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Mein Protest

Manuskript von Eduard von Mayer als Antwort auf den Bericht im Der Grüne Heinrich und im Beobachter.

 

Welche – negative – Qualifikation zu «moralischen» Urteilen und Vorurteilen «Der grüne Heinrich» hat, beweist die ein­fache Tatsache, dass er widergesetzlich eine nicht bewilligte Veröffentlichung von Gemäldereproduktionen sich vor­ge­nom­men hatte und dann sich das Bildmaterial durch einen lüg­ne­rischen Vertrauensmissbrauch verschaffte, indem sein (namen­loser) Beauftragter sich, zu seinen Zwecken ver­wend­bare Teilstücke aus dem Gesamtwerk photographisch heraus­stahl, obschon ihm nur eine Innenaufnahme der Räume erlaubt wurde, weil er ein positives Interesse am Werke vorheuchelte. Ich – hatte keinen Grund, das von vorne herein zu verweigern, denn es gab da nichts zu verbergen; meine «bona fides» kam aus gutem Gewissen – seine «mala fides» ist ganz offenbar. Die mir zugesagten «Kopien» trafen natürlich niemals ein.

Was bezweckte «Der grüne Heinrich»?
(und, ihm nach, der Schweizerische Beobachter)

Die vor sieben Jahren von der Arbeitsbeschaffungszentrale in Bern (und Bellinzona) gezahlten Beträge (6000 und 3000 Franken) konnten doch nicht mehr in die öffentlichen Kassen zurückfliessen; es konnte also gar kein andres, «würdigeres» künstlerisches Werk an Stelle des Sanctuarium Artis Elisarion von dem skandalsüchtigen Protest profitieren. Der Zweck war also garnicht eine Förderung «besserer» Kunst, sondern – wie die Mitveröffentlichung des Porträts der drei Bundesräte beweist, die das Werk Elisarions als schön und würdig erlebt hatten – er war ein politischer: diese Herren und damit das staatliche Zentralorgan der Eidgenossenschaft, dem sie an­ge­hör­ten, sollten als urteilslos und moralisch zweifelhaft vor der Schweizer Öffentlichkeit diskreditiert werden – wozu auch die schlaue, aber falsche Einflechtung der Spekulation auf aktuelle politische Ressentiments des Publikums mitdienen sollte – damit eine ganz andere Regierungsform vorbereitet würde, indem das Vertrauen in die bestehende unterminiert wurde.

Der zweite, mit dem ersten scheinbar «willkürlich» verkoppelte, wie an den Haaren herbeigezogene Zweck war aber: das Lebenswerk Elisarions vor der Schweizer Öffent­lich­keit derart «unmöglich» zu machen, dass es – zuwider der von allem Anfang vom Künstler gewollten Bestimmung des Werkes: kostenlos zu Obhut in den öffentlichen Besitz überzugehn, sobald der Zeitpunkt dafür eintreten würde – von keiner öffentlichen Behörde angenommen werden würde und damit einer Schutz- und Herrenlosigkeit verfiele. Mit der Beseitigung des Sanctuarium Artis Elisarion und seiner idealistischen Wirkung sollte die «Brücke» gesprengt werden, die zur eigent­lichen Ideenwelt Elisarions führen kann: vom vielleicht zufälligen Erleben schöner Kunst zur eindringenden Er­kennt­nis wahrer Weltordnung (lebendige Seelen als Mitarbeiter, Mitkämpfer Gottes wider das Chaos der Disharmonien und Zwiste) durch die falsche, ausbeuterische materialistische Machtideologie an Einfluss und Geltung Abbruch erleiden könnte: das war schon lang der Grund für das Totschweigen Elisarions. Die Vernichtung der Stätte würde ja nicht ausschliessen, dass dermaleinst auseinander gerissene Stücke der Gemälde sich sehr profitlich verramschen liessen – dann als «wert»volle «Seltenheiten».

Jetzt aber und aus weltpolitischen Gründen wird das monu­mentale Lebenswerk als «homosexueller» Kitsch verlästert.

Dass man ausgerechnet von linkester Seite, die sonst nicht genug über die «verlognen Moralbegriffe bürgerlicher Sexua­lität» spotten konnte, sich nun diese Phraseologie zu eigen macht, um im Publikum eine Schockwirkung zu erzielen, beweist noch zum Überfluss, dass das Sanctuarium Artis Elisarion nur ein Ausgangspunkt für den politischen Zweck­an­wurf planmässiger Gemeinheit ist.

Wäre es nicht eine politische (Teil)-aktion, sondern «normaler» Neid von Kollegen – und wären wir in normaler Zeit: es würde für Elisarion und sein Werk den grössten moralischen Sieg bedeuten, wenn vor Gericht die zahllosen anerkennenden und beglückten Einschriften der Besucher der Stätte in nur 18 Jahren vorgelegt und vorgelesen werden könnten. Waren all die Männer und Frauen, junge Ehepaare, Mütter und Mädchen – waren Geistliche ver­schie­dener Konfessionen und Religionen, die Lehrer, die Ärzte, die Ingenieure «homosexuell»?; – oder waren sie so «labil», dass das Werk in ihnen homosexuelle Empfindungen weckte? Das Groteske einer solchen Hypothese ist evident. Jedenfalls aber hat dieses Plebiszit der Besucher und Besucherinnen das öffentliche Wohlgefallen am Werk bewiesen und seine öffent­liche Berechtigung erhärtet, die wohl einer Arbeits­ge­le­gen­heits­unter­stützung wert war. Vollends würde die Verlesung der Briefe, die von Besuchern noch nachträglich und wiederholt, in dankbarer Erinnerung an das Erlebnis des Werkes und seines Geistes, an Elisarion geschrieben worden, einen Sieg bedeuten. Die vordringende politische Seite des skandalösen Handels verschleisst aber diese «Flucht in die Öffentlichkeit».

Wer nach seinem Kunstgeschmack oder nach seiner Anfor­de­rung an eine bestimmte Technik das Werk Elisarions – trotz der Meisterschaft der Wiedergabe des Erschauten und Darstellung des Erahnten und trotz der hohen Gewissen­haf­tig­keit seiner realistischen Vorarbeiten – für «Kitsch» erklärt, d.h. für, durch Sex-appeal überdeckte Mangelleistung des Künstlerischen, kann ja weggehn, wie er das Schauspielhaus verlässt, wenn das Stück ihm nicht zusagt oder wertlos scheint; soll darum das Schauspiel allen Andern verwehrt sein? Wer von dem Geist des Einklanges der «Klarwelt» sich langweilt, kann ja, wieder draussen, sich an der Zwietracht der realen Wirrwelt zerstreuen. Und wessen unterdrückte, aufgestaute Sinnlichkeit vor der Wahrheit, der Natürlichkeit der Glückseligkeit «erbricht», der soll ebenfalls weggehn. Freilich gehören solche überhaupt nicht in das Sanctuarium Artis Elisarion. Aber ich – als Betreuer, und wer nach mir – kann es dem Besucher doch nicht ansehn, ob er mit lauteren Augen vor das Gemälde treten wird. Würden nur «ausgewählte» oder «empfohlene» Menschen zugelassen, so würde der Vorwurf der «Geheim­haltung» bei der Hand sein, auch wenn er nur den Mangel eignen guten Gewissens verdenken wollte. Darf aber die Ungezogenheit dieses oder jenes Besuchers ein Grund sein, die vielen, vielen zu verhindern, den Anblick der Lauterkeit und Schönheit zu erleben, wie es so vielen erging, die beim Betreten der Stätte – etwa nur durch den Bau als solchen aufmerksam geworden – nicht wissen konnten, wie bereichert und gestählt sie wieder aus der Welt des Idealen in die Realität des Materiellen hinausgehn würden. Darf ihnen vorenthalten werden, ihre leibliche Empfindung ins Seelische sich vertiefen, ins Geistige sich erhöhn zu lassen? Wie Elisarion als Dichter nicht auf die Tränendrüse des Lesers abstellte, so auch nicht als Gestalter auf die Geschlechtsdrüsen der Beschauer – sondern allemal wollte er durch die Sinnesorgane (Ohr oder Auge) dessen, der eine Kunst aufzunehmen hätte, auf sein Herz und seinen Geist wirken, damit es lauter (in sich), frank (nach aussen) und freudig an den süssen Dingen des Lebens würde.

Man kann nie verhindern, dass in ein, allen offen­ste­hen­des Heiligtum Hunde laufen – ich habe sie in die Kirchen Italiens hineingeraten und ihren Unrat hineintragen gesehn; so auch nicht die zweibeinigen eine Weihestätte zu betreten, die ihnen nichts bieten kann, was nicht die materiellen Genuss­stät­ten draussen weit besser «liefern». Und wer Perlen vor die Säue wirft, muss sich – nach Christi Wort – darauf gefasst machen, dass sie sich in Wut gegen ihn wenden, in ihrer enttäuschten Gier nach Materiellem.

Die «Klarwelt» – obschon in jeder Einzelheit der Natur abgelauscht und entnommen – sollte ja überhaupt nicht eine materielle Welt betonen, sondern ein «Jenseits» der Gegen­sätze, der Finsternisse, der Schwere, an denen die materielle Realität so entsetzlich leidet – sie sollte ein grosses «Wir» sein, das eine Gleichheit und Gemeinsamkeit der Seelen, in all ihrer Leiblichkeit, jedoch verklärt, darstellt. Schon der Zugang durch die sakral gehaltnen Vorräume, durch das Todestor – das bekennt: Gottes Reich sei nicht von dieser Welt; und: wer nicht als Kind dieses Reich betritt, könne nicht hinein – durch den Gruftraum mit der Urne, der marmornen Todesmaske und dem Bilde des Künstlers selbst auf dem Totenbette spricht zu jedem Menschen, der nicht innerlich leer ist, davon, dass er die irdische Lebensstätte verlässt und eine ganz andre betritt.

Deswegen musste von der «Porträthaftigkeit» der dar­ge­stellten Antlitze abgesehn sein – sonst würden die Gestalten als «entkleidet» erscheinen und alle irdischen Temperaments- und Charakterspannungen würden sich wieder einstellen; und ebenso, ja vor allem musste der Betonung der Gesch­lechts­unter­schiede ausgewichen werden. Auch schon am Todestor stand das Wort Christi: in der andern Welt würde man weder freien, noch sich freien lassen, sondern «sein wie die Engel», die von der kirchlichen Kunst – den antiken Geniendarstel­lun­gen folgend – meist als Jünglinge ver­an­schau­licht wurden.

Würden, anatomisch scharf, von Elisarion «Männer» und «Weiber» gemalt worden sein, bärtig und vollbrüstig, dann würde ganz unzweifelhaft das Zeugungsgefühl herauf­be­schwo­ren worden sein; bekleidet aber – in der Tracht welcher Zeit? – würde es die Banalität selbst gewesen sein, oder ein über­flüs­siges Duplikat für Raphaels Heiligen­gesell­schaft in der «Disputa» der vatikanischen Stanzen.

Eine Neutralität durch Harmonisierung, eine durch die Sublimierung des jugendlichen Liebreizes aufgewogne Minder­betonung des Sexuellen – dessen sekundären, realen Wert Elisarion garnicht geringachtete – war psychologisch und künstlerisch geboten. Sollte er lauter junge Mädchen dar­stel­len? – das würde dann «nur für Männer» sein oder, für weib­liche Personen, und kann so ebenfalls als «homosexueller» Anreiz taxiert werden. Der Ephebe aber, der neben seiner kräftigen Mannheit noch die Jugendanmut des Weiblichen besitzt, konnte dieses Gleichgewicht zum Ausdruck bringen – ganz abgesehn davon, dass gerade die klassische Kunst, der Antike wie der Renaissance, den Epheben bevorzugt hat, und auch die neueste Zeit hat ihn in Kunstwerken geadelt. Dessen Darstellung also als «homosexuelle» Betonung ausschliessen zu wollen, hiesse einen Grossteil der Kunst aller Zeiten ächten. Hat doch Raphael sogar bei seinen Madonnen zunächst, für die Körperstellung, junge Männer als Modelle benutzt, zum Teil sich selber.

Wenn aber sachliche Unkenntnisse, gemeine Gesinnung und böser Wille sich zusammentun und die Rolle eines Richters sich anmassen, was soll da herauskommen, als die Infamie eines Angriffs gegen einen grossen Toten, der um einen Friedenstraum der Gleichheit und Glückseligkeit, der erfüllten Menschensehnsucht zu schaffen – ein Leben lang unter steten Opfern, unter Verzicht auf Tagesruhm und Tagesgewinn, seinen schwachen physischen Kräften durch eiserne Willenskraft die Leistung der monumentalen Arbeit abzwang, seinen Lohn darin findend, dass ein Ideal sichtbar wurde. Die längste Zeit schuf er ohne Aussicht auf äussere Vollendung seiner Schöpfung, bis schliesslich namhafte Tessiner die Arbeitsbeschaffungsunterstützung für die Erstel­lung des Rundbaus erwirkten, wofür das Gemälde von vorne herein erschaut und gedacht war, obschon Elisarion ein Wandgemälde malen musste, bevor es eine Wand und Mauer gab: eine technische Genieleistung, die – würde Elisarion vor der Fertigstellung gestorben sein – als ausgemachter Wahnwitz würde verlacht worden sein; und durch die Kraft von Geist, Willen und Herz wurde das Unmögliche – wirklich.

Aber um solche Beweisproben von Genie und Charakter kümmert sich das Gelächter, das das Edle hasst, ja nicht. Da müssen die Bundesräte so zu Sündenböcken herhalten für Elisarion, wie er für sie.

Nun: ausser der Arbeitsbeschaffungsunterstützung von Bund und Kanton Tessin hat ein grösserer Betrag (10 000 Franken) für den Bau verwendet werden können, der tes­ta­men­tarisch (1932), ausdrücklich dafür von der Porträt­malerin Clara-Wagner-Grosch vermacht wurde. War diese Frau und Künstlerin auch «homosexuell» und «kunst­un­ver­ständig»?

Die Frage stellen, heisst sie – negativ – beantworten. Aber damit wird erst recht «das wahre Gesicht» des ganzen Vor­gan­ges erkennbar, der unter der Maske überzarter Besorgnis für die Moral des Publikums sein politisches Manöver vertarnt, dem alle Idealität ein Gräuel ist.

 

(Dieser Protest wird von mir nicht den Redaktionen der Schmähartikel zugestellt, da sie ihn wegwerfen würden. Aber jeder möge ihn lesen.)

 

Die Artikel über das Sanctuarium Artis Elisarion im Der grüne Heinrich und im Beobachter.

Der Aufstieg,
Gemälde von Elisàr von Kupffer, 1911
Drei vor dem Säulendenkmal, Detail aus dem Rundbild «Klarwelt der Seeligen» von Elisàr von Kupffer
Kouros von Anavyssos, idealisierte Darstellung der männlichen Jugendlichkeit, 530 v. Chr., Archäologisches Nationalmuseum Athen