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Die Zukunft der Natur, Teil 1

Das individualistische Weltbild: Die Welt als Trotz

Paulus

Unter den Hingerichteten unsrer Menschheitsgeschichte stehn obenan: Sokrates, Christus, Jan Hus, Giordano Bruno; doch neben ihnen stehen die christlichen Märtyrer, Ketzer, Hexen und heute noch, alle Opfer des liebeswidrigen Sittenwahnes. Gerade an solchen «Verbrechern» enthüllt sich der Grund­feh­ler des durchweg geltenden Irrtums, aus dem die Rechts- und Erwerbsordnung der Hungergesittung beruht, in allem Wechsel unveränderlich.

Wer sonst mit Gesetzen und Sitten in Streit geraten – Räu­ber, Tyrannen, Empörer, Diebe, Betrüger – bewegte sich vor­wiegend in eben der allgemeinsamen Hungerebne; es waren Fra­gen der Brot- und Machtverteilung, in denen der Schwä­che­re schliesslich unterging – und mit Recht, solange in Brot­si­che­rung, also Wirtschaftskraft das einzige Ziel, der einzige Massstab gesehen wurde, nicht weniger vom Besiegten wie vom Sieger. Der Richter, an den sie beide sich beriefen, war die Gewalt, die List, der Zufall; und die entschieden im Hohlweg, im Blachfeld, am Spieltisch und an der Börse.

Aber die Ketzer in Glauben und Sitte erstreben ja gar nicht Bereicherung, neiden ja niemandem Leben und Freiheit.

Nur solche Rechte greifen sie an – und wären es hun­ger­re­gel­ge­treu erworbene – die einem Einzelnen, einer Gruppe oder der Allgemeinheit die Macht verleihen, das innerste Einzel­stre­ben zu knechten, des Menschen Herzensverhältnis zu Gott und den Mitmenschen zu fälschen, durch gotteslästernde Götzen­furcht und liebeslästernde Sittenfurcht sein Gewissen, Wollen und Handeln auszubeuten. Ihr Kampf gilt im Wesentlichen einzig den Menschensatzungen, Hungersatzungen, die sich als ewige Wahrheiten, ewige Wertgesetze geben und doch nur miss­ver­stan­dene, abergläubische Chaosvorschriften sind, un­fä­hig des Lebens Wurzeln und Ziele, Triebe, Kräfte und Wirk­lich­keit einzusehen, geschweige den Abgrund des Chaos, die Höhen der Gotteswelt zu erfassen; solche versperren gerade des Le­bens sondereignen Aufstieg zu Gott.

Diese Satzungen hätten Recht, wenn nie ein einziger Wider­stands­wunsch eine Seele durchzittert hätte und wirklich Jeder wie Alle fühlte und wollte –, freilich wären die Satzungen da vollkommen überflüssig! Ihr Vorhandensein spricht gerade gegen ihre eigentliche Berechtigung.

Diese Satzungen haben, ausser – vielleicht! – am ganz gemeinen Hun­ger­nut­zen gemessen, durch und durch grund­sätz­lich unrecht, da so unendlich viele Empörung gegen sie durch Herzen, Kräfte und Leben bebt. Sie lügen, wenn sie des Einzelnen Nichtigkeit predigen: das zeigt der Aufwand an Macht, an Lehren, an Stra­fen, Beamten und Kerkern, die sie brauchen, das «Nichts» (!) den Einzelwillen zu bändigen.

Nicht die Wahrheit – der Wille, und zwar der Gemein­wil­le der Hungermasse, ist der Inhalt von Recht, Sitte und Lehre, die gegen das Eigengewissen errichtet wurden.

Dawider muss, und wär es noch tief in sonstigem Irr­tum befangen, das lautere Einzelstreben sich wenden, in welchem die Ahnung Gottes erwacht ist, und muss, sogar wenn es noch vertiefte Gemeinhörigkeit brächte, doch mit der geltenden Hörigkeit schroff aneinander geraten. Es muss der jeweiligen Massenrecht-Ordnung den Fehdehandschuh hinwerfen, muss mit seinem Gesetzesbruch das Eigenrecht heiligen –, selbst wenn der Kämpfer meinte und wünschte, den Eigenwillen zu brechen: so Luther, der wider Rom erstand, aber doch noch vom beschränkten Untertanenverstande sprach.

Die Kühnheit, wider die von der Mehrheit erlassenen oder hingenommenen Regeln, Besseres aufzurichten, ist Aber­ken­nung des Mehrheitswertes und Anerkennung der Eigenwelt; wäre die Eigenwelt nichts und der Mehrheitszustand alles, so müsste die alte Regel im­mer die richtige sein und ihre Mängel ein blosser Schein. Es ist verhängnisvollstes Ergebnis des Hungerwahnes, der Chaos­nöte, dass sich das Eigenstreben selbst nicht immer begriff, in schwächenden Irrtum der Un­ei­gen­heit fiel, die eigne Tat durch die eigne Lehre ins Unrecht setzte und umgekehrt.

Sokrates,75 der nicht fliehen wollte, um nicht die Todes­ge­set­ze Athens zu verletzen, hätte auch nicht die Göttersagen be­kämpfen dürfen, auf deren Grundempfinden eben die grau­sa­men Sühnegesetze beruhten; indem er diese achtete, setzte er jene wieder ins Recht. Es siegte eben über die Einsicht der blos­se gefühlsmässige Massenzustand, wie er heute die glau­bens­lose staatliche Sittlichkeit kennzeichnet, die allerdings damals noch nicht so vorgereift war; nur bedeutete damals des Sokrates Denken eine Eigen- und Einzelentwicklung über das herr­schen­de Lebensempfinden der Masse hinaus –, obwohl auch sein Denken auf Unterdrückung des Eigenwillens hin­führ­te. Und ähn­lich steht es um Bruno, Spinoza, Fichte.

So ist das tragische Widergeschick einer solchen mas­sen­from­men Persönlichkeit eigentlich nicht in der Hinrichtung zu sehn, sondern im Selbstmord, den sie auf diese Weise leiblich und geistig begeht – ein heldischer Unsinn des chaos­ver­blen­de­ten Einzelwillens.

* * *

Tiefst bezeichnend ist in diesem Zusammenhang der Apostel Paulus, das Urbild der weiterhin in der christlichen Kirche keimenden Glaubensspannung zwischen Sinai-Vorschrift und Froher Botschaft.

Der jüdische Schreckensglaube hat durch das Juden-Chris­tentum seine jüngste und immer noch einflussreiche Ge­stalt gewonnen; er ist jedoch bei aller Echtheit der Lebens­stim­mung ein Wesensverrat an der Christi Botschaft, die nicht umsonst von Grund aus gegen das Weltbild der jüdischen Seele erging.

Christus war – trotz der mancherlei drohenden Worte der Evangelien – nicht gekommen um zu richten und zu hassen, er predigte keinen entsetzlich grollenden Himmelszwingherrn, sondern den seelensuchenden Vater der Liebe, in dessen Rei­che es viele Wohnungen gab, der mild und geduldig Gerechten und Ungerechten das Leben gönnte, und fern von Zorn, Rache und äusserer Macht die Erlösung von Jedem aus Erdenbanden erstrebte, jeder Seele die Gotteskindschaft gewährend, in freiem Bunde ohne Gesetzeslasten und Massensatzungen. Die ganze christliche Lehre des Weltgerichtes bricht vor dem einen Spruche Johannes 3:19 zusammen, wo allertiefstens die Strafe der Christusfeindschaft darin gesetzt wird, dass die Menschen in ihrer Dumpfheit in Finsternis bleiben, die ihnen mehr als das Licht ist. Dies ist das Selbstgericht des Chaosbefangenen.

Hierzu im Widerspruche erblickten jene, die durch des Volkes Israel Unglück und Sünden seelisch erschüttert waren, und erst nach einer völligen schrecklichen Welterneuerung wieder auf Gottes Gunst zu hoffen wagten, in der Christi Bot­schaft – der innern Nähe des Gottesreiches für jede suchende Seele –, vielmehr die Kunde des nahen äusseren Anbruchs furchtbarer Weltgerichte.

Die Feuerreden gegen die Menschensatzungen mas­sen­her­ri­scher Priester und kalter Frömmler, die Lehre der nächs­ten­lie­ben­den Selbstvertiefung –, die dem erdengewissen Reich­tum fast alle Aussicht auf Gottes Hilfe nahm –, ist die Christi Bot­schaft der Innenerneuerung des Menschen: diese Feuerreden klangen in den Seelen der Chaosbefangenen als mahnender letz­ter Ruf vor dem Untergang aller irdischen Werte und Mäch­te. In ehrlichem Miss­ver­ständ­nis entnahmen sie Christi Wir­ken, der den Einen ein neuer Prophet, den Andern der Volks-Messias schien, nur das was zu ihrem seelischen Sehnen stimm­te. Sein eigentliches, verklärtes dem Erdenkurzsinn ent­hobenes, in tiefpersönlichem Gottes­bun­de wurzelndes Wesen, und sein Schauen und Künden be­grif­fen sie nicht, geschweige denn seine ewige Heilsbedeutung als Ur­überwinder der Erde und ihrer Rassefron, als Vor­käm­pfer der wahren Men­schen-Kul­tur, die da nur zu finden ist, wo der Naturzwang zu Freiheit und Freude umgestaltet ward. Es ist ein Irrtum, in ihm einen Gegner des Menschenwerkes zu sehn, wo grade er des Men­schen­strebens höchsten Sinn ver­wirk­licht: bei blosser Natur­verhimmelung hätten wir ruhig Affen, Amö­ben oder Atome bleiben sollen; aber das tiefe Ent­wick­lungs­streben in der Natur weist notwendig hin auf Chris­tus, der daher auch der tiefste Erfüller des Sehnens in der Natur, der höchste Naturerfüller ist. Das sahen aus Hun­ger­furcht weder die ersten noch die späteren Christen.

Sie waren, so über-oft sie seine Worte gehört und nicht be­grif­fen hatten, ganz in dem irdisch-alten Gedankenkreise be­fan­gen: ihr irdisches Wohlergehen hinge von Gottes Belieben ab, ihr irdisch-völkisches Elend bezeuge den göttlichen Zorn, die gewohnten Opfer und Bräuche wären vergebens erfüllt, bewiesen die untilgbare Sünden-Erbschuld –, ein neues uner­hörtes Opfer allein vermöchte Gott zu versöhnen.

Christus hatte die heldische Überwindung der Todes­schre­cken zielbewusst hingenommen, den unver­meid­li­chen Has­ses­blut­durst derer, die seiner Liebesbotschaft des himmlischen Vaters mit dumpf-befangner oder berechnender Feindschaft im Namen der Rassewohlfahrt entgegenstanden –, denn seine Wor­te hatte er mit dem Blut bezeugt. Da ward in ihnen der Glau­bens­ge­danke lebendig: Christus wäre das furchtbar heilige Opfer –, er wär es, den die Bibel in soviel dunklen Sprüchen als Sühner der Menschheitssünden vorausverkündet hatte, – er der von allen Menschen als Kinder Gottes geredet, und da ihn nie­mand begriff, in klarster Selbstgewissheit von seiner, des Men­schen­sohnes Gotteskindschaft sprach –, er wäre Jahwe sel­ber, als Doppelgänger, als Sohn auf Erden erschienen, um alle menschliche Sündenschuld durch sein Selbstopfer zu til­gen, sich selbst mit sich selbst durch sich selbst zu ver­söhnen.

An diesen Gottes-Sühneopfergedanken, den letzten grau­sig höchsten Ausdruck des Rachewahnes, schloss sich die Hoff­nung und Furcht der nahen Wiederkunft, des nahen Welt­ge­rich­tes aller, die nicht an ihn, an seine missverstandene Bot­schaft (und in der angstverzerrten Überlieferung täuschend als seine Wor­te hineingeflossene Furcht) glaubten, den letzten Gna­denversuch zurückweisend, den der Weltenschöpfer getan, ehe er die alte missratene Erde vernichten würde. Derart miss­ver­stan­den ihn gerade die, die Christus verehrend liebten –, seine Auferstehung – die Erdüberwindung begriffen sie nicht.

Doppelt war es also der Rachegedanke, der so im ver­zerr­ten Christusglauben wieder erstand: Christus, der andre Jah­we, gekommen um Gottes Rache durch blutiges Opfer zu stillen – und Christus, wiederkommend, um die mit ewigen Qualen zu strafen, die nicht das Kreuzesopfer bekannten.

An diese Glaubensempfindung reihten sich fort und fort im Laufe des Christentums die Boten des nahenden Welt­ge­rich­tes bis zu den heutigen «Adventisten» –, denen gegenüber das andre, sogenannte «moderne» Christusbild in Christus einen blossen mildgesinnten «Kommunisten» und Sitten­ver­besserer zeichnet; beide Bilder erfassen nicht die Gottestiefe und Menschenhöhe, die Liebeswahrheit und Freudenheiligung dieses geweihten, verklärten Erdüberwinders. Als – göttlichen oder irdischen – Richter der Strenge sahen sie ihn, richteten Schädelstätten, Galgen und Scheiterhaufen in seinem Namen wider alle diejenigen auf, die Gott in Liebe und Freude suchen. Schon seine nächsten Jünger verrieten derart sein Werk und ihn selbst. Nur Johannes scheint den wahren Christus erlebt zu haben: das Überirdisch-Göttliche seines Wesens – wie miss­ver­stan­den immer – ging überhaupt zuerst den galiläischen Jün­gern auf, die wohl nicht rein jüdischen Blutes waren.

Dennoch ging die Christusbotschaft wahrhaft hinaus in die Welt dank seinem rabbinischen Jünger Paulus.

* * *

Paulus, als strenger, Jahwe mit Furcht und Zittern, Sat­zungs­treue und Schriftergründung dienender Jude, hatte Christus zunächst mit Inbrunst als gotteslästernden, gotterzürnenden Volksgefährder in denen verfolgt, die ihn (verkennend) als selbst­geopferten Gott-Messias predigten, seine wel­ten­rich­ten­de Wiederkunft kündend.

Für Saulus war es die ärgste Gotteslästerung, dass ein elend Hingerichteter, von der obersten Kirchenbehörde Ver­urteilter gar als Sohn des all-einzigen Gottes bekannt wurde –, ein elender Mensch, ein so hinfälliges Nichts, zur unbedingten Demut verpflichtet, gab sich als Gott und Gottessohn aus! – da hätte der Weltenherrscher sich in jammervoller Vernichtung zeigen sollen?! Ein Mensch – als Gott, und Gott – als Mensch? Es war die völlige Umkehrung seines Empfindens, in tiefster Empörung gefühlt, wie sie noch in der Lehre des Talmuds lebt: Christus erleide für seine Gotteslästerung die ewige Höllen­stra­fe in siedendem Kot.76 Ein solcher Hass entstammt we­sens­tiefem Gegensatz.

Dann kam der Tag von Damaskus.

Es muss ein tieferschütterndes Seelenerlebnis gewesen sein, das ihn Christus erblicken liess. Seine späteren Kämpfe bezeugen, dass ihm – gegenüber der früheren selbstgerechten Gesetzeserfüllung – die «Gnade» plötzlich als Rettung er­schien. Er muss in innerer Ohnmacht verzweifelt gewesen sein, je auf dem alten Wege Gott zu versöhnen: vielleicht war es ein Liebesempfinden, das ihm es so schier unmöglich machte dem alten Gesetz zu genügen, aufgestachelt vom andern «Gesetz in den Gliedern» (Römer 7:25). Doch wird es wohl kaum ein Em­pfinden zum Weibe gewesen sein, denn das war ja alt­tes­ta­ment­lich geboten, auch nennt er das «Nichtfreien» besser als Freien: sondern es war wohl eher ein gleichgeschlechtiges, ärgstens verpöntes. Sein eignes hartes Urteil über solches Lie­besempfinden (Römer 1:25–27) spricht durchaus nicht da­ge­gen, sieht er doch darin nicht so sehr eine furchtbare Sünde, als bereits eine quälende Strafe dafür, dass die «Heiden» Bild­werke schufen – ihm selbst mag es eben Qual und Ver­zweif­lung gegeben haben und als teuflische Heimsuchung er­schie­nen sein. Er konnte – wie Zahllose in gleicher Lage nach ihm und bis heute – nicht unbefangen die eigne Empfindung werten, die nun ein­mal unverstanden und daher verpönt ist.

Jedenfalls muss Paulus in einem Innensturm der Ver­zweif­lung Christus nahe getreten sein.

Es ward aber nicht der Christus der Frohen Botschaft, den er begriff, für ihn ward Christus der Bluterlöser. Die frühen Christen hatten wohl mit Bezug auf die Sünden Israels auch der­gleichen geahnt; aber tief persönlich erlebte das Selbstopfer Gottes zur Til­gung der Menschenschuld vor allem Saulus-Pau­lus. Allzumächtig zittert in ihm gerade diese See­len­be­wegung und trieb ihn, in Gegensatz zu den andern Aposteln, zu vollem Bruch mit den jüdischen Satzungen, denen die anderen Apostel nur langsam entsagten, indes sie für Paulus durch Christus für immer gesühnt waren. So ward er denn auch zum «Heiden»-Apostel. Durch sein starkes Erleben, seiner Reden und Briefe Einfluss strömte dann wohl der Sühneglaube allmählich in alle Erin­ne­run­gen zurück, die Berichte der Evangelien derart be­stim­mend und all die Gerichtsdrohungen dem Heiland selbst in den Mund legend, die seiner Botschaft und andern, gütigen neuen Wor­ten völlig zuwiderlaufen,77 von altem Geiste noch allzu er­füllt.

Nein, die Frohe Botschaft hat Paulus, so innig und kraft­voll er Christus liebte –, das wunderbare Kapitel 13 aus dem ersten Korinther-Brief bezeugt es mit seinen Worten, die zum Höchsten, was Men­schen geschrieben, unvergänglich gehören –, doch nicht im Tiefsten begriffen. Und doch ist seine Glau­bens­em­pfin­dung der unerlässliche Weg gewesen, den un­be­kann­ten Gott, den Urerlöser und Allsieger endlich ganz zu er­kennen, anstelle des rachesüchtigen Weltenschöpfers.

Es streiten sich in Paulus zwei entgegengesetzte Got­tes­er­kennt­nisse, Gottesbilder: Jahwe, die alte Racheallmacht voll unermessbarer Laune, der vordem unerfüllbare Satzungen aus­ge­stellt hatte und nun noch immer zur Gnade nur den zuliess, der ihm beliebte78 –, und Christus, gekommen zu suchen und selig zu machen, was laut der alten Satzung verloren war.

Ja, an diesem Widerspruch krankt nach ihm die ganze christliche Kirche, immer zu neuer Trennung und Spaltung ge­drängt, sich je nach dem Überwiegen des Jahwe- oder Chris­tus-Glaubens scheidend zu neuem Bekenntnis, das doch in der neuen Form gar bald in denselben Widerspruch eines in­ner­ge­hei­men «Schismas» wieder zurücksinkt, solange das Be­kennt­nis des Paulus als Glaubensgrund ungeklärt weiterbesteht; ging doch auch Luther eben nur bis zu Paulus und Augustinus zu­rück, als er die römischen Menschensatzungen abwarf; stellte sich doch Pascal in seinem Kampfe gegen die Jesuiten – die logischsten Jahwe-Bekenner79 – dennoch auf eben den wi­der­späl­tigen bibelchristlichen Kirchengrund.80

* * *

Paulus steht an der Schwelle der höchsten Gotteserkenntnis, er ist es, der den Glauben des Alten Bundes über die rassische Enge hinaushebt und zwischen Jesaja und Christus inmitten steht, über Jesaja hinausgeht, indem er auf Christus hinschaut, aber ihn doch nicht völlig begreift, weil in ihm die Empfindung und der grosse Jesaja-Gedanken noch allzu lebendig ist, dass Jahwe, der Oberherr aller Welt, aus freier Wahl und nicht aus Naturzwang – das Volk Israel auserkoren hat und so auch ver­werfen kann: diesen Gedanken bildet Paulus, im Hinblick auf Christi Vaterbotschaft dahin weiter, dass Gott in freier Wahl die einzelne Seele annimmt oder verwirft. Die Lehre der «Gna­den­wahl» geht gewiss über den Alten Bund hinaus und bleibt dennoch weit hinter der Seelenbefreiung Christi zurück, die freilich erst durch die Klare Kunde der Eigenwesenheit sich dem Menschenverständnis als höchste Lebenslinie, als Über­win­dung des Chaos durch Gottes Hilfe eröffnet.

Moses stellte den Menschen zu Gott in ein bares, hartes Rechtsverhältnis, wie Hörige zu dem Zwingherrn; die «Hei­den» suchten mit Listen den gegenseitigen Neid der Götter zu Gunsten der Menschen auszubeuten; Jesaja erkannte die gött­liche Freiheit und Übernatur; Paulus bezog sie nun auf den einzelnen Menschen, worauf von neuem Luther sich stellte, als die Kirche in seelenlähmender Weise die heidnische Gottes­über­lis­tung mit der jüdischen Gottesallmacht im Zeichen des Kreuzes verschmolzen hatte, zur Lebensschranke erhob und weidlich ausnützte.

Das wirklich Entscheidende ist in Paulus die Einsicht, dass ohne Gottes freie Hilfe die Seele nicht zur Erlösung kommt; doch irrig und christuswidrig bleibt es in ihm, dass er gar nicht einsieht, wie auch des Menschen Eigenstreben durchaus nicht widergöttlich und höllenwürdig ist, sondern unbedingt zur Er­lö­sung gehört, und dass er nur als Eigenwesen die Gottes­kind­schaft erwerben kann; aber da er in Gott den All­machts­schöp­fer sah, verschloss sich ihm diese verklärende Einsicht und Christi innerste Botschaft.

Zwar konnte durch Gnade nun mancher selig werden, der vordem vergeblich um Satzungserfüllung gerungen –, dennoch war es die Laune Gottes, die solchen erwählte. Es war nicht jene Gotteskindschaft, die Christus gekündet; der liebende Himmlische Vater, der Niemanden ausschloss, wenn er nach vielem Irren sich endlich zu ihm in Vertrauen wandte –, Gott wurde bei Paulus zum Verhänger verschärftester Demütigung, und Gott schien sogar vor dem ehrlich Strebenden jenen vor­zuziehen, der ohne Streben und Stolz die eigne Ohnmacht be­kann­te: das klingt auch in das Gleichnis vom Königsmahl und den Bettlern hinein (Matthäus 22:1-14, Lukas 14:15-24), mit seinem Racheschluss von aus­ge­spro­chen christuswidrigem Geiste, obschon in den Mund Christi gelegt.

Hatte der Mensch sich vordem zum Demut-Gehorsam zwingen können und so des Gesetzes Vorschrift erfüllen: – von jetzt ab ward ihm auch dieses Selbstvermögen der Frommheit versagt. In letzter Selbstenteignung sollte der Mensch be­grei­fen, dass ihm in keiner Weise möglich wäre, von selber Gottes Willen gemäss zu streben und tun, noch auch nur hil­fe­su­chend zu ihm sich zu wenden; so unermesslich war seine menschliche Nichtigkeit seit dem Sündenfall Adams, der sich ver­mes­sen sich selbst Gott zu nähern, und dass diese ererbte und im­mer erneute Schuld des Eigenstrebens nur durch ein un­ge­heu­res Gottesopfer zu tilgen wäre – nie durch Eigenstreben. Das sollte der Mensch erkennend bekennen. In solch tiefster Entwertung des Menschen –, die schroff dem Wert widersprach, den Chris­tus gerade der einzelnen Seele und ihrer Sehnsucht verlieh –, fand Paulus die höchste Gott-Erhöhung.

So ward diese Demut-Erniedrigung vor Gott zur äus­sers­ten Demütigung jedes einzelnen Menschen.

In dieser zwar satzungslösenden, dennoch schärfsten Er­neu­erung des Opferglaubens blieb Paulus vorchristlicher Mensch, so sehr er auch wider die jüdischen Rassesatzungen kämpfte. Den alten Gesetzesbund sah er zerrissen, doch dräng­te sein altes Gemeinempfinden ihn stetig dahin, das per­sön­li­che Band zwischen Mensch und Gott allmählich wieder in einen Gemeinbund zurückzuverwandeln –, in die «Gemeinde», die schliesslich grade so der Vermittler zwischen der Ein­zel­see­le und Christus ward, wie ehedem das Volk Israel Mittler des Einzellebens und Jahwes; die neue Urkunde war statt der Si­nai-Tafeln das Abendmahl.81 Die alte Form des Judentums war zerbrochen, aber es blieb die unendliche Kluft zwischen Schöp­fer und dem Geschöpf, zwischen Gott und Mensch, der ja für Paulus kein Eigenwesen ist.

Es bleibt ein lähmender Widerspruch im Christentum, wie es Paulus gestaltet hat, dass einerseits höchste Liebe aus Jah­we-Christi freiwilliger Allmacht-Entkleidung und freiwilligem Menschenleide sprach –, andrerseits es wieder nicht Liebe, son­dern grausame Laune heissen muss, dass nun nicht Alle ge­ret­tet, alle Schuld beglichen, aller Sündentrieb ausgemerzt war. Was die Erkenntnis der Eigenwesenheit ist, die Einsicht der unerlässlichen Eigenreife der Wesen, die keine Allmacht ihm abkürzen kann, wodurch die allmähliche Einzelerlösung be­greif­lich wird, ohne Gottes Güte und Hoheit zu mindern –, das ist ein gotteslästernder, Gott zum Willkürherrn stempelnder Widersinn im Glauben des Paulus. Bei ihm werden einzig die er­löst, denen Gott beliebte den unbedingt geforderten und allein seligmachenden Glauben an die unbedingte Not­wen­dig­keit des göttlichen Selbstopfers, an die unbedingte Nich­tig­keit jedes menschlichen Wollens, an die schrankenlose Rache-Allmacht Gottes zu erkennen.

Nicht mehr die Kinder Israels waren das Volk der Er­wäh­lung, die Rassefron blieb überwunden –, doch blieb es Wahl und Willkür, wer zu dem auserwählten Volke der Seligen zäh­len würde und wer zu den Ausgestossenen in ewiger Pein. Got­tes­kindschaft, wie Christus sie kündigte, schliesst sich mit Gna­den­wahl, wie sie Paulus zitternd bekannte, vollständig aus.

Vermutlich war die Menschheit damals noch nicht so­weit gereift, dass sie Christi Botschaft völlig hätte erfassen kön­nen, sondern der weiteren Vorbereitung durch Paulus und die Kirche bedurfte. Er sprach zu den Menschen, wie er es selber erlebt hat, und jener eine Wesensfortschritt den ihm Damaskus brachte, ist auch der Menschheit ein Aufstieg ge­worden –, freilich mit unerhörten Krämpfen und Kämpfen des Glaubens und Fühlens.

* * *

In Paulus findet die gottgläubige Hörigkeit wirklich ihr letztes Wort: die Gnaden- und Verdammniswahl.

Und dennoch zeugt seine eigne ringende Seele dagegen. Wäre alles «Ringen und Laufen» umsonst, wie er selber sagt, so hätte er gar nicht im Streben, Kämpfen und Wirken sich abmühen sollen, noch dürfen –, das wäre doch der Versuch die Entscheidung Gottes zu zwingen, also Vermessenheit, Un­glau­be, Sünde –, so wärs doch anders gedacht fromm und gerecht gewesen, behaglich drauflos zu leben, falls einem allen Sünden zum Trotz die Gnadenwahl Seligkeit zusprach –, nützte die Selbstkasteiung doch gar nichts, falls man durch die Ver­damm­nis­wahl zur Unehre vorherbestimmt war.

Aber der lebenstiefen Natur des Paulus konnte die Gleich­gül­tig­keit nimmer genügen –, er musste ringend die Gna­den­wahl und die eigne Nichtigkeit widerlegen, ohne einzusehen, dass in seinem Sehnen und Seufzen eben sein Eigenwesen zu Gott emporreichte, aber noch nicht die volle Erlösung zu fin­den vermochte, trotz Gottes helfender Liebe, weil noch nicht die volle Reife erlebt war.

Die gleichen Kämpfe ziehen weiter hin durch das Chris­ten­tum, das in unbegreiflicher Weise, in nichts auf Christi Bot­schaft fussend, zu Sinneshass kam.82

Alle die Lebensverneiner, Origenes und die Mönche, be­kämp­fen mit ihrer Tat ihren Glauben. Der Allmacht-Schöpfer hatte – folgerichtig gedacht – doch auch das Liebesempfinden, die Leibesglieder geschaffen. Sie abzutöten war – folgerichtig – somit ein Eingriff in Gottes Willen und unfromm; doch wollten sie grade fromm sein und jede sündige Eigenlust abtun und taten es nur mit Eigenwillen.

Den Eigenwillen sahn sie aber vor allem im Liebes­em­pfin­den, der stärksten Eigenbejahung des Lebens. Das Liebes­be­geh­ren dünkte ihnen daher als widergöttliche Auflehnung. Frei­lich mochte es gelten, sofern dadurch zu Gottes Ehren Menschen gezeugt wurden, doch wirkte auch dieser Duldung der stete Gedanke der nahen Wiederkunft Christi, des nahen Weltenendes entgegen; es war kein rechter Ent­schul­di­gungs­grund zum Zeugen mehr da. Dazu waren die freien Liebes­trie­be derart mit heidnischen Glauben verknüpft, dass sie als Götzen­dienst und so wiederum als Abfall von Gott erschienen, ob­schon sie dem ältesten Jahwe-Dienste nicht widersprachen und erst zuletzt als allzu ähnlich den heidnischen Diensten ver­pönt wurden.83

All das würde dennoch nicht den starken Sinnenhass jener Männer erklären, denn ein gleicher besteht ja im keineswegs gottfrommen Buddhismus, bestand bei vor- und aus­ser­christ­li­chen Lehren des Morgenlandes, bei den Essäern und gleichfalls im Manichäismus.84

In Wahrheit ist es ein Doppelgrund: das Liebesempfinden in seiner starken und tiefen Eigenwurzel ist freilich ein Ge­gen­trieb zum Massensinne und daher fürchtet der Massengeist die Liebe, ausser sie diente der Massenmacht in Kinderzucht und Nahrungsfron; dazu kommt aber noch, dass die Liebesfreiheit freilich vom hungerverrohten Menschen gar nicht zu wahr­haf­tem Lebensaufschwung verwandt worden ist, so dass die Miss­er­fah­rung in Liebesdingen am eignen, wie allgemeinen Leben, gar viele und eher die Tieferempfindenden gegen die Liebes­freiheit und Lie­be einstellte. Weil sie dem Massensinn wider­spricht, und weil sie der Massengeist der Geniesser nahezu un­ge­niessbar ge­macht hat –, weil sie dem Chaos entgegen, durchs Chaos ver­zerrt worden: ist die Liebe so in Verruf gekommen85 und konnte das Christentum solch einen Sturmlauf gegen sie füh­ren, gleich dem Buddhismus und gleich dem Massenwahne.

Erst wenn die Eigenwesenheit klar erkannt ist, wird in der Liebe wieder der göttliche Funke, als Keim der Gottes­be­stim­mung gewertet und Christi Botschaft im tiefsten Sinne als lie­bes­frohe begriffen werden –, und kann so die Läuterung der Menschen vollführen, die durch all die Jahrhunderte zu Heu­che­lei und Verbitterung wurde. Dann wird auch der sinnlose Kampf des Menschen ein Ende nehmen, den er aus Wille zur Hei­li­gung gegen die heiligsten Kräfte geführt hatte.

Ohne die Eigenwesenheit freilich bleibt der tiefste Sinn der Liebesfreude noch unerkannt. Eher verständlich, wenn auch traurig ist der Wirrwarr, dem so viele tüchtige Geister erlagen. Alle die Ordensstifter und Kirchenverbesserer stellten die Zucht darauf ein, dem Einzel- und Eigenwillen zu brechen –, und singen jeweils doch selbst mit der eignen Auflehnung, dem eignen Tadel gegen die geltende Kirchenordnung an; genau wie Sokrates. Selbst in jenem Manne, der doch für die grund­sätz­li­che Freiheit des Einzelnen die Bahn brach und die Macht des eigenen Ge­wis­sens hob, in Luther, waltet noch die starre Bibel­hö­rig­keit, ganz der eignen Tat widersprechend. Menschensatzungen wollte er abtun und nur die Gebote Gottes bewahren, doch war es sein Eigenempfinden, wonach er ent­schied, was göttliche oder menschliche Vorschrift war; nur konnte er das nicht einsehen noch zugeben. Nicht umsonst schwankte er so in der Frage der Willensfreiheit –, ist sie doch das Kreuz der Gedanken aller Lehrer der Eigen­nich­tig­keit, seien sie geistlichen oder welt­lichen Standes.

* * *

Es folgt aus der «Allmacht», dass alles geschehen muss, was in ihren Bestrebungen liegt, und nichts geschehen kann, was ihr zuwiderläuft; alles, was irgend geschieht, ist wesentlich Aus­druck des Daseinsinnes. Aus der Eigennichtigkeit folgt jedoch, dass es dem Ein­zel­we­sen unmöglich ist, irgend zu tun, was gegen das Allmacht-Wesen geht, noch irgend zu lassen, was diesem entspricht. Dieses (angeblich uneigene) Einzel­we­sen stellt also immer und überall völlig den Allmacht-Willen dar, in gewollter – von Gott, der Allnatur, des Geistes, der Kraft, des Stoffes – gegebner Verwirklichung.85a

Aber die Allmachtshüter – Priester, Gelehrte, Beamte, Schutzleute – sehen zu ihrem Entsetzen, dass die Einzelwesen sehr Entgegengesetztes wollen und gar überhaupt gegen Mehr­heits­ord­nung kämpfen. Da müssen sie irgend wie das Ein­zel­we­sen gleichsam unschädlich machen, sein Tun untersagen, die Tat bestrafen, den Willen brechen. Sie müssen ihm dazu jede Entschuldigung, doch nicht anders gekonnt zu haben nehmen –, sich selber jedoch die Entschuldigung sichern, warum sie strafen müssen.

Darum wurde das Einzelwesen für zurechnungsfähig, ver­antwortlich, willenswahlfrei erklärt.

Weh ihm aber (!), wenn es die Freiheit des Willens nicht dazu verwandte, in Denken, Fühlen und Handeln aus Eigen­frei­heit – Verzicht (!) zu leisten.

Warum?

Weil sein Eigenstreben einfach als solches, von jedem Schadenergebnis abgesehen, als Gefahr für den – Allmacht und Allgemeinheit genannten – Mehrheitsgeist erscheint; widerlegt doch das Einzeltun als solches den Anspruch des Massentums auf ein­ziges Daseinsrecht. Wirklich, bei Allmachtsgesetzen – und wären es Scheingesetze der Massenwünsche – ist der ein­zige Sinn der sogenannten Willensfreiheit: die Freiheit sich völlig der grade geltenden Fronordnung zu unterwerfen und jedes Eigenwollen zu büssen.

Nun heisst es: der Mensch sei willensfrei, weil ihn der Schöpfergott als Freien gewollt; dann hat der Schöpfer, und war er vordem allmächtig, damit auf seine Allmacht verzichtet, dem Menschen einen namhaften Teil seiner Hoheit abgetreten und kann hinfort nicht mehr tun, als alle die von seiner Gegen­wart ausschliessen, die sich gegen ihn entscheiden –, wie da­nach folgerichtig die Kirche mit ihrem Banne handelt. Und wirklich ist ein solcher Ausschluss des Fremd- und Feind­ge­sinn­ten von allen Vorteilen des von ihm missachteten Grup­pen­ge­füges die echteste und gesündeste Form der Selbst­wehr –, vorausgesetzt dass der frühere Eintritt auf freiwillige Zu­stim­mung hin erfolgte, nicht aber zwangsweise, und ebenso dass der Ausschluss nicht zu weiteren Freiheits- und Lebens­be­schrän­kun­gen führt, als bloss dem Verlust der missachteten Gruppenvorteile, unter Belassung der Möglichkeit, sich in an­derm Gruppengefüge neuen Lebensboden zu suchen. Sonst wird zu grausamer Vergewaltigung, was dem Wesen nach lautre Scheidung und falls Entbehrung damit verbunden, eine stra­fend-erziehende Handlung ist –, also reifende Prüfung be­deu­tet.85b

Es kann kein Zufall sein, dass diese würdigste Strafe so gut wie ganz im Massenstaate verschwunden ist, und Geld- und Freiheitsstrafen so überwuchern, die eigentlich erst bei Rück­fall nach Bannesende oder gewaltsamen Bannesbruche an­ge­zeigt sind. Es kommt aber hierin der sinaitische All­machts­glau­be zum Ausdruck, in dem für Freiheit kein Platz ist, obschon der Einfluss der Botschaft Christi mit seiner Schätzung der Einzelseele den Freiheitsgedanken in den Glauben hineintrug und alle die Fragen der Willensfreiheit erweckte. In Wahrheit bedeutet Christi Botschaft, dass Gott den Menschen als freien gewollt, die Eigenwesenheit wirklich anerkennt. Doch dies ist noch un­er­kannt, und nur vom klaristischen Glauben der Eigenwesenheit aus löst sich die Willensfrage mühelos und lebensfördernd.

Indem nach bisherigem Glauben Gott dem Menschen die Freiheit der Wahlentscheidung verliehen hat, wurde dem Men­schen einen eigentätigen Anteil am Weltgeschehen gegeben, eine «Verfassung». Diese Eigenfreiheit und Eigenwesenheit ist eine Magna Charta Universi.86 Waren die Einzelwesen vordem Sklaven und Machwerke – fortab wären sie «Freigelassne» mit allen Eigenrechten, zur Gottes­kind­schaft zugelassen.

So liegt im Gedanken dieser Verleihung der Freiheit die Klare Kunde schon vorempfunden und wer ihn teilt, muss bei strengem Denken, sich zum Klarismus entwickeln.

Aber es folgt noch mehr daraus, brauchte Gott die sich in Freiheit gegen ihn entscheidende Menschenseele nicht in seine Gemeinschaft aufzunehmen (was für beide eine Qual wäre!), so wäre es doch die ausgesuchteste Bosheit, sie nun aus ge­kränk­ter Eitelkeit in ausgesuchte Qualen der Hölle zu stürzen, ja die­se zu schaffen. Es konnte auch nur die Götzenfurcht auf solch einen gotteslästernden Wahn verfallen, wie ihn Dante an das Höllentor (III, 1–9) heftete, und ihn «Liebe» nennen!

Vielmehr überlässt der liebende Seelenbefreier das Ein­zel­wesen sich selbst, solange als ihm die Wirrwelt noch völlig ge­nügt; und erst wenn es gereift ist und ihm die Wirrwelt anfängt zur Qual zu werden und schliesslich, je mehr es zu Gott ver­langt, zur läuternden Seele wird, hilft er dem ihm in Sehn­sucht zustrebenden Herzen, bis die Seele ahnend und schauend wirk­lich zur Gottesordnung hinanreifen kann.

Dies ist klaristischer Glaube. In seinem Sinne ist alle Stra­fe nur läuternde Scheidung des Noch-Nicht-Zusammenge­höri­gen – nicht Rache, noch Zwang, sondern sichtender Schutz als Erziehung zu freier Gemeinschaft.86a

Wirklich: Willensfreiheit bedeutet Eigenhoheit des Ein­zel­wesens, die Macht, das Recht und die Kraft, von sich aus Ord­nun­gen, Werte, Wirkungen auszulösen, sich eigenbeliebig der Umwelt und ihrem Betriebe ein- oder auszufügen –, und sollte es dabei im Wettstreit unterliegen. Der freie Wille berechtigt den Menschen zur Wahl seines Weges –, nur muss er dann in Eigenverantwortung auch die Niederlage seiner Bestrebungen auf sich nehmen, als Gottes Parteigänger leiden, wenn Satan siegt, als Gottes Widersacher fallen, wenn Satan fällt.

Freiheit der Willenswahl bedeutet: Mannigfaltigkeit der Daseinsordnungen, Möglichkeit der einen oder der andern anzugehören – der Gegensatz des All-Ein­heits­glau­bens.

Darum müssen die Gottes-, Geistes-, Naturgelehrten halt­los schwanken, ob sie Freiheit des Willens, Verantwortung, Ei­gen­hoheit und Eigenwesenheit zugeben sollen, die All­ge­mein­macht im Dasein entthronend –, oder dem All-Eins allein die Ehre gebend, die Eigennichtigkeit, Willensunfreiheit, Un­ver­ant­wor­tung lehrend. Ihr Schwanken aber, der Widerspruch zwischen Gründen und Folgen ihrer Behauptungen, zwischen den Tatsachen und ihren Wünschen, widerlegt in hohnvoll-glänzender Weise ihr eigenes Denken.

Wäre die All-Einheit wirklich vorhanden, wäre die Wirk­lichkeit etwas Einiges –, brauchten sie zu schwanken, zu fragen, zu raten? Braucht das All-Eins vor sich selbst in seinen Ver­tre­tern Versteck zu spielen?

So wendet sich in Geistesfragen, im Willenskampfe, im Ord­nungs­wun­sche, in jeder Empfindung, Gestaltung und Tat die wirkliche Macht des Einzelwesens gegen die Hungerlüge des Massenzustands –, gegen die Lüge das Eigenwesen wäre ein wertloser Schein.

Der Wert des Einzelwesens, die Zukunftsstrebungen gegen die Mas­sen­er­hal­tungs­wün­sche, das Hoheitsrecht der Ver­gan­gen­heit, das ist der wirkliche Kampf des Willens. Der Sinn der Willens­frei­heit ward gröblich verschoben, als lang und breit erörtert wurde, ob der Mensch von Beweggründen abhinge oder nicht. Im Grunde hat niemand bestritten, dass schliesslich der Mensch gerade so und nicht anders handelt, als er hat han­deln müssen, weil die vorbe­stimm­ten Beweggründe Oberhand hatten; freilich steht jeder auf dem in Vergangenheit vor­be­rei­te­ten Boden «determiniert», aber es fragt sich in Wahrheit bloss, ob und wohin er darüber hinaus wächst, ob es ein letzter Stillstand, eine Vergeudung, oder aber Mehrung des Lebens werden kann: und um diese Ent­schei­dung nach Eigenwahl treffen zu dürfen, fordert der Wille die «Freiheit», womit er die frühere Notwendigkeit gar nicht bestreitet, so wenig als die grossen «ethischen» Richt­li­nien des Lebens, deren er sich aber einzig, je nach sei­ner Willensreife bedienen kann. Willens­frei­heit erhebt die Welt durchaus nicht zu Willkür und Zufall.

Es gibt keinen Zufall! – lautet ein fliegender Satz.

Im Hinblick aufs Vorgeschehen gewiss nicht, denn was eintritt, ist vorbedingt nach Zeit, Ort, Umstand und Graden der wirkenden Kräfte; aber in Hinblick auf sinnvolle Le­bens­ge­stal­tung gibt es Zufall in Menge. Ja! das eigentliche äussere Kenn­zei­chen der Wirrwelt ist der Zufall, das ziellose, ja ziel­wid­rige bare Zusammentreffen der Dinge und Vorgänge.87 Ge­ra­de des­wegen ist es die Aufgabe klaren und starken Willens, ist es die Sendung des Eigenwesens, nach seinen Eigenzielen das blinde, wirre Getriebe der angeblich naturgesetzlichen Kräf­te zu meis­tern, zu richten, zu fügen –, nach Wahl und Ei­gen­lust den Miss­klang des Zufalls in sinnvolles Werden zu wandeln, und darin Mitarbeiter am Gotteswerke, der Ein­klangsgestaltung im Chaos zu werden. Im Namen dieser Mit­ar­beit fordert der Ei­gen­wille die Freiheit zur Eigen­ge­staltung, und muss aufs schärf­ste die Aberkennung dieser Freiheit be­strei­ten, sowohl die neue «naturgesetzliche», die aus Zwangs­geist vor dem anar­chi­schen Zufall die Waffen streckt, wie jene alte «göt­zen­ge­setz­liche», die aus «Freiheit» den stumpfen Verzicht auf Eigenbetätigung predigt. Beide sind Schergen des Chaos, des Zwanges, der Dumpfheit und Qual. Der Klarismus aber fordert die «Freiheit» als einziger Sinn des Seins, die Berechtigung eines Jeden sich die Eigenstätte im Leben, die Eigen­ge­mein­schaft zu wählen, in Eigenwerken sich auszuwirken und darin frohe Lebenserfüllung und Seelenreifung zu finden. Wo er sich freudig betätigen darf, fühlt sich der Mensch auch frei, un­ge­ach­tet der ärgsten äusseren Mühen; auf dieses Frei­em­pfin­den kommt es an, um all den Anarchismus und Sozialismus, die beiden Unheilpole unsrer Chaosgesittung zu überwinden:87a nicht (innere) Eigenordnung, nur (äussere) Fremdordnung ist Fron, die zu Umsturz führen muss.

An den Früchten der Zukunft soll der Baum gewertet wer­den, nicht nach den Wurzeln; die Denker bisher aber, ob sie sich für oder gegen die Willensfreiheit aussprachen, verlegten alle Ent­schei­dung in die Vergangenheit, sei es der ewige Rat­schlus­s Gottes, dem der Einzelne sich von Eigen­be­stre­bun­gen bewusst «frei» zu fügen hatte –, sei es das ewige Vor­ge­sche­hen als Karma oder Naturgesetz. Das hiesse den Wert des Brotes nicht an der Lebensspannung messen, die es nähernd dem menschlichen Willen gibt, sondern am Dünger, aus dem das Korn gewachsen.

So oder anders war das bisherige Denken ver­gan­gen­heits­süch­tiger Mas­sen­geist, wesensfern der Zukunft des Lebens, die nur in der Gegenwart eigenwesenhaft keimen kann.

Nietzsche und ich

Joh 3:19 Dies aber ist das Gericht: Das Licht ist in die Welt gekommen, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse.

Römer 7:25 Dank sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn! Also gilt: Mit der Vernunft diene ich dem Gesetz Gottes, mit dem Fleisch aber dem Gesetz der Sünde.

Römer 1:25 Sie tauschten die Wahrheit Gottes gegen die Lüge und huldigten und dienten dem Geschöpf statt dem Schöpfer - gepriesen sei er in Ewigkeit, Amen. 26 Deshalb hat Gott sie unwürdigen Leiden­schaf­ten preisgegeben. Denn ihre Frauen vertauschten den natürlichen Umgang mit dem widernatürlichen. 27 Ebenso gaben die Männer den natürlichen Umgang mit der Frau auf und entflammten im Verlangen nacheinander; Männer mit Männern bringen Schande über sich und empfangen am eigenen Leib den Lohn für ihre Verirrung.

Matthäus 22:1 Und Jesus begann wiederum in Gleichnissen zu ihnen zu reden: 2 Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem König, der für seinen Sohn die Hochzeit ausrichtete. 3 Und er sandte seine Knechte aus, die Ge­la­de­nen zur Hochzeit zu rufen, doch die wollten nicht kommen. 4 Darauf sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Ge­la­de­nen: Seht, mein Mahl habe ich bereitet, mei­ne Ochsen und das Mastvieh sind ge­schlach­tet, und alles ist bereit. Kommt zur Hochzeit! 5 Sie aber achteten nicht darauf und gingen ihres Wegs, der eine auf seinen Acker, der andere an sein Geschäft. 6 Die übrigen aber ergriffen seine Knechte, misshandelten und töteten sie. 7 Da wurde der König zornig und schickte seine Heere aus, liess jene Mörder umbringen und ihre Stadt anzünden. 8 Dann sagte er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, die Geladenen aber waren es nicht wert. 9 Geht also an die Ecken der Stras­sen und ruft zur Hochzeit, wen immer ihr findet. 10 Da gingen die Knechte auf die Strassen hinaus und brachten alle, die sie fanden, Böse und Gute, und der Hoch­zeits­saal füllte sich mit Gästen. 11 Als aber der König eintrat, sich die Gäste anzusehen, sah er da einen, der kein Hochzeitskleid trug. 12 Und er sagte zu ihm: Freund, wie bist du hier hereingekommen ohne ein Hochzeitskleid? Der aber blieb stumm. 13 Da sagte der König zu seinen Dienern: Bindet ihm Hände und Füsse und werft ihn hinaus in die äusserste Finsternis; dort wird Heulen und Zähne­klap­pern sein. 14 Denn viele sind berufen, wenige aber auserwählt.

Lukas 14:15 Als aber einer der Tischgenossen das hörte, sagte er zu ihm: Selig, wer im Reich Gottes essen wird. 16 Er aber sagte zu ihm: Ein Mensch gab ein grosses Essen und lud viele ein. 17 Und zur Stunde des Mahls sandte er seinen Knecht aus, um den Ge­la­de­nen zu sagen: Kommt, alles ist schon bereit! 18 Da begannen auf einmal alle, sich zu entschuldigen. Der erste sagte zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss un­be­dingt hingehen, um ihn zu besichtigen. Ich bitte dich, betrachte mich als entschuldigt. 19 Und ein anderer sagte: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft und bin unterwegs, sie zu prüfen. Ich bitte dich, betrachte mich als entschuldigt. 20 Und wieder ein anderer sagte: Ich habe geheiratet und kann deshalb nicht kommen. 21 Und der Knecht kam zurück und berichtete dies seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sagte zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Strassen und Gassen der Stadt und bring die Armen und Verkrüppelten und Blinden und Lahmen herein. 22 Und der Knecht sagte: Herr, was du angeordnet hast, ist geschehen, und es ist noch Platz. 23 Und der Herr sagte zum Knecht: Geh hinaus auf die Land­stras­sen und an die Zäune und dränge sie he­rein­zukommen, damit mein Haus voll wird! 24 Doch das sage ich euch: Von jenen Leuten, die zuerst eingeladen waren, wird keiner mein Mahl geniessen.

Irrgänge des Geistes

Apostel Paulus, Gemälde von Anthonis van Dyck, 1620, Niedersächsisches Landesmuseum, Hannover

Paulus von Tarsus war einer der erfolgreichsten Missionare des Urchristentums und einer der ersten Theologen der Christentumsgeschichte. Seine Historizität gilt den meisten Forschern als gesichert.

Als griechisch gebildeter Jude und gesetzestreuer Pha­ri­säer mit römischem Bürgerrecht verfolgte Saulus zunächst die Anhänger Jesu Christi, dem er nie begegnet war. Doch seit seiner Bekehrung vor den Toren von Damas­kus verstand er sich als von Gott berufener Ver­kün­der des Evangeliums für die Völker, und nannte sich fortan Paulus. Als solcher verkündete er vor allem Nichtjuden den auferstandenen Jesus Christus. Obwohl nicht zum Kreise der 12 Apostel gehörend, nennt man ihn des­halb auch Apostel der Heiden.

Er bereiste den östlichen Mittelmeerraum und gründete dort einige christliche Gemeinden. Durch seine Briefe blieb er mit ihnen in Kontakt. Diese ältesten erhaltenen urchristlichen Schriften bilden einen wesentlichen Teil des späteren Neuen Testaments.

Wesentliches Kennzeichen der paulinischen Theologie ist die Konzentration des christlichen Glaubens auf die Kreu­zi­gung und Auferstehung Jesu Christi mit ständigem Bezug auf die Verheissungen des Tanach. Durch die stell­ver­tre­tende Erfüllung der Tora durch Jesus Christus, fand Paulus die Rechtfertigung des Menschen und seine Ver­söh­nung mit Gott aus Gnade begründet.

Seine Briefe haben Kirchenväter und führende christliche Theologen geprägt und damit die europäische Geistes­ge­schichte stark beeinflusst. Seit der Aufklärung sehen viele Historiker in Paulus den eigentlichen Gründer des Chris­ten­tums als eigenständiger Religion.

Die Berufung des Saulus vor den Toren von Damaskus,
Gemälde von Caravaggio, 1600, Cappella Cerasi, Basilica di Santa Maria del Popolo, Rom

Die Berufung des Saulus

Saulus aber schnaubte noch immer Drohung und Mord gegen die Jünger des Herrn. Er ging zum Hohen Priester und bat ihn um Briefe an die Synagogen in Damaskus, dass er, wenn er Anhänger dieses neuen Weges dort finde – Männer und auch Frauen –, sie gefesselt nach Jerusalem bringen solle. Als er unterwegs war, geschah es, dass er in die Nähe von Damaskus kam, und plötzlich umstrahlte ihn ein Licht vom Himmel; er stürzte zu Boden und hörte eine Stimme zu ihm sagen: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Er aber sprach: Wer bist du, Herr? Und er antwortete: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Doch steh auf und geh in die Stadt, und es wird dir gesagt wer­den, was du tun sollst. Die Männer aber, die mit ihm unterwegs waren, standen sprachlos da; sie hörten zwar die Stimme, sahen aber niemanden. Da erhob sich Saulus vom Bo­den; doch als er die Augen öffnete, konnte er nicht mehr sehen. Sie mussten ihn bei der Hand nehmen und führten ihn nach Damas­kus. Und drei Tage lang konnte er nicht sehen, und er ass nicht und trank nicht. In Damas­kus aber war ein Jünger mit Namen Ananias, und zu diesem sprach der Herr in einer Vision: Ananias! Er sagte: Hier bin ich, Herr. Der Herr aber sagte zu ihm: Mach dich auf und geh in die Strasse, die man «die Gerade» nennt, und frag im Haus des Judas nach einem Mann aus Tarsus mit Namen Saulus! Du wirst sehen, er betet, und er hat in einer Vision einen Mann namens Ananias gesehen, der zu ihm hereinkam und ihm die Hände auflegte, damit er wieder sehe. Ananias aber antwortete: Herr, ich habe von vielen Seiten gehört, wie viel Böses dieser Mann deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat. Und von den Hohen Priestern hat er hier die Vollmacht, alle festzunehmen, die deinen Namen anrufen. Der Herr aber sagte zu ihm: Geh hin, denn gerade er ist mein aus­er­wähl­tes Werkzeug, meinen Namen zu tragen vor den Augen von Völkern und Königen und vor den Augen der Israeliten. Ich werde ihm zei­gen, wie viel er wird leiden müssen um mei­nes Namens willen. Da machte sich Ananias auf und ging in das Haus hinein, legte ihm die Hände auf und sprach: Saul, mein Bruder, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir er­schie­nen ist auf dem Weg, den du gekommen bist: Du sollst wieder sehen und erfüllt werden von heiligem Geist! Da fiel es ihm wie Schup­pen von den Augen, und er sah wieder; und er stand auf und liess sich taufen.

 

Zürcher Bibel, Apostelgeschichte, Kapitel 9

Der Weg der Liebe

Wenn ich mit Menschen- und mit Engels­zun­gen rede, aber keine Liebe habe, so bin ich ein tönendes Erz, eine lärmende Zimbel. Und wenn ich die Gabe prophetischer Rede habe und alle Geheimnisse kenne und alle Er­kennt­nis besitze und wenn ich allen Glauben habe, Berge zu versetzen, aber keine Liebe habe, so bin ich nichts. Und wenn ich all meine Habe verschenke und meinen Leib dahingebe, dass ich verbrannt werde, aber keine Liebe habe, so nützt es mir nichts.

Die Liebe hat den langen Atem, gütig ist die Liebe, sie eifert nicht.

Die Liebe prahlt nicht,

sie bläht sich nicht auf, 

sie ist nicht taktlos,

sie sucht nicht das ihre,

sie lässt sich nicht zum Zorn reizen,

sie rechnet das Böse nicht an,

sie freut sich nicht über das Unrecht, sie freut sich mit an der Wahrheit.

Sie trägt alles,

sie glaubt alles,

sie hofft alles,

sie erduldet alles.

Die Liebe kommt niemals zu Fall: Pro­phe­ti­sche Gaben – sie werden zunichte werden; Zungenreden – sie werden aufhören; Er­kennt­nis – sie wird zunichte werden. Denn Stückwerk ist unser Erkennen und Stück­werk unser prophetisches Reden. Wenn aber das Vollkommene kommt, dann wird zunichte werden, was Stückwerk ist. Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind, überlegte wie ein Kind. Als ich aber er­wachsen war, hatte ich das Wesen des Kindes abgelegt. Denn jetzt sehen wir alles in einem Spiegel, in rätselhafter Gestalt, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Er­ken­nen Stückwerk, dann aber werde ich ganz erkennen, wie ich auch ganz erkannt worden bin.

Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Die grösste unter ihnen aber ist die Liebe.

 

Zürcher Bibel, Erster Brief an die Korinther, Kapitel 13

Magna Carta

Die Magna Carta ist eine von König Johann von England (John Lackland), 1215, besiegelte Ver­ein­ba­rung mit dem revoltierenden englischen Adel. Sie gilt als die wichtigste Quelle des englischen Verfassungsrechts und der Freiheitsrechte des Einzelnen. Die ameri­ka­ni­schen Bill of Rights, 1791, sind wesentlich von der Magna Carta beeinflusst.

Mit der Erklärung der Menschen- und Bürger­rechte (Liberté, Egalité, Frater­nité) während der Fran­zö­si­schen Revolution, 1789, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 (UN-Men­schen­rechts­charta), der Europäischen Men­schen­rechts­kon­ven­tion von 1950 und der Schlussakte von Helsinki, 1975, wurden die Freiheits­rechte des Einzelnen universell.

Die von Elisarion und von Eduard von Mayer im und durch den Klarismus postulierten individuellen Einzelrechte für das Eingenwesen, können als prophetische Vision für diese Menschrechts-Deklarationen gesehen werden, für eine Magna Carta Universi.

La porte de l' Enfer, Auguste Rodin
Bronzeguss für das Kunsthaus Zürich, 1948

Durch mich geht man hinein zur Stadt der Trauer,
Durch mich geht man hinein zum ewigen Schmerze,
Durch mich geht man zu dem verlornen Volke.
Gerechtigkeit trieb meinen hohen Schöpfer,
Geschaffen haben mich die Allmacht Gottes,
Die höchste Weisheit und die erste Liebe
Vor mir ist kein geschaffen Ding gewesen,
Nur ewiges, und ich muss ewig dauern.
Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!

 

Aus Dante Alighieri's Göttlicher Komödie, «Inschrift auf dem Tor zur Hölle», dritter Gesang, Verse 1–9. Der Bildhauer Auguste Rodin