Die Seele Tizians, zur Psychologie der Renaissance, Kapitel VII
Tizian in Venedig
Tizian, der Lobpreiser von «Venus und Adonis» und der «büssenden Magdalena», Tizian, der Prophet des «Christus»- Bildes und der Schausteller der «Dornenkrönung», Tizian, der Dichter der Farbe und der Psycholog des Schattens: welche Widersprüche! Diese Widersprüche sind aber auch gerade die Brückenpfeiler, über die er sein reiches und prächtiges Dasein spannt; in diesen Widersprüchen und ihrer äusserlich oberflächlich gleissenden Überwindung fasst er auch die Geschichte seinerzeit und das Wesen seines Volkes zusammen: er steht darüber, nur weil er davon getragen wird. Noch als Kind ward Tizian seiner Heimat entwurzelt und in ein neues Erdreich verpflanzt; aber diese Wahlheimat muss ihm durch innere Wahlverwandtschaft nahe gewesen sein, auch wird venezianisches Blut in ihm gepulst haben. Sein früh reger Sinn fand unzählige Aufmunterungen im brausenden Leben Venedigs; sein farbenfreudiges Auge erfreute sich an der bunten Pracht von Gebäuden, Kunstwerken, Trachten — das fesselte und gewann ihn. Daneben mag er doch an Heimweh gelitten haben, und die während seines ganzen Lebens wiederholten Reisen nach Pieve di Cadore beweisen nicht, dass er sie satt bekommen hätte. Vielmehr lebt in seinen Landschaften — wie getreu oder frei sie wären — ein unbewusstes, ungestilltes Heimweh, eine grosse Sehnsucht, die Naturstimmung einer wunden Seele, wenn er auch nicht bis zur modernen Einseitigkeit gelangt ist, die Landschaft in nahezu ausschliesslichem Selbstzweck zu schildern; sie bleibt immer der Unterton, der Mensch der sinngebende Akzent seiner Werke. Die Landschaft Venedigs liess ihn kalt, nur im frühen Altar-Bild gestiftet von Alvise Gozzi «Pala Gozzi» (1520), im Fresko des «Christophorus» (1523) und im «Glaubens»-Bilde des Grimani war die Lagune und die Silhouette Venedigs notwendig. So mag er bald träumerisch weh, bald froh geniessend durch die Ateliers und Strassen Venedigs, durch die Jahre seiner Lehrzeit gegangen sein, bald in der Gesellschaft Palmas, bald im Umgange Giorgiones. So mag es gewesen sein: denn wir wissen nichts davon. Wir finden ihn zuerst als nahezu vollendeten Meister, reif in Sinnenfreude und tief in zuckenden Sprüngen der Seele; wir sehen ihn dann am ersten Drittel seines Lebensweges in schwebender Höhe — und sechzig Schaffensjahre noch sollten beweisen, welche Grösse in ihn gelegt war und nicht die volle Frucht getragen.
Zwei grosse Anlagen besass er: die feste, sichere, lustvolle Erfassung der bunten Erde, und das sprach sich in seiner Farbkunst aus, in der prachtvollen Gestaltung des nackten Leibes, und den Reichtum an zitternden Gefühlen — das führte ihn zur Lichtkunst, zur tiefen Dramatik der Gebärden. Jene eroberte sich die Welt der heidnischen, lebenpreisenden «Poesien», diese verdrängte auf den Altären das harte Mittelalter durch ein milderes; ein drittes, beide innerlich vermittelnd, waren die Bildnisse — sie wurden auch äusserlich das Bindeglied von Tizians Anlagen, sie gaben ihm die Mittel, sein Leben genussvoll zu gestalten.
Wenn der Mensch seine Empfindungen als heilige Offenbarung fühlt und sie in seinen Taten verwirklichen darf, dann fliessen inneres und äusseres Leben ebenmässig dahin, immerzu und von selbst stellt sich das Gleichgewicht zwischen Innen- und Aussenwelt ein: das ist Glück; dann bringt der Tageslauf dem Menschen unmittelbar so viel Freude, als er bedarf, und er hat es nicht nötig, sich für Vergnügungen zu verausgaben, er lebt mit geringen Kosten, geringen Mitteln, fern vom Gelde und doch ganz und gar nicht arm. Anders, wenn die Aussenwelt seine Gefühle nicht gelten lassen will und sein Leben beschränkt, gar wenn er selbst nicht an das Recht seines Innenlebens glaubt. Dann wird er es zu meistern, zu unterdrücken, zu vernichten suchen, aber das Innenleben wird sich als stärker erweisen und durchbrechen, wird sich im Lebenswandel trotzig geltend machen und wohl auch Duldung bei den Mitmenschen finden, die in gleichem Kampfe gleiche Niederlagen erleben. Aber ein Glück wird das nie ergeben, sondern nur eine übertäubte Bitternis: erst die lange Hemmung der Gefühle, dann ihre gewaltsame Entladung, die eintretende Ernüchterung, die Scham vor den andern, die Reue in sich selbst — all das wiegt den kurzen Augenblick solcher Lust auf Raub nicht auf. Und nun muss der Mangel an täglicher, inniger Freude durch rauschende Zerstreuungen, durch kostbare Äusserlichkeiten ersetzt werden, die bezahlt sein wollen. So setzt sich die Furcht vor dem freien, selbstgewissen Innenleben in Geldsucht um, die monotheistische Weltanschauung, die den Menschen zur gehorsamen Sache stempelt, endigt im Mammonismus, und die demütigsten Sektierer werden die kundigsten Geldleute; die imperialistisch zentralistisch bürokratischen Staaten werden am reichsten an Schätzen, Heuchelei und Proletariern. Nicht umsonst hat Christus, dessen Reich nicht mit äusserlichen Gebärden kommen wollte, seinen Kampf mit dem Mammon an den Pharisäern, Schriftgelehrten und Staatsbeamten ausgefochten.
Nicht bloss die wirtschaftliche Lage der Stadt, noch der natürliche Tätigkeitsdrang allein trieb die Venezianer zum Handel, sondern ebenso sehr die mittelalterlich bibelstrenge Lebensauffassung. Um ihr Seelenheil zu retten, versagten sie sich das schlichte Recht an so viele Lebensfreuden, gingen hinaus und gewannen eine ganze Welt an Macht und Reichtum, aber nahmen sie nun etwa keinen Schaden an ihrer Seele, ihrem echten Gefühlsleben? Habsucht und Grausamkeit, Pomp und Verschwendung, ein raffiniertes gläsernes Kunstgewerbe, wie sie fast alle reich gewordenen Staaten kennzeichnen — das molochistische Karthago und das diktatorische Rom obenan — finden wir hervorstechend in Venedig. Wenn grosse Männer der äusseren Geschichte Festigkeit und Glanz, grosse Künstler dem inneren Leben Wert und Formen verliehen, so wurden hier der rohen Massenkräfte, der plumpen Schätze Herr doch wieder nur persönliche, schöpferische Mächte, Persönlichkeiten, die sich durch Buchstaben nicht brechen liessen. Diese setzten sich – denn auch, für ihre Person, über den Zeitgeist hinweg — so gut es eben ging: der venezianische Staat hat die Geistlichkeit immer mit harter Trense gezähmt und dem Vatikan Widerstand geleistet. Dennoch war Sankt Markus der Herr dieser Stadt und seine Kirche ihr Edelstein, und der sokratische Polizian wie der platonische Giordano Bruno mussten erfahren, dass es in Venedig wohl erlaubt war, Bücher zu drucken, aber nicht sich zu neuem Geist zu bekennen. Ebenso haben die venezianischen Künstler das Leben allen andern vorgenossen, war Venedig doch das Paris jener Zeit, wo die Fürsten und Lebemänner aller Gegenden zusammenkamen, um für die Chronique scandaleuse zu sorgen — natürlich ohne die Messe zu versäumen. Ein Zeitbild und lange Chroniken wert ist die Anekdote von Pietro Aretinos Tode, der bei einem Gastmahl so masslos über einen Witz — sicherlich eine Zote — gelacht habe, dass er umfallend mit dem Kopfe aufschlug und dann, mit den Sterbesakramenten versehen, ausrief: «Nun bin ich geölt, hütet mich vor den Ratzen.»
In diesem Milieu musste auch die kurze ethische Höhe Tizians zugrunde gehen; nicht nur nicht gestützt, vielmehr behindert in einheitlicher, äusserlich schöner und innerlich tiefer Lebensführung, musste seine Natur chaotisch bleiben oder wieder werden. Der starke Lebensdrang und der grosse Ernst, die Genussfähigkeit und die innere Ehrlichkeit, sie durften nicht etwas Ganzes und Leuchtendes sein, sie mussten widereinander streiten und die Seele müde machen — das ward seine Kunst. Im Leben aber durfte und sollte es hoch hergehen, und als Sohn oder Pflegling eines Handelsvolkes, als Bürger einer glänzenden Weltstadt erkannte Tizian bald den Wert des Geldes. Auf Geld stellte sich denn auch immer mehr sein Sinn. Und dazu musste ihm alles dienlich werden.
Ungestüm, mit der Rücksichtslosigkeit des Könnens, aber auch des Begehrens, setzt er sich in ein Handelsamt, das ihm eine Pfründe von dreihundert Dukaten sichert, aber an die Erfüllung der damit verknüpften malerischen Pflichten für den Saalschmuck des Senats denkt er jahrelang, allen obrigkeitlichen Mahnungen zum Trotz, nicht weiter — nur den neuen Dogen nicht zu malen, ging nicht an; wenn es jedoch vorteilhaft ist, unterbietet er die andern vom Staate beschäftigten Künstler. Dann malt er — und das ward seine Haupteinnahmequelle — die Bildnisse zahlloser Personen, oft umsonst, aber doch um deren Protektion bei seinen schwebenden Geldhändeln zu gewinnen; später, um seinen Söhnen Orazio und dem verschwenderischen Pomponio die versprochenen, aber vorenthaltenen geistlichen Pfründen zu verschaffen.
Gerade als Tizian in dem inneren Zustande war, den ich seine ethische Höhe nenne, tritt er in Beziehungen zum Herzog Alfons von Ferrara, für ihn malt er den «Zinsgroschen», später «Venusfest», «Bacchanal», «Bacchus und Ariadne» und vieles mehr. Es war seine folgenreichste Bekanntschaft, sie brachte ihm Geld und Ruhm ein, sie entschied vielleicht mit die neue Rückwandlung der Tizianschen Seele zur Doppelheit; an diesem Herzoge lernte er weiter mit der Gönnerschaft spielen, sie benutzen und ihr doch nicht verfallen. Der Hof der Este vermittelte ihm den der Gonzaga und Rovere — Mantua und Urbino beschäftigten ihn stark und sorgen für seinen Ruhm und Erfolg. Da hatte es sein Freund Pietro Aretino später leicht, ihn in die Nähe Karls V. zu bringen, als dieser sich in Bologna mit Clemens VII. aussöhnte. Hier vollendete sich Tizians äusserer Lebensweg; er wurde Pfalzgraf, er durfte bei Hof aus- und eingehen, Karl V. gab ihm zweitausend Dukaten für jedes Bildnis, die Kaiserin Isabella schickte dem Künstler ebensoviel für sein «Geschenk» — ein Bild der «Verkündigung», das die Besteller, die Nonnen von Santa Maria degli Angeli in Murano, ihm für fünfhundert Dukaten nicht abnehmen wollten. Karl V. rief ihn nach Augsburg, von wo er, «reich wie ein Fürst», schreibt Aretino, zurückkehrt. Dem Senat gibt der Meister aber nur eine ganz bescheidene Jahreseinnahme an. Und doch erwarb er Ländereien, steckte sein Geld in Holzhandel, von König Ferdinand mit Privilegien für Tirol ausgestattet. Andre Privilegien und Pensionen, die ihm Karl V. 1533 und wiederholt zugesagt, muss er immer und immer wieder bei Philipp II. — noch 1571 — in Erinnerung bringen. Und wenn man liest, dass selbst der spanische Gesandte in Venedig eine Bestellung des Madrider Hofes auf Rhabarber wegen Geldmangel nicht ausführen kann, so wird die Trödelei der Beamten glaublich, und es war unrecht, deshalb Tizian als «habgierig» anzuschwärzen.
Nein, habgierig war er nicht, wie denn auch Kleines in ihm nicht war: die Pfründe, die der Papst ihm anbot, schlug er aus, um seinen Jugendfreund Sebastiano del Piombo nicht zu schädigen, und ging leer von den Farneses aus; für seine Vaterstadt und seine Familie war er immer bereit einzutreten, und alle Zeugen rühmen seine Freundlichkeit und Gutherzigkeit. Wenn er sich ein festes, reichliches Einkommen sichern wollte, so ist das bei einer Künstlernatur, die in Ruhe schaffen muss, und bei ihm doppelt verständlich, da es ihm auch gar nicht darauf ankam, seinen Bedienten einen schweren Beutel zuzuwerfen, um einen werten Gast fürstlich zu bewirten. Das Geld blieb nicht in seinen Händen, und oft wird er eine erwartete Einnahme zu früh verausgabt haben, hinterher bekam er dann die peinliche Verlegenheit der Geldklemme zu spüren. Nur zum herrlichen Dasein brauchte er das Geld, und seine Künstlernatur wusste dem Gelde vornehmes Leben zu verleihen: reiche Feste wie intime Symposien fanden im Garten seines grossen Hauses statt, wo ihn Heinrich III. besuchte und eine Menge Gemälde zum Geschenk erhielt. Dort suchten ihn seine Schüler und Nachfolger auf; dort versammelte sich der Freundeskreis, besonders Sansovino, der Bildhauer, und Aretino, der Schmähdichter, der ebenso leicht Heiligenlegenden für fromme Damen der hohen Gesellschaft schrieb wie priapeische Verse für deren Gatten. In diesem Mephistopheles fand Tizian im Grotesken, was er selbst war: die Unausgeglichenheit grosser Naturanlagen, den schrankenlosen Geist, der doch nicht zur Selbstfreiheit kam, den unerschöpflichen Genusssinn, der doch in künstlerischem Empfinden wurzelte; als ganze Naturen hätten sie sich vielleicht gemieden, doch ihre Widersprüche, die sie wohl fühlten, ohne sie überwinden zu können, liessen sie Leidens- und Lebensgenossen sein. Aber dieses «Leiden» hatte eine glänzende Maske: in den Genüssen des Reichtums, in dem einzigartigen Ruhme, in der Fülle seiner Kunst, in der Weite seiner Wirkung hat Tizian aus dem Dasein zu machen gewusst, was aus ihm nun einmal zu machen war. Und in Tizian hat Venedig die höchste Lebensform gewonnen, deren es fähig war: kraftvoll, genussfreudig und doch zwiespältig — so steht Venedig in der Geschichte da, so stand Tizian da, bis ihn die Pest 1576 erlegte.
Ein glänzendes, grosses Leben, reich an Früchten für die Menschheit — und dennoch nicht genug.
Pala Gozzi
(Maria mit Kind, den Heiligen Franziskus und Blasius
und dem Stifter)
Der Schriftsteller und Dichter Pietro Aretino