordert, und nicht in kühler Berechnung des Kindes blosse Erwerbskraft erwartet.
Ist es jedoch von keinem Liebesgedanken umwärmt, dann ist seine Aufzucht nur Last, die wohl eine Gegenleistung beansprucht; gar wenn Erzeugung und Pflege von vorne herein um der künftigen Arbeitsleistung willen geleistet wurden. Und ist im Liebesgedanken noch der Mutter wirkliches Fühlen, bedeutet es in solchen Fällen dem Vater wenig. Er wird es als lästige Nebensache schon vergessener Lust empfinden, die darum sobald als möglich durch Arbeit des Kindes entlohnt werden wollen.
Ein Krämer, dem gegenüber ich die Anstelligkeit seines kleinen Sohnes lobte, erwiderte mir ungeschminkt: «Lohnte es sich denn sonst, Kinder in die Welt zu setzen?!»
Der Keim zu dieser Unheilentwicklung von Liebe, Erzeugung, Erziehung ist also wohl in solchen Augenblicken der Urzeit zu sehn, wo ein Menschenpaar nicht mehr aus Liebe, und war sie bloss flüchtige Augenblickslust gewesen, sondern aus Hungerberechnung Kinder zeugte.
Es vermochte eine Mutter, dem schon geborenen Kinde zum Schutz und für sich selbst zur Aufzuchtshilfe, den weiterstrebenden Mann an sich zu fesseln; sie suchte ihn mit klugem Aufgebot, mit steigender Nachhilfe ihrer Reize, die sonst in eigener Freude Liebeslust wecken, nun auch ohne eignes Liebesverlangen den Mann sinnlich erregt und brünstig zu machen. Er blieb und blieb und fand für die dauernde Arbeit den sicheren, willigen Sinneslohn; ihr, dem Weibe, ward für die Preisgabe ihres Leibes die Nahrungsverpflegung.
Das ist der eigentliche unverschleierte Rechtszustand auch der heutigen Einehe. Gewiss bestehen glückliche Ehen gegenseitiger Liebe, Achtung und Fürsorge – ich selbst bin glücklich, solch einer Ehe entsprossen zu sein, und besitze wohl daher die heilige Achtung des Eros; aber solche Beziehungen bedürften gar nicht der Rechtsverbindlichkeit, weil sie auf innerlich ewigem Boden – der Treue – beruhen. Der Rechtsschutz beweist aber eben die möglichen Schädigungen des Ehe- und Heimfriedens, und solche entstehen aus innerer Fremdheit der Gatten, die nur in besagter unschöner Weise vertragsmässig nebeneinander leben.
Durch vertragsmässig gesicherte und geeichte Preisgabe unterwarfen die Frauen sich den Mann, der seinerseits sich das Rind unterwarf. So fälschte der Hunger die reine Liebeswollust, den echten Empfindungseinklang der Doppelbeschwingung, und fälschte die reine Elternliebe, die Hegefreude am höher werdenden Eigenleben. So ward aus der Liebe die Zwangs-Ehe, aus dem Lebensbunde der Hungerbund, auf Zeugungs- und Arbeitspflicht gegründet.
Es deuten manche «Moderne» die alte Sage vom Sündenfall und dem Apfel, den Eva dem Adam reichte, auf Liebeslust, auf den ersten Liebesumgang, der derart die Menschheit dem seligen Unschuldsstande entriss; da zeigt sich die ganze böse Gewissensentartung des massengeknechteten Menschen! Eine Deutung ausserhalb der Botschaft der Bibel –, dem unerlaubten Erkenntniswillen, dem Ungehorsam aus Drang zum Gleichwert mit Gott, der Überhebung des nichtigen Menschen53a –, ohne diesen Zusammenhag wäre der Sündenfall bloss der als Liebesregung verkleidete Hunger.
Dieser Verrat am Höchsten jagte die Menschheit hinein in Schweiss und Mühen.
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Der Zustand steter Entartung, wie sie in frühster Urzeit-Ehe begann, milderte sich im Leben in der Urgemeinde. Da fehlt es durchaus nicht an gegenläufigen Kräften –, die Mütter brauchen sich nicht der Versorgung halber an einen Einzelnen preiszugeben, bloss weil er Nahrung beschaffen kann, sie finden ja im gemeinsamen Leben genügenden Nahrungsanteil –, sie können sich jeweils nur nach Liebe und Lust den wirklich Geliebten wählen. So braucht auch der Vater nicht in den Kindern seiner mancherlei Liebesgenossinnen nur die arbeitspflichtige Zwangslast zu sehn. Das Gefühl der Männer gegen die gemeinsamen Kinder mag die Mitte gehalten haben zwischen echter Vaterliebe und der Zwangsverstimmung der blossen Hungerehe.
Die Kinder werden auch dereinst für sich selbst und die andern Nahrung zu suchen haben, doch werden sie wohl weniger bloss als Arbeitskräfte gewertet. Sie können, soweit nicht Gewohnheit, Nachahmung, nächste Bedürfnisse ihre sowieso wohl mässigen Sonderbestrebungen dämpfen, dwe eignen Anlagen eher zur Reife verhelfen. Sie können in freien Liebesbünden den Jugendwillen beschwingen, ohne an Elternsorgen vorauszudenken –, kommt es zur Mutterschaft, so gewährt die ganze Gemeinde Beistand; der Liebesanschluss innerhalb des eignen Geschlechtes in der Lieblingminne und Freundesliebe, kann als Doppelerziehung wirken,54 ohne auf blosse Geschlechtlichkeit hinzuführen, wie das der Wahn der blossen Arterhaltung tut.
Das ändert sich, wenn die Menschenzunahme schliesslich die Nahrung beschränkt – wenn andre Menschengruppen herandrängen und jede der andern in Selbstwehr entgegentritt – wenn gar ein Volksteil zu neuem Landerwerb und neuer Gemeindegründung hinauszieht.
Die eigne Gruppe durchaus zu stärken wird nun Bedürfnis, und da ihr Krieger wie Arbeiter gleicherweise als Stützen der Macht vonnöten, wird die Bevölkerungszunahme sehr erwünscht, um den andern Gruppen das Gegengewicht zu halten. Zahlreiche Kinder werden Gemeinerfordernis.54a Aber auch wahren soll sich die eigne Gruppe in Art und Brauch und Gottesverehrung; so wird die reine Blutzucht Gemeinerfordernis. Nicht mehr steht einem Jeden mit Jedem andern der Liebesbund frei: mit den eignen Blutgenossen allein ist Geschlechtsverkehr gestattet, und fruchtbar hat er zu sein. Der Stamm verbietet Jedem die fremde Vermischung, fordert die Ehe; der einzelne Mann verlangt das Ausschlussrecht beim Weibe, das sein ihm zugehöriges wird, verlangt von den Jungfrauen Unverletztheit; der Vater verlangt sie von seinen Töchtern, um Sippenbünde zu schliessen, die seine und seines Stammes Macht und Nahrungssicherheit wahren, die jungen Männer, so wie die hellenischen, gallischen, japanischen, gotischen (wie Ammianus Marcellinus55 von diesen letztern berichtet) sind in Kriegszeiten noch untereinander in Liebesbünden verknüpft; doch sie geraten, sobald die bare Arbeit den Krieg ersetzt und die Zeugung von Arbeitern fordert, von erziehender Lieblingminne ab in den baren Geschlechtsverkehr; und stetig entwickelt sich da, als Schutz der Ehe und Jungfrauen, jenes schlechte Zerrbild der Liebesfreiheit und alten Gemeinehe: die Prostitution, die ungemilderte bare Geschlechtlichkeit.
Der Ehemann zahlt für die Liebeslust durch die Kinderversorgung, und büsst durch die Sorgen allmählich die freie Freude am Liebesumgang ein; doch bleibt bei persönlich guter Beziehung und dank der allgemeinen Eichung noch ein Weiherest um die eheliche Liebe. Der andre, nicht in Sorgen, doch mit bar erheuertem Umgang –, der dazu noch mit Krankheit verknüpft ist –, entwertet hingegen völlig die Liebeslust im eignen Gefühle des Mannes, der ihrer doch nicht entbehrt. Der Gegensatz zu der festgeregelten Ehe, auf der die Macht und Achtung des Stammes nunmehr beruht, bestimmt die Ächtung und das Los der wenigen Liebesverkäuferinnen. Wenig stolze Naturen bevölkern so gut wie allein den Hurenberuf und allmählich lernt der Mann im ausserehelichen Umgang nur die Schamlosigkeit sehn.
In der Ehe allein erscheint die Liebe noch etwas geweiht, in der Ehepflicht scheint des Sinnestriebes Erfüllung, in der Kinderzeugung der einzige Sinn und Rechtsgrund der Liebe –, die dadurch zum blossen Geschlechtstrieb entartet.
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Als beste Zuchtstätte gilt die Familie der Einehe –, und wirklich ist die unbedingte Einehe ein Eckstein unsrer Gesittung; auch angesichts ihrer Mängel, Leiden und Krämpfe.
Während eigentlich dann nur tüchtige Menschen in Zeugung entstehen, wenn die Liebesleidenschaft Mann und Weib beseelt und zum höchsten Wesensgrade erhebt –, so bringt das «Brutgeschäft» in den Niederständen des Lebensgefühls als «Bettpflicht» gewohnheitsmässig geleistet, nur minderwertige Menschen hervor. Doch solches Zeugungsgeschäft ist leider grade der staatliche Sinn der unbedingten Einehe.
Den echten Wert der Ehe, ihre innere Heiligkeit, nutzt die Ehepflicht ab. Die Ehe durch ein wahrhaftes inneres Eherecht der Liebe zu ergänzen und berichtigen, die Ehe zu gesunden und um die leibliche, wie die seelische Rasseerneuerung zu gewinnen, taugt die Ehepflicht nichts.
Es liegt ein höchster Gedanke im echten, unzerstörbaren Ehe- und Lebensbunde aus seelischem Einklang, doch dieser Gedanke wird im schlechten Gewande der erstickenden «Monopol»-Einehe zugunsten des Massentums ausgebeutet, das eng mit der Rasseverbildung zusammenhängt.
Der echte – klaristische – Rassegedanke wertet das lebensgetreu erzüchtete Einklangsgefüge im Blute, die Kraft des Aufstiegs, der dem Einzelnen über den Ahnenzustand hinaus als Rassepflicht zugewiesen ist.56
Da drängt sich aber der Hungerwahn ein, da drängt sich der Zahlenwahn vor, der jede Volksvermehrung bejubelt, und jegliche schlechte Mischung unentsprechender, rasse- oder empfindungsfremder, kranker Eltern genehmigt, sofern nur die Kinder gerade zur Arbeit taugen. Der tiefe Liebeswille, der freilich in echtem Dauerbunde kraftvolle Lebensförderung sucht, wird grade durch den Massenwahne beseitigt. Ohne Einklang der Seelen ist die Einehe der Leiber ein lebenswidriger Trug, eine Steigerung der blossen Geschlechtlichkeit, eine Minderung der Liebe und Herzlichkeit, eine Gefährdung des «sittlichen» und rassischen Lebenstandes.
Je weniger echtem Einklangsempfinden der Eltern die Kinder entspringen, je weniger sie ein leibliches Einklangsgefüge empfinden, vielmehr im Inneren widerspruchsvoll sind, voll innerer Reibung, inneren Leitungswiderständen des Willens –, desto eher sind sie geeignet in barer Arbeit, ohne Eigenziele, dem Massengefüge anzugehören. Die Ehepflicht – und sie ist der springende Punkt der Einehe –, ist der Schrittmacher haltlosen Massentums, das wenig danach fragt, von welchem Wertgrad die Pflichtkinder werden. Die Menge der leidlich Arbeitsfähigen genügt ihr,57 sie will sich ihrer vertraglich versichern.
Auf diese Art Geschlechtsvertrag läuft die Eheschliessung denn auch hinaus. Und ihr als Werkzeug dient die weibliche Mode, die ausgesprochenster Weise mit Hilfe aller «Künste» dem Weibe alle Liebeskräfte des Mannes zulockt, die angeblich sowieso schon «naturgemäss» einzig ihr pflichtig sind.
Gewiss: die Urbedeutung der Kleidung ist die des Schmuckes, zauberische Erhöhung der leiblichen Vorzüge von Kraft und Anmut.58 Erst aus dem Liebesreize ward sie zum Witterungsschutze, ein tragbares Obdach. Ganz zuletzt entartete sie zum Lügenmantel der Hungermoral und soll durch Mehrung der weiblichen Anmut und Minderung der Anmut der männlichen Jugend die Liebesempfindungen so «korrigieren», wie es dem Arbeitsgefüge der Massenwirtschaft entspricht.
Dass die «Natur» hier gerade durch Menschenwitz verändert wird, entspricht gewiss der Menschensendung, die Rohnatur zu meistern. Dass es aber nun im «Namen der Natur» und gegen das Ziel der Menschensendung – freudige Freiheit der Eigenentfaltung – gerade zugunsten des Massengeistes geschieht: das ist der Gipfel der Hungerverlogenheit, Kleidermoral benamst.
Die vorgeschobene Begründung der Wahrung des Schamgefühls bezeugt erst recht die blosse Nutzerwägung der Eheschliessung. Die äussere Scham wird freilich durch Bekleidung gewahrt, durch die Entwöhnung des Auges von jeder Leibesgestalt – die innere Scham, die lautere Selbstachtung, wird um so ärger durch die Entkleidung in der Brautnacht, den plötzlichen Sprung aus peinlichster Leibesverhüllung zur Nacktheit, aus ängstlicher Hütung der Schamteile zu ihrer verpflichteten Preisgabe verletzt. Für diese Preisgabe, die ja manchen Mann «sadistisch» befriedigt, fordert das Weib Lebensversorgung: und alle Kleidungsscham erweist sich als kluge Preissteigerung, nicht so sehr von Seiten der Jungfrau selbst, als derer die sie verheiraten.
Und von der Kleiderlüge breitet sich die geschlechtliche Lüge samt ihren Ergänzungen, Klatsch und Zote, verderblichst aus im Namen der Wahrheit, Keuschheit und Menschheit59 –, und untergräbt den echten Gedanken der Ehe, der Scham, der Liebe, in Zwangsverkünstelung und geschlechtlicher Überhitzung. Gibt es? etwas «geschlechtlicheres»!, als das «sexuelle Vergrösserungsglas» unsrer allgemeinen Männer- und Frauentracht, die auf viele hundert Meter das Geschlecht einer Person erkennen lässt – nicht nach Eigengeschmack eigengesondert, vielmehr beinah sittenpolizeilich als starre Geschlechtsgruppen befohlen.
Soll die alle Herzlichkeit überwuchernde, bloss genusssüchtige bare Geschlechtlichkeit wieder gezähmt werden, und unsre Gesittung wieder den Adel der Liebe – die Doppelbeschwingung an Leib und Seele – begreifen lernen, so hat in der Ehe damit der Anfang gemacht zu werden, damit sie aus einer Freistatt «geeichter» Notdurft wieder zum Eigenbunde des Lebensaufstiegs von Gatten und ihren Kindern wird. Der Götzen- und Naturfurcht ist das nicht gelungen, gerade sie haben das Liebesleben hin-und-her gezerrt, mit allen Warnungstafeln toter Gesetze nicht geläutert, sondern verdorben. Nur die klaristische Einsicht in den Hungerwahn und die Erkenntnis der Eigenwesenheit kann dieser Entartung Einhalt tun.
An dieser Entwicklung, die fast ein Ausschlussrecht für die unbedingte Einehe erwirkte, hat begreiflicherweise die Frau einen grossen Anteil; leider hat sie dadurch den Segen ihres sonstigen Wirkens als Mutter, Geliebte und Freundin, als stille Hegerin neuer Lebensentwicklung, als Hüterin wahrhafter Werte früheren Lebens vermindert.
Die Ehepflicht –, dieses Recht des einen Ehegenossen an leibliche Hingabe des Andern –, ist die unvermeidliche Folge der Liebesbeschränkung; denn soll der Eine jedem Liebesumgang neben der einen, geeichten Verbindung entsagen, so muss er seine Sinneserregung stets am andern befriedigen dürfen, der also einfach zu seiner Geschlechtsverfügung steht – ohne Rücksicht auf Seelenstimmung und Liebesgefühl. Der Zwang zur Begattung muss im lustlosen Ehegenossen den Liebesekel und jenes Entartungsgefühl, dass der Liebesumgang blosse tierische, hässliche Notdurft sei, erzüchten – wie das gar manch feinfühlige Frau im Stillen beklagt. Doch auch im grade sinnlich Erregten kann die Geschlechtsbefriedigung ohne den Gegenstrom der Liebe des anderen Teiles nur eine minderwertige Leibesentlastung gewähren, die dem ganzen Wesen schliesslich Abbruch an Lebensspannkraft bringt, genau wie einsame Selbstbefriedigung. Und diese Entwertung des Liebesumgangs durch Ehepflicht trifft besonders die weibliche Seele, da das Weib bei Unlust dennoch den Vorgang äusserlich über sich ergehen lassen kann, indessen der Mann bei geschlechtlicher Unlust einfach versagt. Daher ist das Weib im Durchschnitt eher auf allen Liebesumgang erbittert, und diese Erbitterung fliesst in die öffentliche Wertung der Liebe vergiftend hinein –, ohne die Geschlechtlichkeit zu beseitigen, die vielmehr durch solche Entwertung gesteigert und roher wird und jede herzliche Mässigung einbüsst: der seelische Anteil der Sinnenfreude sinkt bei Verachtung und bösem Gewissen, der leibliche Ablauf bleibt bestehen, verliert aber seine stillende Wirkung. In nie gestilltem, zeitweise erschöpftem Sinneshunger tobt sich die Geschlechtlichkeit je länger, je mehr in der Ehe selber aus, die durch die äussere Überschätzung stetig an innerem Werte verliert. Das Weib hat selber durch Ehepflicht ihre Würde des Herzens dahingegeben; und daher hat sie vom Liebesrechte der Lebensgenossen keinen Begriff. Sie klammert sich an erklügelte, äusserliche Gleichheit der Geschlechter.
Wurde vom Weibe gefordert, nur einem einzigen Mann zu gehören, so hat sie wohl das Recht, ihrerseits von ihm Befriedigung zu fordern; aber grade darum hat sie kein Recht, dem Manne, falls er lustbedürftiger ist als sie, die Erfüllung dieser Lust zu beschränken, ihn zu behindern anderweitig Sinnesstillung zu suchen. Es ist sowenig ein «natur»- als auch kulturgemässer Gedanke, hier völlige äussere Gleichheit erzwingen zu wollen. Wohl mag gar manches Weib, in dem der hegende Muttertrieb schwach oder gar nicht entwickelt ist, den Mann um das Fehlen ihrer Schwangerschaft – für sie zwar nur eine Last – der blossen Möglichkeit beneiden, und neidisch seine Liebesfreiheit bewerten, die er sich – in diesem Punkte meist folgenlos – ausserhalb der Ehe nehmen kann. Im ganzen findet das Weib in den Mutterpflichten ein hohes Glück und darin Befriedigung ihres Wesens, die ihr die Sinnenlust weniger wichtig macht; dem Manne fehlt in seinem Brotberufe fast immer diese innerste warme Befriedigung, wie sie am ehesten noch der Künstler in seiner geistigen Werkgeburt findet. Für diesen Ausfall an Lebensfreude sucht der Mann mit innerem Rechte zur Hebung der Lebenskräfte nach Sinnesnahrung, wo das Weib bereits gesättigt ist.60
Daher ist es falsch und eigentlich schon Entartung, wenn Frauen die freien Liebesbeziehungen andrer, sogar unverpflichteter Männer als schamlos und niedrig zu brandmarken suchen. Dies hängt engstens mit der Frauenbewegung zusammen, die ja von solchen Ländern ausging, wo unverheiratbare, der ehelichen Liebe verlustige Frauen, in der Überzahl sind. Das alte Mutterrecht der Liebesfreiheit wurde für diese zum Frauenrecht der Liebesverpönung –, was sie suchen, ist unbeschränktes Erwerbsrecht, um den Mann durch Stimmzettel, Gesetze und Einfluss, zu ihrer Wertung und Eichung der Liebe zu bringen. So kam ein Stachel auch in die Seele des Mannes – zeitweilig wohl ein «verbotner» Anreiz –, doch schliesslich bedeutet das der Sieg des Hungergewissens, besonders im guten Durchschnitt der Männer.
Freilich schon lange, noch ehe der Frauenaufstand begann, hatte die Hungerreglung, wie sie die Frauen verblendet, die Einsicht der Männer verwirrt. Unter Männerrecht kam es längst dahin, dass blinder Arbeitszwang einzig gilt, und Lust ein Unrecht heisst.
So schwand die Einsicht, dass Liebschaft und Ehe zweierlei Lebensbünde bedeuten, die selten zusammenfallen, meistens aber verschiednen Naturen und Lebenszeiten entsprechen. Während die Liebschaft dem Volltrieb der Jugend und Sinneskraft zugehört, tritt bei ihrer Stillung der Heimtrieb ein, sucht in der Ehe die Sinnesruhe – in gleichem Lebensanspruch an Stand, Blut und Glauben –, indes Liebschaft auch in Gegensatz der Werte echt sein kann. Das ist «natürlich», der Lebensentfaltung angemessen. Nur natur- wie kulturwidrige Gleichmacherei kann die Wesensunterschiede des männlichen und des weiblichen Sinnesbedürfnisses übersehen oder die Unterschiede, die zwischen den einzelnen Männern, den einzelnen Frauen, den einzelnen Lebenszeiten walten. Nicht die sogenannte Keuschheit gewinnt dabei, sondern die überhitzende, nervenzerstörende Lüge. Keuschheit ist einzig geschlechtliche Lauterkeit,61 die ebensogut in Liebschaft wie Ehe möglich ist; die erheuchelte oder selbsterzwungen-echte Enthaltsamkeit jedoch bringt die Drüsen des Leibes nicht zum Stillstand, wohl aber Aufrichtigkeit, Freude, Gesundheit um ihre Geltung.62 Den Nutzen haben bloss die Prostitution und die Heilmittelfabrikanten –, den Schaden aber Eigenentfaltung und Rasseaufstieg, die beide verkümmern, wenn die Sinnenfreude ausgemerzt wird, dem Nährsalz des Lebens; ohne Nährsalz verkümmert der Mensch bei allergereinigtester Nahrung und so auch ohne Sinnenfreude, die der Seele genau so vonnöten wie dem Leibe. Und beide geraten beim Mangel dieser inneren Nahrung in alle Krämpfe der Masslosigkeit, so der alkoholischen wie der geschlechtlichen –, statt dass in der herzlichen Liebe beide geläutert werden – in Liebschaft wie Ehe-Freundschaft.
Dem Hungergewissen zufolge wird die fruchtlose Ehe, die ehelose Liebe, besonders die Lieblingminne, nach und nach unnütz, dann niedrig, dann schädlich – geächtet, verpönt und verfolgt. Und immer mehr fordert das fromme Weltbild Schritt für Schritt die Liebesentartung –, vom Hungerwahn gemalt, und noch übermalt in Priesterlehren und Strafandrohungen. Die Liebesfreiheit, ehedem göttlich geheiligt, von Priestern geweiht, wird zur schrecklichsten Sünde, wird mit allen Mitteln des Götzenwahnes verfolgt.
Begreiflich ist es, dass so das Liebesbewusstsein durch öffentliches, häusliches, ja auch eignes Unverständnis schrumpfte, dem Sittenzwang weichend.
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Die Sittenhörigkeit ist durchaus nicht darin zu sehn, dass irgend ein schweres Sittengebot und -verbot erlassen wird; solche Erlasse verschärfen wohl den Missstand, schwächen das Leben wie Blutverlust, doch währen sie nur, solange die alles vergiftende Fron besteht –, gerichtlich bestraft werden wenige, moralisch gelähmt werden alle.
Nein: sie ist wesentlich dann gegeben, wenn der Einzelne seinem Gefühle nach, im Gegensatze zu seinen Begehrungen, Strebungen, Taten, über diese Eigenregungen unbedingt die Massenbilligung setzt. Denn so gelangt er dazu –, sein eignes Tun und Empfinden, von dem er dennoch nicht, oder nur zur Vermeidung von Strafe, Hass und Verachtung lässt –, als schlecht zu verwerfen; auch wenn es niemandem Schädigung bringt und eben nur der Massenmeinung zuwiderläuft: «Anders sein» ist bedenklich.
So tatenwillig der Mensch auch ist, so nah ihm die Nahrungsleistung auch liegt –, er muss sich in freier Eigenspannkraft betätigen, oder sein Wille erstirbt, denn allen Freiheitsdranges innerster Sinn ist der eigentätige Wille. Die Arbeit bloss um des Brotes willen, verhindert die Ordnungsgestaltung, auf die der Wille wesentlich hinzielt. Die bare Dahingabe der Kraft – ausgenommen die reine leibliche Selbstentlastung bei Sport – lässt die innerste Macht des Einzelwesens unbefriedigt; der Wille bleibt in Schwebehemmung, die zu Ausbrüchen, zu langsamem Schwund, zum Absterben der Freudigkeit führt.
Kommt nun zu diesem zerrüttenden täglichen Aufschub, wie er im heutigen rastlosen Arbeitsgefüge mehr denn jemals waltet, die Unterbindung der Willensflut, und damit den seelischen Aufschwung der Liebeslust merzend: dann muss der Wille entarten. Ob die Merzung durch eingeimpfte Verachtung, durch wirkliche Strafen oder durch unbedingte Familienpflicht vor sich geht –, ob der Wille nun wirklich besiegt, oder ob es dennoch zur Drüsenbefriedigung kommt, oder ob er in Überarbeit, Trunk, in Zwangsenthaltsamkeit rauschhafte Reize erlebt: das innere Wachstum in Lebensaustausch und Tatgestaltung ist unterbunden, und unaufhaltsam verzehrt der Wille sich selbst.
Der Grad des Willens jedoch ist der Massstab der Daseinserfassung. Der tatenfreudige Wille sieht Heldenordnung das Leben bestimmen, der liebesfrohe Wille erblickt im leiblich-seelischen Doppelaustausch die Bundesordnung der Welt; so muss der hungerverfronte Wille vor Hungergespenstern zittern und kriechen, der liebesscheue Wille vor Götzenstrenge sich beugen – so muss der gemeinhörige, eingemeindete, willensenteignete Mensch eine Weltstrafordnung zur Aufrechterhaltung des Arbeitsbetriebes erkennen.
Die Weltstrafordnung: das ist der Inhalt der «absoluten Moral» – logisch bei Götzenfurcht, und nur bei ihr.
Gesetze, Gemeinbestimmungen regeln in Tun und Lassen des Menschen Tagesleben –, so muss auch, meint er, in allen Weiten der Wirklichkeit der gleiche Gesetzeszwang walten. Strafen drohen dem widerspenstigen Arbeitsbürger –, so wähnt er in jedem peinvollen Wirrwarrgeschehen der Umwelt gerechte Strafe geheimer Sünden, eigner Gesetzesverletzungen, ob er nun Gottheiten oder die eine Natur im gleichen alten Götzensinne verehrt. Nahrung bietet ihm nur das feste Arbeitsgefüge der Allgemeinheit –, die Allgemeinheit erscheint ihm als Höchstes der Lebenswerte. Kraftgetriebne Gewerke beschaffen die Notdurftstillung – als blosses Wirtschaft-Gewerke; vom Strome der baren Gemeinkraft staatlicher oder rassischer Art getrieben –, schätzt er sich als Arbeitskraft selbst.
Beraubt der Zielkraft, verschnitten an Schwungkraft, ist dem Menschen das Eigenleben ein sinnloser Überfluss voller Qual –, sein Eigendasein ist ihm ein schales Unding –, sein Eigenwesen ist ihm ein störender Schein –, die Eigennichtigkeit ist allergewisseste Wahrheit.
Doch das nur eine falsche Wahrheit, denn des Menschen Wille ward enteignet, wurde zunichte, zwar nicht als bare Kraft des Muskels, Gehirns oder Zeugungsgliedes, doch als lebenserbauender Wert.
* * *
Zu dieser baren Arbeitshörigkeit, dieser Pferdekräftegesittung, führt auf dem Umweg des götzisch-überirdischen oder sittlich-irdischen Zwanges der Hungerwille, hat er einmal in Liebestäuschung begonnen. Und jeder jeweils erreichte Zustand des äusseren Arbeitslebens, der Nahrungs-, Erwerbs-, Gewerbe- und Gewerksbedingungen, wird zur «angemessner» Erkenntnis, die durch Erziehung und Sitte den Willen des nächsten Geschlechtes neuerlich einengt, wodurch die Tätigkeit neuerlich schärfer auf bare Gemeinarbeit, strenge Gemeinfron gerichtet wird. Die Hungererkenntnis des Lebens setzt immer bestimmter und tiefer ein und bereitet immer stärker die nächste Willensenteignung vor: das Bild eines beschleunigten Falles!
Mehr als ein Bild und Gleichnis, fürwahr! Denn tiefer erkannt ist die massenbildende Schwerkraft, im Grossen und auch als Vorstufe, wie Stoffwechsel und Hunger es bedingt –, derselbe Entartungsvorgang wie Uneigenheit, zwanghaft blinde Gemeinsucht, wie massenbildender Sittenzwang. Die Entartungsstörung der Eigengestaltung wirkt in der Schwerkraft, und auf dem Umweg des Hungers, im Sittenzwange.62a
Freilich muss, um das begreifen zu können, der Geist die Schuppen des Hungerwahns vor seinem inneren Auge verlieren, und erst die ganze widersinnige Hohlheit der Massenlehren durchschauen. Und dazu gehört sichs, am geltenden Wahnsinn erst gelitten zu haben, bis der Wille in letztem Kampfe erwacht und sich auf sich selbst besinnt.
* * *
Den Willen zu ersticken, das ist aber das Ziel der heutigen Massenzeit.
Sie hat allerdings dazu den Klingklang im Wort von der unbedingten Pflicht gefunden und durch den Mund ihres Kant63 verkündet; doch stand das «Du sollst» schon kräftig-ehrlicher auf den Gesetzestafeln des Sinai.
Nun gibt es aber zweierlei Pflichten:
Die einen sind übernommene Pflichten, verbindliche Gegenleistungen; sie beruhen auf eigenbewusster Verantwortung, sie stammen aus klarem Zukunftswillen eigenkräftigen Handelns, sie wurzeln in Treue aus Willensentschluss, sie bilden den Kitt der gesunden Gemeinsamkeit. Diese Pflichten stählen den Eigenwillen, da sie Eigenwerte umgrenzen; das Heilige ist in ihnen die freie Treue und nicht der Zwang.
Die andern sind auferlegte Pflichten, bei denen der tragende Wille gar nicht befragt wurde; aus der Vergangenheit stachelt ihn fremde Gewalt.
Freilich können auch solche Willenslasten, wie es die Heerespflicht ist, den rohen Willen zur Sammlung bringen, doch nützen sie «sittlich» eben bloss dem rohen Willen, und mehr als die früher versäumte Jugenderziehung nachholen, tut diese Manneszucht nicht. Je wichtiger sie erscheint, um so ungünstiger muss das Urteil über die eigentliche Erziehung in Heim und Schule sein. Grundsätzlich aber sind auferlegte Pflichten nur bei Gegengewährung von Rechten statthaft, also auch auf Grund der Mitbenutzung vorhandner Gesittungswerte; sie bleiben aber immer ein Schwächezustand, da sie mit Zwang (auch mit dem unfreiwilligen Lebensanfang) beginnen, die eigentliche Triebkraft der Seele gerne missachtend und eigentlich stets den Gaul hinter den Karren spannend.
In diesem Zwange sehen aber die Pflichtsüchtigen grade den Wert der Pflicht, da es ihnen unter dem Scheine der Willenserziehung auf Willensenteignung ankommt, auf blosse Erziehung zur Willensabdankung. In absoluter Weise zeigt sie sich in der Willensbravur aller Säulenheiligen.
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Unbillig ist es darum, wenn alle die heutigen Arbeitsgläubigen, Einheitsgläubigen, Massengläubigen gegen die kirchliche Sittenzucht und Verpönung der sinnenfreudigen Kunst entrüstet tun. Die Kirchenlehre bezweckt genau dasselbe, was Willensgrund der kirchenfreien Maschinengesittung ist –, und Sittenfolge des Arbeitsgeistes zu sein hat: die Allhörigkeit. Daraus folgt klar die Unberechtigung jedes aussergewerklichen Eigenempfindens, die als Hemmung der baren Allgesetzesverwirklichung auftritt –, folgt die Gemeingefährlichkeit des Eigenempfindens –, folgt die Verwerflichkeit der Eigenfreude nährenden Kunst –, folgt die Straffälligkeit jedes Empfindens, das strengster Gewerkmässigkeit widersprechend zur Krafthinterziehung führe. Das Eigenleben erscheint als Raub am Gemeingefüge, und darum ist das was das Eigenleben nährt gemeinverpönt, es ist «unsittlich». Unsittlich ist in dieser Denkweise die Kunst die in Pflege der Anmut des Leibes das Feuer der Liebesfreude nährt –, die Kunst in der sich die Klarwelt vorweg offenbart.
Freilich will die Massengesittung auch Kunst, doch eine ungefährliche, die das Alltagsleben verputzend die Fron verbirgt –, und dem tiefen Sinn der Sehnsucht nach Offenbarung des frei gestalteten Eigendaseins durch Scheinbefriedigung alle Lebenskraft nimmt. Alles Derbe, Kleinliche, Sonderbare oder Massengewöhnliche ist statthaft, nur nicht das Einfachgrosse der liebesatmenden wahren Kunst. Jede Landschaft, jedes Tier, Stilleben, Hausgerät bis zum Nachttopf hinab, alles was nicht das Bereich der Erdennotdurft verlässt, ist zulässig –, nur der Mensch in seinem Aufflugsehnen, Streben und Lieben ist unerlaubt: in der «modernen» Massenkunst genau so wie in der «frömmelnden».64
So zeigt sich wieder und wieder die Gleichheit der Willensenteignung in Priesterkirche und Arbeitsstaat, die Wesensgleichheit der beiden Gegner, die wirklich bloss die Doppelentwicklung und Reinzucht des einen Zustandskeimes sind –, der einst vor mehr als drei Jahrtausenden fern im Wüstensand des Morgenlandes erlebt wurde: die Welt als Verhängnis in Laune und Zwang über dem einzelnichtigen Dasein waltend.
Brotentlohnte monistische Arbeitsfroner zu sein, von römischen Orden verwaltet, zum Nutzen der entschlossensten Geldmacht: das ist die Zukunftsaussicht der irdischen Hungerleider.
«Das ist deine Welt – das heisst eine Welt.»
Die Irrgänge des Geistes
Das monistische Weltbild:
Die Welt als Laune
Warum wurde Christus zu Jesus?
Das legalistische Weltbild:
Die Welt als Zwang
VIIIDer bürgerliche Glaube III
Das individualistische Weltbild:
Die Welt als Trotz
XIDas Widergeschick des Lebens
XIIPaulus
Die Irrgänge des Geistes PDF
Joachim Nettelbeck war ein deutscher Volksheld, der bei der Verteidigung von Kohlberg (an der Ostsee, Pommern, heute Polen) gegen die Napoleonischen Truppen 1807 eine wichtig Rolle spielte. Sein abenteuerliches Leben, unter anderem lange Zeit als Kapitän auf einem Sklavenschiff, ist als autobiografischer Fortsetzungsroman in den damaligen Zeitschriften erschienen und fand grosse Beachtung.
Ganymed, der schönste Knabe seiner Zeit, wurde von Zeus in der Gestalt eines Adlers (von Kraft und Willensstärke) auf den Olymp entführt, damit er dort Mundschenk für die Götter sei und ewig dort lebe. Dieser Mythos gilt als göttliche Legimation der Päderastie. Seine tiefenpsychologische Bedeutung ist das Bedürfnis von Männern, die männlichen Kinder, eigene oder die Besten der Gemeinschaft, in Kampf, Wissen und Sexus zu schulen.
Der Mythos gewann im antiken Griechenland und im Römischen Reich grosse Popularität, denn er gab der leidenschaftlichen Liebe erwachsener Männer zu Knaben Ephebophilie eine religiöse Berechtigung. Xenophon sieht in ihm den Beweis dafür, dass nicht die physischen, sondern die geistigen Vorzüge die Liebe der Götter gewinnen.
Lieblingminne und Freundesliebe sind für Eduard von Mayer und Elisarion eine umfassende Schulung von Knaben zum selbstbewussten, eigenständig denkenden Mann.
Die Res gestae des Ammianus Marcellinus sind das letzte bedeutende grosse lateinische Geschichtswerk der Antike. Die erhaltenen Teile umfassen die Jahre von 353 bis 378 und beschreiben die Zeit unmittelbar vor Beginn der grossen Völkerwanderung.