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Zukunft der Natur, Teil III. Die befreite Menschheit

Die Klarerziehung

Kindesfragen

Der Sinn der Erziehung, ihr Ziel, ihre Aufgabe ist allein vom Klarismus aus zu begreifen: als Lenkung des Eigenwesens zu tapfertätigem, klargemässigtem, zielfreudigem Willen, und zwar vom ersten Lebenstag ab.

Die Schwierigkeit ist: den Eigenwilllen, unverzerrt, unerschlafft, unvermindert zur Einfügung zu bringen, ihn zu befähigen seine höchste, freiste und frohste Erfüllung in echtem Gefüge zu finden – da, wo die eigne Kraft in voller Eigenheit doch gerade die Mitkräfte fördert und, weiter werbend, der Umwelt die eigene Gefügeordnung mitteilt.

Die bare Hungergesittung hat durchaus falsche Werte geprägt und dadurch die Kräfte irregelenkt.

Sie ging von der blossen Hungerbefriedigung aus und mass daher die Lebenserfüllung allein am äusseren Wohlergehen, an allem, was diese sichert; und das ist die Masse. Die Masse der Menschen sichert im ganzen die völkische Durch­schnitts­sätti­gung – auf die Masse wird somit der Blick gelenkt; die Masse ihrerseits schätzt die äussere massige Kraft, die Reich­tums­masse, die staatliche massenlenkende Macht. Und diese Massenschätzung bildet die äussere Ehre, das Zerrbild der Selbst- oder Eigenachtung. Die Ehre ist der Spielkurs des Eigenwertes am Massenmarkte.

Als Falschwert dringt dieser Massen- und Hungergeist ein in den Willen und zeugt den Ehrgeiz. Und dieser Ehrgeiz ist eifrig tätig, die echten Gefüge – auf die es gerade ankommt – unmöglich zu machen.

Freilich hat es seit jeher als beste Erziehung gegolten, den Ehrgeiz im Wetteifer zu wecken und derart ohne Nötigung freie Leistung hervorzurufen. Aber es liegt in der Falschrichtung des Willens doch bereits eine Nötigung, nur ein Schein ist hier die Freiheit.

Zwar zu schwierigen Augenblicksleistungen mag dieses Mittel taugen – im ganzen, im dauernden, lebensgrossen und tageskleinen verbildet es.

Gegen den baren, dumpfen Naturstand hat sich ja alle Lebensarbeit des Willens zu richten, durchaus nicht nach ihm; aber die Masse ist gerade zu barem Naturstand entartetes Menschheitsleben. Von ihr die Wertung der eignen Tat – in der Form der Ehre und Ehrgeizstillung – empfangen, heisst sich vom Gegner den Kriegsplan abstecken lassen: durch «Ehre» ist mancher verächtlich geworden!

Nein, zur klaren und wahren Erziehung heisst es das Kind gegen Ehrung, Ruhm, Verachtung, Misserfolg, gegen alles was Massenbilligung ist, zu stählen – gerade um das echte Gemein­leben neu zu heben.

* * *

Den Wertmesser seines Tuns hat der Mensch von früh auf darin zu finden, dass seine Leistung als Ganzes ihm Freude bereite, wie schwer auch die Zwischenschritte in Vorbereitung und Ausführung wären. Die Einzelleistung als kleines Ganzes zu sehen, als Werk, als Lebensgestaltung, als Heilgefüge: das ist erforderlich.

Dazu gehört, dass nicht eine einzige Arbeit als solche verachtet werde – auch die nicht, die bloss dem Abhub des Lebens, der Notdurft gelten; bloss solche, die grade wider die Freifügung der Menschheit laufen. Doch nicht die Arbeit als solche adelt, wie es heute im Massengeiste heisst, in Gegner­schaft zum Herrentume, sondern der Sinn, mit dem sie geleistet wird, der Hinblick auf Freude, die sie gibt, ermöglicht, verbreitet – auf Einklang, die sie im Innern und Äussern reift.

So gut auf der Hungererde ohne Zerstörung und Erbun­recht146 kein Leben ist, ist auch freilich kein Leben ganz ohne Sklaventum möglich – ohne Leistungen, die als solche unmöglich inneren Anteil zu wecken vermögen (und diese Unmöglichkeit ist der innerste Sinn des Sklaventums!), wie Erz- und Kohleförderung, Lasttragen, Staubkehren, Abort reinigen. Nie und nimmer wird die Erde zum Garten Eden werden, so leistungsvolle Maschinen erfunden werden mögen, so wird ein menschenwidriger Zustand unausrottbar erhalten bleiben. Wenigstens heisst es dahin wirken, dass solche Naturen zu diesen Arbeiten kommen, deren weniger reges Eigenleben als Lebensaufgabe nicht ein Eigenwerk fordert und also weniger durch die anteillose Tätigkeit, durch die bare Arbeit leidet.

Auf Erden bleibt die beste Massnahme nur ein Versuch – das weiss der Klarismus am allerbesten, weil er das Chaos begriffen hat. Aber es meint der Klarismus ja gar nicht, die Erde umzuzaubern: Er will den Einzelnen helfen, mitten in Notdurftarbeit dennoch innerlich vorwärts und aufwärts zu kommen, damit er der Wirrwelt entwachse.

Und dazu gehört, dass der Mensch – aus Chaoserkenntnis – lernt, seine Leistung, sein Arbeitsfeld nicht danach zu werten, ob Ansehn oder Ehre damit verknüpft ist oder nicht. Es soll dich auf Menschheitsvorposten fühlen und derart die Arbeit leisten, dass er an seiner Stelle unersetzlich erscheint. Dann erhält sie lebendigen Innenwert und wird ein Wesenteil des Gemeinschaftsgefüges.

Das Massengefüge des heutigen Zustandes freilich verlangt die möglichst gleichförmig bare Arbeit, sei’s am Gewerke oder im Amt; erwünscht ist ihm eine Heer von möglichst leis­tungs­gleichen, auswechselbaren, ersetzbaren Fronern, un­per­sön­lichen Trägern der Betriebskraft. Da muss, in der Tat, die innere Lebensbedeutung der Leistung beständig schwinden, der Wille verarmen, die Menschheit in hetzendem Missbehagen verkommen.

Das kann auch nicht anders werden, ehe nicht klar­er­zogene Menschen in stiller Entwicklung neue Gemein­be­zieh­ungen wirken, mit ganz entgegengesetzten Ansprüchen: mit der Forderung, dass ein Jeder Eigenwerke leiste.

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Zu Eigenwerken die Notdurftarbeit des Lebens innerlich umzugestalten, ist Zweck der Erziehung im grossen.

Es ist nicht wahr, das bloss in Worten, Tönen, Farben und Steinen Werke geschaffen werden. In Menschengruppen, in Menschenzuständen, angefangen vom Staatsleben bis zur täglichen Hausarbeit kann sich die Werkgestaltung weihend beweisen, der freieste Form allerdings die «Kunst» der klaren, tönenden, spielenden, bunten Jenseitsgeschichte ist – die nicht Zerstreuung, noch Zeitvertreib, sondern freudig-hehrste Lebensgestaltung bedeutet, Vorahnung der Klarwelt.

Zu ihr im Innersten strebt der Mensch erst dann ver­eh­rend hin, sie wahrhaft verstehend, wenn er lernte in jedes Tun den Sinn der Lebensgestaltung zu tragen, in Ordnung, Ent­wirr­ung die niedere Welt zu meistern. Als Gottes Mit­ar­beiter gegen das Wirrwar kämpfen: das ist der Lebens­beruf eines Jeden und da ist keine Tätigkeit, die nicht derart Kunst und Lebens­er­höh­ung werden könnte, ein Eigenwerk.

Zu dieser klaristischen Einsicht des Lebenskampfes hat nun die Erziehung von vorne herein den Willen zu lenken. Erst dann ist Erziehung auf richtigem Wege, wenn sie dem wer­den­den Leben inneren Einklang aufprägt, statt es, wie es heute geschieht, in vier getrennte Ströme zu spalten: in Arbeits­schu­lung, in sogenannte Bildung, in Sittlichkeit, in Ge­heim­leben.

Nein! der Wille muss derart in klarer Einsicht gereift werden, dass die Berufsschulung sich als eigenangewandte Lebenserkenntnis einstellt und, freudiger Tätigkeit voll, im gleichen Masse das Einzelbedürfnis wie das Gemeingefüge bedenkt: dann bedeutet die eigenste Freude zugleich den Gradmesser auch des Gemeinwohls.

Freilich! das ist das Gegenbild unsrer unfrohen, müden, verlognen Gemeinfron. Doch nur so erfasst und in solchem Sinne gehandhabt, ist Erziehung lebendiger Gottesdienst, reift sie an jedem Einzelpunkte das ganze Willensgefüge, schafft sie in jeder Tat am Werden des Gottesreiches.

* * *

Daraus ergibt sich, dass allerfrühstens des Kindes Blick in das Leben richtig zu lenken ist.

Allzulange herrschte der Wahn, man dürfe, man sollte Kinder mit falsche Antworten abspeisen, wenn sie mit un­be­que­men Fragen kommen; so giessen gewissenlose Wärter­in­nen Opium in die Milch, um das schreiende Kind zu «besänftigen».

Die falsche Antwort lenkt den kindlichen Willen in die falsche Bahn, die selten wieder verlassen wird und einzig darum nicht auffällt, weil nahezu Alle in gleicher, gemeinsamer Irrbahn treiben.

Das Kind kann noch nichts Wirkliches leisten, sein Wille ist noch beschäftigt, sich in die Lebenswelt einzufühlen. Es darin zu fördern, heisst all sein Leben heilsam bestimmen. Und dieses Bestreben der Einfühlung zeigt sich von selbst in den Fragen. Fragen sind allemal Willensschwankungen, rich­tungs­su­chende Willensregungen; Neugierfragen sogar bezeugen ein Willensspiel, unbeschäftigt erregten Willen; und vollends die Fragen des Kindes sind wirkliche Geh- und Tatversuche des Willens im unbekannten Daseinsgefilde.

Die Kindesfragen richtig beantworten, heisst den Grund des Erziehungserfolges legen, soweit ein solcher gegebenen Falls möglich. Durch falsche Erklärungen hindert man die spätere Klärung. Der schon Erwachsene kann eine irrige Antwort durchschauen oder berichtigen, aber das Kind vermag das nicht, und dauernd prägt sich ihm die falsche Deutung der Tatsachen ein, als falsche Verknüpfung und falsche Weg­weisung.

Nun scheint es, das Kind sei unmöglich fähig, die gar so gewundenen Formelerklärungen höherer Wissenschaft einzusehn, die besondren Kenntnisse des Arbeitsgebietes auch nur entfernt zu begreifen.

Gewiss nicht!

Doch wir ein Kind auch nie nach besondren Leis­tungs­be­ding­ungen forschen, ehe sein Wille nicht ernsthaft grade darauf sich richtet, und solchen Falles erfährt es die Wis­sen­schaft dieser Arbeit, einfach, indem es zu solcher Arbeit hinzugezogen wird; gerade soweit als sein Wille wirklich dahin zielt, wird es sich Kenntnisse anlegen, Tatsachen auffassen, unmittelbare Antwort entnehmen, die Fragelust stillen. Und was die «höhere Formel»-Weisheit betrifft, so ist sie in Wahrheit gar nicht Erklärung, sondern einzig Buchung der Hauptbedingungen, unter denen Erscheinungsreihen auf­tre­ten; unberücksichtigt bleibt das Wesen. Es ist schon Folge der Irrbeantwortung aller früheren Zeiten, dass sogenannte denkende Menschen in solcher Formelwissenschaft wirklich Erkenntnis sehn, statt blosser allgemeinster Umschreibung. In Wahrheit speisen die Formeln so die Erwachsenen ab, wie die Fabel vom Storch, die falsche Beantwortung seiner Fragen das Kind. Und das Lebensergebnis ist das gleiche: gespreizte Unwissenheit, verblendeter Wille.

Die wissenschaftlichen Formeln haben den ganz be­stimm­ten Wert eines abgekürzten Forschungsverfahrens inner­halb weit verwickelter Daseinszusammenhänge. Doch darauf richten sich ja gar nicht des Kindes Willensfragen.

Es sind zunächst, und lange! die nächsten Dinge des Sinnenbereiches, mit dem des Kindes Willen sich aus­ei­nan­der­zusetzen strebt, um zu wissen, wohin und in welchem Grade sich einzustellen. Der Säugling beschmeckt und betastet alles – ekelfrei wie der kühlste Gelehrte – um Wirkung und Eigen­schaf­ten der Dinge kennen zu lernen und so sein Verhältnis zu ihnen zu regeln; so tastet das Kind hinterher mit Frage die nächste Umwelt ab. Und darauf zu antworten ist nicht schwer, wenn einmal die Daseinsordung begriffen wurde.

Und tausendmal besser ist es, dem Kinde unbefangen zu sagen: «Ich weiss das selber nicht», als falscher Rang­über­le­gen­heit halber es anzuschwindeln. Sobald es den Irrtum später bemerkt, verschwindet erst recht die Achtung – indes das Geständnis begrenzter Einsicht dem Kinde erst recht be­greif­lich macht, dass des Lebens Abschluss nicht beim bereits Erwachsenen liegt, sondern immer noch erst zu erstreben ist. Statt dieser nicht früh genug zu eröffnenden «Fernsicht des Willens», erlebt das Kind einen falschen Bretterzaun als Grenze des Lebens. Das da nicht ein ungeheures Misstrauen gegen alle geeichten Erklärungen einriss, beweist nur wie abstumpfend unsre Erziehung bisher gewirkt hat – wie sehr die Menschheit am Worte, Gerede, Halbgewissheit, Unklarheit, Willensverwirrung gewöhnt ist. Bei solchem Affengeschnatter wuchern alle untermenschlichen, dumpfen Triebe.

Es ist durchaus ein Irrtum, Erkenntnis folge auf Kennt­nisse.

Nein, die Einzelkenntnisse sind die Folge erkennender Grundschau, sind angewandte Erkenntnis. Die Willens­ge­schichte beweist es, dass aller besondern Erforschung ein grosser Umrissgedanke vorhergeht, der – wissenschaftlich gesprochen – völlig ungenügend begründet ist, bloss eine «Hypothese», eine Vermutung; dennoch lässt er dann selbst die Beweise entdecken, mauert sich selber den Unterbau nachträglich, senkt von oben hinab die Wurzeln ins Erdreich hinein. Zu neuer Erkenntnis führt durchaus nicht belanglose Zufallsbeobachtung, sondern ein neues Willenshindernis – Wille ist es, der ahnend auf Auswege kommt und neue Ordnungen aufdeckt. Die Willensnahrung leistungsreicherer, freierer Ordnung, das ist Erkenntnis, die eben dann die Tatsachen, die zur Verwirklichung solcher Ordnung ver­wend­bar sind, ausspüren geht. Das sind die Kenntnisse – Werk­zeuge weitere Lebensgestaltung.

So heisst es dem Kinde, sobald sein Wille sich reckt, zuerst zu Erkenntnis verhelfen; dann wird es die nötigen Kenntnisse schon lebendig erwerben.

Freilich setze das voraus, dass nun der Erzieher – der mehr als Abrichter ist – selber Erkenntnis besitze. Und daher bringt der Klarismus, der ja die Klärung des Eigenwesens durch Hilfe des göttlichen Geistes im wählenden Willen bekennt, so stark auf Daseinserfassung. Ein Träger göttlichen Lichtes zu frohen Befreiung des Willens zu sein: das ist das klaristische Amt des Erziehers. Und darauf dringen, ist Amt des Klarismus.

* * *

Erkenntnis ist nie verwickelt – ihr Zeichen ist vielmehr die Einfachheit, der einfache Linienverlauf der Wesenszüge in der Mannigfaltigkeit wirklicher Lebensfülle und Lebensforschung.

Freilich: Einfachheit lernt erst der Reife im grossen Gewirr des Daseins erblicken. Es wurde aber bis heute kaum jemals mit Einfachheit angefangen, es wurde das Kind in ein Wirrwarr unlebendiger Einzelkenntnisse stetig hinein­ge­trie­ben. Gewiss hat es da der Erwachsen unendlich schwer, ergibt er sich schliesslich erschöpft dem Wahne der Einerleiheit und Einheit, ohne die nun erst allerschlimmsten Widersprüche zu sehn. Einzig ein starker Wille findet sich doch zu der Ein­fach­heit durch.

Nun ist es freilich unmöglich, dem Kinde die ganze Weite und Tiefe, den Wert der Einfacherkenntnis begreifen zu machen, denn dazu gehört auch Weite und Kraft des Willens. Aber soweit sein Wille schon reicht ( – und darauf deuten die Fragen – ) vermag es Erkenntnis, Einsicht entgegenzunehmen. In diesem Sinne ist wirklich die Wahrheit eine – nur muss ein Jeder sie sondereigen anwenden lernen, in Leben umsetzen, so wird sie mannigfaltigst.

Freilich, die heutige Zeit versucht den Willen ganz zu enteignen, nach allgemeinen Regeln des grossen Gewerk­ge­füges zu nutzen, und kann daher einen wirklichen Klarwillen gar nicht brauchen, und wünscht – trotz allen Geredes – durchaus nicht Erkenntnis. Sie fordert nur Arbeitskenntnisse, richtet als Ziel des Geistes den unge­heu­ers­ten Turmbau der Kenntnisse auf, als «reine Wissenschaft».

Derart macht sie den Wissenstrieb leer, den Willen stumpf und reisst die beiden Wesenshälften ganz auseinander – dämonisch schlau, denn deren Wiedervereinigung wäre das Ende unserer Scheingesittung.

Gerade daher heisst es für jeglichen, der da höhere Lebens­pflicht empfindet, diese Willensdurchdringung das Wissens und Klärung des Willens vollziehn.

Diese Ineinanderdringung von Willen und Wissen ist gerade das, was Erkenntnis heisst: sie ist der Hebelpunkt aller Erziehung.

Nein: für das Kind ist stets das Beste gerade gut genug und das Wahrste klar genug.

* * *

Der alte Satz: das Einzelwesen durchlaufe in seiner Eigen­ent­wick­lung in Kürze die Stufen der Gattungsgeschichte (die «Ontogenese» wiederhole die «Phylogenese») lässt vermuten, dass, wie der Vormensch überhaupt, so auch das Kind sich zunächst als Kraft inmitten von Kräften und dann erst, ge­reif­ter, als Macht inmitten von Mächten erkennt.

Die erste tierische Spanne erlebt das Kind vermutlich, solang es seiner Glieder noch wenig mächtig, inmitten von Einwirkungen hinlebt, ohne eigentliche tätige Gegenwirkung, – solange es sinnlich abtastet, was ihm zuhänden kommt. Da fragt es auch nicht, es richtet die Fragen unmittelbar an die Gegenstände.

Darauf fängt es an in regerem Grade zu wollen und über die nächsten Dinge, die nächste Gegenwart weiter hinaus zu langen, Wirkungen auszuüben – da erst sucht es Verbindung mit weiterem Umkreis und fühlt sich als dessen Mittelpunkt. Es beginnt das frühere bare Lallen in Sprache umzusetzen, Verständigung mit der Umwelt zu suchen. Das Kind beginnt zu fragen, weil es zu wollen beginnt; und weil es Wille ist, ist es mehr als Kraft inmitten von Kräften – ist Macht inmitten von Mächten. Auf dieser Geistes-Willensstufe begann in Urzeit die wirkliche «technische» Lebensgestaltung.

Hier hat zuerst und sofort die Erkenntnishilfe, die Hilfe der Willenswahl, hat die echte Erziehung einzusetzen, indes bis dahin die blosse leibliche Fürsorge hinreichte. Gut! wenn diese das Kind nicht zum Eigensinne, selbstischer Unselbständigkeit anhielt.

Heute besteht die erste Geisteserziehung meistens darin, dem Kinde, wenns nach den Dingen fragt, den Namen zu nennen, im Wahne, damit auch das Wesen dem Kinde ge­nü­gend vermittelt zu haben – genau, wie später die Wis­sen­schaft meint, den Menschheitsfragen Rede und Antwort gestanden zu haben, wenn sie mit tönenden Fremdworten, «termini technici» anrückt, ohne deren engen bestimmten Gebrauch festzulegen.

Das Kind aber fragt durchaus nicht nach Namen – es fühlt seinen eigenen Willen und fühlt in den Dingen Mächte; ihm ist das Ding, was es wirkt, es möchte die Kräfte wissen, die darin schlummern, will wissen, wozu der Gegenstand da ist. Ist sein Wille von irgendwelchem Dinge doch nicht erregt, so kümmert es sich auch nicht darum, es fragt nicht danach; es fragt über­haupt nur soweit, als der Wille erregt ist: nach dem «Zweck».

Der kluge Erzieher muss nun aus Art und Anlass der Frage erspüren, was das Kind am Dinge wirklich bewegt, und gerade danach die Antwort von Zweck und Leistung des Dings ein­rich­ten, ohne mehr zu sagen. Denn sonst gewöhnt sich das Kind, ihm unverständliche, weil noch unverlangte Worte zu hören, hinzunehmen und nachzusprechen, somit das Gehirn mit Bal­last zu füllen, den Willen des innern Bundes mit dem Be­wusst­sein zu entwöhnen. Auch nimmt der Erzieher, sagt er sofort zu viel, fürs nächste Mal, wenn der Wille weiter ans Forschen ginge, die Spannkraft vorweg; und ohne Willens­spann­kraft gibt es keine Erkenntnis, nur leere Kenntnisse.

Freilich heisst es nach Möglichkeit, ihm den Leis­tungs­vor­gang zeigen, in wirklicher Anschauung, nicht oder anfangs, solange die belebende Tatsache der Erfahrung fehlt, nicht in blossem Bericht. Denn so nur wird ihm die Einsicht lebendig, im eigenen Willen nachgefühlt.

Derart lebt sich das Kind von Willensstufe zur Stufe schrittweise geistig ein in die wirkliche Umwelt, erlebt das rege Gefüge.

Erst später, wenn sich das Kind selber beschäftigt und spielend Gebilde hervorbringt, wird ihm die Frage nach Ursachen kommen; ehe es solche Frage stellt, wäre es töricht davon zu sprechen. Hat es aber sich selbst als Ursache, besser als Urheber gefühlt, dann ist der Augenblick da, es hin zur höchsten Erkenntnis zu lenken, von der seine ganze Le­bens­stel­lung bedingt ist.

Schrittweise, wie es selber die Umwelt greifend und spielend ergreift und erweitert, werden die Dinge ihm nahe­ge­rückt, nach Gegenwart, Zukunft und Herkunft – Anschein, Wirkung, Geschichte; die Willensforderung erwacht, in den Umkreis der Wirkungen klar zu schauen. Das Kind wird zum Schlusse auch nach dem Urheber des Himmels und der Erde fragen.

Hier ist die Klippe der alten Erziehung.

* * *

Ob die Erziehung in biblischer Weise das Kind belehrt, dass die Welt von Gott erschaffen sei, oder «monistisch» erklärt: von Niemandem – ist solange belanglos, als keine wirkliche Frage des Kindes vorliegt; fragt es aber mir Willensernst, so sind beide Antworten abschüssige Wege.

Freilich wird sich das Kind bei der Antwort «Niemand» noch gar nichts vorstellen können, weil es diese Verneinung gar nicht im Willen nachzufühlen vermag; später wird es hingegen allmählich, wenn immer und immer wieder dieselbe Antwort ertönt und es nicht selber andre Antwort ersinnt, den lebendigen Willensanteil einbüssen, bloss an den Nuten der Dinge sich haltend, den es gewahrt. So wird es zu wurzellosem Nützlichkeitssinn erzogen, und auch die schliessliche Schul­er­klär­ung von ewigstarren «Naturgesetzen» nimmt es in barem Arbeitssinne hin; es ist ja auch nur eine massenfromme Um­schrei­bung der mangelnden Einsicht.

Weitaus besser ist freilich zunächst die Antwort: «Gott» ist der Weltenurheber, denn den Zusatz: Er schuf es aus «Nichts» begreift das Kind ja doch nicht; es weiss nicht, was nichts ist, und denkt sich höchstens Luft.

Dennoch ergibt sich aus diesem Zusatz schliesslich allerärgste Erkenntnisverlegenheit.

Einerseits lernt das Kind sich selbst die Dinge alle als blosse Machwerke ansehn, und kommt da wieder zum baren Nützlichkeitssinne. Andererseits halten ihn die Personen, Eltern oder Erzieher, die ihn Gott als Schöpfer aus Nichts verehren lehren, zu Furcht und Gehorsam an, verlangen also von seinem Willen, dem gottgegebenen, Leistungen gegen den Schöpfer. Entweder ergibt sich dann ein dumpfer Sklavensinn, bloss auf die Gunst der gegenwärtigen Macht bedacht, oder es kommt (wohl meistens) zu geistiger Gleichgültigkeit, bloss nach dem Nutzen gerichtet, oder es keimt der böse Spaltpilz des Zweifels für spätere Reife: Der Widerspruch zwischen dem Allmachtschöpfer und seinem Geschöpfe, dem angeblich willenlosen und dennoch wahlverpflichteten. Davon nähren sich ja die unfruchtbaren Gezänke, nährt sich die unheilvollste Spaltung von Willen und Wissen.

Gerade dem Kinde, das noch nicht der Hungerarbeit hörig ist, kann bei aller Beschränktheit des Zustands, die klare, wahre und letzte Erkenntnis eröffnet werden. Denn darin ist der Kindessinn echter, dass er noch nicht auf die engen Nutz­bedingungen eingestellt ist, die das erwachsne Durch­schnitts­bewusstsein belasten und hemmen. Der ganz gereifte Erwachsne, der lebensstark gegen die enge Hunger­re­ge­lung aufsteht, kommt gerade wieder dahin, wo im Rohzustand das Kind unmittelbar und unbefangen lebt. Das Kristoswort: «so ihr nicht werdet wie die Kinder» hat hierin allertiefste Berechtigung.

Willensmächte empfindet das Kind, nach dem eignen Gefühle, in allen Dingen; sie sind ihm lebendig und immerdar soll es diesen Lebenskeim spüren. Gestaltungsmächte em­pfin­det das Kind, aus dem eignen Spiele, auch in den Dingen – sie soll es immerdar gegenwärtig behalten.

Als Eigengestalter soll die Erziehung dem Kinde die Dinge weisen, zeigen wie jedes (voran und deutlich die frei­be­weg­lichen, deren das Kind auch zunächst vor allem gewahr wird) um sich herum eine Ordnung der übrigen Dinge bewirkt, seine Kräfte betätigend. Eigenordnungsstifter: als solche erkenne das Kind die Dinge.

So wird ihm die frühere Frage des Zwecks beizeiten den Nutzgeist entzogen, ohne den Blick von regen Austausch der Kräfte abzulenken; im Gegenteil – nur, dass der äussere Zweck (der Nutzen) dem inneren (der Gestaltung) den Vorrang gibt. Und ohne Nützlichkeitsfron eröffnet dem Kinde sich so der Ordnungssinn, gerade als eigne Willensbetätigung.

Hat es derart die Dinge als Eigenurheber ihres Eigen­krei­ses begriffen, und auch begonnen, sich selbst als Ord­nungs­ur­heber seines begrenzten Willenskreises zu fühlen – dann wird ihm die Frage nach jener Ursache Himmels und Erdens sofort beantwortet werden können, so klar und wahr, wie dem strengsten Denker, dem reifsten Gemüte:

Nur was an Ordnung, werbender Gestaltung, Schönheit und Freude vorhanden, stammt aus Gott dem Ordner, Befreier und Schöngestalter.

Von einem Allmachtschöpfer aus Nichts braucht es gar nichts zu hören, eh es erwachsen, die Irrgänge der Furcht in der Menschheitsgeschichte kopfschüttelnd erfährt – durch unbestochne Willenserziehung vor allem Erdenutopismus bewahrt, bezöge dieser sich auch auf die Schöpferallmacht, die klarstens durch die Erdenmängel widerlegt ist.

Das Kind, das im Sande bäckt, das im Hause Kleider und in der Küche Speisen bereiten sieht, Handwerker schaffen gesehn, den Nestbau der Vögel und Ameisen schaute, begreift wie von selbst die Willenskraft als Gestalter, die Willens­leis­tung als Kunst und Gott als Kunstgestalter der Welt – kei­nes­falls plumper, als es die Bibel berichtet: Gott nahm den Erden­kloss, formte den Menschen und blies ihm den Odem ein.

Derart aus suchenden Willen zu tätigem Willen geführt, aus Willenseinfühlung mitten ins wahre Lebensgefüge gelangt, hat das Kind für das spätere Leben die sicher-lebendige Grundlage – Willenserkenntnis, Erkenntniswille in Einklang – daraus ihm alle Kenntnisse, Lebensentscheidungen, Leistungen sinnvoll und kraftvoll fliessen. Im Kreise des Hauses beginnt sein Wille in seinem kleinen Gebiete ordnend zu wirken, es fühlt sich nach und nach als eigengestaltenden Teilhaber grösseren Lebensgefüges und Werkes, und reift allmählich hinein in den tüchtigen Lebensglauben:

Mitarbeiter Gottes bei dessen Weltenwerk zu sein.

Wer diesen Willensglauben als Kind erlebte, der nimmt von vorneherein ins Leben den frohen, tätigen Sinn der Selbst­ver­ant­wortung mit, die Vorbereitung zur Selbstverwaltung im Kleinen und Grossen – es gibt kein besseres Mittel, die dumpfen Zerstörungstriebe zu bannen, als solche Berufung des Menschen von Kind auf zu Gottes Genossen. «Lasset die Kinder zu mir kommen!».

* * *

Aus solcher Erkenntnis heraus wird das Kind auch allmählich erfassen, was allgemeine Bildung heisst – nicht das heutige Wirrwarr von Tatsachen, sondern wirklich verknüpftes Begreifen.

Begreifen heisst es, wie das Geschehen zum jeweils erreichten Standpunkt gelangte: Geschichte also, Geschichte des Erdballs, Geschichte des Lebens, Geschichte der Menschen bis hin zu dem jeweils Lebenden, Lernenden – nicht in totem Gedächtniskrame in starrer Verhimmlung des Längst­ver­gang­nen oder Geradegeltenden, sondern als Bild das Willensstrebens und seiner Gestaltungen, die durch Umwege, Irrwege dennoch im Tiefsten aufwärts wiesen, vom Stumpfen und Unbestimmten zu Eigenfreien, Schönen und Frohen.

Der Sinn für Geschichte lebt im Sinn für Geschichten; so gerne das Kind die Märchen hört, die ihm durchaus nur wahre Geschichte sind, wird es das Märchen des Lebens hören, wenn ihm der Weltverlauf als Heldenkampf von Mächten vorgeführt wird, mit denen es fühlen kann – nicht als dürren, wider­sin­ni­gen Massenverlauf von «Gesetzen». Der Märchensinn ist der Wahrheit bei weitem näher, als all die nüchterne Wissenschaft.

Immerhin muss auch hier die Frage des Kindes, sein Willensanteil erst abgewartet werden. Meistens wohl wird sich von selbst die Frage nach den Eigenschaften der Dinge (die erste) zu der nach der Urheberschaft weiten (der zweiten) und dann nach dem Vorgang des Werdens (der dritten).

Da hat es der Lehrer-Erzieher leicht, allmählich die volle Antwort in Bruchteilantworten langsam vorzubereiten. Als erste Antwort genügt der Hinweis auf den zunächst-vor­her­ge­gan­genen Zustande; solange dem Kinde das genügt, ist es überflüssig weiter zurückzugehen. Der erste Rückblick auf all die Zustände seines kleinen Lebens wird dem Kinde bald zu erneuter Frage werden. Stellt es sie nicht, so genügte im dieses nahe Vergangenheitsbild vollständig; forscht es weiter, dann ist die Zeit für den nächsten Schritt gekommen.

So kann das Kind allmählich bis dahin gelange, wo der grübelnde Blick ins erste Werden des Daseins eindringt – wo tätige Mächte einander suchend das grosse Gestal­tungs­wirr­warr begannen. So schrittweise, immer dem Willensanteil entsprechend hineingeführt, überschaut das Kind zuletzt den ganzen Weg der Menschheit, ohne die Schlagworte blinder Naturscholastik hören zu müssen; mit diesen sich aus­ei­nan­der­zusetzen, den Abzweigungspunkt ihres Irrtums ein­zu­sehen, ist allerletzter Abschluss.

So überschaut das Kind die ganze Leistung, erkennt die unendlichen Mühen des Menschenwerkes, ohne sich selbst als höriges Nichts entwertet zu fühlen, und sieht aus dem Willenwerden die ganze Buntheit des Lebens in grossenZügen, die ganze reiche Eigenfreiheit neben dem eigenen Zustand. Natur- und Kulturgeschichte werden in einem zur Ord­nungs­ge­schichte des Lebens und führen die Leistung soweit, als es nun an dem Kinde ist, selber an seinem Teile weiter zu wirken, voller Einsicht in die Spielweite des Daseins. Nicht als Sklave unerbitterlicher Gottheit, unerbitterlicher Weltgesetze, nicht als totes Gewerkrad soll es sich einförmig quälen, nein! – als ob das Leben auf seine kleine Leistung gewartet habe, mit freudigem Willen tritt es hinein und hinan, sich und die andren als vielfältig freie Mitwirker des Lebens empfindend. Ihm ist die Landkarte des Lebens gezeigt, er hat die bisherigen Wege gesehn, ihm ist der Kriegsplan klar geworden: nun steht er bewusst auf Vorposten der Menschheit und wirkt an der Zukunft.

Nun dieserart sind die beiden gefährlichsten Irrtümer – Mangel an Willenseigenheit zugleich mit Unduldsamkeit – wirksam zu vermeiden; nur so erwachen Eigenfreude und Duldung. Die ganze Kenntnisfülle kann dem Kinde in grossen Lebenslinien ohne trocken-belanglose Nebentatsachen reich und bunt zu Bewusstsein gelangen, wenn es von frühstens auf allmählich die grosse Erkenntnis der Willensgestaltung im Bunde mit Gott erlebte und seien eigenen Lebenspunkt einsah.

Dann ist es wahrhaft gebildet, und fähig ins Leben zu greifen – immer nach Massgabe seines wirklichen Willen­standes.

Zukunft der Natur, Teil III
Die befreite Menschheit

 

Die befreite Menschheit

Die Klarerziehung

XXVIII Erziehung oder Abrichtung?

XXIX Kindesfragen

XXX Das Spiel – ein Leben

XXXI Die Erziehung der Eltern

Der klaristische Staat

XXXII Arbeit und Eigenwert

XXXIII Einzeltum und Eigentum

XXXIV Der Eigenstaat

  1. Vom Wesen des Staates

  2. Vom Verhältnis des Eigenstaates

  zur bisherigen Staatshoheit

 Anmerkungen

 Nachwort

 

Die befreite Menschheit PDF