Aus einem Leben – Gedichte
Ich wollte meine Gedichte eigentlich erst nach meinem Tode veröffentlichen lassen: als Urkunden in meinen Lebenserinnerungen. Aber Freunde und Freundinnen meines Dichtens wünschen, dass schon jetzt eine Auswahl erscheine, die mit den Gedichten des Sechzehnjährigen beginnt, damals gab mir zuerst ein Gott, zu sagen, was ich litt und worum ich stritt.
Per aspera ad astra!
Eduard von Mayer
Grüner Wald
Nun hör ich wieder deine Wipfel rauschen,
Nun bin ich wieder dein, du grüner Wald!
Ich kann, wie früher, deinem Flüstern lauschen,
Dort wo ja ungehört mein Lied verhallt.
Und was in deinen Zweigen wird erklingen,
Ich nehm es auf, ich wahr’s im Herzen mein,
Doch horch! es wird, ein Lied, hervor mir bringen,
Ein heller Ruf aus heilig tiefem Schrein.
Ja, neues Leben, neue Lieder quellen
Jetzt, wo ich Wald in deinem Schatten bin,
Denn auf des Frühlingswindes linden Wellen
Zieht neues Dichten ein in Herz und Sinn.
Das erste Gedicht im Buch, mit dem Hinweis «bei St. Petersburg», es ist anzunehmen, es handlet sich um ein Gedicht des 16-jährigen Eduard von Mayer.
Wo ist das Glück?
Wo ist das Glück? …
Wo tausend neue Brunnen quellen,
Wo jede Wurzel reicher treibt,
Wo trotz dem Sturme, trotz den Wellen
Ein heiliges Ziel die Wegspur schreibt;
Wo alles, das das Herz geboren,
In frohem Drang den Bann durchbricht,
Wo alle kleinsten, eitlen Sorgen
Verzehrt des neuen Tages Licht;
Wo ich von meinen Schwingen streife
Den Staub, davon ich matt und blind,
Wo ich zum neunen Menschen reife
und meine Ewigkeit beginnt …
Wo ist das Glück? …
Bei dir, bei dir hab ich’s gefunden.
Du warst der frohe Hammerschlag,
Der meiner Quellen Luft entbunden,
Du bist mein jüngster, heitrer Tag.
Du hegtest, da sie noch im Keine,
Die Lebensfrüchte meines Baums,
Du wurdest mir zum heiligen Heime,
Du bist Erfüllung meines Traums –
Du bist der Himmel, unermessen,
Den ich durcheile, eine Welt …
Es hat noch Niemand mehr besessen,
Als ich, der dich umfangen hält!
Tiefe Nacht um mich
Einst war es tiefe Nacht um mich …
Erblindet hatten geschlossen
Die Augen vor vielen Tränen sich,
Die ich im Leide vergossen.
Mein Herz war finster geworden und stumm,
Erstickt war seine Stimme –
Da ging ich Steine suchen herum
In einsam wildem Grimme.
Da war ich jeder Blume gram
Und jedem sonnigen Scheine,
Der mich vom Tode wecken kam,
Ich wollte der Freuden keine.
Da hab ich auch dich so kalt und hart
Gewiesen von meinem Herzen –
Mich hatte das Glück zulange genarrt
Mit der Liebe grausamen Scherzen.
Doch endlich – endlich! war sie vorbei,
Die Nacht, die mich umfangen.
Durch deine Liebe, so stolz und frei
Ist sie für immer vergangen.
Am Brunnen
Ich ging ob den Matten
Im Abendstrahl,
Da lag ein Brunnen
Im stillen Tal.
Am Brunnen raget
Ein Tannenbaum
Und blickt in des Wassers
Tiefen Raum.
Im Wipfel ertönte
Ein wundersam Lied
Da bin ich am Brunnen
Niedergekniet.
Ich hab in das Wasser
Hinein ich geschaut,
Hinab in den Himmel,
der drunten blaut.
Mir war es, ich blickte
Ins Auge dein,
So klar und so leuchtend,
So tief und so rein.
Herz meines Herzens
Herz meines Herzens,
Was war ich ohne dich?!
Ein schweifender Vogel,
Ein tosender Fall,
Ein rasender Sturm
Im dunklen All …
Herz meines Herzens,
Was ward ich durch dich?
Eine duftende Frucht,
Eine hegende Hand,
In Gottes Schmiede
Ein Feuerbrand!
Dem Weltenall
Dem Weltenall setz diene Welt zum Kern
Im Sternenmeer erwach als Seelenstern!
Die Welt ist finster – aber du willst Licht,
Die Welt ist schwer, so trage ihr Gewicht!
Die Welt ist sinnlos? Gib ihr deinen Sinn!
Und fruchtlos? Gib ihr deiner Tat Gewinn!
Die Welt ist blinder Staub – gestalt sie du,
In ihre Unrast strahle deine Ruh!
Die Welt ist Leid – verwinde deinen Schmerz!
… und kalt – bewahre dir ein warmes Herz!
Die Welt ist böse – du sei hold und gut!
Die Welt ist Angst – erbitt von Gott dir Mut!
Die Welt bist du! Doch unsre Nacht erhellt
Das klare Licht aus Gottes ewigen Zelt.
Die Welt bist du! Doch unsern Trost durchglüht
Der Strahl von dort, wo ewige Liebe blüht.
Die Welt bist du! Doch unsern Tod besiegt
Der frohe Glaube, der zu Klarwelt fliegt.
Dornen und Unkraut
Nicht Früchte bloss sendet das Leben,
Dornen und Unkraut schüttets daneben.
Wollen dich hemmen, wollen dich quälen,
Sollen dich spornen, sollen dich stählen.
Greif nur dazwischen ohne Erschrecken,
Köpfe die Disteln mit raschem Stecken!
Was dir zu Leide, vernichte es als Spreu,
Was dir zu Liebe, bewahre es treu!
An Clara Wagner-Grosch
Dein Sinnbild? deines Wesens Spiegel?
Ich schau ins bunte Bilderbuch
Des Lebens, und für deine Frage
Fand schnell id den Orakelspruch.
Dein Sinnbild ist die gütige Quelle,
Die gern mit ihren Gaben letzt,
Die rastlos stete, der zur Seite
Sich gern der Wandrer niedersetzt.
Dein Sinnbild? – ist der stille Weiher,
Der Jedem, der sich drüber neigt,
Die eignen eingebornen Züge
Zu bleibendem Gedächtnis zeigt.
Dein Sinnbild? – ist des Taues Tropfen,
In dem das Bild der Welt sich bricht,
Den jeder zarte Strahl des Schönen,
Erglühn lässt in freudigem Licht.
Hab ich die Bilder recht gedeutet?
Verstand ich deines Wesens Schein?
Dann heb die Worte auf im Herzen
Und hüte deines Wesens Sein.
An Elisarion
Du bist gewandert immerzu
An langer Leidenskette,
Und nimmer ward dir frohe Ruh
Und nimmer deine Stätte …
So steck den Stab ins dürre Feld
Inmitten dumpfer Herden!
Dein Stab ist Zepter einer Welt,
Die nun will wirklich werden.
Der Geist, der deinen Geist gekürt,
Ist Lebensquell der Güte,
Der Geist, der deinen Stab geführt,
Der führt ihn auch zur Blüte.
Und einst, da ragt dein Blütenbaum
Und duftet Klare Kunde:
Was du gelebt, in Kampf und Traum,
Wird aller Herzen Feierstunde.
Unter dem Gedicht steht die Bemerkung «Minusio bei Locarno», wahrscheinlich handelt es sich ein Gedicht, das nach dem Umzug ins neu errichtete Sanctuarium Artis Elisarion geschrieben wurde.
Herodes
Herodes lädt sich zum Namensfeste
Aus Nah und Fern die stolzesten Gäste;
Gelass für hundert Gewaltige hat
Die hochgebaute Davidstadt.
Da zieht in prächtigen Sänften herauf,
Da sprengt in geschmückter Rosse Lauf,
Der Saumtiere wimmelndes Heer
Klimmt ihnen nach, geschenkeschwer …
Vorm Tor am Wege in langem Gedränge
Staut sich staunend die murmelnde Menge.
Das hat sonst immer zum Schauen Zeit
Vor lauter Geschäft und Geschäftigkeit,
Nicht gönnt ihnen Musse, nicht gönnt ihnen Rast
Des kleinen Tages Not und Hast,
Die Jagd nach dem täglichen Bissen Brodes …
Doch heute feiert sein Fest Herodes!
Da heisst es die Grossen der Erde sehen
Uns Stunden im Staube des Weges stehn,
Axt und Amboss bleiben bei Seite
Und die Neugier gibt dem Prunk das Geleite.
«Da, schau! den Sultan auf seinen Kamelen,
Der kann seine Weiber und Schätze nicht zählen.»
«Da, schau! von Sidon und Tyrus die Fürsten,
Die schlürfen Purpur, sooft sie dürften …»
«Der Schwarze dort ist Herrscher von Saba,
Betet zum schwarzen Stein, zu Kaaba …»
«Das Goldhaar dort aus Mitternacht
Hat wilder Jäger zahllose Macht …»
«Und der da: König vom Morgenland!»
«Und den hat der römische Kaiser gesandt!»
«Und die … und die …» Nun geht es zu Ende,
Befriedigt schweigen Zungen und Hände.
Vom Stadttor kommen Zweie daher,
Das Volk ist verlaufen, der Weg ist leer.
Ungesehen und ohne Gruss
Geht es hinab, der Greis zu Fuss
Blickt stumm ins wachsende Abendgrau,
Der Esel trägt eine schwangere Frau,
Der Esel trägt eine keimende Welt
Hinaus, hinab in dämmernde Feld …
Es strahlt die Stadt im Lichterglaste,
Herodes prahlt in seinem Palste,
Der fürstlichen Gäste bunter Tross
Durchwogt mit Lärmen das Königsschloss.
Auf hohen Altanen die Becher kreisen,
Den grossen König Herodes zu preisen,
Es klirrt das gleissende Lob seiner Pracht,
Die Fackeln lodern … Ringsum ist Nacht.
Das – flammt es auf im finstern Tal,
Vom Himmel hoch ein leuchtendes Mal,
Vom Himmel steigen Sterne herab
Und strömen Licht in der Erde Grab.
«Der Himmel selber festlich erstrahlt
Zu meiner Ehre!», Herodes prahlt:
«Es kündet der alles wissende Stern
In mir der Menschen errettenden Herrn!
Und meines Geistes göttliche Zeichen
Soll fürder gelten in allen Reichen!»
Wer geht hinaus aus dem jubelnden Kreise?
Drei Gäste, gekommen in weiter Reise
Der Blonde von Norden – von Ophirs Strand
Der Mohr, und der König vom Morgenland.
«Wollt ihr von meinem Feste scheiden?
Wagt ihr es, mir die Ehre zu neiden?!»
«Wir kamen, den Heiland der Menschen zu grüssen,
Ihm unsre Schätze zu legen zu Füssen!»
«Dort wo der Stern auf der Erde ruht,
Ist heute geboren das göttliche Blut,
Der Stern steht nicht ob deinem Schloss,
Du bist nicht der wahre Gottesspross!»
Sie ziehen hinaus in die dunkle Nacht
Zum Stalle, den der Stern bewacht.
«Auf! Ihnen nach! Auf!», kreischt Herodes:
«Und habt ihr ihn, sei er des Todes!»
Ob Städten und Dörfern, ob Berg und Tal
Steht schreiend der Kinder und Mütter Qual.
Im Morgengrau und Morgenwind
Trägt der Esel ein heilig Kind,
Vertrieben aus dem heimischen Haus
Zieht in die Fremde das Licht hinaus.
Das letzte Gedicht im Bändchen, es zeigt Elisarion und Eduard von Mayer, wollten ihre Vorstellungen von einer diesseitgen Wirrwelt und einer jenseitigen Klarwelt mit dem christlichen Glauben vereinen.
Kleine Sammlung von Gedichten, die zwischen 1889 und 1927 entstanden sind, gewidmet an Clara Wagner-Grosch PDF
Die Gedichte handlen vorwigend vom Weltschmerz in der diesseitegen Wirrwelt und von der Harmonie, Schönheit und Güte der jenseitigen Klarwelt.
Nebenstend eine Auswahl. Die Titel der Gedichte sind teilweise von der Redaktion hinzugefügt worden.