Die Zukunft der Natur, Teil 1
Das legalistische Weltbild: die Welt als Zwang
Der bürgerliche Glaube I
Neben das Weltbild der Laune, vom schwankenden Hungergefühle dem Menschen aufgedrängt, schob sich allmählich ein andres hervor, das schliesslich neben dem kirchlichen Gottesstaat und dem geldlichen Arbeitsstaat die gleiche Hörigkeitsordnung – vertiefter – bekennt. Zwar ist es nicht schlechthin Hungerfurcht, die den Antrieb abgibt; und dennoch ist es ein Ohnmachtsgefühl, durch wirtschaftliche Seelenbedingungen noch vertieft, das dem Geiste hierbei die Bahn des Erkennens und seine – gar so engen – Grenzen bestimmt.
Und freilich hat die arbeitstätige Willenseinstellung nahezu alle Schritte der «Wissenschaft» – denn um diese geht es – beeinflusst; es ist der Gemeinzustand der Hungerregelung, der dem Forscher jeweils Voraussetzungen, Vorurteile und Ausgangspunkte gibt.
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Es ist gewiss nicht der «Zeitgeist», der seinen Inhalt dem Denker eingibt, in mystischer Offenbarung oder «sozialer Suggestion»; sonst könnten nicht gar so entgegengesetzte Denkgefüge in ein und derselben Zeit entstehen.
Nein, der einzelne Denker schöpft und gibt aus sich selber, auch wenn er die Gedanken aller Anderen kennt und durchforschte. Zum Forschen und Grübeln treibt ihn freilich die Lebenshemmung des Chaos, die er persönlich, im Zeitgefüge erfährt. An irgend einem Wesenspunkte getroffen, sucht er die Notwendigkeit einzusehen, den Zusammenhang dessen, was ihn berührte, mit dem übrigen Dasein zu verbinden; aus barem Lebensgefühle darauf bedacht, einem Ausnahmezustand ja zu entgehen, sieht er das Weltgefüge wesentlich so, wie es ihn betrifft, und rechnet alles Geschehen in Werte der eignen Empfindung um, in ihr die «Währungseinheit» des Daseins setzend.
Nun kann es dreierlei Stellung zum Zeitgefüge geben. Der Eine stimmt gerade zum Hauptstrom des tätigen Alltagswillens in Arbeit, Erwerb, Verwaltung, Gesittung, Wertung: er würde gar nicht zum Nachdenken kommen, zeigten sich nicht bei Andern ihm unbegreifliche Widerstände gerade gegen den Zustand, der ihm so lebensentsprechend ist, wie dem Fisch das Wasser. Solche Angreifer, wären sie auch in Minderheit, wie Verbrecher, Ketzer und Umstürzler, erschüttern dennoch die unbedingte Gültigkeit seines Lebenstandes. Gegen sie sucht und findet er Einsichten, die zur Rechtfertigung dessen werden, was grade gilt, in Macht ist, und ihm, dem Denker, persönlich Lebenssicherheit bietet. Er wird zum Anwalt der Zeit und ihres Bedürfnisgefüges, zum Wortführer derer, die im Zeitstrome leben: so wird sein Eigenbekenntnis beinah zum amtlichen Zeitgedanken, dem tüchtigen Durchschnitt der Zeitgenossen grade verständlich, selbstverständlich. Seine Schlüsse fliessen «natur- und vernunftgemäss» aus dem Obersatze des Lebenszustands der Meisten.
Ein andrer Denker steht mit seinem Empfinden abseits: er passt zur Mehrheit und Macht seiner Zeit nur schlecht: er muss das geltende Arbeitsgefüge, in dem für ihn kein rechter Platz ist, vereinen. Doch da er zum tätigen Widerstande zu stolz oder – müde ist, zieht er sich auf sich selbst zurück. Er wählt als Zuflucht jenseits der Tagesallgemeinheit die Weltallgemeinheit und hoch erhaben über das kleine Getriebe der Meisten umschweift sein Denken das Weltenganze. Die Meisten verstehen ihn nicht, seine Lehre wird ein stilles Geheimnis im Kreise der Gleich-Ermüdeten.
Weder diese noch jene Denkart bringt in die Welt einen neuen Willenszustand. Dazu braucht es das heldische Wesen der dritten Geister, die an dem eignen Leiden den Wurzelfehler des aussichtslosen Zeitgefüges erleben und Einspruch dawider erheben, willens den Lebenszustand zu wandeln, die besseren Kräfte zu wecken. Sie gehören nicht ins zahme Gehege der Philosophie, sie betrachten nicht das Leben in blosser Nachspiegelung, sondern weisen ihm neue rettende Formen kraft neuer Wesenserfassung. Das sind die Lebens- und Glaubensstifter – Vorläufer des Klarismus und seiner frohen Menschheitsbesinnung.
Doch diese erscheinen nur in Zeiten der höchsten Seelennot, wie Boten der Lebensklärung. Ehe es dahin kommt, fristet das wissenschaftliche Denken behaglich sein Dasein inmitten des Kreislaufs von Not und Arbeit.
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Setzt auch nach wie vor der Einzelne all seine Kraft an den Tageserwerb des Brotes, so wird ihm die Sicherheit dieses Brotes immer weniger vom eignen Bemühen und immer mehr vom Gemeinleben gewährleistet, von dessen weiten Zusammenhängen und Arbeitsansprüchen stark beeinflusst. Je mannigfaltiger nach und nach die Arbeit wurde, in zahllose Gewerbe verzweigt, desto ferner rückte der Einzelne ab vom wirklichen Nahrungsbezug, der Lebensmittelerzeugung, er wird mit Geld entlohnt. Und der Wert des Geldes beruht ja einzig darauf, dass all der Arbeitsaustausch in ungestörter Kette bis hin zur wirklichen Nutzniessung – Brot, Bekleidung, Wohnung – laufe.
Den Arbeitsaustausch, das Geld, die Nahrungspflege zu sichern, wird aber immer mehr bloss die Gemeinordnung imstande sein, es ist die Eingliederung aller in ein gemeinsames Ganzes. Mit der Eingliederung aller unter feste Gesetze, wird die Lebensbedingung des Einzelnen, grade im Masse als seine Arbeit von der Natur unabhängiger wurde im städtischen Handwerk und Handel, diese scheinbare Unabhängigkeit wird zur ärgeren Fron. Und was des Menschen Lebensbedingung ist, bestimmt seinen Blick in die Welt, die Formen in denen sein Geist das Dasein erfasst.
Verehrt der Bauer die Himmelsgottheiten, weil sie das Brot beschafften, so ehrt der Städter die Götter, sofern sie den Stand des Gemeinergehens sichern. Erste, höchste und «heilige» Lebensbedingung wird ihm immer mehr das Gesetz, darauf bezieht, daran misst er die Gottheit.
Das ist ein erstes Empfinden des neuen Zustandes.
Ferner:
Der Bauer sieht in all den Kräften und Dingen der Erde unerforschlich geheimes Walten. Doch dem gewerblichen Arbeiter –, der in Bälde ein städtischer wird – sind die Dinge der Erde Grundlage seines Erwerbes, jedoch nur als Rohstoff, den er erst zur Nutzung verarbeitet: Erze, Steine, Holz, Leder, Wolle und Pflanzenfasern, sie müssen sein Walten dulden, werden erforscht, zu reichster Verwendung.
So treibt das Handwerk dazu an, die Natur zu erforschen, tiefer und wesentlicher als es je die Heil- und Zauberkünste von Wurzelweibern, Priestern und Medizinmännern getan.
Da die Götter des Rechtes im vielgegliederten herrenrechtlichen, anfangs kriegerischen, dann städtisch gewerblichen Staatsleben die älteren Mächte des Ackerlebens verdrängt, entthront und entwertet hatten, so fiel der Naturverlauf, des Lebendig-Geheimnisvollen entkleidet, der prüfenden Forschung des Arbeitsgeistes anheim. Sie selbst aber, diese Götter des Rechtes, gerieten – durch Mythen der mutterrechtlichen Sittenzeit im Lichte üppiger Willkür geschildert – in Sittenwiderspruch mit den Grundlagen stetigen Arbeitslebens; sie wurden zu wenig mehr als launische, sittenwidrige Willkürgespenster. Da suchte der prüfende Arbeitsgeist nach festerem, «ewig» gültigen Boden für Arbeit und Leben.
Zuerst durch das Handwerk, ledig der frommen Naturschau des Ackerbauern, durch starren Ordnungsbrauch des Arbeits-Gemeinlebens ablehnend gegenüber den launischen Herrengöttern, sucht der Arbeitsbürger, von ehemals bis heute, die sicheren Lebensmächte im grossen Ganzen der Umwelt zu finden. An Recht und Gesetz gewöhnt, vom Rechtsverlangen um des sicheren Umsatzes willens geradezu getrieben, des starken Eigenwillens bar, vermag er das Walten des unpersönlichen Machtgefüges der Dinge, das er «Natur» nennt, nur noch als Rechtsordnung zu fassen.
So tritt in die Welt das Bild des «Naturgesetzes».
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Der Glaube des Arbeitsbürgers ist die Wissenschaft.
Freilich gingen die ersten Forschungen mehr «philosophisch»-grübelnd aufs Ganze, um den Umriss des Lebens zu finden. Die «experimentell»-vergleichende Einzelforschung fehlte noch, dennoch ist es bezeichnend, dass die ersten Versuche wissenschaftlicher Welterfassung – in Hellas – dem «Rohstoff» des Daseins nachspüren gingen: so recht im Sinne des Handwerksgewerbes, auf dem der neue Allgemeinzustand beruhte. Kein Wunder, dass diese Geistesrichtung zuletzt, mit dem Siege des Grossgewerbes, die Welt als Gewerk, als «Maschine» begreifen zu können wähnte – als blosse Betriebskraft, gemessene «Energie». Damals war es der Stoff, aus dem der Handwerker Dinge schafft, der wichtig erschien; auch der Stoff, aus dem das Leben gezimmert, «Ilyle», das Holz, ist der griechische Philosophenausdruck für «Urstoff».
Da sind die ersten vier Philosophen, die älteren ionischen.
Thales, am Strande des Meeres in Milet geboren, dem Meer auf dem die Handwerkswaren hinauszogen, die Vaterstadt zu bereichern, die Bürger zu nähren, fühlte den Urstoff im Wasser. Im Feuer, der Arbeitshilfe ephesischer Schmiede, erblickte ihn Heraklit von Ephesos. Anaximenes, Sohn der kleinasiatischen Inseln auch er, suchte ihn im leichten Lustmeer des Windes und Atems. Im formlos-unbestimmt Unendlichen meinte Anaximander der Formenwelt stofflichen Urgrund zu finden. Keiner vermochte die andern zu überzeugen, so einig sie auch im Stoffglauben waren.
Den nächsten philosophischen Schritt tat wiederum der Arbeitsgeist: er begriff, dass es mehr auf die treibende Kräfte ankam, als auf den Stoff, der sich teilnahmslos so und anders formen liess; freilich waren die Kräfte nicht minder blind.
Der Bewegung sinnloser Zufall ward dem Demokrit so zur Daseinsmacht; er mochte im Menschengewirre mit tiefem Spotte dasselbe fühlen, was er beim Töpfer beobachtet hatte: wie des Stoffes Teile sich gleichgültig schieben liessen, getrennt und vereinigt ohne bestimmtes Ziel – eine Menge von Splitterteilchen, von «Atomen» blind zusammengewürfelt erschien ihm das Leben, einzig wert, ausgelacht zu werden. Die gleiche innere Sinnlosigkeit fühlte mit tiefem Schmerze sein scheinbarer Gegner, derselbe bereits erwähnte Philosoph des Feuers, Heraklit: «alles fliesst» –, das war sein Lebensurteil, der ewige Unbestand, die ewige Wechselbewegung, am Wellengang und Flammengeflacker erschaut. Heraklit gehört den beiden nah verwandten Gedankenrichtungen an: und so auch Empedokles, der im Atomengewoge der vier Elemente (Wasser, Feuer, Luft und Erde), im Menschengewoge der Städte das immerwährende Gegenspiel von Anziehung (Liebe) und Abstossung (Hass) erblickte.
Weiter ging die Erkenntnis in tieferer Wertung der machtbestimmenden Kräfte.
Hatte die Schutzgemeinde der Bauern in steter Arbeit gewurzelt, der Herrenstaat der Eroberer im Mut, so war im Handwerks- und Kaufmannsgetriebe der Stadt es vor allem der klug berechnende Kopf, der die Mittel gegen den Hunger beschaffte, die Macht zu erlangen und wahren taugte.
Nicht der Weltenstoff, wie es anfangs allzu handwerksmässig erschienen, nicht die blinde Bewegung war die wirkliche Lebensgrundlage: Mass und Verhältnisse waren es, nach denen die bildende Hand die Dinge und der Bürgerwille den Staat gestaltete; so sah es Pythagoras. Mass und Ordnung waren jedoch das Werk des Verstandes; über dem baren Weltensamen waltete lenkend als Weltengrund der Verstand: dies war das Lebensempfinden Athens, des gewerblich beweglich klugen, so sah und sprach es Anaxagoras aus, und sicherlich ist in ihm der Ansatz tiefer Erkenntnis zu ehren.
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Es waren Schauungen arbeitstüchtigen Willens, bewusst der nüchternen Nöte und Kräfte, es war der Glaube kleiner Gemeinarbeit – diese ersten Versuche der Wissenschaft, Zusammenhänge und Daseinsregeln zu finden. Diese älteren Denker kommen aus eng gefesseltem Arbeitswillen zur Allumfassung «gesetzlichen» Daseins.
Anders die jüngeren.
Diesen genügen die nahen Tatsachen nicht, und der Handwerksverstand ist ihnen noch längst nicht geistig genug. Sie gehen daher vom eignen Gefühle der bindend-hegenden Allgemeinheit aus, kämpfen gegen die widerstrebende Lebensfülle; mit tausend Bedenken spähn sie nach rein geistiger Grundwelt, forschen hinter die Wirrwelt der Sinneseindrücke. Deutlich spricht sich in ihnen – wie kurz zuvor bei Buddha – die Willensermüdung am Lebens- wie Volksgetriebe aus.
Was Heraklit angedeutet: den Gegensatz zwischen Form und Inhalt, wird zum Hauptbekenntnis der Eleaten, freilich in grade entgegengesetztem Sinne. Heraklit erkannte als dauernd die Form, als immer wechselnd den Inhalt, als Lebenswahrheit den rastlosen Strom des Geschehens, den trügerisch bloss die scheinbar steten Formen verhüllten; die Eleaten leugneten umgekehrt das äussere Leben in seinem bewegenden Strom, in seiner Mannigfaltigkeit: «der fliegende Pfeil ruht», war ihr bezeichnender Satz. Wirklicher Daseinsgrund erschien diesen ersten bewussten «Monisten» nur die starre All-Einheit, unwirklich all die Vielheit, Buntheit, Bewegung. Doch so oder so: nur eine Hälfte des Dasein ward geduldet, die andre als Schein verworfen.
Mit wägenden Worten, mit spitzfindigen Rechnungen hatten die Eleaten die Welt erledigt. Ihrer Mittel bemächtigten sich die Sophisten. Mit schneller Anwaltsschlauheit athenischer Handel- und Händelsucht trugen sie alle Willensgewissheit zu Grabe.
«Der Mensch als Mass aller Dinge!» – Das war noch nicht die Erkenntnis des Eigenwesens, das gottwärts strebend auf jeder erreichten Stufe Werte und Ziele der weitern Entwicklung am eignen Fühlen erleben muss, das aus eignem, doch gottgeklärtem Sehnen und Wollen schöpft, die Geistesformen aus Willensgraden erlebt. Es war auch nicht die Einsicht, wie tiefbedingt durch die Willens- und Lebensumstände des wirklichen Tagesdaseins die Lebensurteile jedes Menschen sind, also wie vorsichtig der Geist bei allgemeinen Behauptungen sein soll. Für sie, die Sophisten, bedeutete das: der höchste Lebensmassstab wäre der wankelmütige Bürger Athens. Der aufgeblasene massenstaatliche Gleichheitsgedanke in diesem glitzernden Satze ist unverkennbar bei weitem stärker, als das, was am prüfendem Mute, an entwicklungsfroher Bescheidenheit darin keimt.
An diesem Wesenszustand massenherrlicher («demokratischer») Lebenserfassung änderte Sokrates wenig, so wenig pöbelfürchtig er war. Er wollte Tugend lehren: er hielt sie, als rechter Sophist, für lehr- und erlernbar und allgemein mitteilbar: wenig oder nichts wusste er vom inneren Reifen der Seele, die ihre Werte stufenweise erleben muss: er hielt die Tugend für eine einzig allgemein gültige Willenswahrheit und zwar für die Unterwerfung unter die Staatsgesetze des Bürgerlebens – daher sein Kampf gegen all die Göttermythen üppiger Willkür. Er selber aber pries dennoch seinen eignen «Daimon», die eigenseelische Warnerstimme. So echt in diesem Erleben die Wahrheit keimt – so echt erahnt die reifende Kraft der geistigen Klärung ist, so werden daraus für Sokrates doch nicht Lebenseinsichten: diese zerbröckelt der unfruchtbare Allgemeinsinn. Seine persönliche seelische Werbe- und Wirkungskraft – wieder grade ein Zeugnis für Eigenleben und Eigenwesenheit – die erstickt in dem eingemeindeten Willen, in falscher Schätzung von Wort und Begriff, und dem scheinbaren Gleichwert der Menschen.
Wie sehr der athenische Zeitgeist der Volksversammlungen alle Lebensbedingungen mitbestimmte, im Willen Aller umging, beweist das Denken des Platon: nicht ein Kind des Pöbels, nicht ein Mann des Volkes, voll herrischer Würde, war ihm dennoch das einzige Heil in alles regelndem Allgemeinempfinden. Das Einzelwesen bedeutete ihm so wenig wie je einem Massengeist: nur die «Ideen», die ewigen Urbilder der Dinge haben Wesenheit, nichtiger Schein ist alles Einzelne, unbedingte Unterwerfung schuldet der Einzelne allerhand ewig waltenden Allgemeinheiten. Seine Beweise gewinnt Platon genau wie mit der Anwaltfertigkeit andrer Sophisten, durch grübelndes Spiel mit begrifflichen Formeln. Der Unterschied ist bloss der, dass seine Ideen in adelsmässiger Ferne über dem Wirrwarr der «niederen» Wirklichkeit thronen – dass für ihn die Empfindungseinheit, der Lebensgrund in der Kaste und nicht in der Masse liegt: die Ideen sind Kaste, sein Musterstaat beruht auf der Kaste. Es ist eine auserlesene Hörigkeit, ein versuchtes Wiederaufleben herrenrechtlicher Massenleitung, was Platon erstrebte; nicht umsonst erschien er späteren Denkern als Moses von Hellas – ein Fronstifter ist er wie dieser, in Willen und Einsicht bedingt durch die eigene Einordnung in straffes Gemeingefüge, in das für Platon freilich kein Jahwe hineinredet. Was von ihm als bestes hellenisches Erbe weiterlebt, ist Wahrheit in der klaristischen Wertung der Kunst: der ewige Sinn der Formen.30a
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Platon also zeigt im Denken den grossen Gemeinkampf von Herrengewalt und Volksmacht, an dem, nach so vielen Städten die schon dies Schicksal erlebten, schliesslich ganz Hellas im peloponnesischen Kriege verblutet: das Herrenrecht, das scheinbar mit Sparta siegt, unterliegt zuletzt dem Massenrecht, doch selbst wenn das Herrenrecht Sieger geblieben wäre – ein Unding beim mächtigen Handwerks- und Handelsgewerbe der steigenden Volkszahl – wär ein, wenn auch abgestuftes, «oligarchisches» Allgemeingefüge, der Lebensumriss geworden, des Seelenaufstiegs des Einzelnen Feind; Platon beweist es.
In Aristoteles, seinem Gegner, spiegelt sich darauf hin das nächste Staatsverständnis, soweit es eben dem Lebenswillen des Einzelnen, seinen Lebensnöten und Lebensleistungen Wege und Grenzen absteckt. Das grosshellenische Kaisertum Alexanders des Grossen zwang die zermürbten Sondergebilde all der hellenischen Städte und Kleinstaaten zur Einheit, die schon vorübergehend in den Zeiten der Perser-Stürme waltete und nun in weit-erschlossnem Gesittungs- und Wirtschaftsgebiete, dem ganzen östlichen Mittelmeerkreise, sich werbend-erwerbend betätigen sollte.
Der Geist des «ancien régime» in Platon, musste in Aristoteles so dem Gedanken des «imperialistischen» Massenwirtschaftsgefüges weichen, innerhalb dessen jede tätige Sonderkraft einzig ein Werkzeug des Ganzen ist. In immer geringerer Wesenheit – lehrt Aristoteles – stehen unter einander die tätigen Dinge, um so einzelner, erden-bestimmter, bedingter, je weiter sie ab von den allgemeineren Wesensformen sind, deren höchste der erst-erregende Geist ist, von dem die Wesenskraft ausgeht, die möglichen «potentiellen» Kräfte zu «aktuellen» zu machen. Sie zur Wirklichkeit wecken tut er und abwärts von Stufe zu Stufe strömend lässt er das tätige Dasein erstehn; in dem Einzelnen ist nur das Allgemeine wahrhaft wirklich – die Wesenswirklichkeit («Entelechie») des Einzeldinges ist dem Allgemeinen entlehnt.
Was dumpf vor Zeiten die ersten Schutzgemeinden in «animistischem» Triebe gefühlt, ward hier, nach aller Zwischenentwicklung, ein überlegtes Weltbild der Grossgemeinde des Grosserwerbes: als treibend erscheint in jedem Dinge die tätige Kraft, doch wirken die Dinge und Kräfte nur in unbedingter Vereinigung, hörig sind sie führender Regelung, eigentlich nur durch diese befähigt, die schon vorhandnen Daseinsvorräte auszubilden, und so – in Entlehnung – sich selbst zu verwirklichen.
Der Zukunftsgemeinstaat der Allfron-Arbeit, den vor den roten Genossen, die byzantinischen Kaiser versuchten,31 die massenstaatliche Zwangsgewalt der «Despotie» mit oder ohne persönlichen Spitze – sie liegen im Weltbild des Aristoteles vorgebildet, mit allen Künsten durchgefeilter Begriffe. Die Dinge sind und können nichts anders, als was der erste Erreger kraft der Allgemeinheit sie sein lässt: in nützlich-wirklicher Wirkung bedingen sie Leistung und Arbeit, was bereits, seit Ewigkeit her als mögliche Macht vorhanden ist –, sie sind der Rohstoff, in dem sich die Formen ausprägen. Insofern sind die Einzelwesen nur Atome, Leistungsatome, keine Mehrer des Daseins, fleissige Räder des Weltengewerkes das ohne Ergebnis sich ewig um den starr-ruhenden Mittelpunkt, seinen ersten Erreger, seinem Oberhaupt dreht – im Grunde so sinnlos, als wär es ein Nichts, ein Eigennichts, unerbittlich vom Strom der vorherbestimmten Notwendigkeit umgetrieben. Die alte mythische Schicksalsmacht der «Ananke» (Notwendigkeit), über den Göttern waltend, wirkt hier weiter, und auch schon regt sich darin der spätere kirchliche Glaube der «Prädestination».
Dennoch keimt auch hier, wie in Platon ein klaristischer Vorgedanke, dem freilich zur Befruchtung die tiefe Erkenntnis der Eigenwesenheit nötig ist.31a
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Streng erwogen ist des Aristoteles Weltbild die allumfassendste, eigentlich letzte mögliche Schauung des eingemeindeten Arbeitsempfindens – genau so gültig für unsre Gewerksgesittung von heute und morgen, wie damals in Gross-Hellas. Er ist der Abschluss nicht nur des Denkens der abgelebten «Antike», sondern alles enteigneten Denkens: die mittelalterlichen Denker des «Realismus», die in den Allgemeinbegriffen göttlich gewollte Wesenheiten und Wirkungskräfte erblicken, sind ebenso seines Geistes Genossen, wie Leibniz, Kant und die Positivisten, wenn auch jeder von ihnen, von andern Erlebenspunkten aus an die Welterfassung geht, sie eigenpersönlich tönend.
Was nach Aristoteles kam, auf hellenisch befruchtetem Lebens-, Geistes- und Arbeitsboden war tief bezeichnende Abkehr vom wirklichen Leben, war tatenflüchtige, eingekapselte, nahezu mönchische Selbstbewahrung von Willensresten, selbstsüchtig freigewählter Glaubensverzicht inmitten des wirren Geschäftsgetriebes. Entsagungsgenuss und Grübelwollust beseelte sie alle, die Geistesnachfolger des Stoikers Zenon von Kition, des Epikurs und der Skeptiker, alle waren sie gleich in der Unfähigkeit, neu die Welt zu erfassen, deren irdischer Brennpunkt, das zeitgenössische Leben, wirklich nicht mehr als geschäftiger Stillstand war, im Wesenhaften entwurzelt, ähnlich der heutigen Zeit. Ob der eine mit Ernst, der andere mit Heiterkeit und der dritte mit zweifelndem Spotte neben dem Leben stand, ist weniger wesentlich, als dass sie alle, in ihrem denkstolzen Tatenverzicht den Bruch zwischen Tatenwille und Geistesschau belegten, der auch das ganze öffentliche Leben bezeichnete. Alles Wirken war geistlos, sinnlos und ziellos geworden, ein blosses Machtgewerbe, auf kurze Lebensfristung gestellt, ganz wie’s dem menschlichen Leistungsatom, dem enteigneten Einzelnen ziemt. Die Entseelung des massenstaatlichen Lebens, der lähmende Biss im entwurzelten Einzelleben bezeugt sich nur allzu sehr in dem Bilde der Zeit von damals und – heute.
Die Neuplatoniker waren schon eher dabei, eine neue Welteneinsicht zu suchen, da die ganze römisch-hellenistische Welt ein Unbehagen durchfröstelte. Freilich: sie wollten den Geisteskreis der Mittelmeerwelt in gleicher Weise umfassen, wie es das römische Sammel-Reich mit dem Arbeitskreise getan; sie wollten neu die Lebensgrundlagen festigen, aber sie flickten nur mit allerhand morgenländischen Werkstücken des Geistes, mit jüdischer und mit parsischer, «gnostischer» Weisheit den mürbe gewordenen Trümmerbau des Weltbildes. Ungewisser als selbst dem Platon war ihnen das äussere Leben geworden, in dem sie nur einen gott-entirrten Ausfluss des höchsten einzigen Urwesens erblickten, und diesem Scheinsein hiess es durch Sinnesertötung entfliehen, um wieder im Ursein mündend die qualvolle Einzelwesenheit abzustreifen. Im Neuplatonismus fliesst die Hoffnungslosigkeit vielfältiger Lebenserschöpfung in eins; ungeeigneter konnte keine Einsicht zur Willensermannung sein, als diese alte und so doch «moderne» Lehre, die deutlich die Willenserkrankung des Einzelnen dartut, der jedes sinnvolle Wirkziel eingebüsst hat.
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Gerade daraus stammt auch die neue Bewegung der vorklaristischen «Theosophie»,32 in der sich «gnostische» und «buddhistische» Einflüsse kreuzen; sie könnten gar nicht den Einfluss haben, wäre der Wille nicht heute wieder so weit erschöpft, wie zu jenen Zeiten.
Zweifellos ist die Theosophie, auch in bisherigem Gedankengebäude, ein echtes seelisches Aufbäumen gegen den blossen Stoff- und Nutzglauben –, von echter Kraft ist der Glaube an die Wiedergeburt. Doch ihre Wesenswurzel in der Willensschwäche bezeugt sie darin, dass in ihrer Anschauung, aus dem einen Urgrund alle Einzelwesen entströmen und wieder in den Urgrund zurück gelangen. So fehlt der wirkliche Antrieb des Weltgeschehens. Die Sinnenwelt gilt ihr bloss als Irrtum und Fehler, einziger Daseinsstrom ist die Sühne, die Leben und Vorleben miteinander verknüpft, das «Karma»33 – das «Tatenschicksal», das da Rechttun oder Unrecht des einen Lebens, mit Glück oder Unglück im nächsten begleicht.
So wird der Entwicklungsgedanke – infolge der Nichterkenntnis des Eigenwesens sowie der Chaoswirklichkeit – durch den Wahn verzerrt, das irdische Wohl- oder Missergehen, bedeute übersinnlich genaue Gerechtigkeit.
Dieses Gefühl drängt den Menschen dahin, im Wirrwarr des Lebens ratlos umher geworfen, im Dunkel nach spiritistischem Rat und Verkehr zu suchen, und treibt den Menschen rückwärts ins Dämonisch-«Okkulte», wo er ungeklärt, nur zu oft von unreifen Geistern, von Gespenstern in seinem Wahne bestärkt wird. Als Ganzes beurteilt ist die vorklaristische Theosophie ein wertvoller Wunsch der Menschenseele, die Erdenschwere los zu werden.
Doch mangelt in ihren Bekennern der eigengründige Wille, der seiner selbst bewusst, rundum in der Welt die streitenden Daseinskräfte, als wirkliche Strebungen wirklicher Willenswesen wertet. Ein solcher Wille misst sich mit all dem Gegenwillen, nimmt – für oder wider – zu ihnen Stellung und führt zur echten Lebensgestaltung ringend entgegen. Bei echtem Willenssinne wär es unmöglich, die Meinung zu teilen, der Gedanke sei unbeschränkt schaffend allmächtig und könnte mit Wünschen, wenn sie nur kräftig genug, die Reifestufen vorwegnehmen. Die Leiden, Übel, Mängel – eigne wie fremde – müssen als blosser Schein, kühn hinweggedacht werden.
Dieser Wunschwahn, der in der «Christian Science» den Hauptgedanken darstellt, aber die ganze vorklaristische Theosophie durchzieht, widerspricht zunächst scheinbar dem «Karma»-Glauben. Diesem zufolge ist das Leiden, so gut als die Freuden, wirklich und unabänderlich – also sind es auch die Gedanken des Leidens, der Not, der Mängel. Aber die Lehre: Gedanken seien Macht – sieht im Leiden aller Art ein bloss irregeleitendes Denken. Danach müsste sich auch das Karma durch Änderung der Gedanken ändern lassen. Die Karmalehre stellt aber erst für ein nächstes Leben die Änderung in Aussicht.
Dennoch hat dieser Widerspruch seine gemeinsame Wurzel in brüchigem Willen, der nicht die Kraft besitzt, die Dinge ringend und reifend zu meistern. So findet er eine Doppelentschuldigung seiner Tat-Enthaltung: die Missstände, die ihn anspornen müssten, seien ja unwirklich, also beanspruchten sie durchaus keine Änderung – oder sie seien unabänderlich vorveranlasst, also könnten sie gar nicht verändert werden. Und diese Doppelentschuldigung fliesst in die eine Erkenntnis zusammen: je nach den Taten früheren Lebens, sei das Paradies oder die Hölle, vom Menschen durch seine Gedanken selbsterworben.
Wie es aber zu solchen Sondergedanken der einzelnen Menschen kommt, aus Sondertaten, wo alles Einzelwesen aus einem göttlichen Urgrund stammt, bleibt völlig unbegreifbar, um so mehr als wenn – Gedanken Macht sind –, die den Urgeist alles Bösen, aller Leiden, allen Irrtums, all die Mängel des Einzellebens, durch Wegdenken sofort beseitigen können. Da dieser Urgeist es doch nicht tut – wie das Dasein bezeugt – so will oder kann er es nicht, er ist ein Teufel oder ein Selbstquäler, der grade durch seine Qualgedanken, das ganze Jammerdasein hervorruft. Und wie ist dieses Karma Gottes entstanden?
Aus diesem uralten Widerspruch führt allein der Klarismus hinaus.
Durchaus keine Lösung ist die Vorstellung, die nach und nach «emanierten» Seelen erlitten ihre bösen Taten und Peingedanken im Masse, als sie sich ab vom Urgrund bewegen, bis hin zum äussersten Abstand der Gottentfernung, worauf die Rückkehr in «guten» Taten und «frohen» Gedanken erfolge, bis hin zur Wiedervereinigung.
Da bliebe es bestehen, dass dieser göttliche Urgrund in seiner Unendlichkeit nur ein müssig, grausames, teuflisches Spiel mit Scheinwesen treibt, deren einzige Wirklichkeit ihre Qual ist: bevor dieses Scheinwesen die Qualen «emaniert», sie ausfliessen lässt und ausscheidet, sind sie nichts, nach dem das Scheinwesen sie wieder aufnimmt, sind sie wiederum nichts – dazwischen aber wird es durch hunderttausend Lebensstufen gequält, all sein Lebensgewinn vermehrt um nichts den ewigen Zustand des Ur-Eins, das bevor die quälenden Gedanken entstanden, nicht weniger, und nachdem sie zurückempfangen wurden, nicht mehr ist, als schon seit Ewigkeit. Das gilt genau so vom Monismus.33a
Der tiefe Wurzelfehler des theosophischen Sehnsuchtsglaubens ist der Willensmangel, der sich zu eigner Qual der Einsicht der Eigenwesen verschliesst.
Das theosophische Fühlen ist wie jede Geistesform Ausdruck gegebnen Willensgrades; daher ist es nebensächlich, ihre geschichtliche Ersterscheinung belegen zu wollen. Freilich ist es möglich zu glauben, der theosophische «Armanismus» sei die geheime Uranschauung der sogenannten «fünften» Rasse, der arischen, uns sei von ihr bis nach Indien hinabgetragen worden, als sie die über-nordische Urheimat verlassen musste, vertrieben durch Vergletscherung. Sagenumhüllt, dem Volke näher gebracht, soll der Armanismus den wuotanischen Walhall-Glauben darstellen, in Runen-Liedern verborgen.34
Nur muss der Walhall-Glaube35 denn doch stärker gewesen sein als sein «armanischer» Kern: diese theosophische Lehre der endlichen Wiederrückkehr in «Walhall» nach zwecklosem Kreislauf der Wiedergeburten, ist bar des schaffenden Eigenwillens, ohne den die Ario-Germanen nimmer die grossen Eroberungszüge und Staatengründungen ausgeführt hätten; wohl aber ist es möglich, dass der heldenfrohe Arierglaube allmählich in dumpferen Zeiten und schwächeren Willensnaturen zum Armanismus verebbte und dadurch die Ungeheuerlichkeit möglich wurde, ihn im Geheimen – den Juden anzuvertraun, als gewaltsam das Christentum eingeführt wurde. Die «Kabbala» soll ja diese urgermanische Lehre in jüdischer Form enthalten – laut Guido von List.36
Mag sein.
Doch damit bezeugt sich der Armanismus als Geistesstufe, die zum verwechseln nah an die jüdische rückt, und nur die Geistesverwirrung entwurzelten Willens bringt es zuwege, dass grade Antisemiten nun den Armanismus als Urerbe verehren, als Rettung gegen die jüdische Macht empfehlen, oder sind es bloss feindliche Brüder?
Mit solcher Weisheit, nenne sie sich armanisch, buddhistisch, manichäistisch, gnostisch, neuplatonisch, kabbalistisch und sonst wie, versinkt die Willensgestaltung des Lebens. Uns heute aus diesem toten Punkt der Gesittung entreissen, aus dieser Erschlaffung aufrütteln, kann allein der willensgesundende Klar- und Frohglauben des Eigenwesens, klaristisch erfasster Christusglaube, der alle tiefen Wahrheitskeime der Theosophie als schöne klare Blüte entfaltet.
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Von anderthalbtausend Jahren waren es zwei entgegengesetzte Kräfte, durch die der Willensstillstand gebrochen ward.
Die eine war Christi Botschaft, die jeder einzelnen Seele ihren Wert, einer ewigen, zuerkannte und so in den Seelen der Unterdrückten, der Sklaven, aller deren, die nach Gerechtigkeit dürsteten, neues Leben entzündete.
Neben sie trat, als geschichtlich erneuender Vorgang der Einbruch der frischen nordischen Völker, die noch voll Willensüberschuss waren. Wie wenig diese zur Sinnesentsagung der Kirchenlehre taugten, so sehr entsprach ihnen doch, in aller Verzerrung, das freie Verhältnis zu Gott, den sie schon seit je als «Allvater» verehrten; ob mit oder ohne armanische Theosophie.
Freilich strömte die Kraft der Germanen allzu willig ins mächtige vorbereitete Bett des römischen Weltgefüges, und fanden daher an der Römischen Kirche den Herrn und Meister.
Doch damit ward nun der Kirche die weltgeschichtliche Aufgabe: neuen Kräften der Menschheitsgestaltung das frühere Geisteserbe zu übergeben.
Leider geschah das weder planvoll noch klug in grossem Menschheitssinne, vielmehr in kleinem listigem Eigennutze mit allem Erbgifte des Hungerwahns – was menschlich-irdisch begreiflich ist. Doch so ward es den neuen Empfängern durchaus nicht zum Heil.
Dennoch trug die Kirchenmacht einen doppelten Schatz aus der alten Zeit hinüber ins neue Werden: in ihrem Bekenntnis die Kunde von Christus, in ihrem Gottesdienste den Abglanz der heiligen Schönheit von Hellas – Schätze, für die erst jetzt die Stunde gekommen ist, wieder und zwar in Einklang gehoben zu werden; das ist die klaristische Menschheitssendung, die weiter- und ausführt, was die Kirche versäumte.
Neben diesem grossen Doppelklange des Menschheitslebens der alten Zeit, tönte freilich im Denken der kirchlichen Welt auch der kühlere Rhythmus der Philosophie hindurch, denn die Kirche war nicht nur eine blosse Botin von Glauben und Gottesdienst – sondern war auch die Erbin und Machtvertreterin jenes Gemeingefüges, das Rom aus eigenem Wesen zwar entwickelte, jedoch als Weltbild bereits des ersten Kaisers, des Makedoniers Alexander, von dessen Geistesgenossen und Lehrer Aristoteles ausgesprochen war.
Sein Gedankengefüge ist dem bibelhörigen Kirchenglauben wie vorempfunden – war doch die hellenistische, romreife Welt dem Zustand des Judentums wesensnahe gerückt, der bis in die Kirche hinein die Christusbotschaft eigentlich übertäubt. Im Denken der Kirchenväter, die den «gnostischen» Neuplatonismus als ketzerisch abtaten, überwand Aristoteles noch einmal seinen Gegner Platon. Im früheren Christentum hatten die Meinungen freieres Spiel, Origenes war beinah Platoniker, als das Christentum aber zur Herrschaft gelangte und gar – als Römische Kirche – ein Macht-Staat geworden, mussten alle Lehren der einen sich fügen; Origenes ward zum Ketzer.
Die Kirchenwissenschaft, die «Scholastik», ist wesentlich aristotelisch: das gleiche Gefühl des einen weltumspannenden Allgeistes, dem gegenüber die Einzelwesen nichts bedeuten, und dennoch leistungsverpflichtet sind – dieses Gefühl verband Aristoteles, Paulus, Augustinus und Thomas von Aquin. Ihr Denken war weder heidnisch, noch christlich, weder hellenisch, noch römisch, jüdisch oder germanisch – es war gemeinhörig. Diese Eigenschaft bekommt keiner Rasse besonders, ward auch im Juden- und Römertum ein früh ausgesprochener Willenszustand, der freilich denen die irdische Macht gibt, die ihn bewusst benutzen.
So musste der Bibelglaube, aristotelisch gestützt, im römischen Denken zum grössten Siege gelangen.
Die Irrgänge des Geistes
Das monistische Weltbild:
Die Welt als Laune
Warum wurde Christus zu Jesus?
Das legalistische Weltbild:
Die Welt als Zwang
VIIIDer bürgerliche Glaube III
Das individualistische Weltbild:
Die Welt als Trotz
XIDas Widergeschick des Lebens
XIIPaulus
Die Irrgänge des Geistes PDF
In der Schule von Athen, dem Wandgemälde in der Stanza della Segnatura, hat Raffael die natürliche Wahrheit und die philosophische Vernunft, in Form von antiken Philosophen und Denkern dargestellt – Aristoteles, Diogenes, Euklid, Heraklit, Platon, Ptolemäus, Pythagoras, Zarathustra und anderen.
Die Zuordnung ist umstritten, die von Eduard von Mayer als erste Philosophen erwähnten Thales von Milet und Anaximenes sind wahrschienlich nicht darunter, aber Heraklit (im Vordergrund, sich auf einen Quader stützend) und Anaximander (vorne, ganz links).
Das Bild zeigt, dass zur Zeit der Renaissance die Römische Kirche sich in vielen philosphischen Dingen als Nachfolgerin der grossen griechischen Denker der Antike verstand.
Für Eduard von Mayer konnte der christliche Glaube nur auf dem aristotelischen Gedankengut entstehen (siehe Schluss dieses Kapitels).
In der Reszensionen der Neuzeit wurde das Weltbild des Heraklit als traugriges gesehen, im Gegensatz dazu sah man das Weltbild von Demokrit als fröhliches. Empedokles sah das Wesen aller Dinge in den vier Elementen: Wasser, Feuer, Luft und Erde.
Pythagoras, Mass und Verhältnis prägten sein Weltbild, seine mathematischen Erkenntnisse sind bis heute elementare Grundlagen der Gemoetrie und Mathematik.
Mit Anaxagoras gelangte die ionische Aufklärung (Vorsokratik) nach Athen, denn dort verbrachte er die wichtigsten Jahrzehnte seines Lebens und stand dem leitenden Staatsmann Perikles als philosophischer Lehrer und Berater nahe. Als Mathematiker beschäftigte er sich hauptsächlich mit der Quadratur des Kreises.
Die Schule von Elea war eine nach der Stadt Elea (heute Ascea) benannte Denkrichtung der vorsokartischen Philosphen im damlas griechischen Süditalien. Einer der bekanntesten Vertreter dieser Schule war Zeno von Elea.
Als Sophisten wird eine Gruppe von Männern aus der griechischen Antike bezeichnet, die über besondere Kenntnisse auf theoretischem (Mathematik und Geometrie) oder praktischem Gebiet (Handwerk, Musik, Dichtung) verfügten, im engeren Sinne vor allem Didaktiker und Rhetoriker, die mit dem Vermitteln ihrer Kenntnisse ihren Lebensunterhalt verdienten. Sie wirkten von etwa 450 v. Chr. bis etwa 380 v. Chr. Der Terminus «Sophist» bezeichnete ursprünglich alle, die für ihre Weisheit berühmt waren: Pythagoras, Thales, Staatsmänner, Kulturbringer, Dichter und andere «weise Männer».
Die Sophisten bildeten weder eine geschlossene philosophische Strömung, noch gab es sophistische Schulen. Sie hatten eine aufgeklärte Haltung zur Religion. Sie gingen davon aus, dass nicht die Götter das menschliche Schicksal lenken, ohne deren Existenz zu bestreiten.
Die philosophische Bewertung der Sophisten war lange Zeit (und ist es bis heute) stark von dem negativen Bild geprägt, das Platon, Aristophanes und Aristoteles und in Folge philosophische Historiker aus platonisch-aristotelischer Perspektive gezeichnet haben.
Sokrates war ein für das abendländische Denken grundlegender griechischer Philosoph, der in Athen zur Zeit der Attischen Demokratie lebte und wirkte. Zur Erlangung von Menschenkenntnis, ethischen Grundsätzen und Weltverstehen entwickelte er die philosophische Methode eines strukturierten Dialogs, die er Maieutik (Hebammenkunst) nannte.
Sokrates selbst hinterliess keine schriftlichen Werke. Die Überlieferung seines Lebens und Denkens beruht auf Schriften anderer, hauptsächlich seiner Schüler Platon und Xenophon.
Platon war ein Schüler des Sokrates, dessen Denken und Methode er in vielen seiner Werke schilderte. Die Vielseitigkeit seiner Begabungen und die Originalität seiner wegweisenden Leistungen als Denker und Schriftsteller machen Platon zu einer der bekanntesten und einflussreichsten Persönlichkeiten der Geistesgeschichte. In der Metaphysik und Erkenntnistheorie, in der Ethik, Anthropologie, Staatstheorie, Kosmologie, Kunsttheorie und Sprachphilosophie setzte er Massstäbe auch für diejenigen, die ihm – wie sein Schüler Aristoteles – in zentralen Fragen widersprachen.
Der Peloponnesische Krieg zwischen dem von Athen geführten Attischen Seebund und dem Peloponnesischen Bund unter der Führungsmacht Sparta dauerte, unterbrochen von einigen Waffenstillständen, von 431 bis 404 v. Chr. und endete mit dem Sieg der Spartaner.
Der Krieg beendete das klassische Zeitalter Athens und der attischen Demokratie und erschütterte die griechische Staatenwelt nachhaltig. Fast alle griechischen Stadtstaaten nahmen an ihm teil, die Kampfhandlungen umfassten nahezu die gesamte griechischsprachige Welt.
Aristoteles ist der bekannteste und einflussreichste Philosoph und Naturforscher der abendländischen Antike. Sein Lehrer war Platon. Aristoteles hat zahlreiche Disziplinen entweder selbst begründet oder massgeblich beeinflusst, darunter Wissenschaftstheorie, Naturphilosophie, Logik, Biologie, Physik, Ethik, Staatstheorie und Poetik (Lehre der Dichtkunst). Aus seinem Gedankengut entwickelte sich der Aristotelismus.
Prädestination ist ein theologisches Konzept, dem zufolge Gott von Anfang an das Schicksal der Menschen vorherbestimmt. Insbesondere geht es um eine Erwählung einzelner Seelen zum ewigen Leben oder zu ewiger Verdammnis. Hintergrund ist die Annahme, dass Gott über den Menschen erhaben und jenseitig ist. Das Heil erlangt, wer von Gott zum Heil vorherbestimmt ist.
Augustinus ist als Vertreter der Prädestination bekannt. In seinem Spätwerk Vom Gottesstaat geht er davon aus, vor der Erschaffung des Menschen habe es zwei Engelsstaaten geben, den Staat der bösen (civitas diaboli) und den Staat der göttlichen Engel (civitas dei). Einige der Engel haben sich «grundlos» von Gott «abgekehrt» und sind böse geworden. Nach Erschaffung des Menschen wurden diese Staaten in den irdischen Staat (civitas terrena) und den Gottesstaat (civitas coelestis) übergeleitet. Nach dem jüngsten Gericht werde sich der Kreis schliessen; am Ende gäbe es wieder zwei Staaten: Civitas Mortalis – die Höllenstrafe in Ewigkeit – und auf der anderen Seite Civitas Immortalis – die ewige Herrschaft mit Gott (der Himmel). Die Anzahl der Menschen, die in den Himmel kommen, entspreche dabei genau der Anzahl der abgefallenen Engel, so dass der Ausgangszustand wieder hergestellt ist.
Augustinus’ Lehre von der doppelten Prädestination – mit ihrer impliziten Ablehnung des freien Willens zur Entscheidung für Gott oder gegen ihn durch den Menschen – wurde von der katholischen Kirche bereits im 5. Jahrhundert nicht übernommen. Sie übte allerdings einen sehr grossen Einfluss auf die Reformatoren aus, wie Martin Luther und vor allem Johannes Calvin.
Zenon von Kition war der Begründer der Stoa, einer philosophischen Schule, welche sich in einer Kolonnade (Stoa) traf. Ein besonderes Merkmal dieser Denkrichtung ist die kosmologische, auf Ganzheitlichkeit der Welterfassung gerichtete Betrachtungsweise, aus der sich ein in allen Naturerscheinungen und natürlichen Zusammenhängen waltendes universelles Prinzip ergibt. Für den Stoiker als Individuum gilt es, seinen Platz in dieser Ordnung zu erkennen und auszufüllen, indem er durch die Einübung emotionaler Selbstbeherrschung sein Los zu akzeptieren lernt und mit Hilfe von Gelassenheit und Seelenruhe nach Weisheit strebt.
Epikur war Begründer epikureischen Schule. Diese parallel zur Stoa entstandene philosophische Schule hat durch die von Epikur entwickelte hedonistische Lehre, Epikureismus, seit ihren Anfängen zwischen Anhängern und Gegnern polarisierend gewirkt.
Die antiken Skeptiker waren Philosophen, die eine Sache von allen Seiten genau untersuchten, um deren Beschaffenheit festzustellen. Dies führte zu prinzipiellen Bedenken gegen alles, was sich nicht untersuchen liess. Dazu gehörten alle Aussagen, die über sinnliche Phänomene hinausgingen. Daher wurde menschliches Wissen in Frage gestellt.
Plotin war der Begründer und bekannteste Vertreter des Neuplatonismus. Ab 244 lebte er in Rom, wo er eine Philosophenschule gründete. Er lehrte und schrieb in griechischer Sprache; seine Schriften waren für den Schülerkreis bestimmt und wurden erst nach seinem Tod einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht. In Kreisen der politischen Führungsschicht des Römischen Reichs erlangte er hohes Ansehen.
Plotin betrachtete sich nicht als Entdecker und Verkünder einer neuen Wahrheit, sondern als getreuen Interpreten der Lehre Platons, die nach seiner Überzeugung im Prinzip bereits alle wesentlichen Erkenntnisse enthielt. Sie bedurfte aus seiner Sicht nur einer korrekten Deutung mancher strittiger Einzelheiten und der Darlegung und Begründung bestimmter Konsequenzen aus ihren Aussagen. Als Vertreter eines idealistischen Monismus führte Plotin alle Phänomene und Vorgänge auf ein einziges immaterielles Grundprinzip zurück.
Helena Petrovna Blavatsky war eine russisch-amerikanische Okkultistin. Ihre Hauptwerke Isis Unveiled (Isis entschleiert) und The Secret Doctrine (Die Geheimlehre) trugen massgeblich zur Begründung der modernen oder anglo-indischen Theosophie bei und erlangten einen bedeutenden Einfluss auf weite Bereiche der modernen Esoterik. 1875 gründete Blavatsky mit Henry Steel Olcott die Theosophische Gesellschaft.
Church of Christ, Scientist, meist kurz Christian Science genannt, ist die von Mary Baker Eddy begründete weltweite Glaubensgemeinschaft. Die von ihr entwickelten Lehre, welche sie in ihrem Buch Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift formuliert, ist die Grundlage der Gemeinschaft; die Mutterkirche ist «The First Church of Christ» in Boston.
Der wuotanische Armanismus ist eine neureligiöse Lehre und wurde von Guido von List gegründet. Man nennt diese Bewegung auch Ariosophie, ein Begriff der Jörg Lanz von Liebenfels geprägte. Ariosophische Autoren verbanden Vorstellungen einer Überlegenheit der «arischen Rasse» und Forderungen einer Reinerhaltung dieser vermeintlichen Rasse mit Elementen der Astrologie, der Zahlensymbolik, der Kabbala, der Graphologie und der Handlesekunst. Die wichtigste ariosophische Organisation (Geheimbund) war der von Lanz gegründete Neutempler-Orden.
Die Ariosophie basiert auf der Vorstellung, dass es in vorgeschichtlicher Zeit ein Goldenes Zeitalter gegeben habe, in dem die arische Rasse noch «rein» gewesen sei und von einer weisen Priesterschaft geführt wurde. Diese ideale Welt sei durch Rassenmischung zerstört worden, und darin lägen die Gründe für Kriege, wirtschaftliche Not und politische Unsicherheit.
Die deutsche Mythologie wurde von Jacob Grimm aus der Edda, vereinzelten Runen-Inschriften und Legenden, darunter auch christliche und griechische, und aus den Berichten des Tactius zusammengetragen. Walhall, die nordische Götterwelt, die germanischen Gottheiten, germanische Mythologie und, Schöpfungsgeschichte.
Viele Autoren nach Grimm haben diese Mytologie erweitert, es herrscht ein Durcheinander wie in der griechischen Götter- und Sagenwelt. Die nordischen Götter und Helden erreichen allerdings nie die allgemein gültigen psychologischen Wesensmerkmale, die den griechischen Göttern und Helden eigen ist.
Origenes war ein christlicher Gelehrter und Theologe. Zum seinem Leben stehen nur wenige Quellen zur Verfügung. Das meiste stammt aus der Kirchengeschichte von Eusebius von Caesarea. Eusebius war ein begeisterter Anhänger des Origenes und seiner Lehren.
Ob Origenes als Kirchenvater oder nur als Kirchenschriftsteller zählt, ist umstritten. Nicht umstritten sind Paulus, Augustinus und Thomas von Aquin.